Extended Range Guitars

Die obskure Seite des ERG-Metal

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Die meisten von euch sollten mit den großen Namen und Urgesteinen des Extended-Range-Metals vertraut sein. Korn, Fear Factory, Animals as Leaders, Deftones, Dream Theater und Periphery sind dafür ein paar prominente Beispiele.

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Und dann sind da natürlich noch Meshuggah, die quasi im Alleingang 8- Strings im Metal etabliert haben. Streng genommen kann man ein Album wie ‚Nothing‘ im Kontext seiner Zeit durchaus als obskur bezeichnen, aber der einzigartige Stil der Schweden wurde über die Jahre so oft kopiert, dass die Band heutzutage quasi das Paradebeispiel für Extended Range Metal ist.

Aber was passiert eigentlich in Sachen Extended Range Guitars außerhalb des modernen und progressiven Metals? Wie sehr konnten sich Gitarren mit mehr als 6 Saiten in extremere und experimentellere Underground-Nischen der Metalszene etablieren? Um diese Frage zu beantworten, stelle ich euch heute ein paar Bands vor, die definitiv das Prädikat obskur verdienen und mit ihrem einzigartigen Sound am äußersten Rand des Metal-Genres für Wirbel sorgen!

morbid angel

Die Institution aus meiner Wahlheimat Tampa, Florida ist nicht nur eine der ersten, wahren Death-Metal-Bands überhaupt – ihr legendärer Lead-Gitarrist Trey Azagthoth hat auch zu einer Zeit angefangen mit 7-Saitern zu experimentieren, als diese Instrumente noch längst keinen Mainstream-Appeal hatten und außer vielleicht Steve Vai auch kaum Künstler mit ihnen zu sehen waren.

Im Jahre 1993 brachten Morbid Angel ihr drittes Album ‚Covenant‘ auf den Markt – und mit ‚World Of Shit‘ und ‚God Of Emptiness‘ waren darauf bereits die ersten 7-String-Songs der Band vertreten. Besonders der zweite dieser beiden Songs ist ein Paradebeispiel dafür, wie Morbid Angel besonders anfangs ihre siebensaitigen Gitarren einsetzten: Der Song quillt aus den Boxen wie Teer – pechschwarz und zähflüssig! Die Band stimmte ihre Ibanez-Universe-Gitarren gar einen Halbton tiefer, was die dichte Atmosphäre und das schleppende Tempo des Songs noch untermauerte.

Viele Fans sahen in diesem Stil Parallelen zu den Sumpflandschaften von Florida und Morbid Angel machten im Intro von ihrem sechsten Album ‚Gateways To Annihilation‘ mithilfe von Samples auch ziemlich deutliche Andeutungen auf die Flora und Fauna ihres Heimatstaates. Überhaupt ist ‚Gateways To Annihilation‘ das Album, auf dem Morbid Angel überwiegend, wenn nicht gar ausschließlich, ihre 7-Saiter spielen.

emperor/ihsahn

Emperor gelten als Mitbegründer des Black Metal und haben mit ‚In The Nightside Eclipse‘ und ‚Anthems To The Welkin At Dusk‘ absolute Meilensteine des Genres veröffentlicht. Die Musik von Emperor ließ schon früh das Talent und die technischen Fähigkeiten von Frontmann und Gitarristen Ihsahn erkennen, dessen Ambitionen schließlich 2001 im finalen Album der Band gipfelten.

‚Prometheus‘ ist das einzige Emperor-Album, das auf 7-Saitern geschrieben wurde. Anders als Morbid Angel haben sich Ihsahn und seine Mannen an das Instrument nicht über mehrere Alben herangetastet, sondern sind gleich in die Vollen gegangen und haben die 6-Saiter gleich ganz beiseitegelegt. Das Ergebnis ist ein deutlich weniger traditioneller Black Metal als Emperor ihn zuvor gespielt haben. Stattdessen ist das Album voll von Prog-Metal-Einflüssen und sinfonischen Referenzen.

