VH4 plus X?

Test: Diezel Amplification VHX

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(Bild: Dieter Stork)

Diezel steht für Röhrenboliden moderner, aber dennoch alter Schule. Es sorgte daher für lautes Raunen im Wald der Amp- & Gitarristen-Gemeinde, als Peter Diezel seine neueste Schöpfung ankündigte – Röhrentechnik, aber mit digitalen Elementen. Ein potentieller Gamechanger für die ja ansonsten eher konservative Röhren-Amp-Landschaft?

Neben dem Great Old One, dem geschätzten Diezel VH4, der nunmehr seit über 26 Jahren das Flaggschiff in der Verstärkerflotte von Peter Diezel und Peter Stapfer darstellt, ist sicher­lich der Diezel Herbert das zweite große Aushän­geschild, und bisher schien es so, als würde die Qualität der Produkte aus Bad Steben auf diesem Zenit stagnieren, denn fast alle neueren Diezel-Verstärker sind zwar keineswegs schlechter als diese beiden Boliden, aber eben auch nicht objektiv besser, vielseitiger oder musikalischer. Sie sind allesamt eher Varianten des bereits bekannten aber eben auch sehr beliebten Diezel-Sounds.

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Eingefleischte und langjährige Diezel-User sind sich scheinbar weitestgehend einig – es ist tatsächlich gar nicht so einfach, überhaupt einen Gitarrenverstärker zu finden, der in derselben Liga spielt, wie ein VH4, wenn es um pragmatische Belange im Sound-Design geht. Genau jetzt wird es aber spannend, denn Peter Diezel hat unlängst sein neues Flagship-Model, den Diezel VHX, fertiggestellt.

Das Konzept zu diesem Verstärker ist mindestens fünf, sechs Jahre alt, denn schon damals hat Peter im Freundeskreis eine kleine, repräsentative Umfrage gemacht, um herauszufinden, welche Kanäle, Schalter und Optionen an Verstärkern von seinen Stammkunden, Endorsern und Freunden wirklich genutzt werden. Die Liste war lang. So lang, dass ich mir nicht vorstellen konnte, dass diese Feature- Schlacht irgendwann einmal Realität in Form eines neuen Produktes werden würde. Ich muss zugeben, ich habe mich geirrt.

Röhrenbauweise im Zeichen der Digitalisierung. (Bild: Dieter Stork)

KONZEPT

Der VHX ist selbstverständlich, wie alle anderen Diezel Amps, ein echter Röhrenverstärker. Zusätzlich befindet sich allerdings ein moderner Prozessor mit enormer Rechenleistung und vor allem sehr hoher dynamischer Auflösung und extrem niedriger Latenz im Signalweg, der eben nicht nur Speicherplätze für eine Handvoll Sounds zur Verfügung stellt.

Die aktuellen Features sind sowohl prozessorgesteuerte Effekte, speicherbare Potiwerte für jeden Kanal, zwei serielle, schaltbare Einschleifwege, Bright und Gain-Structure-Switches, Mid Cut, Deep und Presence pro Preset speicherbar, ein dritter, ebenfalls schalt­barer Einschleifweg (allerdings vor der Vorstufe, um zum Beispiel den Lieblings-Tube-Screamer oder einen Fortin-33-Booster einschleifen zu können), ein Stimmgerät, ein Noisegate und etliche digitale Effekte, sowie eine Bluetooth-Antenne für eine mögliche iPad-App oder ähnliches, als auch eine USB-Schnittstelle sowie eine umfangreiche Midi-Anbindung. Einzig die ursprünglich gewünschte, eingebaute Kaffeemaschine fehlt.

