„Ich hoffe immer, dass ich Melodien komponiere, an die man sich erinnert und die man mitsingen kann. Das empfinde ich als großes Kompliment.“
(Bild: PRS Guitars)
Im Oktober 2024 veröffentlichte Myles Kennedy mit ‚The Art of Letting Go‘ sein bislang drittes Soloalbum. Man fragt sich dabei, woher der Sänger, Gitarrist und Komponist aus Boston neben seinen Aktivitäten bei Alter Bridge und Slash, die nötige Zeit nimmt, zumal er das Album inzwischen auch auf umfassenden Tourneen in Europa und in den USA live auf die Bühne bringt.
Die zehn Titel von ‚The Art of Letting Go‘ fallen generell deutlich rockiger als bei den Vorgängern ‚The Year of the Tiger‘ (2018) und ‚The Ides of March‘ (2021) aus. Das Album wurde in Florida (Studio Barbarosa) von Michael „Elvis“ Baskette produziert (Alter Bridge, Tremonti, Slash & The Conspirators, Trivium, Sevendust). Mit an Bord sind Bassist Tim Tournier, der neben Kennedy auch Mark Tremonti, Alter Bridge und Sevendust managt, und Schlagzeuger Zia Uddin, der schon Ende der Neunziger mit Kennedy und Tournier bei The Mayfield Four spielte – ein ganz und gar eingeschworenes Team also.
INTERVIEW
Wie gehst du generell ein neues Album an?
In aller Regel arbeite ich projektbasiert. Ich bin gern vorbereitet und möchte im Studio nicht ohne Songs dastehen. Ich hatte zwischen Januar und Mai/Juni 2023 ein Zeitfenster. Die meisten Titel entstanden, während ich auf Tour mit Alter Bridge war – in Hotelzimmern oder Backstage.
Das ist durchaus fordernd und ich würde eigentlich lieber zuhause in meinem Studio arbeiten, denn ich bin nicht unbedingt gut darin, meine Zeit aufzuteilen und unterschiedliche Aufgaben konzentriert anzugehen. Viel lieber tauche ich tief in eine Aufgabe hinein. Meine Gedanken kreisen dann fortwährend um ein Thema und verfolgen mich mitunter bis in den Schlaf. Es liegt auf der Hand, dass das auf einer Tour zu Konflikten führt, etwa weil ich nicht gut schlafe.
Das neue Album fällt deutlich rockiger aus.
Richtig. Vor Jahren sprach ich mit unserem Schlagzeugtechniker. Ihm gefiel die Art und Weise, wie wir die vorrangig akustisch komponierten Songs von ‚The Year of the Tiger‘ im Trio, mit dem wir bis heute unterwegs sind, neu interpretierten und im Sinne einer Rockband auf die Bühne brachten. Er fragte sich, ob man diese Versionen nicht in neuem Gewand aufnehmen sollte. Stattdessen schlug ich vor, neue Titel zu komponieren, die man so aufnimmt, wie sie auch auf der Bühne klingen werden. Entsprechend ergab sich eine Richtung, in die es gehen sollte. Hinzu kam, dass ich von meiner 2024 veröffentlichten PRS-Signature-Gitarre ziemlich inspiriert war. Es ist eine Rockgitarre und entsprechend waren die Ergebnisse, die teilweise im Hotelzimmer mit einem kleinen Probeverstärker entstanden.
Wie würdest du den Einfluss von Michael „Elvis“ Baskette beschreiben?
Das hängt von der Produktion ab. Zu Michaels Stärken gehört es, Musik hinsichtlich der Instrumentierung zu bewerten. Wenn ein Song keine große Orchestrierung benötigt, dann lässt er es auch so stehen. Hinter ‚The Art of Letting Go‘ steht eine ähnliche Idee wie beim letzten Album von Alter Bridge (‚Pawns & Kings‘, 2022). Die Produktion sollte geradliniger ausfallen. Stereogitarren, Bass, Schlagzeug, weniger Editing und Quantisierung und keine großen Schichten mit mehreren Stimmen. In den letzten 20 Jahren haben wir genau das oft getan. Heutzutage möchten wir keine große Inszenierung. Wenn das Riff, die Melodie und die Texte überzeugen, dann lassen wir es für sich stehen und schmücken es nicht unnötig aus. Ich habe auch nur stellenweise die Refrains gedoppelt und mich auch bei Harmoniegesängen zurückgehalten, die ich übrigens partout nicht gern einsinge. Wenn ich mit Tim und Zia spiele, dann übernimmt das Publikum einen Teil der Harmonien. Ich hoffe immer, dass ich Melodien komponiere, an die man sich erinnert und die man mitsingen kann. Das empfinde ich als großes Kompliment.
Mehr über Songwriting und seine neue Signature-PRS auf Seite 2 …
(Bild: Chuck Brueckmann)
Wie fängst du deine Ideen ein?
Ich beginne mit Sprachnotizen auf dem Smartphone. Auf diese Notizen komme ich dann gern zurück, wenn sie mir gefallen. Ein Beispiel dafür wäre das Intro zu ‚Say What You Will‘, das natürlich von Mark Knopfler inspiriert ist. Es dauerte aber einige Monate, ehe ich die weiteren Parts beieinander hatte. Sobald das der Fall ist, wechsle ich in Logic Pro und programmiere mit Toontrack EZdrummer ein paar Beats, spiele zwei Gitarrenspuren ein und nehme Gesang auf, um ein Demo zu erhalten.
