Wie geht es nach der Pandemie weiter?

Musicians-Lounge: Volle Hütte überall?

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(Bild: Copyright (c) 2020 Firn/Shutterstock)

Im vergangenen März schrieb ich an dieser Stelle eine Kolumne zum Thema „Verrückte Welt“, in der ich auf die momentanen Lieferengpässe und Preisentwicklungen in der Equipment-Branche einging. Freilich bleibt diese Problematik bis heute bestehen und hat sich an manchen Stellen sogar noch verschärft. In den letzten zwei Jahren quälte mich darüber hinaus jedoch ein ganz anderes Problem: Wie ergeht es angesichts der Pandemie und den damit verordneten Lockdowns eigentlich meinen Musikerkollegen?

Während des ersten Lockdowns im Frühjahr 2020 gab es noch regen Austausch per Telefon: Wie geht es dir? Hast du Finanzhilfe beantragt? Wie nutzt du die neu gewonnene Freizeit? Neben Klagen und Ängsten machte sich schnell auch eine Art Fatalismus breit. „Endlich mal wieder Zeit zu üben …“ oder „ich mach erstmal ein neues Album …“ hieß es da. Schnell sahen sich Musiker zu neuen Projekten veranlasst. Man ließ nichts unversucht, zumindest die Aufmerksamkeit des einstigen Publikums nicht zu verlieren. Spätestens nach einem halben Jahr sehnten viele die Zeiten „vor der Pandemie“ wieder herbei, konnten aber noch nicht ahnen, dass dieser Schlamassel sich über Jahre hinziehen würde.

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Das vermeintliche Ende der Pandemie-Maßnahmen im Sommer 2022 wird zudem überschattet von neuen Krisen wie dem Krieg gegen die Ukraine, der Energieknappheit, der Inflation und den überraschend frühzeitig eintretenden Folgen der Klimakrise.

Niemand weiß zurzeit mit Gewissheit, ob die Pandemie im Herbst diesen Jahres nicht wieder „Fahrt aufnimmt“ und die Regierenden zu weiteren Maßnahmen veranlasst. Zudem gehen die meisten Musiker, denen im Frühjahr 2020 eine Finanzhilfe von bis zu 9.000 Euro zur Verfügung gestellt wurde, nun mit Schulden in den nächsten Winter, denn wie sich herausstellte, müssen diese Beträge größtenteils bis Sommer nächsten Jahres zurückgezahlt werden. Schon bald nach dem Ausbruch der Pandemie habe ich mich nicht mehr getraut, Kollegen nach ihrem Auskommen zu fragen. „Wovon leben die jetzt alle?“ Als Musiker ein Vermögen aufzubauen war doch schon vor der Pandemie so gut wie unmöglich. Umso polemischer war der Rat vieler Politiker, jetzt erstmal von den Rücklagen zu leben.

(Bild: Copyright (c) 2020 DesignRage/Shutterstock)

In diesem Sommer sollten nun alle ausgefallenen Konzerte nachgeholt werden. Überall freute man sich auf die Rückkehr des Kulturbetriebs, auf volle Häuser und rauschende Musikerlebnisse. Doch nichts von all dem geschah und daher sollten wir uns die Situation etwas genauer anschauen. Was passiert da gerade?

Die Sommer-Tour der Stones ließ doch wieder mal vermuten, dass der Rock’n’Roll niemals stirbt, das Wacken Open Air und Rock am Ring liefen doch auch wieder wie früher … Und Wacken 2023 war schon nach fünf Stunden wieder ausverkauft. Es läuft doch, oder?

Denkste! Gleichzeitig hagelt es Absagen und Konzertausfälle wegen zu schwacher Vorverkäufe oder „unerwarteter Kostenexplosionen“. Die Konzerte, die noch stattfinden sind größtenteils nur mäßig besucht. Der Präsident des Bundesverbandes der Veranstaltungswirtschaft Jens Michow beklagt, dass diese Branche mit Abstand am meisten unter den Pandemiemaßnahmen gelitten habe. Der Ausgang sei ungewiss und daher „höchst dramatisch“. Alle Hilfen würden bis zum kommenden Winter heruntergefahren. Zudem würden Veranstaltungen ab dem kommenden Jahr nicht mehr versichert, was das Risiko der Betreiber zusätzlich enorm erhöht. Panik und Ratlosigkeit machten sich breit.

