Im Interview

Nancy Wilson: Die Pionierin

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(Bild: Jeremy Danger)

In Musikerkreisen gilt sie als Institution: Nancy Wilson, Gitarristin und Mitglied von Heart, ist eine Pionierin und Koryphäe ihres Fachs. Eine der ersten Frauen, die zur elektrifizierten Sechssaitigen gegriffen und dabei etliche ihrer männlichen Kollegen in den Schatten gestellt hat. Und die mit nunmehr 67 Jahren auf 16 Alben, gigantische Tourneen, eigene Signature-Gitarren, einen illustren Bekanntenkreis und 35 Millionen verkaufte Tonträger zurückblicken kann. Das Einzige, was der Frau aus Seattle lange gefehlt hat: Ein Soloalbum. Das holt sie mit ‚You And Me‘ nach …

Freitagmorgen im kalifornischen Santa Rosa: Nancy Wilson ist seit knapp einem Jahr stolze Besitzerin eines stattlichen Anwesens im Sonoma County, dem Weingebiet im Norden des US-Bundesstaates. „Mein Alterssitz“, scherzt sie, den sie sich nach fast 50 Jahren Rock’n’Roll und einer Achterbahnkarriere mit sämtlichen Höhen wie Tiefen der Marke Showbiz redlich verdient habe, den sie sich mit Ehemann Geoff und einem Rudel Hunde teilt und der erstmals ein Heimstudio und ein Musikzimmer umfasst.

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Perfekte Rahmenbedingungen, die die zweifache Mutter genutzt hat, um sich einen Lebenstraum zu erfüllen: Ein erstes Soloalbum, das so gar nichts mit dem durchgestylten Sound von Heart zu tun hat. Im Gegenteil: ‚You And Me‘ ist intimer, spartanischer und alles andere als perfekt. Dazu wartet sie mit Eigenkompositionen, Cover von Pearl Jam, Springsteen oder Simon & Garfunkel auf, setzt alten Freunden wie Eddie Van Halen und Layne Staley (Alice In Chains) späte musikalische Denkmäler und lässt das Ganze von Sammy Hagar, Duff McKagan und Taylor Hawkins veredeln.

Grund genug also für eine Zoom-Schalte nach Übersee und ein launiges Gespräch mit Nancy Wilson, der First Lady des Hardrock.

Nancy, warum hat es so lange gedauert, ein erstes Soloalbum aufzunehmen? Und seit wann trägst du die Idee mit dir herum?

Schon eine ganze Weile, denn ich wurde oft gefragt, wann ich das endlich angehe – zumal meine Schwester Ann das ja schon vor Jahren getan hat. Ich war aber immer so beschäftigt mit Heart, dass es einfach nicht geklappt hat. Insofern war es erst der Lockdown, den wir hier seit März 2020 haben, der mir die nötige Zeit und Inspiration gegeben hat, das endlich anzugehen. Und was ich vorhatte, war zu meinem alten Ich zurückzukehren – zu dem College-Mädchen, das auf Folk und Rock steht, die ganze Monstrosität von Heart abstreift, sich wieder auf das Schreiben von Songs und Gedichten konzentriert und versucht, Spaß zu haben. Denn diese aufwändige Studio-Arbeit, bei der ein Album wie ein Puzzle zusammengesetzt wird, ist unglaublich zeitaufwändig und kompliziert.

Das Album besitzt eine Lo-Fi-Ästhetik, sprich: es ist sparsam arrangiert. Eine bewusste Reaktion auf das, was du von Heart gewohnt bist?

Ganz genau. Nach dem Motto: Es gibt nichts Besseres als nicht perfekt zu sein. Denn seien wir ehrlich: Perfektion kann auch oft sehr langweilig sein. Und ich bin damit wirklich sehr glücklich – selbst, wenn es ein bisschen kantig, ungeschliffen und altbacken ist. Wenn man genauer hinhört, enthält es auch jede Menge Hintergrundgeräusche, die da definitiv nichts zu suchen haben. Wie meine Hunde – eine ganze Rasselbande davon. Aber hey, das ist mir egal. Es ist einfach ganz natürlich und normal. Eben nicht das, was man gerade überall hört, und was geradezu klinisch anmutet: Antiseptisch und steril.

Stattdessen grölt Sammy Hagar wie ein röhrender Hirsch im Hintergrund von ‚The Boxer‘?