Interessant dabei ist: Ich kann mir das Arrangement inzwischen eigentlich schon auf der Basis einer ersten Sprachnotiz vorstellen. Allerdings möchte ich es immer nur bis zu einem gewissen Punkt ausarbeiten. Ich möchte unbedingt, dass Tim und Zia ihren Teil beisteuern. So habe ich bei den Demos gar nicht erst einen Bass eingespielt und wollte Zia keine fertige Schlagzeugspur vorgeben, da er selbst herrlich kreativ ist.
Und dann folgen die Texte?
Zumindest für mich können die Texte den anspruchsvollsten Teil einer Komposition ausmachen. Ich liebe es, Musik und Melodien zu komponieren, aber in den Texten liegt die Seele eines Songs. Ich trage diese Lieder mitunter viele Jahre auf die Bühne und möchte folglich, dass sie etwas bedeuten und nicht nur gereimte Zeilen darstellen. Diesen Fehler habe in der Vergangenheit gemacht. Da darf man sich dann nicht wundern, wenn ein Song nicht auf Resonanz stößt.
Generell folgen bei mir die Texte auf die Musik. Interessanterweise ergibt sich die Thematik dabei fast automatisch, was vermutlich auch mit dem jeweiligen Punkt zusammenhängt, an dem ich mich in meinem Leben befinde. Und so fügt es sich schließlich zusammen. Ich bin immer wieder beeindruckt, wie Singer/Songwriter ihre Arbeit mit einem Text beginnen. So gehört Bernie Taupin zu meinen Favoriten. Er verfasste diese poetischen Texte und übergab sie dann an Elton John, der dazu die Musik und Melodien komponierte. Das ist großartig und magisch.
Magst du etwas zu deiner Signature-Gitarre erzählen?
Natürlich ist das Instrument von der Tele inspiriert, die ich seit jeher wirklich mag. Unser Ziel war es, das Instrument aufgrund meiner Spielweise im Hinblick auf das Rockgenre zu optimieren. Ich spreche übrigens absichtlich im Plural, denn ich blicke auf eine hervorragende Zusammenarbeit mit Paul Reed Smith und seinem Team zurück. Gleichzeitig war es unabdingbar, dass man sich mit der Gitarre schnell und sicher zwischen unterschiedlichen Genres bewegen kann – von Jazz bis hin zu Country. Die Kombination aus einem Korpus aus Sumpfesche und Ahornhals liefert das Attack, für das eine Tele geschätzt wird. Gleichzeitig fügen die abgestimmten Tonabnehmer eine Tiefe hinzu, die man im Original mit reinen Single-Coils so in aller Regel nicht findet. Zumindest für mein Ohr liefern diese Tonabnehmer die Qualitäten von Single-Coils, aber gleichzeitig mehr Fülle und ein Mittenspektrum, das zumindest für meine Spielweise bestens funktioniert.
Abgesehen davon, dass ich selbst von dem Instrument begeistert bin, erhalte ich die meisten Komplimente für den Hals, der sich an den Profilen der 50er-Jahre-Modelle von Tadeo Gomez orientiert. Zum anderen ist das Zusammenspiel von Korpus, Hals und Hardware bestens gelungen und zeigt sich bereits trocken in einem tollen Resonanzverhalten. In der Entwicklungsphase war es für mich dabei spannend festzustellen, wie selbst kleine Elemente das Schwingungsverhalten des Instruments beeinflussen. Da habe ich viel gelernt und ich bin immer noch ganz aufgeregt.
Nutzt du weiterhin Verstärker von Diezel?
Oh ja, seit inzwischen nahezu 20 Jahren. Bei Alter Bridge kombiniere ich einen VH4 und einen Herbert. Aber für meine Soloband nutze ich ausschließlich das Modell Paul. Den Verstärker hörst du auf dem gesamten Album. Ich bin ein Fan von Kanal 2, habe aber gelegentlich auch den dritten Kanal sowie für Clean-Sounds Kanal 1 zum Einsatz gebracht.
Ich meine, ein schönes Oktav-Pedal auf ‚Say What You Will‘ gehört zu haben.
Ich habe tatsächlich ein neues Effektgerät: Es ist das Mythos Argo Octav Fuzz (mythospedals.com). Der Sound erinnert mich an Gary Clarke Jr., den ich sehr schätze. Schon auf dem letzten Album habe ich zudem das Chicken-Soup-Overdrive-Pedal von J. Rockett genutzt.
Wie sieht es denn mit unterschiedlichen Gitarrenstimmungen aus? Bei Alter Bridge gibt es ja jede Menge davon!
Stimmt, Mark arbeitet mit jeder Menge unterschiedlicher Stimmungen. Das gibt es hier nur in reduzierter Form, denn ich will nicht mit so vielen Gitarren auf Tour gehen. Ein Alternate-Tuning (C-G-C-G-C-D) findest du bei ‚Miss You When You‘re Gone‘. Und auch die letzten beiden Titel ‚Dead to Rights‘ und ‚How The Story Ends‘ haben ebenfalls eigene Stimmungen. Also komme ich auf vier Tunings. Tatsächlich habe ich auch schon vor der Zusammenarbeit mit Mark mit verschiedenen Stimmungen gearbeitet. Ich habe das von Ian Thornley (Big Wreck) – ein wirklich großartiger Gitarrist und Sänger. ●
(erschienen in Gitarre & Bass 05/2025)