Auf der Suche nach dem „richtigen“ Lautsprecher

Speaker Special: Gitarrenlautsprecher Teil 2

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(Bild: Jensen)

Was macht Gitarrenlautsprecher so besonders und wichtig, und worauf muss man achten, wenn man sein Speaker-/ Boxen-Setup zusammenstellt? Jensen-Speakers-Spezialist Ignazio Vagnone bringt Licht ins Dunkel …

Auf unserer Reise durch die Welt der Gitarrenlautsprecher haben wir uns im ersten Teil des Specials angeschaut, wie sie aufgebaut sind, gefertigt werden und wie sich die populärsten Modelle unterscheiden. Jetzt gilt es herauszufinden, welcher Speaker der richtige für uns ist und in welcher Box er den lang ersehnten Ton liefert.

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Wie wir bereits gelernt haben, verhalten sich Gitarrenlautsprecher mitnichten linear. Jeder hat seinen eigenen Frequenzgang und färbt den Klang auf seine Weise. Jede Impedanzkurve interagiert jeweils anders mit der Endstufe eines Verstärkers. Das Spektrum der entstehenden Obertöne bereichert den Sound auf eine ganz individuelle Art. Also wie wählen wir nun den richtigen Lautsprecher für unser Traum-Rig?

Ohne zu sehr auf technische Spezifikationen einzugehen (nein, wir besprechen an dieser Stelle keine Thiele-Small-Parameter), wollen wir uns anschauen, welche Eigenschaften die größten tonalen Unterschiede mit sich bringen und wie man damit umgeht.

DER PERFEKTE ALLROUNDER?

Den perfekten Lautsprecher, der zugleich kristallklare Höhen für Clean-Sounds, tiefe Bässe, warme Mitten sowie Dreck und Punch für Overdrive-Sounds liefert, gibt es schlichtweg nicht. Ähnlich wie bei einem Gitarren-Tonabnehmer, ist dessen Voicing für den Lautsprecher-Designer ein Balanceakt, bei dem alle Elemente Teil der Gleichung sind. Wie wir später sehen werden, haben zudem die Bauweise und das Material von Lautsprechergehäusen sowie das Zusammenspiel mit dem Amp einen maßgeblichen Einfluss auf den Sound. Wir sollten Amp, Box und Lautsprecher daher als System betrachten, in dem alle Elemente zusammenwirken.

Man muss kein Toningenieur sein und den Einfluss jedes subtilen Parameters begreifen, um sich bei der Wahl eines Lautsprechers auf die besten Kandidaten einzuschießen – etwas Hintergrundwissen genügt. Und haben wir nicht alle schon nächtelang in Büchern und Foren über Pickups, Pedals, Saiten, Tonhölzer und Röhren gelesen … da ist etwas Recherche zum Thema Lautsprecher doch nur angemessen!

WELCHER SPEAKER IST DER RICHTIGE?

Auf die Größe kommt es an. Ein Lautsprecher muss in erster Linie Luft bewegen, das ist seine mechanische Aufgabe. Ist er zu klein, regt sich nicht viel. Die ersten Gitarrenverstärker hatten relativ kleine Lautsprecher, Fünf- oder Sechszöller, manchmal acht Zoll im Durchmesser. Hohe Lautstärken waren nicht gefragt, entsprechend klein war auch die Ausgangsleistung der Verstärker. Mit der Zeit stiegen die Ansprüche und die Amps erstarkten auf 30, 50 bis 80 Watt und mehr. Entsprechend wurden die Lautsprecher mit größeren Magneten und Schwingspulen ausgestattet, die der Power gewachsen waren.

Allmählich etablierten sich die Zehn- und Zwölf-Zoll-Formate als Industriestandard, der sich seit den 1950er-Jahren nicht geändert hat. Und das nicht ohne Grund – Zehn- und Zwölfzöller haben in der Regel eine gute tonale Balance zwischen Klarheit und Tiefe, und können so konzipiert werden, dass sie enorme Energie aufnehmen, ohne abzurauchen. Zwölf Zoll ist heute mit Abstand der populärste Durchmesser.

