Amp-Klassiker zum Drauftreten

Test: Marshall Overdrive Pedals Series

Anzeige
(Bild: Dieter Stork)

Auf der diesjährigen Namm-Show in Los Angeles stellte Marshall neue Pedale vor, und zwar nicht irgendwelche, sondern gleich fünf „Amps in a box”: Ohne Röhre, ohne Modeling, in traditioneller Transistortechnik präsentieren sich die Modelle 1959 (Plexi), JCM 800, JCM 900, DSL und JVM. Dabei soll jedes Pedal die Charakteristik der Verstärkervorbilder in Sound und Spielgefühl widerspiegeln und ein cleanes oder leicht crunchiges Ausgangssetup um „den” Marshall-Sound erweitern.

Die Pedale haben robuste, schwere Metallgehäuse mit den Maßen 101 x 131 x 52 mm. Die Anschlüsse für Ein- und Ausgang sowie die 9V-DC-Stromversorgung liegen stirnseitig und sparen somit Platz bei der Verkabelung auf dem Pedalboard.

Anzeige

(Bild: Dieter Stork)

Optisch spiegelt die Overdrive-Pedals-Serie Marshalls ikonisches Design wider, die goldenen Front-Panels wurden ebenso aufgegriffen wie die verschiedenen, hier aufgedruckten Bespannstoffe und die klassischen Potiknöpfe. Wer den Batteriebetrieb bevorzugt, findet auf der Unterseite eine Klappe für einen 9-Volt-Block.

Im eingeschalteten Zustand leuchtet ein Ring um den Fußschalter in Weiß und signalisiert den Betrieb. Innen zeigt sich die industrielle Produktion mit sauber verarbeiteten Platinen und Verbindungen. Die Pedale werden in Vietnam hergestellt, was der Grund für die erschwinglichen Preise der Serie sein dürfte.

1959

(Bild: Dieter Stork)

Der Marshall 1959 liefert als Amp bekanntlich monumentale Endstufengewalt und ist auf zahllosen Meilensteinen der Rockgeschichte aus den 60er und 70er Jahren zu hören. Dies in einem Pedal einzufangen, ist schon eine Herausforderung.

Mit vier Reglern werden die beiden nachempfundenen Eingangskanäle „Normal” und „H.Treble”, eine einbandige Klangregelung „Tone” und der Ausgangspegel „Volume” gesteuert. Los geht es vor meinem clean eingestellten Röhren-Amp: Ein Tritt auf den robusten Schalter und tatsächlich rotzt der Sound mit den markanten Merkmalen eines Plexis aus den Boxen.

Was Marshall hier wirklich erstklassig eingefangen hat, ist die für aufgerissene Plexis so typische Endstufensättigung, die im Bassbereich brachial, aber gleichzeitig harmonisch schiebt. Mit den vier Reglern lassen sich dabei sinnvolle Anpassungen an die Gitarre und den angeschlossenen Amp vornehmen.

Das ist hervorragend gelöst und der Plexi-Vibe ist stets präsent. Gibt man am Amp mehr Gain, in Richtung Breakup-Sound, verstärkt sich folglich auch die Plexi-Note. Mit den Reserven, die dann zur Verfügung stehen, hat man genug tonalen Wumms zur Hand, um klassischem 70er-Rock zu frönen. Zudem reagiert das 1959 dynamisch auf unterschiedliche Spielnuancen, was die Spielfreude und Authentizität zusätzlich erhöht.

JCM 800

(Bild: Dieter Stork)

Der JCM 800 mit Master-Volume gehörte zur Grundausstattung der Rock- und Hair-Metal-Szene der 80er Jahre. Zunächst als 2203 und 2204, später mit Kanalumschalter im 2205 und 2210. Wie viel davon steckt im Pedal?

Das JCM 800 Pedal lässt sich in Gain, Sensitivity, Tone und Volume einstellen. Alle Regler auf 12 Uhr und ab in den Clean-Kanal: Ja, das ist der leicht komprimierte Marshall-Sound der Achtziger. Im Pedal liegt etwas mehr Gain an, als der namensgebende Ur-800er mit Master-Volume von Haus aus hatte. Das ist insbesondere dann hilfreich, wenn man seine Amp-Basis auf Breakup einstellt und dann das Pedal an den Reglern feinjustiert.

Hola, das rockt! Mit Volume und Gain lassen sich Verzerrung und Lautstärke perfekt anpassen, so dass man seinen Amp um einen Marshall-Kanal erweitern kann. Und mit der Kombination aus Sensitivity und Tone lassen sich wunderbar die gefühlte Ansprache sowie das Mitten- und Höhenbild individualisieren. Wirklich überzeugend ist, dass hier nichts nach „Transistor-Möhre” klingt und das Pedal unterm Strich die Sound-Signatur des Amp-Vorbilds hervorragend eingefangen hat.

JCM 900

(Bild: Dieter Stork)

Der Nachfolger der JCM-800-Amps hatte nicht mehr die Beliebtheit und den Status der Vorgänger. Die JCM 900 hatten im Vergleich zwar mehr Gain-Reserven, waren aber noch bissiger und kratziger. Dennoch hatte auch der JCM 900 seine Fans und prominente Nutzer wie z.B. Phil Campbell von Motörhead, Billie Joe Armstrong von Greenday oder Mick Jones von Foreigner. Nach dem Einschalten und im Vergleich zum JCM-800-Pedal werden auch direkt diese tonalen Unterschiede deutlich.