Neben den altbewährten Bauteilen sticht vor allem die Bluetooth-Antenne zur digitalen Anbindung ins Auge. (Bild: Dieter Stork)

BEDIENELEMENTE

Beim Layout der Frontplatte des VHX fällt neben dem sehr gut ablesbaren Farbdisplay auf, dass es eigentlich nur zwei, für Diezel typische, diagonal verlaufende Regler-Reihen gibt. Diese jeweils fünf Regler links und rechts des Displays sind gerasterte Endlos-Potis, deren Einstellungen in den bis zu 99 Presets des Verstärkers abgespeichert werden können. Zu diesen zehn Hotkey-artigen Reglern gesellen sich ein weiterer Preset-Wahl-Regler oben links neben dem Instrumenteneingang und den Send- und Return-Buchsen des Pre-Loop, sowie On/Off- und Standby-Schalter, als auch ein analoger Master-Volume-Regler, der im Gegensatz zu allen anderen Potiwerten nicht abspeicherbar ist.

Die vorderseitigen Anschlüsse für Gitarre und Pre Loop werden auf der Rückseite um einige Möglichkeiten ergänzt. (Bild: Dieter Stork)

Rückseitig finden wir fünf Lautsprecherausgangsbuchsen, wie man es schon von VH4, Hagen, Herbert und Co. kennt: jeweils zweimal 4 und 8 Ohm und einen 16-Ohm-Ausgang. Direkt daneben befinden sich die Send- und Return-Buchsen von gleich zwei seriellen Einschleifwegen, die pro Preset ebenso abspeicherbar sind, wie der frontseitige Pre-Loop. Neu für ein Diezel-Produkt ist die Headphones-Out-Klinkenbuchse, an der das Signal des symetrischen XLR-Recording-Out parallel zu diesem ausgegeben wird.

Ebenfalls neu ist die eingebaute USB-Schnittstelle, die sowohl zur externen Sicherung von Presets dient, als auch zum Aufspielen zukünftiger Software-Updates. Typisch für einen Diezel sind dann wiederum die beiden Midi-In- und Through-Buchsen, wie auch die XLR-Buchse zum Anschluss des optionalen, hauseigenen Midi-Boards – namentlich Diezel Columbus – welches selbstverständlich auch über diesen Anschluss mit Strom versorgt wird.

 

SOFTWARE

Ich beziehe mich in diesem Test auf die Software-Version 1.71, aber vermutlich ist die zum Zeitpunkt der Drucklegung schon veraltet, denn Leonardo, der Software-Guru der Firma Diezel, arbeitet beiläufig an Updates und reagiert dabei sogar auf die Wünsche der Endverbraucher. Neben vier Kanälen für diverse Clean-, Crunch- und Lead-Sounds, auf die ich im nächsten Absatz genauer eingehen werde, bietet der VHX eine derzeit noch etwas rudimentäre Auswahl an Effektmodulen.

Es stehen jeweils ein Algorithmus mit Reverb, Delay, Chorus, Tremolo, Compressor, 6-Band-Equalizer, Flanger, Noise Gate, Phaser und ein beeindruckend schneller und genauer, vierstimmiger Pitch Shifter zu Verfügung. Hier und da fehlen mir subjektiv noch ein paar Parameter und Optionen bei den Effekten, aber grundsätzlich ist an der Qualität der Algorithmen nichts auszusetzen. Wir bewegen uns hier nicht auf dem Niveau von Strymon, Meris oder Eventide, ein für den Direktvergleich herbeigezogenes TC Electronic G-System klingt aber tatsächlich nicht besser. Dennoch stellen die Effekte bisher eher einen gut gemeinten Bonus zum eigentlichen Produkt dar. Hier wird bestimmt in Zukunft das eine oder andere Software-Update dafür sorgen, dass der VHX nochmals attraktiver wird.