Der Präsident des Bundesverbandes der Veranstaltungswirtschaft Jens Michow ist in großer Sorge um die Veranstaltungsbranche. (Bild: Klaus Westermann)

Klar, es gibt sie noch, die Konzerte, die gut gefüllt sind. Viele zehren dabei von ihrer großen Berühmtheit und den vor zwei Jahren verkauften Tickets, die nun eingelöst werden können. Wacken, Rock am Ring, Udo Lindenberg oder die Stones werden wahrscheinlich auch in Zukunft wieder gut laufen, um nur ein paar Beispiele zu nennen. Und natürlich gibt es da Musiker, die immer überdurchschnittlich gut verdient haben, tatsächlich Rücklagen oder ihr Geld bereits angelegt hatten. Es gibt auch Musiker, die von der Familie geerbt haben, aufgrund ihrer Ausbildungen schnell auf andere Jobs ausweichen konnten und letztlich auch welche, die in den Kleinanzeigen ihre Instrumentensammlung versetzt haben.

Aber das ist nicht „die Branche“, sondern es sind Ausnahmen, die es schon immer gab. Schließlich steht nirgendwo geschrieben, dass man mit (U-)Musik seinen Lebensunterhalt verdienen können muss. Das war noch nie so. Nur die wenigsten fallen in so einer Branche stets auf die Füße. Bisher lief das auch nur für ein paar Jahre rund, und dann schmolzen die Erfolge aufgrund des Alters und dem wechselnden Publikumsgeschmack schnell wieder dahin. Auch das wird in dieser Diskussion oft außer Acht gelassen.

Natürlich gibt es auch dafür Ausnahmen. Größere Acts wie Lindenberg, Maffay, Westernhagen, Grönemeyer und mittlerweile sicher auch Rammstein, die Toten Hosen, PUR oder die Scorpions sind vielleicht immer noch Garant für volle Häuser. Doch es braucht nicht lange bis man begreift, dass diese Musiker nicht selten jenseits der 50, 60 oder sogar 70 agieren und deren vermeintliche Nachfolger nicht oder noch nicht auf eine lebenslange Karriere zurückschauen dürfen.

ZEITENWENDE

Unsere Kinder und Enkel kaufen zudem keine Tonträger mehr. Sie besitzen auch keine Stereoanlagen mit akribisch gewählter Sound-Qualität. Sie gehen auf Partys, Schlager, Mallorca-Bumm-Bumm oder hören Lounge-Music mit Zielgruppenzuschnitt zum Sport, beim Pilates oder Wellness. All das möchte ich hier keineswegs verurteilen. Es zeigt nur, dass unsere Kultur selbst schon seit längerem in der Krise steckt. Von der Musik leben heißt auch, sich kommerzielle Fragen zu stellen. Und selbst wenn man noch ein Publikum findet, verteilt sich das mit der Aufmerksamkeit auf die schier endlose Zahl an Mitbewerbern. Durch die einfache Verfügbarkeit von hochwertigen Produktionsmitteln wie den rechnergestützten DAWs kann praktisch jeder heute einen Song oder ein ganzes Album in gewohnter Qualität produzieren. Die Copy-And-Paste-Funktion erspart monatelanges Üben, von Schlagzeug-Loops und vorgefertigten Sound-Presets ganz zu schweigen.

Kurzum: Den Ritterschlag erwirbt man sich immer noch im Konzert. Hier zählen Fertigkeiten, Bühnenpräsenz, Performance und Song-Qualitäten nach wie vor. Und wer Glück hat, verkauft danach am Ausgang noch ein paar CDs oder T-Shirts.

Die sogenannten Öffentlich-Rechtlichen ziehen schon lange nicht mehr mit. Auch die bedienen sich mittlerweile an Altbewährtem oder auf Hörergruppen zugeschnittenem Streaming-Material. Ins Radio kommen nur noch die ohnehin schon bekannten Namen. Und dass Streaming insgesamt überhaupt keine Alternative mehr ist, weiß längst jeder. Viel zu gering, ja lächerlich gering sind die Vergütungen für Aufrufe. Die Wege waren also schon vor der Pandemie wie zugemauert. Die Krisen sind nun Brandbeschleuniger eines Prozesses, der sich bereits seit langem abzeichnete.

Nun stellt sich die Frage, ob die enorme Zurückhaltung für einen Konzertbesuch nur der Angst vor einer Infektion geschuldet ist, oder ob sich das Verhalten der einstigen Zielgruppen in den letzten beiden Jahren grundsätzlich verändert hat. In einem Punkt kann man die Befürchtung teilen, denn in Zeiten von explodierenden Energiepreisen und Inflation scheint es logisch, dass die Leute ihre Groschen zusammenhalten und somit auch am Konzertbesuch sparen. Das mag zum Teil diese Zurückhaltung begründen.

