G&B-Basics

Röhrenverschleiß: Symptome erkennen & Ursachen verstehen

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Eine immer wiederkehrende Frage bei der Annahme eines Röhrenamps zur Reparatur ist die nach den Symptomen, die mit dem Verfall einer Röhre einhergehen. Verständlich, denn wie oft passiert es einem, dass man im Proberaum oder auf der Bühne unsicher ist ob das, was man aus dem Cabinet hört, in Ordnung ist.

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Ich war mir schon des Öfteren sicher, dass etwas an meinem Sound nicht stimmt, bis ich das betreffende Teil am nächsten Tag auf der Werkbank zerlegt habe, um dann aber festzustellen, dass alles in Ordnung ist. Zugegeben, solch ein Phänomen kann auch ein „einfacher“ Wackelkontakt sein, aber es kann sich natürlich auch um ein Röhrenproblem handeln.

Der Grund dafür ist ganz einfach. Wie sicher jeder weiß, sind Röhren einem gewissen Verschleiß unterlegen. Ähnlich einem Reifen, dessen Gummischicht aufgrund von Abrieb immer dünner wird, verlieren Röhren mit der Zeit ihre Leistungsfähigkeit. Das hat vor allem zwei Ursachen: Die Kathodenschicht nutzt sich im Laufe der Zeit ab. Ein Teil dieser Schicht verdampft und setzt sich hierbei auf dem benachbarten Steuergitter ab. Die daraus resultierende Gitteremission zieht eine positivere Gitterspannung nach sich, die wiederum einen höheren Anodenstrom zur Folge hat. Es ändert sich also der Arbeitspunkt, was ab einem gewissen Punkt natürlich Verzerrungen nach sich ziehen wird. Das ist auch der Grund, warum es Sinn macht, die negative Steuergitterspannung (Bias) bei Endröhren von Zeit zu Zeit zu kontrollieren und gegebenenfalls nachzustellen.

Der zweite wesentliche Grund für den Verschleiß einer Elektronenröhre ist das mit der Zeit nachlassende Vakuum. Allein die mechanische Belastung des Glaskolbens ist natürlich enorm. Zwischen Ein- und Ausschalten sind Temperaturunterschiede ab 50 Grad Celsius aufwärts normal. Die damit einhergehende Ausdehnung und Kontraktion bedeutet natürlich enormen Stress für das Glas, insbesondere an den Kontakten der Röhre. Denn hier ist die Gefahr eventueller Haarrisse und des damit einhergehenden Lufteinlasses am größten. Ein Teil der so eindringenden Luft kann vom Getter absorbiert werden.

Bevor es soweit kommen kann, dass dieser Getter komplett verbraucht ist, tritt jedoch meist ein anderer Defekt auf, denn dann hat die Röhre bereits ein sehr langes Leben hinter sich. Vermutlich hat sie bis dahin so starke Nebengeräusche verursacht, dass sie ausgewechselt wurde, oder sie hat Luft gezogen, was an einem komplett weiß gefärbten Getter zu erkennen wäre. Wenn es sich um eine Endstufenröhre handelt, hätte bis dahin wahrscheinlich schon einige Male eine Sicherung im Netzteil angesprochen.

EL84 mit fast verblichenem Getter
EL84 mit verblichenem Getter

Troubleshooting

Woran können wir aber noch eventuelle Röhrenprobleme erkennen und wie äußern diese sich? Bei der Frage sollte man zwischen Vor- und Endstufenröhren unterscheiden. Denn auch wenn die Prozesse grundsätzlich dieselben sind, die Symptome sind sehr unterschiedlich. Gerade bei Vorstufenröhren erkennen wir erste Auflösungserscheinungen nicht sofort. Das ist zwar meistens auf Mitmusiker zurückzuführen, denn die Nebengeräusche in den Spielpausen werden schließlich von deren Lärm überdeckt, aber oft auch darauf, dass eben diese Nebengeräusche ganz harmlos anfangen.

VORSTUFENRÖHREN

Gerade bei verzerrten Sounds ist grundsätzlich sowieso schon ein erhöhtes Rauschen zu vernehmen. Dieses Rauschen sollte allerdings recht gleichmäßig und konstant klingen. Wenn sich aber leichtes Ploppen, Prockeln, Knuspern, Kruspeln oder was einem auch immer für humorige Beschreibungen dafür einfallen, darunter mischen, sind das erste Indizien für ein Dahinscheiden einer Vorstufenröhre. Aber auch das Rauschen selbst kann darauf hinweisen, sollte es deutlich lauter und weniger gleichmäßig sein.

Bild 1: Alt, aber mikrofonisch. Brimar ECC83 (Bild: Peter Arends)

Zählen wir ein tieffrequentes Brummen als drittes mögliches Indiz hinzu, bleibt nur noch die Mikrofonie zu erwähnen. Die dürfte den meisten Röhrenamp-Spielern schon des Öfteren untergekommen sein. Es handelt sich um ein höherfrequentes Pfeiffen, was auch bei runtergedrehtem Instrument oder ganz ohne Kabel im Eingang auftritt und auf ein mechanisches Schwingen einer Röhre schließen lässt. Auch hier äußert sich das Phänomen eher bei verzerrten Sounds, da so schon ein sehr leises Pfeiffen von den nachfolgenden Stufen hochverstärkt wird.

