Im Interview

Sammy Hagar: Die Läuterung

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(Bild: Leah Steiger)

Er steht für Sportwagen, Strände, kehlige Drinks und das süße Leben. Sprich: Sammy Hagar ist ein Rockstar alter Schule. Doch Corona und der Tod von Eddie Van Halen haben ihn nachdenklich(er) gestimmt. Auf seinem neuen Album ‚Crazy Times‘ gibt sich der „Red Rocker“, der längst weiß-grau ist, rundum gewandelt – mit akustischen Tönen und gesellschaftskritischen Texten. Wie konnte das passieren?

Es gibt einen Moment, den der Verfasser dieser Zeilen nie vergessen wird: Im März 1997, beim ersten und einzigen Besuch in der Cantina Cabo Wabo – Sammy’s Bar und Restaurant an der Playa California – erlebe ich, wie der vermeintliche Sunnyboy einen Angestellten seines Etablissements verbal zusammenfaltet. Ich stehe hinter ihm, er weiß nicht, dass ich da bin, und ist einfach er selbst. Dann dreht er sich um, tut so, als ob nichts wäre, lächelt mich an und säuselt: „Willkommen in Mexiko, dem Paradies auf Erden.“

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Ein Mann mit zwei Gesichtern, der seine Tequila-Marke an Campari verscherbelt hat (für über 90 Millionen Dollar), aber trotzdem das Image des Kumpeltyps und bodenständigen Rockers aufrechtzuerhalten versucht. Für den 75-Jährigen scheinbar kein Widerspruch. Genauso wenig, wie auf seinem neuesten Album sowohl akustische wie elektrische Töne anzuschlagen. Ein Novum, das er mit einem nachhaltigen Sinneswandel erklärt: „Corona made me do it!“

Sammy, ‚Crazy Times‘ ist das erste Album deiner Karriere, bei dem du auch mal zur akustischen Gitarre greifst – wie kommt’s?

Gute Frage, auf die ich keine Antwort habe. Wahrscheinlich werde ich einfach alt – und damit ein bisschen weicher, vielleicht auch seniler. (lacht) Jedenfalls gefällt mir der Klang einer Akustik-Gitarre heute viel besser als der einer Elektrischen. Einfach, weil ich es als angenehmer empfinde, zu einem Instrument zu singen, das halt nicht wer weiß wie laut ist, gegen das ich nicht ankämpfen und mich da mit aller Kraft durchsetzen muss. Es ist viel schöner, auf etwas zurückzugreifen, das mich trägt, das die Stimme komplementiert statt eine Art Gegenpol zu ihr zu bilden, an dem ich mich aufreibe. Keine Ahnung, wie und wann mir das klar geworden ist, aber es ist besser für meinen Gesang und für meine Seele, wenn ich zur Akustischen greife – etwa zu meiner Gibson J-180 Everly Brothers Signature – oder mich von ihr begleiten lasse. Und das kommt jetzt aus dem Mund eines Typen, der sein ganzes Leben auf die Kombi aus Les Pauls und Marshall-Amps geschworen hat – der sich quasi nichts anderes vorstellen konnte und eine regelrechte Philosophie daraus gemacht hat. Aber es ist wirklich so: Ich mag es jetzt eher unverstärkt. Irre, oder?

Also hast du deine E-Gitarren eingemottet?

