Botschafter des japanischen Kulturerbes

Big in Japan: Marty Friedman im Interview

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(Bild: Susumi Miyawaki)

Der amerikanische Ausnahmegitarrist Marty Friedman, in den 1980ern vom legendären Varney/Shrapnel-Label entdeckt und zwischen 1990 und 1999 als Mitglied der US-Thrash-Metaller Megadeth unter anderem an Klassikern wie ‚Rust In Peace‘ (1990), ‚Countdown To Extinction‘ (1992) oder ‚Youthanasia‘ (1994) beteiligt, lebt seit 18 Jahren in Japan. Dort besitzt er nicht nur seine größte Fanbase, sondern ist mittlerweile auch mit den künstlerischen Eigenarten des Landes vollauf vertraut und von der Regierung zum Botschafter des japanischen Kulturerbes ernannt worden.

2009 veröffentlichte Friedman das Album ‚Tokyo Jukebox‘ mit instrumentalen Neuversionen mehr oder minder bekannter japanischer Songs. Die Scheibe stieß in Fernost auf breite Zustimmung, sodass der 58-Jährige nur zwei Jahre später den konzeptgleichen Nachfolger ‚Tokyo Jukebox 2‘ hinterherschickte. Anschließend produzierte der Saitenvirtuose einige Soloscheiben mit komplett eigenen Kompositionen, um jetzt erneut – zehn Jahre nach ‚Tokyo Jukebox 2‘ – in japanischer Mission unterwegs zu sein. Das Ergebnis nennt sich ‚Tokyo Jukebox 3‘ und umfasst neben elf Instrumentalstücken auch eine Nummer mit einer Gastsängerin. Mit welcher Zielsetzung Friedman sein neuestes Werk in Angriff nahm, erzählt er uns in einem sehr aufschlussreichen Gespräch.

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(Bild: Susumi Miyawaki)

INTERVIEW

Marty, wann hast du den Entschluss gefasst, mit ‚Tokyo Jukebox 3‘ ein drittes Album deiner kleinen Japan-Serie zu produzieren?

Die Idee dazu hatte ich bereits im Herbst 2019. Damals war geplant, dass ich zum vierten Mal im Rahmen des Tokyo Marathons auftrete. Ich hatte bei den ersten drei Veranstaltungen Songs von ‚Tokyo Jukebox‘ und ‚Tokyo Jukebox 2‘ gespielt. Die Verantwortlichen seinerzeit waren total begeistert, sodass es nun plötzlich hieß: „Vielleicht könnte Marty ja im Sommer 2020 auch im Rahmen der Olympischen Spiele auftreten!“ Mein Label war mit diesem Vorschlag verständlicherweise einverstanden und ließ sofort bei mir nachfragen: „Könntest du zu diesem Anlass ein drittes ‚Tokyo Jukebox‘-Album produzieren?“

Ich war natürlich ebenfalls hocherfreut und fing im Herbst 2019 an, die ersten Songs auszuwählen, die entsprechenden Arrangements anzufertigen und mich um die Produktionsvorbereitungen zu kümmern. Doch dann kam, wie wir alle leidvoll erfahren mussten, die Corona-Pandemie, und damit wurden zunächst die Olympischen Spiele und dann natürlich auch mein Album verschoben. Was für die Scheibe im Nachhinein allerdings durchaus von Vorteil war, denn so konnte ich ohne Zeitdruck die Arrangements weiter verfeinern, einige Songs noch einmal neu aufnehmen und die Qualität der Scheibe verbessern. Denn natürlich war es mein Ziel, das aufregendste, positivste und genussreichste Album dieser kleinen Serie zu veröffentlichen.

Erkennst du künstlerische Weiterentwicklungen zu ‚Tokyo Jukebox 1 + 2‘?

Natürlich hat sich mein Spiel in der Zwischenzeit weiterentwickelt. ‚Tokyo Jukebox 2‘ kam 2011 auf den Markt, also vor ziemlich genau zehn Jahren. Danach habe ich drei weitere Soloalben veröffentlicht und mehrere Welttourneen gespielt. So etwas schult natürlich ungemein. Die Arrangements werden automatisch besser, die Song werden interessanter, denn als Musiker möchte man sein Niveau kontinuierlich verbessern. Ich finde, dass auf ‚Tokyo Jukebox 3‘ die Gitarren, das Arrangement und die Produktion mehr Tiefgang haben als auf den beiden Vorgängern und beim Hören noch mehr Spaß machen.

Was sind aus deiner Sicht die offenkundigsten Ähnlichkeiten der drei ‚Tokyo Jukebox‘- Scheiben?