Software-seitig wirklich spannend ist die digitale Cab-Sim des VHX. Am Kopfhörerausgang sowie am symmetrierten XLR-Recording-Out stehen nämlich Lautsprecher- und Mikrofon-Sounds auf Basis von sehr gut gemachten Impulsantworten zur Verfügung. Hier kann man zwischen der Nachbildung eines Celestion Vintage 30 und eines G12-K100 wählen, um diese mit typischen Mikrofontypen wie SM57 oder MD421 in etlichen Positionen im digitalen Raum virtuell abzunehmen. Mit wenigen, intuitiven Handgriffen lässt sich ein sehr ansprechendes Resultat einstellen.

Weder Kemper, noch Fractal Audio oder Line 6 haben es mit ihren Emulationen bisher geschafft, den typischen Diezel-Sound so überzeugend abzubilden, wie es der Recording Out des VHX schafft. Selbstverständlich sind diese Settings ebenso abspeicherbar, wie die Effekte und die Potiwerte des ausgewählten Kanals. Ein weiteres, cleveres Feature der aktuellen VHX-Software ist der „Auto Modus“ des chromatischen Stimmgerätes. Ist dieser aktiviert, springt das Display nämlich völlig automatisch in die Anzeige des Tuners, ohne, dass der Amp stummgeschaltet wird, sofern man erkennbar einzelne Saiten spielt. Gerade beim Üben oder Homerecording ist dieses Feature wirklich praktisch.

Das Innenleben des VHX mutet gar nicht so komplex an, wie man das bei den vielen Funktionsweisen vermuten könnte. (Bild: Dieter Stork)

SOUND

In der Hardware, und somit dem eigentlichen Klang der Kanäle, liegt die ganz große Stärke eines jeden Diezel-Verstärkers. Und das ist beim VHX nicht anders. In vier Geschmacksrichtungen, nämlich grün, gelb, blau und rot, wählt man zunächst den für die Anwendung passenden Kanal. Im weitesten Sinne entsprechen diese vier Grund-Sounds zunächst einmal den Clean-, Crunch-, Lead- und Heavy-Lead-Kanälen des VH4. Da zudem aber im Clean- und Crunch-Kanal die Bright-Switches jeweils in den Modi „Vintage“, „Modern“ und „Classic“ aktiviert werden können, stehen in diesen beiden Kanälen jeweils vier leicht anders klingende Varianten zur Auswahl. Hiermit können allein diese Kanäle schon fast alle Clean- und Crunch-Sounds imitieren, die Peter Diezel im D-Moll, Hagen, Herbert oder Paul entworfen hat.

Von Modern Jazz über Funk bis hin zu Marshall-esquen Blues-Rock-Klängen ist hier problemlos alles machbar. Nur nach Fender oder Vox wollen die Diezel Amps allesamt einfach nicht klingen. Wer sich einen Diezel kauft, der macht das aber in der Regel aufgrund der sehr modern und direkt klingenden Overdrive-Kanäle, und gerade hier bietet der VHX viele sinnvolle Optionen. Im blauen und roten Kanal stehen nämlich anstelle der Bright-Switches sogenannte Shape-Modi zur Auswahl, die wiederum insgesamt je sieben verschiedene Varianten bieten, um die Vorstufenstrukturen der oben genannten Verstärker abzubilden.

All diese Basis-Sounds werden zudem noch um den schon vom Herbert und D-Moll bekannten Mid-Cut-Regler ergänzt und somit lassen sich im VHX auch Vorstufenkonfigurationen erstellen, die bisher so noch gar nicht in einem Diezel-Verstärker angeboten wurden.

An einer mit Celestion-Vintage-30-Lautsprechern bestückten 4x12er-Box lässt sich der VHX sowohl im blauen wie im roten Kanal problemlos auch mit einer Stratocaster oder einer Tele zu modernen High-Gain-Sounds überreden, die auch bei hohen Lautstärken noch diese für Peter Diezels Verstärker typische, stoische Trockenheit vermitteln. Die Zerrstuktur bleibt eher glatt und die Mitten werden mit zunehmendem Gain stark gesättigt. Das ist genau der Sound, den man entweder – so wie der Autor dieser Zeilen – liebt, oder gar nicht mag.