Vereinfacht gesagt: Umso größer die Membran ist, desto mehr Luft kann der Speaker bewegen, was für eine kräftige Wiedergabe mit mehr Punch sorgt. Ein kleiner Speaker mag sich etwas „schneller“ anfühlen, hat dabei jedoch selten einen vergleichbar vollmundigen Ton. Auf der anderen Seite bietet eine 2×10“-Box eine größere Membranfläche als eine ähnlich große 1×12“-Box, also gilt auch hier die Regel: „Es gibt keine Regeln!“

Die konische Membran wird von der Schwingspule vor und zurück geschoben, so wird ein elektrisches Signal in bewegte Luft umgesetzt. Eine leichte und weiche Membran gibt dabei sehr effizient die Mitten und Höhen wieder, allerdings mit einer gehörigen Portion färbender harmonischer Verzerrung. Eine schwerere und steifere Membran, die behandelt oder gerippt ist, bildet mehr Bässe ab, mit weniger Verzerrungen, ist dabei jedoch weniger effizient, sprich leiser. In den Höhen löst sie nicht so klar auf.

MAGNET-TYP UND -GRÖSSE

In der letzten Ausgabe haben wir uns die Evolution der Magnetmaterialien anschaut, von AlNiCo über Ferrit (alias Keramik) bis hin zu Neodym. Kurz zusammengefasst: Angenommen man hat drei bis auf das Magnetmaterial identische Speaker und vergleicht den Einfluss des jeweiligen Materials auf die Dynamik und den Ton – dann bringt der AlNiCo-Lautsprecher eine subtile, aber sehr musikalische dynamische Kompression, wodurch der Gitarrist ihn als weicher, leichter und organischer wahrnehmen kann.

Aufgrund seiner Impedanzkurve klingt er etwas offener und glockiger. Der Lautsprecher mit Ferritmagnet klingt in den Bässen straffer und komprimiert nur geringfügig. Er wirkt präsenter, weniger subtil, vielmehr „in your face“. Der Neodym-Lautsprecher bewegt sich klanglich dazwischen, mit Tendenz zum AlNiCo – etwas weicher als der Keramik-, aber immer noch tighter als der AlNiCo-Speaker und zeigt dabei etwas Kompression.

Die Stärke des Magneten verhält sich proportional zu seiner Masse. Ein stärkeres Magnetfeld ermöglicht eine bessere Kontrolle über die Bewegung der Membran, da sie stärker angetrieben und auch schneller gebremst werden kann. Ein schwächerer Magnet geht zwar nicht so hart zu Werke, vermittelt aber auch ein langsameres und loses Feeling. Möchte man tiefen, straffen, kräftigen Bass, fährt man gut mit einem großen, starken Magneten. Will man einen fetten, wärmeren Ton, ist ein kleinerer Magnet vielleicht die bessere Wahl.

Wer bereits aufmerksam das letzte Special gelesen hat, wird sich erinnern – ändert man den Durchmesser und das Material der Schwingspule, ändert auch das den Sound: Umso kleiner, desto heller und bissiger, umso größer, desto dunkler und wärmer. Aber da ein größerer Durchmesser auch eine bessere Hitzeableitung ermöglicht, erträgt ein Speaker mit so einer Spule mehr Spannung, bevor er durchbrennt. Nehmen wir diesen Gedanken zum Anlass, zwei der am meisten diskutierten Parameter unter die Lupe zu nehmen: Belastbarkeit und Wirkungsgrad.

BELASTBARKEIT UND WIRKUNGSGRAD

Die Belastbarkeit eines Lautsprechers gibt an, wie viel Leistung er vom Verstärker aufnehmen kann, ohne durchzubrennen. Ist es wirklich so simpel? Nicht ganz … In so einem Statement sind eine Menge Variablen, die man beachten muss, damit ein Schuh draus wird: Wie lange wird der Speaker betrieben? Mit wie viel THD, sprich gesamte harmonische Verzerrung? In welchem Frequenzbereich?