(lacht) Ja, und das ist OK, das ist nicht weiter schlimm und tut keinem weh. Es hat allerdings auch damit zu tun, dass wir eben nicht alle im selben Raum waren, sondern via Zoom kommuniziert und uns dann unsere Files hin- und hergeschickt haben. Wobei mein Produzent, der das Ganze schließlich zusammengesetzt hat, in Denver saß. Er hat dann meine Parts an den Bassisten, den Schlagzeuger und den Keyboarder in Seattle geschickt. Der fertige Mix ging dann an Gäste wie Sammy, der entweder in Kalifornien oder in Cabo war. Es ist ein 100prozentiges Lockdown-Album.

Martin HD-35 Nancy Wilson Signature (Bild: Nancy Wilson)

Was hat dich dazu veranlasst, ein Instrumentalstück namens ‚4 Edward‘ zu verfassen? Eine Hommage an Eddie Van Halen?

Ja – und ich musste mich wirklich zwingen, das endlich anzugehen. Denn ich hatte lange Angst davor. Ich habe zwar oft in Interviews darüber gesprochen, dass ich gerne mal ein Instrumentalstück in Gedenken an Eddie aufnehmen würde, aber bis zum Lockdown habe ich mich immer davor gedrückt. Die Geschichte dahinter ist übrigens die: Ich habe Eddie seine allererste Akustik-Gitarre überreicht – als Geschenk, weil er nie eine hatte, und ich das einfach seltsam fand: Ein Gitarrist, der keine akustische Gitarre besitzt. Es war eine von meinen Signature-Martins und er hat sich wahnsinnig darüber gefreut.

So sehr, dass er mich ganz früh am nächsten Morgen aus seinem Hotelzimmer angerufen und mir dieses umwerfende Instrumentalstück vorgespielt hat, das er über Nacht komponiert hatte. Es war etwas, wie ich es noch nie zuvor gehört hatte, weil es sowohl klassische Elemente wie auch Rock-Passagen enthielt, also einen perkussiven Rock-Stil. Als er von uns ging, nahm ich mir vor, mich dafür zu revanchieren und etwas in derselben Art aufzunehmen, wie ich es damals am Telefon gehört hatte.

Im Pressetext heißt es, für dieses Album hättest du deine „besten Gitarren hervorgeholt“? Was darf man sich darunter vorstellen – was ist das Beste von Nancy Wilson?

Meine wichtigste Gitarre ist eine blaue Telecaster von 1963, die ich schon seit den frühen 80ern spiele. Meine liebste Akustik-Gitarre ist meine Signature-Martin, die HD-35 von 2006. Von der habe ich hier einige Modelle rumfliegen. Und dann besitze ich noch eine Gibson-Mandoline aus den 1920ern, die ich ebenfalls auf dem Album verwendet habe.

Wie groß ist deine Gitarrensammlung?

Ich bin so etwas wie ein unbewusster Sammler. Denn natürlich gab es bestimmte Gitarren, die ich einfach haben wollte. Doch mittlerweile habe ich meine Kollektion auf das Wesentliche reduziert. Was allein daran liegt, dass viele Modelle, die ich besessen habe, Geschenke waren. Sei es von Fans, von Plattenfirmen, von namhaften Herstellern oder auch von privaten Gitarrenbauern, die mich mit einem Modell der Marke Eigenbau überraschen wollten. Das ist natürlich eine tolle Geste, die aber gleichzeitig für das Problem der sachgerechten Lagerung sorgt. Von daher habe ich jahrelang viel Kram in irgendwelchen Lagerhäusern gehortet, bis ich mich irgendwann und auf einen Schlag davon getrennt habe.

Ich habe ein paar Sachen verschenkt und andere versteigert. Jetzt versuche ich, mich zusammenzureißen und nur noch die Gitarren zu besitzen, die mir wirklich wichtig sind. Bei ihnen weiß ich genau, wie sie sich anfühlen, wie sie klingen und was sich damit in Kombination mit diesem oder jenem Amp bzw. Pedal anstellen lässt. Ich will ein Setup, das leicht aufzubauen ist und das funktioniert. Auf diesem Album habe ich zum Beispiel kaum ein Pedal benutzt, einfach weil das nicht notwendig war. Meistens war es meine Tele über einen Fender Deluxe.

Ist das dein bevorzugter Amp?

