Simplicity – manchmal ist weniger mehr

Test: Mesa/Boogie California Tweed 6V6 4:Forty

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(Bild: Dieter Stork)

Während des 50-jährigen Bestehens war Mesa/Boogie eigentlich eher bekannt für klanglich extrem flexible, mehrkanalige Verstärker mit zahlreichen Regel- und Schaltmöglichkeiten. Natürlich gab es auch simpler konzipierte Ausnahmen, wenn auch nur wenige. Mit der neuen California Tweed Series vollzieht der amerikanische Hersteller quasi eine Rolle rückwärts hin zu Tweed-basierter Performance und dem authentischen Klangcharakter einer 6V6-Endstufe.

Wer angesichts des neuen Boogies einen schlichten Einkanaler vermutet, liegt durchaus richtig, zumindest den Preamp betreffend. Dank fünfstufiger Leistungsreduktion von 40 auf 2 Watt und daraus resultierender Klangvarianten entpuppt sich der California Tweed jedoch als Verstärker für unterschiedlichste Location-Größen und Musikgenres. Und Mesa wäre nicht Boogie, wenn es dieses Ansinnen lediglich mittels simpler Lastwiderstände lösen würde.

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Nein, hier wird erheblich mehr Aufwand betrieben, denn gleich drei patentierte Technologien kommen dafür zum Einsatz, nämlich Incremental Multi-Watt, Duo-Class und Dyna-Watt. Bei diesen liefern die 6V6-Endröhren, von Mesa mit V7, V8, V9 und V10 markiert, in zwei Betriebsklassen und drei Schaltungsoptionen folgende unterschiedliche Ausgangsleistungen:

  • 40 Watt: V7, V8, V9 und V10 in Class AB Pentoden-Betrieb.
  • 30 Watt: V9 und V10 Class AB Pentode, V7 und V8 Class AB Triode
  • 20 Watt: V7 und V8 Class AB Pentode
  • 10 Watt: V7 und V8 Class AB Triode
  • 2 Watt: V7 Triode, V9 Pentode, Class A parallel.

Innen & Außen

Bis auf die Gleichrichtung der Wechselspannung, die hier von Halbleitern übernommen wird, kommt der Verstärker mit purer Röhrentechnik daher. Wie beim Hersteller üblich, finden ausnahmslos Mesa-selektierte Glaskolben Verwendung, was den Bias-Abgleich beim Nachkauf von Originalröhren überflüssig macht. Grundsätzlich ist das Schaltungs-Design des California Tweed eher traditioneller Natur.

Einkanaliger Aufbau, zwei Inputs (Normal/Low), die Regler Gain, Treble, Mid und Bass bearbeiten die Vorstufe, während Presence, Master (Volume) und Power Select dies mit der Endstufe tun. Des Weiteren gibt es ein per Reverb-Poti regelbares großes Ruby-Tubes-Hallsystem mit zwei langen Spiralfedern, welches in einer Kunstledertasche am Gehäuseboden so stoßgedämpft wie möglich befestigt und mittels Cinch-Steckern angeschlossen ist.

(Bild: Dieter Stork)

Das stabile, mit zahlreichen Lüftungsschlitzen versehene Alu-Chassis hängt an vier langen Gewindeschrauben unter der abgeschirmten Gehäusedecke. Auch im Innern finden wir Verarbeitung vom Feinsten:

Zwei sorgfältig montierte Hauptplatinen, die Platine der rückseitigen Anschlüsse wird von den verschraubten Buchsen gehalten, Potis, Betriebsanzeige, Netz- und Standby-Schalter sowie die Input-Buchsen wurden ebenfalls am Chassis verschraubt und sogar frei verdrahtet. Auf der Hauptplatine entdecke ich lediglich zwei Relais. Dass Mesa noch eine Menge von Hand erledigt, erkennt man an den zahlreichen frei verdrahteten und von Kabelbindern sorgfältig zusammengefassten Litzen.

Neben dem auf der Unterseite des Amp- Chassis gesteckten Netzkabel finden sich auf der Rückseite die Send- und Return- Anschlüsse der seriellen FX Loop, der Fußschalteranschluss des Halls, ein 8-Ohmund zwei 4-Ohm-Lautsprecherausgänge. Ersterer wird vom bordeigenen Jensen- Speaker in Beschlag genommen.

Der Gehäuserahmen besteht aus 15 mm und die Montageleisten der 13 mm dicken verschraubten Rückwände aus 18 mm Birkensperrholz. Beim Test-Combo hat Mesa cremefarbenen Vinylbezug verwendet, optional sind auch andere Vinylfarben sowie gegen nicht unerheblichen Aufpreis das obligatorische Edelholzgehäuse erhältlich. Vier rutschsichere Gummifüße, sechs aufgenagelte Lederecken, ein solider Tragegriff und die strapazierfähige Frontbespannung aus cremefarben und braunem Jutegeflecht und goldenen Kedern komplettieren die Gehäuseausstattung.

(Bild: Dieter Stork)

Watt aufs Ohr

6V6 Endstufenröhren?! Damit dürfte die klangliche Ausrichtung des Mesa/Boogie California Tweed eigentlich schon klar sein, geht sie doch eindeutig in Richtung des begehrten und inzwischen beinahe unbezahlbaren Fender Tweed Deluxe der 50er-Jahre, alternativ auch zum 60s Fender Blackface Deluxe Reverb. Während diese Amp-Ikonen mit jeweils zwei 6V6 bestückt wurden, besitzt der California Tweed dank seiner vier 6V6 Endröhren im Vollbetrieb auch mehr Output- und Headroom- Reserven. Aber bereits im 20-Watt- Betrieb, der ja technisch eher den genannten Klassikern entspricht, liefert der Combo beeindruckend warme, voluminöse, druckvolle aber dennoch luftige Sounds, die sich mit Hilfe der vier passiven aber höchst effizient agierenden Klangregler nach Belieben formen lassen.