Bei Jensen nutzen wir beispielsweise den AES-2-1984-Standard: Über den Lautsprecher spielen wir Pinkes Rauschen mit einem Scheitelfaktor von 6dB ab, so gefiltert, dass es dem Arbeitsbereich des Speakers entspricht. Nach zwei Stunden Dauertest darf der Lautsprecher nicht mehr als 10% Abweichung von seinen ursprünglichen Spezifikationen zeigen. Nach diesem Standard wird der Großteil aller Lautsprecher für Pro-Audio-Anwendungen gemessen. Nach diesem Standard verträgt ein Speaker, der mit 50 Watt angegeben ist, im alltäglichen Gebrauch das doppelte seiner Nennleistung (der Test mit 6dB Scheitelfaktor zeigt genau das an).

Das Signal einer E-Gitarre ist „nicht-kontinuierlicher“ Natur und besteht im Grunde aus sehr schnellen Transienten, gefolgt von kurzen Energiestößen, gefolgt von Stille. Logischerweise ist so ein Signal weniger belastend für den Lautsprecher als zum Beispiel eine lang gezogene Synth-Bass-Linie in einem Dance-Track. Selbst die paar Zehntelsekunden Stille zwischen einem Powerchord und dem nächsten reichen der Schwingspule zum Abkühlen, um den Hitzestau zu vermeiden, der die meisten Speaker das Leben kostet.

Wir könnten also annehmen, dass es sicher ist, einen mit 100 Watt belastbaren Lautsprecher an einem Amp zu betreiben, der auch 100 Watt ausgibt. Aber hier kommen leider die besonderen Leistungskennlinien von Röhrenverstärkern ins Spiel. Ein typischer Amp mit vier EL34-Röhren zum Beispiel leistet vielleicht 100 Watt mit 10% THD. Aber reißt man diesen Amp auf, alle Regler auf 10, kann er durchaus über 180 Watt liefern, mit bis zu 40% THD, was für den 100-Watt-Lautsprecher potentiell tödlich ist!

Eine gute Faustregel ist daher, einen Speaker zu wählen, dessen Belastbarkeit etwa der doppelten Ausgangsleistung des Verstärkers entspricht, vor allem, wenn man plant, dem Amp die Sporen zu geben. So weit so gut: Die Nennbelastbarkeit sagt uns, wie viel ein Lautsprecher aushält – aber nicht wie laut er sein wird …

WIE LAUT KANN ES WERDEN?

Der Wirkungsgrad gibt an, wie effizient ein Lautsprecher das elektrische Signal in bewegte Luft, ergo Sound umsetzt. Und ein durchschnittlicher Gitarrenlautsprecher ist sehr effizient – aus einem Meter Abstand gemessen, generiert er aus einem Watt einen Schalldruckpegel (SPL) von 94 bis 100 Dezibel oder sogar mehr. Der Wirkungsgrad ist ein logarithmischer Wert, daher bedeutet eine Steigerung des Schalldruckpegels um 3dB tatsächlich eine Verdopplung der aufgewendeten Energie. Oder anders gesagt: Wenn ein Lautsprecher aus einem Watt 95dB generiert, braucht er die doppelte Energie um 98dB zu erreichen, die vierfache für 101dB und so weiter.

Am Verstärker wird es noch interessanter: Wechselt man von einem 96dB-Lautsprecher auf einen 99dB-Lautsprecher, erzielt man den selben Lautstärkeanstieg wie wenn man die Leistung des Amps verdoppeln würde!

Der Wirkungsgrad ist nicht abhängig von der Belastbarkeit. Es gibt sowohl sehr effiziente Speaker, die nur eine Handvoll Watt vertragen als auch unglaublich kraftvolle Speaker mit relativ geringem Wirkungsgrad. Mit 1 Watt Leistung betrieben wird daher ein 50-Watt-Lautsprecher mit 100dB Wirkungsgrad lauter klingen als ein 200-Watt-Lautsprecher mit 97dB Wirkungsgrad.

