... es geht noch kleiner!

Harley Benton Micro Stomp Serie im Test

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Der aktuelle Trend von Mini-Pedalen geht in die nächste Runde. Nach Mini kommt Micro! Und Harley Benton zeigt, dass man auch bei den derzeit kleinstmöglichen Pedalen weder auf Ausstattung noch auf guten Klang verzichten muss.

Harley Benton Micro Stomp_02

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Harley Benton ist die Hausmarke des Musikhaus Thomann und auch als Hersteller von Effektgeräten schon lange kein Unbekannter mehr. Unter dem Label finden sich verschiedene Serien, denen der günstige Preis und ihre Herkunft aus China gemeinsam ist. Dass Vorurteile gegenüber einer grundsätzlich mangelnden Qualität chinesischer Produkte schon seit einigen Jahren nicht mehr angebracht sind, dürfte bekannt sein. Schließlich lassen viele renommierte Hersteller mittlerweile auch ihre hochpreisigen und hochwertigen Produkte in China produzieren – die Chinesen liefern halt die Qualität, die man beauftragt und überwacht.

Der äußerst günstige Preis der neuen Harley Bentons macht allerdings misstrauisch. Ist das attraktive Angebot wirklich nur dadurch zu erklären, dass man auf aufwendiges Marketing verzichtet und mit großen Margen kalkuliert? Schauen wir doch mal, wie es mit der Qualität der neuen Harley-Benton-Serie aussieht.

Konstruktion

Die erste positive Überraschung kommt direkt nach dem Auspacken: Angesichts der kleinen Ausmaße ist das kompakte Pedal nämlich erstaunlich schwer. Wow – ein solides Metallgehäuse! Das schafft schon mal Vertrauen, das von den übrigen Komponenten bestätigt wird. Die Potis sind trittsicher unter einer aufklappbaren Plastikkappe versteckt. Alle getesteten Effekte bieten vier Potis zur Klangformung, die angenehm flüssig laufen und trotz ihrer geringen Größe noch gut zu bedienen sind.

Wenn zum Einstellen der Potis die Kappe geöffnet wird, ist man aber erst mal blind, weil man in die beiden super-hellen weißen Status-LEDs blickt, die bei geschlossener Klappe das Herley Benton Logo von unten beleuchten. Da hilft nur Blickwinkel ändern oder LEDs mit einem Finger abdecken. Der 2pdt-Fußschalter für den True Bypass hat einen gut fühlbaren Druckpunkt. Auch die Klinkenbuchsen greifen fest zu und machen einen sehr soliden Eindruck. In Sachen Ausstattung kann man den Kleinen auch nichts vorwerfen. Im Gegenteil, eine (knappe) deutschsprachige Bedienungsanleitung und je eine Klett- und eine Gummimatte liegen den Geräten bei.

Im Inneren dominiert natürlich die zeitgemäße SMD-Technik, die sich auf zwei übereinandergelegte Platinen verteilt. Die Platinen tragen die Buchsen, Potis und den Schalter, sodass nach Lösen der Überwurfmuttern die Platine aus dem Gehäuse entfernt werden kann. Reparaturen oder auch Modding-Versuche erübrigen sich allerdings wegen der winzigen SMD-Bauteile. Auch wenn es hinsichtlich der Verarbeitungsqualität keinen Grund zur Klage gibt, finde ich es schade, dass die lötunfreundliche SMD-Technik zum neuen Standard avanciert.

Harley Benton Micro Stomp_01

Praxis

Zum Test liegen die neun Verzerrer der neuen Serie vor. Um den Überblick nicht ganz zu verlieren, bietet sich die Einteilung in drei Gruppen an: Die erste Gruppe bilden die beiden Booster Rated Boost und Wild Boost, die zweite Gruppe besteht aus den Overdrive/Distortions AT Drive, Blue Rain und Little Blaster und in der dritten Gruppe finden sich die Amp Simulationen Clean Glass, AC Tone, Golden Face und Boogie Master. Die Einteilung in Booster und Overdrive erscheint bei näherem Hinhören willkürlich, denn auch der Rated Boost und der Wild Boost können mehr als man Ihnen auf den ersten Blick zutraut.