Generell kann man sagen, dass all diese Probleme selbst leicht zu lokalisieren und zu beheben sind. Auch wenn es von vielen Fachleuten immer wieder empfohlen wird, es ist nicht nötig, sämtliche Vorstufenröhren zu tauschen, weder bei Auftreten solch eines Fehlers, noch turnusmäßig. Derjenige, der das Gefühl haben möchte, einem Ausfall des Amps maximal vorgebeugt zu haben, kann das natürlich tun, es ist nur kein Muss.

Um zu lokalisieren, an welcher Stelle das Problem auftritt, reicht normalerweise das bloße Drehen der einzelnen Potis. Denn je nachdem, ab welchem Poti Einfluss auf das jeweilige Störsignal gegeben ist, hat man die Position der Röhre im Signalweg eingegrenzt. Sollten die Nebengeräusche unbeeinflusst bleiben, liegt die Ursache weiter hinten im Signalweg, sollten sie sich hingegen in der Lautstärke oder den Frequenzanteilen verändern, davor. So kann man sich Schritt für Schritt, gegebenenfalls Kanal für Kanal durch den Signalfluss im Amp durchprobieren und den Übeltäter lokalisieren. Wenn man das dann geschafft hat, lässt sich diese Röhre durch vorsichtiges Vor- und Zurückbewegen aus ihrem Sockel ziehen und austauschen. Selbstredend sollte der Amp vorher ausgeschaltet und die Röhren ein wenig abgekühlt werden.

Bild 2: JJ ECC83S vs ECC803
Bild 3: Sovtek 12AX7WA vs 12AX7LPS

Um eine mikrofonische Röhre zu finden, kann man auch im Betrieb mit einem Bleistift oder ähnlichem leicht gegen die Röhren klopfen. Eine gewisse Empfindlichkeit zum Übersprechen ist dabei völlig normal, insbesondere nahe des Eingangs. Sollte aber eine Röhre anfangen zu oszillieren, empfiehlt es sich, diese auszutauschen. Insbesondere sogenannte Long Plates wie die JJ ECC803 (Bild 2), oder Sovtek 12AX7LPS (Bild 3) sind hier auf Grund ihres mechanischen Aufbaus besonders empfindlich. Dass längere Anodenbleche und Gitter leichter in Schwingung zu bringen sind, leuchtet ein. Dementsprechend sollten, insbesondere bei Amps mit höheren Gainreserven, solche Röhren in der ersten Stufe vermieden werden.


ENDSTUFENRÖHREN

Nun soll es darum gehen, wie und woran man Verschleiß bei Endstufenröhren erkennen kann und was man mit diesem Wissen anfangen kann. Man könnte jetzt Schluss machen mit dem Verweis, dass man es spätestens bei Ansprechen der Sicherung weiß und damit zum Handeln gezwungen ist. Aber wir wollen das Thema natürlich etwas gründlicher beleuchten.

Die essentielle Frage, die von Gitarristenseite meist dahinter steckt, ist nicht, wie man meinen könnte, die nach dem Sound, sondern wie so oft und ganz pragmatisch, die nach der Sicherheit beim Betrieb des Amps. Denn wer hat schon immer einen Backupamp nebst Switching-System zur Hand.

Und um die Antwort auf eine weitere häufig gestellte Frage vorwegzunehmen: Nein, aller Wahrscheinlichkeit nach verursacht ein „Runterspielen“ der Röhren bis zum Schluss keine weiteren Schäden im Verstärker.

LAST & VERSCHLEISS

Aber der Reihe nach. Im Gegensatz zu Vorstufenröhren arbeiten Endstufenröhren zumeist im Verbund. Das bedeutet, dass die Belastung auf alle überwiegend gleich verteilt ist und somit auch ein gleichmäßiger Verschleiß stattfindet.

Vorstufenröhren hingegen arbeiten weitgehend unabhängig voneinander, jede hat eine eigene Aufgabe und somit eine mehr oder minder starke Belastung. Der Verschleiß ist dementsprechend natürlich auch ungleich.

Allerdings ist – wie in der letzten Folge bereits beschrieben – die Belastung von Vorstufenröhren im Vergleich zu Endstufenröhren sowieso sehr viel geringer. Nimmt man typische Anwendungen, benötigt eine ECC83 für eine 50-fache Verstärkung weniger als 1 mA, eine EL84 für eine 15-fache Verstärkung um die 50 mA. Diese Zahlen verdeutlichen, warum wir häufig selbst bei Amps aus den 50er-Jahren noch so manch originale Vorstufenröhre sehen, aber seltenst Endstufenröhren.

Das Ganze erklärt schon, was die technischen Fachtermini unterstützen: Eine Vorstufenröhre macht eine Spannungsverstärkung, denn ihr Zweck dient der Signalbeeinflussung oder -gestaltung. Dafür wird weder ein hoher Strom noch eine hohe Leistung benötigt, sondern lediglich eine entsprechende Spannung.