Hat man dieses Konzept begriffen, eröffnen sich ein paar interessante Optionen. Hier einige Beispiele: Du liebst deinen leistungsschwachen Amp, aber möchtest manchmal ein bisschen mehr Schalldruck auf der Bühne? Dann könntest du einen Lautsprecher mit höherem Wirkungsgrad probieren. Das kann die Lautstärke möglicherweise mehr boosten als ein neuer Amp!

Oder das gegenteilige Szenario: Wie zähmst du einen Einkanaler ohne Master-Volume-Regler, der seinen „Sweet-Spot“ erst bei einer Lautstärke erreicht, die für deine Club-Gigs viel zu laut ist? Versuche deine 4×12“-Box gegen eine 1×12“-Box zu tauschen, deren Lautsprecher einen geringeren Wirkungsgrad hat. Ersetzt man vier 100dB-Speaker durch einen 96dB-Speaker, sinkt der Schalldruckpegel signifikant.

Der Wirkungsgrad ist auch wichtig, wenn man verschiedene Lautsprecher in einer Box mischt. Wenn die jeweiligen Wirkungsgrade zu weit auseinanderliegen, wird man hauptsächlich die lauteren Speaker wahrnehmen, die alle anderen überschatten. Wenn alle Lautsprecher hörbar zum Klangerlebnis beitragen sollen, empfiehlt es sich daher, nur Lautsprecher zu kombinieren, die im Wirkungsgrad nicht mehr als +/- 1 bis 2 dB auseinander liegen.

BOX IST GLEICH BOX?

Nicht wirklich … die Lautsprecherbox ist entscheidend für den Klang eines Verstärkers und somit ein essenzielles Werkzeug für die Ausgestaltung des individuellen Sounds.

Vom akustischen Design über die Materialien bis hin zu Größe und Form – alle Elemente der Box haben einen starken Einfluss. Fangen wir mit dem Klangdesign an. Wie viele von uns wissen, hat ein Speaker eine Menge Spezifikationen, bekannt als „Thiele-Small-Parameter“, die entscheidend für das akustische Design und die Dimensionen eines idealen Gehäuses für eben diesen Lautsprecher sind. Dabei sind weder Voodoo noch Magie im Spiel, der Prozess der Gehäuseentwicklung basiert auf Wissenschaft und harten Fakten. Das gilt für beinahe alle Anwendungsbereiche … es sei denn, wir wollen ein Gehäuse für einen Gitarrenlautsprecher bauen!

Wieder einmal zeigt sich, dass Gitarrenlautsprecher sich so arg von HiFi-, Studio- oder PA-Lautsprechern unterscheiden, dass die wissenschaftliche Herangehensweise weniger relevant wird und der Geschmack sowie die Erfahrung des Designers in den Vordergrund rücken.

Unterschiedliche Gehäuse-Volumen und Rückwände sorgen selbst bei gleicher Speaker-Bestückung für extreme Klangunterschiede. (Bild: Dieter Stork)
(Bild: Dieter Stork)

OPEN-BACK-GEHÄUSE

Die ersten E-Gitarren-Verstärker waren fast alle Combo-Amps mit offener Rückseite. Ein Open-Back-Gehäuse erzeugt ein sehr offenes (ach was!) unkomprimiertes Klangerlebnis, luftig und natürlich, und die tiefen Frequenzanteile füllen den Raum quasi in omnidirektionaler Weise. Die Bässe haben eine gute Tiefe und einen schönen „transparenten“ Charakter. Als Faustregel gilt: Je größer die Box ist, desto mehr Bass wird sie liefern. Die Rückseite einer Open-Back-Box kann komplett offen sein, oder auch nur zu einem Drittel. Sind mehr als 70 oder 80% verschlossen, wird sich das Gehäuse eher wie eine Bassreflex-Box verhalten, mehr dazu später.