Obwohl der weiße Rated Boost als Clean Boost deklariert wird, liefert er ab zweidrittel Gain einen sehr schönen transparenten Overdrive, der über die Zweifachklangregelung noch effektiv geformt werden kann. Sein Cleanboost-Potential ist durchaus als kräftig zu bezeichnen und bei entsprechender Einstellung der Hiund Low-Potis kann er auch klangneutral agieren.

Der graue Wild Boost startet schon bei Linksanschlag des Gain-Reglers mit harmonischen Verzerrungen, die sich bereits in der Mitte des Regelweges zu einem satten Overdrive verdichtet haben. Auch hier ist die Zweifachklangregelung effektiv und das Boost-Potential ausreichend, sodass der Wild Boost prädestiniert dafür ist, vor einem angezerrten Verstärker für noch mehr Gain zu sorgen. Einen Clean Boost kann er aber nicht.

Interessanterweise bleibt aber der grüne AT-Drive bei zugedrehtem Gain-Poti clean, obwohl er nicht als Booster, sondern als Overdrive betitelt wird. Sobald man aber den Gain-Regler nur ein kleines Stückchen aufdreht, ist bereits ein satter Overdrive mit Mittenbetonung zu hören. Weiteres Aufdrehen bringt dann eigentlich nichts mehr. Die Regelcharakteristik könnte man daher als digital bezeichnen. Die Zweifachklangregelung dagegen arbeitet, wie bislang gewohnt, souverän und auch klanglich kann der Verzerrer mit seinen beiden Sounds überzeugen: Der Cleanboost macht das Signal frisch und lebendig und der Overdrive kommt recht röhrenähnlich rüber.

Der orangefarbene Blue Rain (wer denkt sich eigentlich die Namen aus?) klingt gar nicht mal so anders als der AT-Drive, lässt sich in seinem Zerrverhalten aber besser regeln, sodass auch alle Schattierungen von Crunch-Sounds möglich sind. Der wichtigste Klangunterschied ist wohl, dass hier die Mitten nicht ganz so ausgeprägt sind, was den Klang insgesamt etwas dezenter aber auch etwas frischer macht. Somit ist der Blue Rain der vielseitigere der beiden.

Während die beiden Overdrives brav im Medium-Gain-Bereich bleiben, wird es beim Little Blaster wild. Hier ist die rote Gehäusefarbe als Warnsignal passend: Der Distortion liefert Hi-Gain – und das satt. Seine Klangregelung verzichtet zugunsten einer Presence-Regelung auf den Bassregler, was zur Sound-Formung der Hi-Gain-Sounds auch nicht verkehrt ist. Wird Presence voll aufgedreht, nimmt die Lautstärke deutlich zu, sodass ein Nachjustieren am Levelpoti notwendig ist. Der Klangcharakter bleibt allerdings immer ähnlich: aggressiv bissig, manchmal etwas kratzig, aber immer knochentrocken und präzise. Diese klare Definition des Tons ist für einen Distortion mit solchen Hi-Gain-Kapazitäten nicht selbstverständlich!

Während man bei den bisherigen Probanden die Vorbilder noch erahnen musste, machen die Amp-Simulatoren keinen Hehl daraus, welchen Klang sie anstreben. Der AC Tone will natürlich in die Vox-AC-30- Richtung. Und das gelingt ihm gar nicht mal so schlecht. Der typische mittenbetonte, recht dichte Zerrsound, der eine Tendenz zum Nasalen hat, erinnert schon ein wenig an Queen-Gitarren. Weniger hohe Gain-Einstellungen klingen allerdings auch weniger typisch – da hilft auch der effektive Voice-Regler nicht weiter – und ganz clean geht beim AC Tone schon gar nichts.

Der Clean Glass steht für verzerrte Fender Sounds. Auch er kann trotz seines Namens keinen Clean Sound produzieren. Dafür aber sehr Fender-ähnliche Crunch-Sounds und einen bemerkenswerter Hi-Gain-Sound. Insgesamt macht der Clean Glass seinen Job ganz gut. Der Voice-Regler bestimmt den Mittenanteil und verhilft bei höheren Settings dem Pedal zu einem kräftigen und durchsetzungsfähigen Mitten-Boost. Der Clean Glass ist damit sehr universell einsetzbar und nicht nur etwas für Fender-Fans.

