Die Slick SL 60 TV ist mit gut 3,7 kg nicht gerade leicht, fällt aber doch sofort animierend in eine überraschte Hand, die sich unerwartet wohlfühlt mit diesem sauber bundierten und griffig profilierten, dazu matt, aber schön glatt versiegelten Hals ohne scharfe Ecken und Kanten. Auch die akustischen Grundeigenschaften kann man alles andere als schwächlich nennen. Akkorde werden gut durchzeichnet umgesetzt, die allgemeine Darstellung ist straff und griffig und auf den Anschlag reagiert die Gitarre schnell und präzise. Diese lobenswerten Grundlagen für die Umsetzung in elektrische Bilder sprechen im Grunde dem verlangten Preis Hohn. Ist es wirklich möglich, zu solch niedrigen Preisen funktionstüchtige Instrumente anzubieten? Wer zahlt da drauf?
Mal Leo Fender fragen, der verfolgte im Grunde ähnliche Ziele: günstige Gitarren für jedermann, zusammengeschraubt von schlecht bezahlten Latino-Arbeitskräften (in der ersten Werkhalle gab es nicht einmal eine Toilette) für den Volkswagen unter den Electrics. Andere Zeit, andere Zone, verändert hat sich nicht viel.
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Nun aber ab in den Amp und hallo: in klaren Einstellungen präsentiert sich die kleine Gelbe als jenes vom Ei – als runde, gehaltvolle Sache also. Alle drei Schaltpositionen bringen souveräne Sounds ans Ohr, der P-90-Typ am Hals saftig-volltönend, dabei leicht hohl, aber knackig im Bass, warme Mitten heben dazu das Zentrum hervor und selbst die Höhen erscheinen wohlgerundet zum Appell. Damit ist griffiges Akkordspiel leicht zu haben, aber im Overdrive auch gut Singen!
Gut klingende AlNiCo-Pickups
Beim Umschalten zum Kollegen am Steg macht der sofort einen leichten Satz nach vorn. Genau richtig bringt er komprimierte Mitten in Stellung, beißt aber von den Höhen her gut zu, ohne dieses gefürchtete Fingernägelkratzen auf der Tafel. Mit dem feinen Näschen lässt sich im Overdrive, ab durch die Mitte, bestens operieren und das Skalpell effektiv setzen. Obwohl hier vielleicht intendiert eher die Rockattitüde hauwegmäßig anliegt, sind neben knarzend verlegten Powerchord-Brettern aber auch Soloeskapaden schön präsent singend in Szene zu setzen. Drückend, frech, auch gut von der Farbe her und richtig lang hingestreckt im Sustain.
Die mittlere Schaltposition zieht Profit aus der Zusammenschaltung dieser gut tönenden AlNiCo-Pickups und gibt uns noch einen beeindruckend offenen, leicht glasigen Kehl-Sound an die Hand, der dank RW/RP-Verschaltung und im Gegensatz zu den einzeln aufgerufenen Singlecoils so gut wie nebengeräuschfrei rüberkommt, im Zerrkanal dann aber auch bestens knurrt.
Sonst noch? Das Master-Volume läuft etwas schwer, auch mag man die Tonblende gelegentlich vermissen (lässt sich nachsetzen, Platz im Elektrofach wurde dafür gelassen), aber ansonsten: Tolle Ausbeute in der Gesamtsicht und man muss jetzt nicht einmal das übliche „für dieses Preisniveau“ anfügen.
Letzte Bemerkung: Die von Hand sowohl magnetisch als auch kosmetisch gealterten Tonabnehmer sollen angeblich alten Tonabnehmern ähneln und optisch gelingt das auch, aber am Ende will man den Dom dann ja doch lieber in Köln lassen. Sagen wir so: diese „Slick Junior“- Pickups sind gut, sogar besser als man eigentlich erwarten dürfte, aber ein bisschen Spielraum nach oben hin dürfen wir zugunsten alter P-90-Pickups schon noch einräumen.
RESÜMEE
Earl Slick ist ein alter Haudegen des Rock’n’Roll und so gradlinig wie er seine Riffs raushaut, so unkompliziert und direkt tönt auch das von ihm entworfene Modell Slick SL 60 TV. Das Augenmerk lag bei der Auswahl der Komponenten, sowie bei der spieltechnischen Einrichtung offenbar auf kompromisslos praxisgerechte Auslegung unter Verzicht auf jeglichen Schnickschnack. Die nicht gerade filigran, aber doch recht ordentlich verarbeitete Gitarre ist nicht ganz so leicht wie sie aussieht, bietet aber ein bemerkenswertes Klangvermögen, setzt Akkorde in harmonisch-straffer Auflösung um, verfügt über ein achtbares Sustain und nicht zuletzt über gut klingende Pickups mit Vintage-Flair. Dass sie sich am Ende auch noch bestens spielen lässt, ist fast schon zu viel des Guten. Die SL 60 TV ist auf jeden Fall ein richtiggehendes Rock’n’Roll Animal der alten Schule. Ob das für dich passt? Na, krieg’s einfach selbst mal raus!