Songs wie ‚Depraved‘ und ‚The Prophet‘ merkt man geradezu an, dass das Instrument mit der extra Saite für Ihsahn wie ein kreativer Befreiungsschlag gewirkt haben muss. Die Riffs auf ‚Prometheus‘ sind oft geradezu explosiv und definitiv genauso technisch wie kreativ. Man hat zu keiner Zeit das Gefühl, dass die 7-String für Emperor zur kreativen Einbahnstraße wurde – statt Rumgereite auf der H-Saite wird die gesamte Range des Instruments vollkommen ausgenutzt.

Nach dem Ende von Emperor nahm Ihsahn diese neu gewonnene Kreativität mit in sein nach ihm benannten Solo-Projekt, welches nicht nur zunehmend progressiver wurde, sondern für das er unter anderem sogar auf 8-Strings zurückgriff. Rückblickend wird einem auf jeden Fall klar, dass ‚Prometheus‘ weniger ein klassisches Emperor-Album ist, sondern eher der Übergang zu Ihsahn als Soloprojekt markiert. Dennoch ist es meiner Meinung nach ein beeindruckendes und von Emperor-Fans zu Unrecht unterbewertetes Album, das den Spagat zwischen Black Metal und Prog nicht nur wagt, sondern auch ohne Kitsch mit Bravur meistert.

gorguts

Diese legendäre kanadische Band hat im Jahre 1998 mit ‚Obscura‘ ein Album veröffentlicht, das den Death Metal nachhaltig verändern sollte – wenn auch nicht unmittelbar. Die dissonant-sperrige Platte brach mit allen Genre-Regeln und wirkte eher wie durch den Reißwolf gedrehter Free Jazz – oder eine barbarisch verzerrte Variante von Neuer Musik à la Arnold Schönberg.

Doch bevor Gorguts schlussendlich zu 7-Saitern griffen, um mit diesen ihrem Sound neue Dimensionen zu verleihen, sollten noch satte 15 Jahre vergehen. In diesen brachte die Band zunächst noch ‚From Wisdom to Hate‘ heraus, das dem neuen Sound von Gorguts eine etwas geradlinigere Struktur gab, und löste sich dann nach dem tragischen Selbstmord von Drummer Steve MacDonald für mehrere Jahre auf. Um 2009/2010 herum brodelte es aber dann in der Gerüchteküche bzgl. eines möglichen Comebacks und 2013 sollte es mit ‚Colored Sands‘ dann auch soweit sein.

Band Mastermind Luc Lemay rekrutierte für das Gorguts-Comeback Drummer John Longstreth (Origin) sowie Bassist Colin Marston (Dysrhythmia, Krallice) und Gitarrist Kevin Hufnagel (Dysrhythmia) – das Interessante an dieser Besetzung, abgesehen von den durchaus illustren Musikern an sich, ist vor allem, dass ausschließlich Luc Lemay eine 7-String spielt, während sich Zweitgitarrist Kevin Hufnagel mit sechs Saiten und einem weniger tiefen Tuning zufrieden gibt.

Das Songwriting für ‚Colored Sands‘ hat sich wohl so gestaltet, dass jeweils einer der beiden Gitarristen völlig unabhängig vom anderen die „erste“ Gitarre für einen Song geschrieben hat, die dann vom anderen mit der „zweiten“ Gitarre ergänzt wurde. Dabei ist weder Luc Lemay noch Kevin Hufnagel designierter Lead- oder Rhythmus-Gitarrist – beide konnten auf Basis der vorgelegten ersten Gitarre ihrer Kreativität freien Lauf lassen und den Song mit einer zweiten Gitarre komplettieren.

Und das Ergebnis ist schlichtweg beeindruckend! So geschmackvoll und melodiös wie ‚Colored Sands‘ ist dissonanter Death Metal wirklich selten. Die beiden Gitarren umspielen sich quasi durchweg mit Leichtigkeit und man kann nie wirklich orten, wer da genau eigentlich was spielt. Die Kompositionen sind dicht verwoben, wirken aber dennoch verspielt und geradezu progressiv. ‚Colored Sands‘ bedient sich der Atonalität nicht als Mittel zum Zweck, sondern nutzt sie als Vehikel für Emotionen und Stimmungen, die dazu in der Lage sind, komplexe Geschichten zu erzählen und tiefe Emotionen zu vermitteln.