Bei allen drei Werken handelt es sich um Songs, die ich zwar einerseits besonders liebe, sie andererseits jedoch in ihre Einzelteile zerlege und zu meinen eigenen Versionen mache. So etwas ist für einen Künstler kein einfaches Unterfangen, denn einerseits liebt man die Originale, sonst hätte man sie ja nicht ausgewählt. Andererseits möchte man daraus eigene Fassungen kreieren, ohne jedoch die Grundsubstanz des Originals völlig zu zerstören.

Welche Kriterien hattest du bei der Auswahl der Stücke?

Auf diese Frage kann ich dir eigentlich keine konkrete Antwort geben, denn weshalb einem einzelne Songs besonders gut gefallen, hängt immer von vielen unterschiedlichen Faktoren ab. Man kann es kaum erklären, es hat einfach mit dem persönlichen Geschmack zu tun. Manche Stücke rühren mich zu Tränen, bei anderen bekomme ich Gänsehaut, wiederum andere finde ich aufregend. Für ‚Tokyo Jukebox 3‘ habe ich Songs ausgewählt, deren Melodien sich mitsingen und auf der Gitarre nachspielen lassen. Das heißt: Ich übernehme mit meiner Gitarre quasi die Rolle des Sängers. Das hat übrigens nicht mit allen Stücken funktioniert, die auf meiner Wunschliste standen. Mitunter musste ich Songideen bereits im Demostadium wieder verwerfen, da die Gesangsmelodie als wichtigstes Kriterium auf einer Gitarre gespielt nicht richtig überzeugend klang.

Was war die schwierigere Arbeit: den passenden Song zu finden oder ihn anschließend zu deiner Version zu machen?

Ganz eindeutig: Letzteres. Erst wenn die Entscheidung für einen Song getroffen war, begann die eigentliche Arbeit. Denn natürlich wollte ich es besonders gut machen, außerdem brauchte ich die Zustimmung des jeweiligen Verlegers beziehungsweise der Plattenfirma, ohne die man in Japan keinen Song covern darf. Dadurch lastete immer ein gewisser Druck auf mir, denn ohne die ausdrückliche Erlaubnis konnte ich mit der konkreten Arbeit nicht beginnen. Erst wenn die Erlaubnis da war, fing das Sezieren und wieder Zusammenbauen an, quasi bei Null.

In anderen Ländern bräuchtest du diese Erlaubnis überhaupt nicht. Du müsstest den Song einfach nur bei der entsprechenden Verwertungsgesellschaft anmelden, damit die Urheberrechte der Künstler gewahrt bleiben.

Das stimmt, aber in Japan ist das anders. Hier braucht man die ausdrückliche Erlaubnis. Bevor man diese bekommt, durchlebt man mitunter schmerzhafte Zeiten, wenn man einen bestimmten Song besonders liebt, jedoch keine Freigabe bekommt. Diesen Fall hatte ich schon des Öfteren. Mitunter wollen Künstler nicht, dass eine zweite oder dritte Fassung ihrer Komposition entsteht, da sie die öffentliche Diskussion nicht mögen, welches die bessere Fassung ist, das Original oder die Coverversion. Es gibt zwei Stücke auf ‚Tokyo Jukebox 3‘, die noch nie zuvor gecovert wurden, nämlich ‚Makenaide‘ und ‚Gurenge‘.

Zum Glück hatte ich zu vielen wichtigen Verlegern des Landes einen engen Draht, sodass einem Großteil meiner Wünsche stattgegeben wurde. Eigentlich ist es ja widersinnig, dass sich ein Künstler dagegen verwehrt, denn immerhin bekommt er Geld dafür, wenn sein Song gecovert und anschließend öffentlich gespielt wird. Aber manchen Künstlern ist das offensichtlich egal. Denk nur einmal an Led Zeppelin: Es gibt keinen einzigen ihrer Songs in einem Werbeclip. Ich kann zwar kaum nachvollziehen, weshalb Künstler dies nicht wollen, aber man muss es respektieren.

Wie und wo hast du ‚Tokyo Jukebox 3‘ aufgenommen? Besitzt du ein eigenes Studio?

Nein. Ich habe zwar ein kleines, sehr primitiv ausgestattetes Homestudio, in dem meine Demos entstehen. Aber wenn ich ein neues Album aufnehme, buche ich mir dafür ein großes, professionelles Tonstudio, mit einem richtigen Produzenten und einem versierten Toningenieur.

An Equipment dürfte es dir angesichts einiger hochwertiger Signature-Modelle wohl kaum gemangelt haben.