Na ja, die meisten davon. Zu meiner Signature-Les-Paul, also der Red Rocker, und zur Explorer, diesem wuchtigen, alten Monster, greife ich immer noch gerne – im Studio wie auf der Bühne. Einfach, weil es bei mir gar nicht anders geht, das alte Material verlangt einfach danach. Und ich bin jemand, bei dem es auch mal richtig rocken und krachen muss. Deswegen waren und sind Les Pauls und Marshalls für mich das beste Werkzeug, das sich ein Musik-Handwerker wie ich nur wünschen kann. Es ist die ultimative Kombi, die beste, die es gibt. Deswegen habe ich ein ganzes Lagerhaus mit mehreren hundert Gitarren und Amps, die alle um diese Konstellation kreisen. Nur: Ich bin kein Sammler – um Gottes Willen. Es ist eher so, dass ich mich von nichts trennen kann. Wenn ich etwas mag, behalte ich es und diese Gitarren mag ich sehr. Selbst, wenn ich sie nur selten hervorhole. Aber: Ich käme nie auf den Gedanken, sie zu verkaufen und das Geld brauche ich ja auch nicht. Also bleiben sie, wo sie sind. Ab und zu verschenke ich mal etwas an Freunde oder Fans, aber das war’s dann auch. Mein Werkzeug-Koffer ist immer gut gefüllt und ready to go.

(Bild: Leah Steiger)

Warum überhaupt diese Gibson-Leidenschaft? Was macht sie so viel besser oder einfach nur anders als Fender-Gitarren, um die du scheinbar einen großen Bogen machst?

(lacht) Da gibt es zwei Erklärungsansätze: Der erste ist, dass die Gibson so etwas wie meine Jugendliebe ist, die mich nie verlassen hat. Die immer bei mir geblieben ist, die immer treu an meiner Seite stand und mich auch nie betrügen wird. Also die perfekte Beziehung – von der jeder träumt. (lacht) Und die andere ist die, dass ich den Sound einer Gibson viel besser finde als etwa den einer Fender, der mir schlichtweg zu clean ist. Ich mag lieber diesen hölzernen Ton – für mich ist er einfach essentiell, wenn es um Rock’n’Roll, Blues und Hardrock geht.

Und ich bin glücklich, wenn ich eine Les Paul in Händen halte. Wahrscheinlich liegt es daran, dass das meine ersten Gitarren waren – dass ich damit aufgewachsen bin, und sich meine Finger so daran gewöhnt haben, dass sie alles andere instinktiv zurückweisen. Dass sie sich quasi dagegen sträuben, etwas anderes anzufassen. Insofern sage ich oft: Gitarren von Gibson sind wie alte Freundinnen, während Fender-Gitarren eher wie ein Date mit einem Wrestler sind. Einem Profi-Wrestler, der versucht, mich auf die Matte zu drücken, statt mir Hilfestellung zu leisten. Und das ist natürlich nicht das, was ich will. Ich will mich wohlfühlen, ich will Spaß haben, ich will losrocken, aber ich will da keine Ringkämpfe austragen.

‚Father Time‘ enthält die kämpferische Ansage: „Es ist noch lange nicht vorbei.“ Du bist jetzt 75 – wie lange willst du das noch machen?

So lange es irgendwie geht und ich Spaß daran habe. Diesen Song hatte ich übrigens schon eine ganze Weile in der Hinterhand: Ich habe ihn geschrieben als ich 70 geworden bin. Bislang hatte ich ihn nur John Mellencamp vorgespielt. Weil er der einzige Typ ist, den ich kenne, der mir sagt, wenn etwas Bockmist ist. Alle anderen schleimen immer nur rum: „Oh, das ist ja toll, Sammy.“ Ich erzählte John, dass ich nicht wüsste, was ich damit anstellen sollte, weil ich dachte, es klingt als ob ich damit prahle, alt zu sein oder mich vielleicht sogar darüber beschwere.“ Und er: „Sam, das Lied kommt so rüber, als hätte es schon ein paar Jahre auf dem Buckel – und das ist eine gute Sache, denn es klingt schon jetzt wie ein Klassiker. Wie ein Song, den man noch in 20 Jahren hört.“ Auch David Cobb, mein Producer, meinte: „Ich liebe ihn.“