Open-Backs eignen sich gut für Clean-Tones sowie Anwendungen mit mittleren Gain-Settings bis hin zu einigen Classic-Rock-Sounds. Hersteller hochwertiger „Boutique“-Produkte setzen für maximale tonale Balance, exzellente Dynamik und Detailreichtum gerne auf dieses Design. Auch akustisch ist es ziemlich effizient, da die Klangemission im Raum auf der Rückseite der Box fast genau so laut ist wie an der Front. Diese Effizienz und ihre relativ simple Konstruktion, machen die Open-Back bis heute zur beliebtesten Box, vor allem für kleine bis mittelgroße Anwendungen mit schwächeren Verstärkern.

CLOSED-BACK-GEHÄUSE

Große geschlossene Gehäuse wurden ins Leben gerufen, als Pete Townshend Jim Marshall Anfang der 60er-Jahre damit beauftragte, ihm lautere und größere Amps für sein explosives Spiel zu bauen. Ursprünglich wollte Pete eine 8×12“-Box, die trotz Marshalls Bedenken letztendlich auch in geringer Stückzahl gebaut wurde. Petes Roadies legten allerdings sehr bald ein Veto ein, weshalb die kolossalen Türme in besser bewegbare 4×12“-Boxen umgewandelt wurden … der Rest ist Geschichte!

Akustisch betrachtet, ist eine geschlossene Box etwas ineffizienter als eine Open-Back. Sie ist quasi luftdicht versiegelt, daher muss der Lautsprecher gegen den Widerstand des Luftvolumens innerhalb der Box arbeiten. Um die Membran nach hinten zu bewegen, muss er die Luft komprimieren, in der Vorwärtsbewegung ausdehnen. Der Bassbereich reicht vielleicht tiefer als bei einem offenen Gehäuse, aber nimmt linearer ab, ohne den üblichen Buckel im Frequenzgang zwischen 90 und 120 Hz.

Klassische geschlossene 2×12“-Bauweise – hier mit „Front Mounted“- Lautsprechern für ein etwas breiteres Abstrahlverhalten und Filz auf der Schallwand zum Absorbieren von ungewollten Reflektionen (Bild: Dieter Stork)

Auch die oberen Höhen können weniger präsent sein, als bei einer Open-Back-Box. Die Hauptunterschiede liegen für Gitarrist:innen im Feeling und Abstrahlverhalten: Die geschlossene Box klingt komprimierter und fokussierter. Dieser Charakter kann für Clean-Sounds etwas zu trocken und dicht wirken, aber harmoniert ausgesprochen gut mit OD- und Distortion-Sounds. Nicht ohne Grund etablierte sich die 4×12“- Closed-Back schnell als die ikonische Box für Hard Rock und Metal.

Außerdem strahlt ein geschlossenes Gehäuse den Schall sehr direktional ab, er wird frontal in einem recht schmalen Winkel abgefeuert und verliert außerhalb dieser Achse rapide an Energie. Das genaue Gegenteil zum offenen Gehäuse, das breit und offen abstrahlt. Auf der Bühne sind geschlossene Boxen deshalb sehr leicht zu handhaben, da man ihre Lautstärke durch geschicktes Aufstellen zum Wohle aller Bandmitglieder managen kann – wenn auch zum Leidwesen des Publikums, das in den vordersten Reihen einiges auf die Ohren bekommt.

Geschlossene 2×12“-Box mit von innen montierten „Rear Mounted“-Speakern. (Bild: Dieter Stork)

BASSREFLEX-GEHÄUSE

Bassreflex-Gehäuse sind in der Gitarrenwelt weniger verbreitet, die ersten Exemplare tauchten dort erst in den 80er-Jahren auf. Diese Lösung ist aber in vielerlei Hinsicht interessant. Bei einer Bassreflex-Gitarrenbox muss das Gehäuse anhand der Thiele-Small-Parameter des Lautsprechers berechnet werden, der darin verbaut werden soll. In der Theorie bedeutet das, dass es für diesen einen Speaker optimiert werden soll. Dennoch sind hier Kompromisse möglich, um ein Gehäuse zu entwickeln, das sich für verschiedene handelsübliche Gitarrenlautsprecher gleichermaßen eignet.