Das ist richtig. Es gibt einen tollen Signature-Amp von der deutschen Firma Engl, den E-766 Marty Friedman Inferno Signature, ein 100 Watt starker Röhrenverstärker basierend auf dem großartigen Steve-Morse-Modell, mit zwei Kanälen: Clean und Lead plus jeweils schaltbarem Gain-Boost, die beide eine eigene 3-Band-Klangregelung besitzen. Außerdem hat der Amp ein regelbares internes Noise Gate, auch im High-Gain-Modus.

Friedman testete ausgiebig das Engl-Steve-Morse-Modell auf Tour, bevor er seinen Inferno-Signature designte (Bild: Dieter Stork)

Daneben gibt es seit einigen Jahren eine Jackson X Marty Friedman Signature, mit Korpus aus Nato-Holz und einem geleimten Hals aus Mahagoni, Tune-O-Matic-Bridge, Stopbar und Locking-Mechaniken. Ebenfalls von mir stammen die in der Gitarre verbauten passiven EMG-MF-Pickups. Mit dem Engl und der Jackson habe ich einen Großteil von ‚Tokyo Jukebox 3‘ eingespielt, plus ein oder zwei zufällig ausgewählte Stratocaster.

Marty Friedman mit seiner Jackson-MF1-Signature-Gitarre

An Effekten gab es außer einem Maxon AF-9 Auto Filter nichts Erwähnenswertes. Reverb und Delays wurden erst später beim Mischen hinzugefügt. Ich habe das Album in Schweden von Jens Bogren mischen lassen, er bekam von mir freie Hand, mit welchen Effekten er arbeiten möchte. Beim Aufnehmen ließ ich mir zwar gelegentlich den einen oder anderen Effekt auf die Monitore legen, um ein etwas angenehmeres Spielgefühl zu bekommen, aber das reine Signal war nahezu trocken. Wenn ich im Studio bin, möchte ich mich nur auf den künstlerischen Aspekt konzentrieren, und nicht auf produktionstechnische Belange. Das überlasse ich dann gerne den Fachleuten, damit ich komplett auf mein Spiel fokussiert bleiben kann.

Eine gute Performance benötigt halt einen fokussierten Künstler!

Exakt. Ich denke, es gehört zu meinen Stärken, dass ich während eines Produktionsprozesses schon früh ein klares Bild vor Augen habe, wie das Resultat klingen soll. Ich kann meine Visionen und das, was sich daraus in meinem Kopf bildet, exakt auf meine Finger, auf mein Spiel übertragen. Deshalb bin ich beim Aufnehmen auch automatisch so fokussiert, weil mein Kopf meinen Fingern exakt mitteilt, was sie zu spielen haben. Ich mag einen soliden, erdigen und authentischen Grundsound, der möglichst natürlich klingt. Wann immer wir das Equipment im Studio aufbauen, sage ich zu meinem Techniker: „Ich möchte einen Sound, mit dem jeder Gitarrist in irgendeiner x-beliebigen Kneipenband glücklich wäre. Also nichts Überkandideltes, lediglich einen soliden, möglichst natürlichen Klang.

Bei so viel Begeisterung für ‚Tokyo Jukebox 3‘: Dauert es diesmal vielleicht weniger als zehn Jahre, bis es einen möglichen Nachfolger gibt?

Ich verrate dir mal ein Geheimnis: Aus der Vorproduktion zu ‚Tokyo Jukebox 3‘ existieren noch eine Reihe Songs und Fragmente, die wir für das aktuelle Album nicht verwendet haben. Es wäre also ein Leichtes, sie für ein etwaiges ‚Tokyo Jukebox 4‘ aufzubereiten. Ich wäre jedenfalls bereit, falls irgendwann grünes Licht von der Plattenfirma kommt.

Andererseits muss ich dazu sagen, dass meine Karriere auf so vielen verschiedenen Pfeilern basiert, dass sicherlich eine Menge anderer spannender Dinge passieren, bevor ich mich an ‚Tokyo Jukebox 4‘ machen werde. Aber da ich von der Produktion von ‚Tokyo Jukebox 3‘ kein bisschen erschöpft bin, könnte ich mir einen zeitnahen Nachfolger durchaus vorstellen. Zurzeit freue ich mich allerdings erst einmal auf die – hoffentlich positiven – Resonanzen der Fans und darauf, mit dem Album so schnell wie möglich wieder auf Tour gehen zu können.

Ich wünsche dir alles Gute, Marty, und hoffentlich sehen wir uns bald auf Tournee!


(erschienen in Gitarre & Bass 10/2021)

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