Das ist mein Haupt-Amp. Ab und zu setze ich auch mal ein Pedal ein – meistens das Way Huge Swollen Pickle MK II. Ein Fuzz-Pedal, das mein persönlicher Liebling ist. Ansonsten ist es definitiv ein sehr bodenständiges, übersichtliches Setup. Alles sehr simpel. Aber es ist ja auch gerade eine gute Zeit für simpel.

Auf dem neuen Album ist hauptsächlich eine Telecaster durch einen Brownface Fender Deluxe-Amp zu hören (Bild: Nancy Wilson)

Als ihr mit Heart anfingt, war das die Zeit der Gitarrengötter, wie Jimi Hendrix, Jeff Beck, Jimmy Page und Eric Clapton. Wie hast du da als Frau reingepasst – und war das nicht auch ein absoluter Tabubruch?

Stimmt. Gitarre zu spielen gehörte sich für Mädchen nicht – schon gar nicht elektrische. Ich erinnere mich noch daran, wie eine meiner Tanten mir sagte: „Aber damit ruinierst du dir doch die Fingernägel.“ Meine Eltern hätten so etwas nie gesagt, aber von anderer Seite gab es etliche Bedenken und auch ganz offene Ablehnung. Aber Ann und ich sind in einer Militär-Familie aufgewachsen, unser Vater war bei der Marineinfanterie, und wir waren absolut schmerzfrei, wild und unbändig. Deswegen war einer unserer gemeinsamen Titel auch ‚Brigade‘ – weil wir uns wie eine kleine, furchtlose Armee gesehen haben. Wir haben überall gespielt, wo man uns gelassen hat, wir hatten wirklich jeden erdenklichen Beatles-Song im Repertoire und uns war es sowas von egal, ob wir nun Mädchen waren oder nicht. (lacht) Wir hatten keine Angst davor, anders zu sein. Wir fühlten uns kompetent genug und haben es einfach getan.

Also ging es nicht darum, rebellisch zu sein bzw. es der Männerwelt zu zeigen?

Das kam erst später. Ich meine, als wir anfingen, waren wir noch so jung, dass wir uns unserer sexuellen Identität gar nicht bewusst waren – und sie insofern auch keine Rolle spielte. Das kam erst später zum Tragen, nämlich in den 80ern, als es plötzlich unheimlich wichtig wurde, auf sein Image zu achten und sich regelrecht selbst zu inszenieren. Nach dem Motto: „Mach einen Schmollmund, saug deine Wangen an, um dein Gesicht schmaler wirken zu lassen, und fahr dir mit der Zunge über die Lippen.“ All dieser Quatsch aus den 80ern.

Was hältst du von der modernen Rockmusik – wie empfindest du das, was da passiert?

Es scheint ganz allgemein nicht viele frische Impulse zu geben. Es ist eigentlich immer dasselbe. Deshalb finde ich Pop-Musik auch gerade viel interessanter. Denn nach mehreren Dekaden, in denen vor allem Bubblegum-Pop angesagt war, tut sich da wieder etwas. Ich finde, Künstler wie Phoebe Bridgers und Julian Brown schreiben tolle Songs, und es gibt eine Menge starker Songwriterinnen. Selbst der neue Kram von Taylor Swift ist Klasse – also ‚Folklore‘ ist nicht umsonst mit einem Grammy für das Album des Jahres ausgezeichnet worden, sondern den hat sie wirklich verdient. Mit dem Typen von The National zu arbeiten, war ein cleverer Schachzug. Er zeigt, dass da eine neue Offenheit und Flexibilität herrscht, die vorher nicht vorhanden war. Für mich ist das eine geradezu revolutionär menschlich klingende Musik, die sehr persönlich und poetisch ist. Von daher mag ich das, was gerade passiert. Und ich versuche, das auf mein eigenes Genre, auf die Rockmusik, zu übertragen.

Was ist mit Heart: Plant ihr ein neues Album zum 50. Dienstjubiläum?

Ich weiß es nicht. Ann und ich haben während der Pandemie erst einmal unsere Solo-Projekte verfolgt. Sprich: Auch sie hat neue Musik gemacht, die bestimmt bald veröffentlicht wird. Und dann gibt es halt ein ganz konkretes Angebot, eine großangelegte Abschiedstournee zu unternehmen bzw. damit unser 50. Band-Jubiläum zu feiern. Ich denke, da könnte dann auch jede von uns ein paar Solo-Sachen mit der Band spielen. Wobei ein neues Album natürlich auch nicht schlecht wäre.

(erschienen in Gitarre & Bass 08/2021)

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