Um mit einfachen Worten das Bassreflex-Prinzip zu erklären: Es handelt sich um eine versiegelte Box, der eine Öffnung hinzugefügt wird, meist vorne in der Schallwand, seltener in der Rückwand. Diese Öffnung lässt einen berechneten Anteil des vom Lautsprecher nach hinten abgestrahlten Schalls nach vorne in die Hörumgebung dringen, wo er den nach vorne abgestrahlten Schall in den tiefen Frequenzen unterstützt. Die Frequenz, bei der diese Unterstützung am größten ist, heißt Resonanz- oder Tuning-Frequenz und liegt meist in der Region zwischen 65 und 90 Hz.

Der größte Vorteil einer Bassreflex-Box ist eine tiefe, schnelle und kontrollierte Bassansprache, die mit ähnlich dimensionierten offenen oder geschlossenen Gehäusen nicht erreichbar wäre. Kleine Bassreflex-Boxen können größer und kraftvoller klingen, als man ihnen dem Anschein nach zutrauen würde. Sie spielen beinahe so direktional wie geschlossene Gehäuse, wirken aber zugleich so agil und unkomprimiert wie offene. Diese Vielseitigkeit macht sie besonders beliebt bei Berufsmusikern, die Sessions in verschiedensten Genres spielen und vor allem auf Tour vom „großen Tone im kleinen Format“ profitieren.

Im Gegensatz zu den meisten Gitarrenboxen werden Bassboxen oft von innen gedämmt, um ungewünschte Resonanzen zu minimieren. Bassreflexgehäuse (Öffnungen unten) wie diese sind mit Abstand am verbreitetsten in der Welt der Bassboxen (Bild: Dieter Stork)

HOLZ IST NICHT GLEICH HOLZ

Und kaum jemand weiß das besser als Gitarrist:innen, die sich den lieben langen Tag über den tonalen Einfluss von Mahagoni, Palisander, Ahorn oder Ebenholz streiten. Es gibt tatsächlich nur eine Art Equipment, die noch mehr vibriert als die Gitarre, und ja, es ist die Box! Also solltest man wissen wie und aus welchem Holz sie gebaut wurde? Unbedingt! Es sollte uns mindestens so sehr interessieren wie die Frage, ob deine Gitarre einen Korpus aus Erle oder Esche hat und ihr Hals geschraubt oder eingeleimt ist.

Im Ernst, die Materialien und Fertigungsqualität haben einen maßgeblichen Einfluss auf den Klang einer Box. Weichere, weniger resonante Materialien wie Spanplatte oder MDF absorbieren und zerstreuen Vibrationen des Lautsprechers, was den Sound dämpft und verdunkelt. Birken-Multiplex wird, aufgrund seines guten Verhältnisses von Gewicht und Steifigkeit und seinen artikulierten Klangeigenschaften, oft als das ideale Material für den Boxenbau genannt, besonders für große Gehäuse.

Die Fender Tweed-, Blonde- und Brownface-Amps hatten oft Schallwände aus dünnen massiven Pinien-Platten, während die Seitenwände aus Pinien- oder Birken-Schichtholz bestanden. Einige High-End-Hersteller verwenden hingegen massive „Tonhölzer“ für die Außenwände ihrer Gehäuse (darunter Ahorn, Palisander, Bubinga, Mahagoni, Walnuss, Sapele, uvm.) gepaart mit Schallwänden aus Schichtholz. Jedes dieser Hölzer hat eine andere Dichte und Resonanzqualität … wie man sieht, gibt es eine Vielzahl von Rezepten im Boxenbau, mal ganz abgesehen von aktuellen Trends wie Leichtbau mit Kohlenstofffasern.