Daraufhin hab ich ihm gesagt, dass ich ihn gerne akustisch und ganz alleine aufnehmen würde. Und er: „Nein, den spielen wir mit der gesamten Band ein. Und zwar in derselben Manier, wie The Who ‚Behind Blue Eyes‘ angegangen sind: Wie eine richtige Rock-Ballade. Das muss nicht wer-weiß-wie reduziert sein.“ Ich habe mich darauf eingelassen und jetzt zählt es zu meinen Lieblingsstücken. Zu den Songs, die ich für die besten halte, die ich je geschrieben habe – gleich neben ‚Eagles Fly‘, ‚Right Now‘ oder ‚When It’s Love‘ mit Van Halen. Ich bin wahnsinnig froh über den Song, denn ich könnte ihn auch ganz allein spielen und er würde dafür sorgen, dass alle mucksmäuschenstill wären und einfach zuhören – so eine Kraft hat er. Wenn ich dagegen irgendwo ‚Funky Feng Shui‘ spiele, sorgt es eher dafür, dass alle lachen, tanzen und anfangen, laut zu reden.

Wie kommt es, dass wir dich schon ewig nicht mehr live auf deutschen Bühnen erlebt haben? Wo ist das Problem?

Ich nerve meinen Manager und meinen Agenten jedes Jahr damit, dass ich unbedingt auf europäischen und vor allem deutschen Festivals auftreten möchte. Einfach, weil ich mit dieser Band vor 80.000 Leuten spielen will. Denn sie ist verdammt gut – und ihre Setliste ist der Hammer. Schließlich bringen wir einen Led-Zeppelin-Song, gleich mehrere von Van Halen, ein paar alte Sachen von mir, ein paar Montrose-Nummern und nicht zuletzt Stücke von Chickenfoot. All die Songs, die ich in meinem Leben geschrieben habe. Wir fassen sie zu einem Set zusammen, das jedes Festival zum Beben bringt.

Und ich muss ehrlich sagen: Ich verstehe nicht, warum die uns nicht einladen. Dabei würde ich alles dafür geben – ich würde überall und zu jeder verfluchten Zeit aufschlagen, wenn man mich denn will. Und gerade diese Festivals, die ihr da habt, sind der Wahnsinn. Das ist für mich die ultimative Form eines wirklich effektiven Auftritts, bei dem ich so vielen Menschen gleichzeitig zeigen kann, was ich draufhabe. Denn sonst ist es wieder so wie immer: Ich gastiere in kleinen Hallen und dann beschweren sich die Fans, dass sie keine Tickets für die Shows kriegen konnten, weil sie sofort ausverkauft waren. Also: Bucht mich endlich für die Festivals, wo mich 80.000 Leute auf einen Schlag sehen können. Ich werde ihnen verdammt noch einmal zeigen, wie gut The Circle ist. Kommt schon, ihr ganzen Booker da draußen, gebt mir eine Chance! (lacht)

Zum Ende noch die unvermeidliche Van-Halen-Frage: Wie denkst du heute über deine beiden Gastspiele bei Eddie & Co – und bedauerst du, dass es da keine Fortsetzung mehr geben wird?

Ja und nein. Zunächst einmal hatte ich eine tolle Zeit mit der Band. Oder um es anders zu formulieren: So lange es toll war, war es fantastisch. Das beste Band-Szenario, das ich mir nur vorstellen kann. Aber: Menschen verändern sich. Und irgendwann war Eddie halt nicht mehr der unbekümmerte, lockere Kumpeltyp, mit dem ich mal so viel Spaß hatte. Das lag an seiner Scheidung, seinem Alkohol-Konsum oder seinem Hüftproblem. Jedenfalls habe ich mich da zurückgezogen – zwei Mal, um genauer zu sein. Trotzdem war ich ihm nie böse, sondern habe ihn immer sehr gemocht. Ich wusste, dass er nicht er selbst war, sondern jemand der eine Menge Schmerz in sich trug, der alles andere überlagerte. Und sein Tod – das könnt ihr mir glauben – hat mich ziemlich mitgenommen. Insofern: Würde ich gerne noch einmal mit Van Halen spielen? Verdammt noch mal: ja! Aber ich schätze, das wird nicht funktionieren. So ein digitaler Avatar kommt mir jedenfalls nicht auf die Bühne. Niemals …

Und was hat es mit dem ominösen Eddie-Song auf sich, den du angeblich geschrieben, aber noch nicht veröffentlicht hast?