Erwartungsgemäß tragen das rückseitig offene Holzgehäuse und der Jensen Blackbird Lautsprecher großen Anteil an Sound und Charakter des Combos. Im Zusammenspiel liefern diese eine vintageorientiertere Resonanz und weichere, weniger offensive bzw. aggressive Sounds. Der 12″-Speaker besitzt organischere Mitten und weichere, etwas tiefer angelegte Höhen als die normalerweise von Mesa verwendeten Celestion-Lautsprecher.

Die wirkungsvollste Vorstufensektion des Amps bildet der Gain-Regler, der abhängig von Anschlagsintensität, Output der verwendeten Pickups und Gitarren-Volume die Stilrichtung und Individualität des Sounds prägt. Er deckt quasi drei Bereiche ab: Bei Settings zwischen 9:00- und 11:30 Uhr liefert er absolut cleane, von 11:30 bis 14:00 Uhr wärmere, leicht gesättigte und von 14:30 bis 17:00 Uhr stärker komprimierende, eher gemäßigte Gain- Sounds. Keine Brutalo-Zerre also, sondern gezügelt dichte Röhrensättigung – Overdrive für den Sound-Gourmet.

Nachteil: Technische wie spielerische Defizite des Users werden gnadenlos offengelegt. Mit Zunahme der Gain-Einstellung steigen auch die Bässe an, was der entsprechende Klangregler jedoch perfekt ausbügelt. Wer jedoch glaubt, im 2-Watt- Modus gepflegte Nachbarschafts-kompatible Zerre mittels Gain-voll-auf und Master-auf-Zimmerlautstärke erzielen zu können, ist völlig auf dem Holzweg.

Das tönt dann doch etwas pappig und undifferenziert – halt nicht sonderlich erquickend und noch weniger inspirierend. Die Endröhren sollten halt beschäftigt werden und sorgen damit für Transparenz, Dynamik und Artikulation.

Da die serielle FX-Loop im Signalweg hinter dem Master-Volume angeordnet ist, beeinflusst Selbiger auch den Pegel am FX-Send-Ausgang. Mesa hat den Ausgangspegel allerdings dahingehend optimiert, dass weder Rack-Gear – ohnehin meistens mit variablem Input-Level ausgestattet – noch Effektpedale gegen Anpassungsprobleme kämpfen müssen. Ungeachtet dessen kooperiert der California Tweed bestens mit Vorschalt- und Einschleifpedalen jeglicher Art, was der Betrieb mit meinem Pedalboard bestätigt.

Ausgestattet mit einem röhrengepufferten analogen Ruby-Tubes-Reverb mit langen Spiralfedern liefert der neue Mesa/Boogie-Combo intensive, großräumige und etwas brillanter als gewohnt abgestimmte Halleffekte von subtil bis zu klitschnassen Surf-Sounds, die den Vintage- orientierten Charakter des Amps unterstreichen. Selbst bei voll aufgedrehtem Reverb-Regler bleibt der langsam und gleichförmig abklingende Federhall dicht und homogen und zeigt nur wenig vom typischen Scheppern, sollte jedoch bei hohen Gain-Settings sparsam dosiert werden.

Resümee

Der California Tweed stellt quasi eine Retrospektive auf die ursprüngliche Arbeit Randall Smiths dar, nämlich das Tunen und Modifizieren von Fender Amps. So entstand 1969 aus einem spätsechziger Fender Princeton Amp (Silverface, mit zwei 6V6 Endröhren) der erste Boogie, der seinen Namen bekanntlich einem gewissen Carlos Santana verdankt.

Bedenkenlos lässt sich der California Tweed der Kategorie „Hot Rodded Vintage Americana“ zuordnen, denn trotz umfangreicher Möglichkeiten der Einflussnahme auf Klang und Ausgangsleistung lässt sich der Einkanaler leicht und intuitiv bedienen. Seine exzellente Dynamik und präzise Umsetzung feinster spielerischer Nuancen, wie auch die Reaktion auf die Arbeit mit den Gitarrenpotis, machen ihn zu einem ehrlichen und soliden Werkzeug für Klanggourmets.

Der wunderbar natürlich klingende Federhall, die geniale Multi- Power-Schaltung, der „american voiced“ Jensen Blackbird 12-Zöller und das optimal abgestimmte klangvolle Birkensperrholzgehäuse komplettieren nicht nur die Ausstattung, sondern reihen sich in die Liste der Positiva ein, die ich in Anbetracht der vorbildlichen Verarbeitung und der Verwendung von hochwertigen Komponenten mit einem ausgewogenen Verhältnis von Preis und Leistung vervollständigen möchte.

PLUS

  • Multi-Power Konzept & Schaltung
  • sehr gutes authentisches Sounddesign
  • harmonische Verzerrungen
  • Ansprache & Dynamik
  • Hall-Sound
  • nebengeräuscharm
  • Qualität der Bauteile
  • Verarbeitung

(erschienen in Gitarre & Bass 08/2019)

 

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