Wie klingt der Neue denn nun im Vergleich zu anderen Diezel-Verstärkern? Tatsächlich kann man den grundsätzlichen Charakter des Diezel VHX irgendwo zwischen dem typischen Klang eines aktuellen VH4 und einem Diezel D-Moll verorten. Der berühmtberüchtigte dritte Kanal des VH4, den Adam Jones von Tool und James Hetfield von Metallica ausgesprochen häufig spielen, wird auch im VHX realistisch abgebildet, ist jedoch im Tiefbass eine Spur trockener als beim Original. Die Möglichkeit jedoch, diesen dritten Kanal nun auch mit einem Mid-Cut zu spielen und um ein Noise-Gate zu ergänzen und zudem noch mit einem Sechs-Band-Equalizer nachzubearbeiten, ist für Klangtüftler ausgesprochen angenehm und bietet einen echten Mehrwert.

Stört der Prozessor den Spieler? Nein! Ich konnte im vierwöchigen Langzeittest des VHX keine echten Schwächen im Klangbild ausmachen und konnte selbst bei Aktivierung aller Effektmodule gleichzeitig keine Latenz spüren. Auch ein Test am Rechner ergab eine Gesamtrechenzeit von weit unter einer Millisekunde. Hier scheint Peter Diezel nicht gespart zu haben. Vorbildlich!

ALTERNATIVEN

Verstärker anderer Hersteller klingen tatsächlich signifikant anders als die Topteile von Peter Diezel und Peter Stapfer und stellen demnach keine reelle Alternative zum VHX dar. Aus dem Hause Diezel selber jedoch, gibt es einige Topteile, die zumindest ähnlich klingen. VH4, D-Moll und Herbert sind die naheliegenden Optionen.

Im Bereich des digitalen Amp-Modelings für die Homerecording- und Studionutzung sind mir keine Alternativen zum VHX bekannt, die den Diezel-Sound sonderlich glaubwürdig realisieren können. Hier ist der VHX konkurrenzlos gut, sofern man eben diese Klangkultur für Aufnahmen braucht.

RESÜMEE

Der Diezel VHX ist definitiv eine positive Überraschung und dürfte für sehr viele Gitarristen die hochwertigste Lösung im Bereich Silent-Recording darstellen, die der Markt derzeit bietet. Nicht nur, wenn es darum geht, die typischen Sounds in den Stilen von Adam Jones oder James Hetfield aufzunehmen, sondern auch im kreativen Bereich, bei individuellen Sounds, erzielt der VHX Bestnoten. Zudem klingt der Verstärker ähnlich gut wie die schon bekannten Diezel-Amps und ist daher im Proberaum und auf der Bühne als mindestens gleichwertige Alternative zum VH4 zu sehen. Ganz großes Tennis!

PLUS

  • hervorragende Homerecording-Sounds via IR-Cabinet-Simulation
  • hohe Lautstärke, extremer Schalldruck, tighte Bässe und schnelles Attack
  • Noisegate, schaltbare Loops und Effekte
  • Auto-Modus des Stimmgerätes
  • zukunftssichere Software

MINUS

  • Gewicht

(erschienen in Gitarre & Bass 07/2020)

Produkt: Gitarre & Bass 12/2022 Digital
Gitarre & Bass 12/2022 Digital
Im Test: J. Rockett Uni-Verb +++ G&L Fullerton Deluxe LB-100 +++ Dowina Albalonga GACE HiVibe +++ Nik Huber Bernie Marsden Signature +++ Fender Acoustasonic Player Telecaster +++ Gibson Dave Mustaine Signature Flying V +++ Börjes JB-Custom 5 DLX-Multiscale +++ EarthQuaker Devices Ghost Echo by Brain Dead +++ Blackstar St. James 50/EL34 112 Combo +++ Harley Benton Double Pedal Series

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