Ich glaube, ich brauche nicht mehr erwähnen, dass jeder Materialmix auch anders klingt. Eine massive Holzbohle hat eine ganz bestimmte Resonanzfrequenz, abhängig von der Beschaffenheit des Holzes und der Größe des Werkstücks, daher wird sie dem Sound einen spezifischen Charakter auferlegen. Zumindest stärker als Verbundmaterialien wie Schichtholzplatten aus Birke, Okoume oder Pappel, die tonal eher neutral sind.

Multiplex ist wohl das klassischste und beliebteste Material für Gitarren- und Bassboxen. Besonders Birken-Multiplex wird aufgrund seines guten Verhältnisses von Gewicht und Steifigkeit gerne verbaut; im Zuge des Lightweight-Trends der letzten Jahre kommt auch immer häufiger das leichtere Pappel-Multiplex zum Einsatz.
OSB-Platte besteht aus deutlich größeren zusammengepressten Holzstücken als MDF oder Spanplatte und wurde beispielsweise von Ampeg und Marshall in älteren Bassboxen-Serien verbaut. Akustisch ist es für Instrumentenboxen durchaus geeignet, kann bei geringer Qualität jedoch zum Ausbrechen neigen.
Spanplatte ist ein relativ schweres und weiches Material und damit in seinen Eigenschaften MDF nicht unähnlich. Es ist auch ein vergleichsweise günstiges Material, das man in der Regel im unteren Preissegment findet
MDF ist vor allem in der HiFi-Welt ein beliebtes Material für Boxengehäuse. Es ist relativ weich, wenig resonant und absorbiert/ zerstreut Vibrationen, was den Sound dämpft und verdunkelt. Die berühmten Trace Elliot Bass-Boxen der 90er-Jahre wurden aus MDF gebaut.

 

DER TEUFEL STECKT IM DETAIL

Offenbar haben kleine Details wie zum Beispiel eine Fingerzinkung zur Verbindung der Gehäusewände oder auch die Beleistung der Seitenwände und/oder der Schallwand bereits einen Einfluss auf Gehäuseresonanzen. Umso stabiler ein Gehäuse zusammengefügt und verstrebt ist, desto straffer, trockener und fokussierter wird es klingen. Außerdem sollte man zwischen einer entkoppelten Schallwand und einer fixierten Schallwand unterscheiden.

Entkoppelte Schallwände (engl. „floating baffle“) findet man in kleinen bis mittelgroßen amerikanischen Amps: Die Schallwand ist hier üblicherweise nur mit wenigen Schrauben an zwei Seiten auf das Gehäuse geschraubt und nach oben und unten hin „frei“. Zudem besteht sie oft aus dünnem Pinienholz, was sie zu einem hochresonanten Element macht, das mit dem Lautsprecher vibriert und dessen Schallabgabe unterstützt. Eine entkoppelte Schallwand macht den Klang wärmer und bereichert die Bässe, besonders in kleineren Boxen. Kein Wunder, dass sie so gut mit dem klaren, glockigen Ton alter AlNiCo-Speaker harmoniert.

Auf der anderen Seite des großen Teiches wurden die britischen Gitarrenboxen in der Regel stabiler gebaut, aus dickeren Schichthölzern und mit fixierten Schallwänden. Das Besondere an einer fixierten Schallwand (engl. „fixed baffle“) ist, dass sie an vier Seiten starr auf das Gehäuse geschraubt wird und hat daher weniger Freiheit zu vibrieren hat. Die gesamte Boxenkonstruktion ist darauf ausgelegt, Vibrationen und Resonanzen zu minimieren, damit das Klangergebnis mehr auf dem Charakter der Lautsprecher beruht. Solche Boxen klingen meist tighter und fokussierter. Selbst das Finish macht einen Unterschied: Ein dünn gefärbtes oder lackiertes Gehäuse kann tendenziell resonanter und „lebendiger“ klingen als eines, das mit schwerem Tolex bezogen wurde.