Selbst wenn ihr weder mit Death Metal noch mit Atonalität etwas anfangen könnt – Gorguts haben mit ‚Colored Sands‘ ein Meisterwerk kreiert, dass ihr euch auf keinen Fall entgehen lassen solltet. Und nicht nur das! Die Band hat sich zum zweiten Mal komplett neu erfunden und den Death Metal dabei komplett auf Links gedreht. ‚Colored Sands‘ ist kaum minder einflussreich als das bahnbrechende ‚Obscura‘ von 1998. Der Beweis sind die vielen Bands, die seitdem den Sound der (ursprünglich) Kanadier adaptiert haben.

Drei Jahre später haben Gorguts übrigens mit ‚Pleiades´ Dust‘ eine EP herausgebracht, die den neuen Stil der Band fortführt und konzeptionell noch konsequenter daherkommt, als ‚Colored Sands‘. Ich persönlich finde die EP zwar nicht ganz so stark wie das Album, aber das ist wirklich Meckern auf allerhöchstem Niveau.

portal

Und hiermit kommen wir zu der wahrlich obskursten, ERG-spielenden Extrem-Metal-Band! Die Rede ist natürlich von den australischen Portal, bei denen die Ungewöhnlichkeiten schon mit den Stage-Outfits der Band-Mitglieder anfangen. Mein erster Kontakt mit dieser verstörenden Kapelle war ein Live-Video vom Song ‚Glumurphonel‘, in dem Sänger The Curator so etwas wie eine Kuckucksuhr auf dem Kopf trug. Das klingt natürlich erstmal völlig lächerlich – und mein erster Reflex war auch, die ganze Sache sofort als Blödsinn abzutun – aber wenn Portal erst mal losholzen, scheint der wahrlich groteske Anblick im Zusammenspiel mit dem albtraumhaften Sound schon mehr Sinn zu ergeben.

In besagtem Live-Video spielen die mit Henkersmasken vermummten Gitarristen jeweils eine B.C.-Rich-Ironbird-7- String und eine LTD-8-Saiter. Auf diesen fabrizieren sie irrwitzig kakophonische Riffsalven, die wie ein nicht enden wollender Stromschlag durch Mark und Bein gehen. Mein Interesse war nach dem Ende des Videos sofort geweckt und ich fing sogleich an, mir die Alben der Australier anzuhören.

Und zunächst mal gab es da gleich den nächsten „Was zur Hölle?!“-Moment. Denn Portal setzen auf eine durch und durch nischenwürdige Produktionsästhetik, die irgendwo zwischen Tropfsteinhöhle und Tropensumpf liegt. Der verschrobene Death Metal der Band hat einen gewissen Crossover Appeal in Richtung Drone sowie Dark Ambient und erfordert entsprechend eine nicht unerhebliche Einhörphase.

Auf den Alben ‚Swarth‘ und besonders ‚Vexovoid‘ haben sich die Australier verstärkt auf die Benutzung von achtsaitigen Gitarren fokussiert und damit eine Unmenge an schaurigen Riffs kreiert, die wie Sturmböen direkt aus dem tiefsten Schlund der Hölle heulen. Die chaotischeren Elemente ihrer Frühwerke sind zwar auch auf diesen beiden Alben noch wichtiger Bestandteil des Schallterrors von Portal, aber das mehr in Szene gesetzte Low End sorgt für einen gehörigen Schub tiefschwarzer Atmosphäre, dem man sich schwer entziehen kann. Zur absoluten Perfektion haben Portal diesen Sound mit dem Song ‚Curtain‘ gebracht, für den es praktischerweise ein wie die Faust aufs Auge passendes Musikvideo gibt.

Ich hatte im Sommer 2013 das seltene Vergnügen, Portal live in einem sehr kleinen Club in Berlin zu sehen. Die Temperaturen in dem Laden waren tropisch und die meisten Besucher allein vom Stillstehen schon komplett durchgeschwitzt. Portal haben es mit wirklich dürftigem Equipment und trotz aller Umstände dennoch geschafft, mit ihrem Set eine Atmosphäre zu kreieren, die mich komplett in Trance versetzen konnte.