In der Rezeption von Musik lässt sich jedoch auch allgemein ein Identitätsverlust beobachten. Musik ist schon weiterhin wichtig zur Berieselung, im Hintergrund, beim Essen, auf der Party und auf der Autofahrt. Nur scheint sie nicht mehr allein zur Freizeit zu taugen. Man sitzt nicht mehr und „hört zu“, sondern nutzt sie als einen Teil unserer Multitask-Gesellschaft. Immer da, aber auch immer im Hintergrund und ohne größeres Interesse für deren Ursprünge oder den Künstler oder die Künstlerin dahinter.

DER GEMEINSAME NENNER

Mick Jagger schien das schon 1969 zu wissen. Damals herrschte aus ganz anderen Gründen eine ähnliche Krisenstimmung wie heute. Der Vietnam-Krieg stand ähnlich im Fokus wie der in der Ukraine heute. Nur resultierten damals auch Studentenunruhen und bürgerkriegsähnliche Konflikte daraus. 1968 wurden Robert Kennedy und Martin Luther King ermordet. Die Jugend begehrte auf und wandte sich gegen jeden Kommerz in der Musikindustrie.

Beim Isle-of-White-Festival 1970 war der Love-and-Peace-Geist des Woodstock-Festivals bereits verflogen. Der Rock’n’Roll wurde jetzt von neureichen Protagonisten angeführt, die sich Privatjets zulegten und in luxuriöse Villen verkrochen. Und die Kids bezahlten alles. Ab den frühen Siebzigern zerfiel der Rock’n’Roll in kommerzielle Sparten. Bubblegum, Glitter- und Art-Rock, Hardrock oder Rock-Theater lieferten sich Wettbewerbe in immer größeren Shows, die schließlich so gigantisch wurden, dass sich wunderbar damit reich werden ließ. So reich, dass die Protagonisten sogar oft übermütig wurden und sich zahlreich wie Ikarus verbrannten.

Jagger lebt heute noch, und das liegt vielleicht auch an seiner Auffassung, die er 1969 in einem Interview Stunden vor dem berühmten Hyde-Park-Konzert der Stones verlauten ließ. Dort unterbrach er ungeduldig den Interviewer mit einer Art Belehrung, die mir besonders in den letzten zwei Jahren immer wieder durch den Kopf geht. „Nein, nein,“ so sagte er sinngemäß, „sie verstehen das ganze hier völlig falsch. Zwar sind wir die Stones und werden gleich vor vielen tausend Zuschauern auftreten und vermutlich dort auch gefeiert, aber darum geht es hier nicht. Es geht ganz allein um die Zuschauer, das „common feeling“, das Zusammenkommen und die Gemeinsamkeiten daran. Menschen gleichen Alters, die sich im Park treffen, die gleichen Sorgen und Ängste haben und diese für ein paar Stunden vergessen wollen. Die Stones da vorne auf der Bühne sind unwichtig und durchaus austauschbar. Wir sind nur so eine Art Grund für die Zusammenkunft. Da darf man sich nicht überschätzen.“

Wenn wir also hier beginnen wollen, über eine Krise in der Kultur und bei Kulturschaffenden zu sprechen, dann sollten wir uns auch darüber im Klaren sein, welche Kultur das überhaupt ist. Dieses Common Feeling steht daher im Moment auf der Kippe. Es ist vermutlich auch durch nichts zu ersetzen, nicht durch Streaming, nicht durch einkanalige Medien wie das Internet oder die in ganzer Einsamkeit vernommene Funktionsmusik aus der „Alexa“. Die Rock’n’Roll-Kultur wuchs und beruht immer noch auf der Gemeinsamkeit. Ohne sie verliert sie vielleicht ihren Anspruch, überhaupt eine Kultur zu sein. Und hierin sehe ich die eigentliche Krise. Sollten wir also hinnehmen, dass das gemeinsame Live-Erlebnis verschwindet, so ist zumindest diese Art von Kultur vom Aussterben bedroht.

Niemand weiß genau, wie es mit den Konzertbetrieben und unserem Konzertverhalten als Besucher weiter geht. Und daher möchte ich mich in Zukunft in dieses Thema weiter hineinknien, mit Musikern, Technikern und Veranstaltern sprechen und ihre Erfahrungen und Ausblicke hier zusammenfassen.

Sicher kann man keine Kultur, und sei sie auch noch so spannend, „verordnen“. Aber es kann uns auch bewusst werden, wie wichtig sie für uns ist und wie sehr es lohnt, darum zu kämpfen. In diesem Sinne …


(erschienen in Gitarre & Bass 10/2022)

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