Das JCM-900-Pedal hat schon eine deutlich präsentere Höhenbetonung und auch einen Tick mehr Gain. Da ist schon eine gute Schüppe der „Marshall-Kratzigkeit” dabei. Mit Gain, Contour, Tone und Volume sind ebenfalls vier Regler an Bord. Bei Contour und Tone empfiehlt es sich, zunächst sparsam einzusteigen. Dies sind natürlich subjektive Eindrücke.

Fest steht: Das Pedal soll schließlich dem Vorbild nachempfunden sein. Und das ist es ohne jeden Zweifel. Wem der JCM 800 noch nicht genug britische Brillanz liefert, der findet hier die nächste Pedal-Ausbaustufe mit mehr Biss und etwas mehr Verzerrung. Insgesamt kann das JCM-900-Pedal damit auch überzeugen.

DSL

(Bild: Dieter Stork)

Mit den Amps der DSL-Serie hat Marshall eine beeindruckende Erfolgsgeschichte geschrieben und seine tonale DNA in die Neuzeit übertragen. Das entsprechende Pedal lässt sich in Gain, Deep, Tone und Volume regeln und reicht von Crunch bis High-Gain.

Was sofort auffällt, ist, wie viel mehr Low-End hier herausgedrückt wird. Für den Test hatte ich Deep kaum über zehn Uhr eingestellt. Ich beobachte mich selbst, wie ich doch ständig an den vier Reglern schraube, um den „Sweet Spot” zu finden. Sowohl vor einem cleanen als auch vor einem leicht angerauten Grundsound am Amp erfordert es etwas Zeit und Mühe, das Pedal auf einem ähnlichen Niveau wie die anderen Kandidaten einzustellen.

Der DSL-Stallgeruch ist zwar vorhanden, gleichzeitig geht diesem Pedal der Overdrive-Serie der „Wow”-Effekt ab. Es klingt etwas steif, kantig und ist weniger dynamisch. Die authentische Wiedergabe, die bei den anderen Kollegen der Serie positiv auffällt und der eines Verstärkers gleicht, vermisse ich beim DSL leider.

JVM

(Bild: Dieter Stork)

Mit dem üppig ausgestatteten Amp-Vorbild des JVM-Pedals liefert Marshall eine Vielzahl unterschiedlicher Sounds, ein vollgepacktes Flaggschiff sozusagen. Das JVM-Pedal kommt dagegen mit nur vier Reglern aus: Volume, Tone, Gain und zusätzlich einem Noise-Gate.

Man könnte zunächst meinen, dieses Pedal sei ausschließlich auf High-Gain getrimmt, aber weit gefehlt: Das JVM ist das Schweizer Taschenmesser innerhalb der Overdrive Pedals Series. Sein Gain-Spektrum reicht von dezentem Crunch bis zur vollen Marshall-High-Gain-Kelle. Das JVM-Pedal kann meinen völlig clean eingestellten Amp in ein Heavy-Rock-Monster verwandeln. Da ist man baff!

Das klingt schlichtweg großartig. In den Bässen wird der Ton etwas verschlankt, während die obertonreichen Marshall-Mitten nur so sprießen. Eine angenehme Portion Kompression verdichtet den Sound. Das Ganze klingt absolut authentisch und inspiriert zum Spielen. Mit geringerem Gain und dem wirkungsstarken Tone-Regler kitzelt man viele Marshall-Nuancen aus dem JVM-Pedal.

Das Noise-Gate macht dabei einen hervorragenden Job, denn es lässt sich fein justieren, sodass die Dynamik kontrolliert werden kann, aber Nebengeräusche keine Chance haben. Ein extra Tipp: Das Pedal funktioniert auch tadellos als Booster an einem bereits übersteuerten Amp. Geringes Gain, höheres Volume und schon hat man einen Solo-Boost, der die Marshall-Klangästhetik auch in so einem Setup mühelos transportiert.

Nachtrag: Eine solche Booster-Funktion funktioniert bei den anderen Pedalen der Overdrive-Serie nirgendwo so perfekt wie beim JVM. Und auch hier ist das Noise-Gate ein exzellenter Helfer. Zusammengefasst ist festzustellen: Das JVM-Pedal klingt nach purem Marshall-Spaß, hat die größtmögliche tonale Spannweite, und bietet eine Fülle praxistauglicher Anwendungsoptionen.

(Bild: Dieter Stork)

RESÜMEE

Mit der Overdrive Pedals Series legt Marshall fünf „Amp in a box”-Pedale vor und bringt seine geballte Soundhistorie auf den Boden: 1959, JCM 800, JCM 900, DSL und JVM spannen den langen Bogen von den Anfängen bis heute. Dabei geht es schnörkellos zur Sache: Kein Modeling, sondern analoge „Old School”-Transistortechnik mit vier Reglern auf jedem Pedal, Marshall-typischer Optik sowie robuster und wertiger Verarbeitung.

Die Serie kann in puncto Sound und Authentizität überwiegend überzeugen und stellenweise richtig begeistern. Die Modelle 1959, JCM 800 und auch JCM 900 fangen ihre Verstärker-Vorbilder treffend ein und liefern tolle dynamische Sounds.

Einzig das DSL-Pedal kann hier nicht ganz mithalten. Mein persönlicher Testsieger ist das JVM-Pedal: Es bietet eine breite Palette an Marshall-Sounds von Crunch bis High-Gain und hat zudem die Stärke, bei entsprechender Einstellung als exzellenter Booster vor einem bereits verzerrten Amp eingesetzt werden zu können. Sein integriertes Noise-Gate ist die Kirsche auf der Torte.

Plus

  • Verarbeitung
  • Authentische Sounds
  • Preis-Leistungs-Verhältnis

Minus

  • DSL-Pedal fällt im Vergleich etwas ab

(erschienen in Gitarre & Bass 06/2025)

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.