Der Name lässt schon vermuten, dass der Golden Face die Marshall-Fraktion vertreten soll. Beim Anspielen hat man auch sofort die schwarzen Verstärker aus den 80ern mit der goldenen Frontplatte vor Augen. Über den Gain-Regler kann die gesamte Palette von typisch britischem Crunch- bis zu Medium-Gain-Sounds abgerufen werden. Mehr geht nicht – wie beim Original halt auch. Dabei klingt der Verzerrer bis kurz vor Ende des Regelweges des Gain-Potis kräftig und durchsetzungsstark ohne kratzig oder matschig zu werden. Die Bässe sind ausreichend kräftig und definiert und die Mitten und Höhen lassen sich mit Voice und Tone gut abstimmen. Der Golden Face macht seinen Job wirklich prima!

Der Boogie Master sieht sein klangliches Vorbild natürlich in den Verstärkern der Firma Mesa. Allerdings klingt das Pedal eher nach Rectifier als nach den alten Boogies. Den dichten Hi-Gain des Vorbildes kann der Verzerrer auch, mit dem bassstarken Fundament und dem mächtigen Druck des Vorbildes kann das Pedal aber nicht dienen. Daher wirkt der Boogie Master immer etwas grell und klingt je nach Einstellung von Tone und Voice auch nach Säge. Solo-Lines werden durch die starke Kompression gut unterstützt, bei Rhythmus-Sounds leidet dadurch aber Definition und Durchsetzungsfähigkeit.

Resümee

Was will man da groß meckern. Bei den Preisen kann man allen Geräten der neuen Micro Stomp Serie eine uneingeschränkte Empfehlung zum Ausprobieren mit auf den Weg geben. Niemand wird von den Harley Bentons ernsthaft Boutique-Qualität erwarten – aber nicht nur in der Einstiegsklasse sondern auch gegenüber Mitbewerbern im mittleren Preissegment, brauchen sich die Harley Bentons nicht zu verstecken. Die Verarbeitung ist sehr gut und auch klanglich kann man den Pedalen nichts Gravierendes vorwerfen – einige klingen sogar überdurchschnittlich gut! Mich haben neben dem Rated Boost vor allem die Vox-, Marshall- und Fender-Amp-Simulationen sehr positiv überrascht. Aber das ist vielleicht auch Geschmackssache. Und angesichts der Vielfalt sollte ja für jeden Geschmack etwas dabei sein.

 

Plus

  • Klangqualität bei Rated Boost, AC Tone Clean Glass und Golden Face
  • klangliche Flexibilität
  • Verarbeitung & Ausstattung
  • Preis-Leistung

Minus

  • blendende LEDs beim Einstellen der Potis
  • Gain-Regelung bei Wild Boost und AT Drive

 

Harley Benton Micro Stomp_profil

Produkt: Gitarre & Bass 2/2023 Digital
Gitarre & Bass 2/2023 Digital
Im Test: J&D DX-100 +++ Jimmy Wallace Guitars MT +++ Solar Guitars AB1.4JN +++ Fender Acoustasonic Player Jazzmaster +++ Vintage Historic Series +++ Tech 21 SansAmp Character Plus Series +++ Baroni AFK150 +++ Paul Belgrado NaNo B4 Shortscale +++ Harley Benton MV4-PJ Gotoh BM +++ British Pedal Company Dumble Overdrive Special +++ JHS Packrat

Kommentar zu diesem Artikel

  1. Ich habe bei vielen Produkten Chinesischer Hersteller, die sich übrigens nur im Namen bzw. Brand unterscheiden oftmals ist die gleiche Technik verbaut. Allerdings zu sehr unterschiedlichen Preisen. Das Mooer Ana Echo kostet 44,00€, dass baugleiche Donner Yellow Fall bekommt man mit ein wenig suchen für 28,00€ einschl. Versand. Es gibt mittlerweile Listen im Internet mit denen man gut vergleichen kann bevor man sich für eines der teureren Brands entscheidet.
    Die Qualität der hergestellten Effektpedale und da habe ich mir jetzt einige zugelegt ist meiner Amateurgitarristenmeinung spitze. Vor allem sehr sehr rauscharm bis gar kein rauschen.

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