Oh, das ist eine lange, komplizierte Geschichte. Nur so viel: Es gibt seit Jahren Gerüchte über unvollendete Van-Halen-Songs, die in Eddies Archiv schlummern und angeblich von mir oder von seinem Sohn Wolfgang komplettiert werden sollen – weil sie eben noch nicht vollständig sind. Und weil da auch noch ein paar andere Kleinigkeiten außer dem Gesang fehlen. Bislang hat es keine konkreten Gespräche darüber gegeben, was damit passieren könnte. Und ich weiß auch gar nicht, ob ich mich überhaupt daran beteiligen würde. Einfach aus Respekt vor Eddie. Denn: Hätte er gewollt, dass dieses Material erscheint – also wäre es ihm wirklich wichtig gewesen –, dann hätte er alles daran gesetzt, es zu vollenden. Doch das hat er nicht, und deshalb respektiere ich seinen Wunsch, den ich ihm jetzt einfach mal unterstelle, dass das auch so bleibt.

Was ich getan habe, ist ein Riff, das ich ihn in einem Traum habe spielen hören, in einen Song zu verwandeln. Im Ernst: Ich hatte einen sehr lebendigen Traum, in dem Eddie in einem Raum stand. Ich meinte zu ihm: „Hey, spiel mir doch mal deinen neuen Scheiß.“ Halt so, wie ich das immer mit ihm getan habe. Und dann hat er dieses wahnsinnig melodische Lick gespielt, das mir fast die Schuhe ausgezogen hat. Das habe ich dann am nächsten Morgen nach dem Aufwachen nachvertont und einen Text dazu geschrieben. Das Ganze heißt ‚Thank You‘ und ist meine Hommage an Eddie. Da ‚Crazy Times‘ zu diesem Zeitpunkt schon fertig war, wird es wohl erst auf dem nächsten Album landen. Aber das bedeutet auch: Es gibt ein nächstes Album … Das ist alles, was zählt! (lacht)

(erschienen in Gitarre & Bass 11/2022)

Kommentar zu diesem Artikel

  1. Habe Sammy Hagar himself damals kurz bei meiner ersten California Urlaubsreise in seinem damaligen „Red Rocker MTB Shop“ getroffen,und das lief so ab: ich stand in dem Verkaufsraum seines besagten Mountainbike-Shops,er lief mir geradewegs in die Arme,nahm spontan eine seiner knallroten Plastiktrinkfläschen aus dem Displayständer,signierte sie persönlich für mich,drückte sie mir dann freundlich in die Hand,und verschwandt eiligst wieder zu einem anderen Kunden.Er stand bereits damals schon auf verspiegelte Sonnenbrillen,war lässig locker und sehr freundlich.Kurzum,ein sehr sympathischer Mensch,der außer als Sänger,Gitarrist und cleverer Geschäftsmann garantiert etliche weitere Qualitäten zu bieten hat.Ich kann absolut nichts negatives über ihn berichten,er gefiel mir sowieso gesanglich als Vocalist bei Van Halen bedeutend besser und ehrlicher,als sein hektisch veranlagter Konkurrent „Diamond David“,also aka David Lee Roth,der zugegeben auch eine sehr außergewöhnliche Stimme besitzt.Sammy Hagar erscheint spontan unverkrampft und glaubwürdig zu sein,was bei David wohl immer stets angezweifelt wurde.Kann ich selbst leider nicht objektiv beurteilen,da ich David Lee Roth vor Jahrzehnten lediglich ein einziges live in der Berliner Eissporthalle mit seinem einstigen Soloprojekt „A Little ain’t enough“ und seinem Hammerhead Shark Song in 20 Meter Entfernung erleben konnte.Stimmlich sind beide Sänger absolut top,da muß man fair bleiben.Aber,Sammy wirkt zumindest unkomplizierter und netter als David.Vielleicht letztendlich auch doch alles nur Show?!

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