Die Endstufenröhre muss neben einer Spannungsverstärkung eine hohe Stromverstärkung liefern. Wie viele sicherlich wissen, ist die Leistung das Produkt aus Spannung und Strom, denn erst mit einer hohen Leistung lässt sich ein Lautsprecher zur entsprechenden akustischen Wiedergabe bewegen. Dementsprechend ist die Endstufe ein Leistungsverstärker.

Der erhöhte Verschleiß erklärt sich aus den unterschiedlichen Strömen, die die Röhre in ihrer Leistung nach und nach schwächer werden lassen. Auch wenn das durch den stetigen Stromfluss weniger werdende sogenannte emissive Material der Kathode in der Regel nicht der Grund für den Ausfall einer Endstufenröhre ist, so ist eine Folge dessen die Gitteremission. Diese setzt eine Art Kreislauf in Gang. Sie hat zur Folge, dass das Steuergitter positiver wird, was wiederum einen erhöhten Anodenstrom nach sich zieht. Der daraus resultierend veränderte Arbeitspunkt bringt wiederum durch einen thermischen Drift eine erhöhte Gitteremission mit sich. Und so weiter.

SYMPTOM & URSACHE

Meist steigt der Amp dabei aus, womit wir (zeitlich gesehen) beim letzten Symptom defekter Endstufenröhren angelangt wären. Denn hier fällt die Gitterspannung meist einer Seite der Endstufe – also positive oder negative Halbwelle –, was mit einer Unsymmetrie und damit verbundenem Ausgleichsstrom im Ausgangstrafo einhergeht. Akustisch äußert sich das in einem ansteigenden Brummen, was nach kurzer Zeit ein Ansprechen der Sicherung zur Folge hat. Dabei glühen die betreffenden Anodenbleche der Endstufenröhren leuchtend rot. Dieser Prozess dauert meist nur wenige Sekunden.

Es gibt allerdings noch ein paar Symptome, die dem vorausgehen können und anhand derer man einen baldigen Ausfall absehen kann. Da es ein stetiger Verschleiß ist, gewöhnt sich das Ohr natürlich an den Sound und erkennt den Unterschied nicht sofort. Es gibt aber irgendwann einen Punkt, an dem man sich wundert, warum denn der eigene Sound so schlapp und matschig klingt. Zu Anfang traut man meist den eigenen Ohren nicht, nach zwei bis drei aufeinander folgenden Malen kann man sich seines Höreindrucks aber sicher sein. Denn eine stark verschlissene Endstufenröhre klingt meist undifferenziert, matschig mit schlechter Tonartikulation, Bässe und Höhen sind schwach und der Amp wirkt insgesamt leise. Wenn dann ein Röhrenwechsel vorgenommen wird, ist das wie eine Frischzellenkur, und man wundert sich beim nächsten Mal im Proberaum, wie gut der eigene Amp auf einmal wieder klingt.

Mechanisch sollten Endstufenröhren im Unterschied zu Vorstufenröhren unempfindlich gegen Erschütterungen sein. Klopft man sie ab – vorzugsweise mit einem Bleistift, Holzstäbchen oder Ähnlichem –, sollten sie ruhig sein und das Geräusch sollte sich nicht auf die Lautsprecher übertragen. Wenn dabei eine Art metallisches Geräusch oder Krachen zu vernehmen ist, ist der interne mechanische Gitteraufbau locker und ein baldiger Ausfall wahrscheinlich.

Interner Aufbau einer EL84 (Bild: Peter Arends)

Dieser kündigt sich zumeist mit einem lauten Krachen und anschließender Ansprache der Sicherung an. Und auch wenn der Amp mit neuer Sicherung wieder funktioniert, ist der nächste Röhrenwechsel fällig. Denn durch das Abkühlen der Röhren können sich die Gitter zwar kurz erholen, aber die Festigkeit des Gitteraufbaus ist natürlich trotzdem dahin.


(erschienen in Gitarre & Bass 12/13 und 01/14)

Kommentar zu diesem Artikel

  1. Lieber Peter Arends,

    zunächst vielen Dank für die interessanten, und gut geschriebenen, Artikel!
    Eine kleine Kritik hätte ich allerdings.
    Die Aussage “Die Endstufenröhre muss neben einer Spannungsverstärkung eine hohe Stromverstärkung liefern. … Dementsprechend ist die Endstufe ein Leistungsverstärker.” ist leider nicht ganz korrekt.
    Auch die Endstufe arbeitet rein mit Spannungsverstärkung!
    Aber ja, durch den angeschlossenen Lastwiderstand (Lautsprecher) ensteht dann der, im Vergleich zur Vorstufe hohe, Strom und somit dann auch die dementsprechende Leistung.
    Die Endstufe muss diese Leistung nun “aushalten können” ohne zu überlasten.
    Der Begriff “Leistungsverstärker” suggeriert, nicht ganz falsch, dass hier Leistung im Spiel ist,
    verstärkt wird tatsächlich nur die Spannung.

    LG
    Christoph Rose

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