Auch wenn Portal auf Platte schon klingen wie eine Kakophonie aus dem Abgrund, ist das Ganze live noch mit einer Sogwirkung versehen, die einen komplett vereinnahmen kann – das nötige Nervenkostüm vorausgesetzt. Aber glaubt es oder nicht – selbst eine so obskure Band wir Portal kann Erfolge verbuchen, die einen Rattenschwanz an Plagiaten und Trittbrettfahrern nach sich zieht. Dies hat die Australier unter Anderem dazu veranlasst, auf ihrem 2018er Album ‚Ion‘ wieder auf sechssaitige Gitarren zurückzugreifen und den eher chaotisch-hektischen Sound ihrer Frühwerke etwas aufzufrischen.

nightmarer & mehr

(Bild: Copyright 2017. All rights reserved.)

Ich bin wirklich besonders dann ein Liebhaber von Extended-Range-Instrumenten, wenn sie so kreativ und außergewöhnlich eingesetzt werden, wie in den hier vorgestellten Bands. Und es handelt sich bei jeder Einzelnen um einen mehr oder weniger großen Einfluss auf mein eigenes musikalisches Schaffen.

Wie einige von euch wissen dürften, habe ich im Frühjahr 2018 mit meiner Band Nightmarer ein Debütalbum namens ‚Cacophony Of Terror‘ veröffentlicht. Unser Ziel war es, darauf unsere obskureren Einflüsse aus dem Metal- und Extended-Range-Sektor in ein etwas geradlinigeres und kontemporäreres Gewand zu pressen. Wer sich noch gar nicht in die extremeren und dissonanten Gefilde des Metals vorgewagt hat, könnte mit diesem Album einen guten, ersten Zugang finden. Mir geht es bei der vermeintlichen Eigenwerbung an dieser Stelle vor Allem darum, einigen Lesern hier eine Tür in eine musikalische Welt zu öffnen, die für mich wirklich aufregend und prägend war. Und Portal mag als Einstieg vielleicht ein bisschen zu viel des Guten sein…

Es gibt noch so viele Bands, die an dieser Stelle genannt werden könnten: Ion Dissonance, Coma Cluster Void, Nidingr … die Liste ist lang und wird jedes Jahr länger. Ich denke aber, dass ich an dieser Stelle die Essentials abdecken und euch einiges an Hörstoff mit auf den Weg geben konnte. Neben einem Playthrough Video für den Nightmarer Song ‚Stahlwald‘ gibt es als Zugabe von mir  auch noch einige Clips von den etwas obskureren Riffs, die ich für ‚Cacophony Of Terror‘ geschrieben habe!

(erschienen in Gitarre & Bass 02/2019)

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Kommentare zu diesem Artikel

  1. So sehr ich für Sologitarre tiefe Stimmungen schätze und auch den Nutzen für eine oder mehrere zusätzliche Saiten sehe, so erschließt sich mir nicht im Mindesten, was 8-Saiter im Bandkontext bringen sollen.

    Im Mix kollidieren sie im Grundtonbereich mit dem Bass. Also dreht der Gitarrist am Amp Bass zu, (sonst machts spätestens der Tonmann am Mixer) sonst ist eh nur Mulm. Die Musik spielt in den Mitten und für alles was dort passiert erreiche ich durch Weglassen der Grundtöne schon mit einer 6-String alles wo die ERGs hinwollen. Merke: das Hirn hört den Grundton auch wenn man den Powerchord umdreht.
    Alle der o.g. (übrigens sehr interessanten) Soundbeispiele lassen sich meine Meinung nach mit sechssaitigen Gitarren genauso einspielen.

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    1. Schau dir mal Animals As Leaders an dann dürftest auch du den Sinn und die Einsatzmöglichkeiten dieser Instrumente erkennen.

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      1. Tosin Abasi ersetzt konsequenterweise den Basser mit seiner ERG.
        … und Nightmarer auch, wie mir Tante Gugel gerade erzählt.
        Danke für das Bestätigen meiner Argumentation. 😉

        Jetzt verstehe ich auch, warum Glen Fricker so auf Achtsaiter steht.

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