Auch das kennt man – Gitarrist:innen die leidenschaftlich über den Effekt von Nitrocellulose- oder Polyurethan-Lackierungen auf Solidbody-Instrumenten diskutieren. Man stelle sich einmal vor, wie groß der Unterschied zwischen einem Boxengehäuse aus Massivholz mit wenigen Mikrometer dickem Nitrolack und einer Sperrholz-Box mit drei Millimeter starkem Schlangenhaut-Tolex sein könnte.

Die Frontbespannung ist eine weitere, oft übersehene Zutat für das tonale Rezept. Die Fronten mancher Boxen sind mit dicken, mehrschichtigen Stoffen bespannt, die die hohen Frequenzen durchaus verändern und dämpfen. Ein gutes Beispiel dafür sind die alten Marshall-Boxen mit „Basketweave“- Bespannung. Es gibt aber auch akustisch transparente Gewebe sowie Metallgitter. Diese haben wenig bis keinen Einfluss auf die Wiedergabe der Höhen.

Dünne und leichte Frontbespannungen wie Fenders ‚Oxblood‘ beeinflussen den Sound vergleichsweise wenig …
… während schwerere und dichtere Frontbespannungen wie Marshalls „Basketweave“ Höhen-Anteile dämpfen

 

Last but not least, kann es einen Unterschied machen, ob ein Lautsprecher von vorne (engl. „front mounted“) oder von hinten (engl. „rear mounted“) auf die Schallwand montiert wird. Boxen mit frontseitig montierten Lautsprechern klingen tendenziell „breiter“ und offener.

Bei der Montage von hinten, wirkt der durch die Dicke der Schallwand entstehende „Tunnel“ quasi wie ein Horn und fokussiert den abgestrahlten Schall auf einen schmaleren Bereich. Möchte man diesen Effekt entschärfen, kann man einen sogenannten „Beam-Blocker“ vor den Lautsprecher schrauben. Dabei handelt es sich um einen Holzsteg, der mittig über der Kalotte sitzt, den Schall bricht und im Raum breiter abstrahlt, was natürlich wiederum den Klang verändert.

Das Bass-Verhalten von offenen (Blau), geschlossenen (Rot) und Bassreflexgehäusen (Schwarz) im Vergleich. (Bild: Jensen)

SIND WIR JETZT SCHLAUER?

Ja, aber leider noch immer nicht allwissend. Denn es gibt eine ganze Menge von weiteren Aspekten, auf die ich hier aus Platzgründen noch nicht eingegangen bin. Und selbst wenn wir alles besprochen hätten – Probieren geht über Studieren! Praktische Erfahrungen und Spielerlebnisse sind durch nichts zu ersetzen, weder durch YouTube-Videos noch durch Aufsätze sogenannter „Experten“ – mich selbst eingeschlossen!

Man kann nie mit absoluter Gewissheit vorhersagen, wie ein Verstärker mit einem bestimmten Lautsprecher oder einer Box zusammenspielen wird, schon gar nicht wenn es sich um einen Röhrenverstärker handelt. Abgesehen von dessen tonaler Balance und dem bereitstehenden Gain, können der Aufbau des Ausgangsübertragers und die Schaltung des Verstärkers die Dynamik und den Fokus des gesamten Sounds beeinflussen.

Es ist also eine Wissenschaft für sich, aber keine wirklich genaue! Haben wir ein besseres Verständnis für die grundlegenden Charakteristika von Lautsprechern, hilft uns das herauszufinden, was wir wirklich brauchen. Und so kommen wir dem magischen Ton, den wir im Kopf haben, vielleicht einen Schritt näher.

(erschienen in Gitarre & Bass 09/2021)

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Kommentar zu diesem Artikel

  1. Moin! Vielen Dank für diesen ausführlichen Beitrag. Gibt es für den Wirkungsgrad von Lautsprechern eine diesbezügliche Angabe auf dem Typenschild? (vornehmlich bei älterer Bauart, wo Datenblätter nicht so verbreitet sind…) Und welchen Bereich beschreibt die dort oft anzutreffende Frequenzangabe?

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