Meilenstein 1988: Mudhoney – Superfuzz Bigmuff

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(Bild: Emily Rieman)

Ende der 80er-Jahre neigte sich die ganz große Zeit des (Hair-) Metal und der neuen virtuosen Gitarrenidole wie Joe Satriani oder Steve Vai langsam dem Ende zu. Von Kalifornien verlagerte sich das Geschehen in den Nordwesten der USA. Aus Seattle kamen erste Lebenszeichen, wie es mit dem Rock’n’Roll weitergehen sollte. Acts wie Soundgarden, Green River oder später auch Pearl Jam orientierten sich an den nerdigen Sounds des frühen britischen Metal/Hardrock bis hin zur rohen Energie des Punkrock der 70er. Mittendrin im Geschehen gründeten Mark Arm (voc, g) und Steve Turner (g) mit Matt Lukin (b) und Dan Peters (dr) 1988 Mudhoney.

Benannt hatte man sich nach dem gleichnamigen Film von US-Kultregisseur Russ Meyer. Und dann ging es recht schnell: Noch im selben Jahr wurden sie von Bruce Pavitt für sein gerade gegründetes Label Sub Pop unter Vertrag genommen. Bei dem Grunge-Label schlechthin landeten dann auch Soundgarden und Nirvana. Schließlich veröffentlichte man die erste Single ,Sweet Young Thing Ain‘t Sweet No More / Touch Me I’m Sick‘. Und einige Monate später folgte die ,Superfuzz Bigmuff‘-EP – sechs laute Gitarrenrock-Nummern, rau und unberechenbar.

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,Need‘ startet mit Schrammelgitarre, das Volume-Poti der Gitarre wird aufgerissen und los geht‘s. Mark Arm beklagt sich im Text darüber, was ihm alles so fehlt, das Gitarrensolo mit den schrägen bis atonalen Licks stellte damals die Antithese dar zu den technisch versierten Shreddern der 80er mit GIT-Abschluss. Wenn man‘s nicht wüsste, könnte man den Song für ein Frühwerk von Nirvana halten. Im Ramones-Tempo preschen die Drums in ,Chain That Door‘ nach vorne, und dann lässt man knappe zwei Minuten lang wütende Vocals und fette Powerchords auf den Hörer niederprasseln.

Auch in ,No One Has‘ stürmt der Bass hektisch nach vorne und verwickelt sich mit Schrammelgitarre zu einem hypnotischen Groove, der so eindringlich wirkt wie Stücke der britischen Band Killing Joke auf ihrem gleichnamigen Debütalbum (1980). Im Kontrast hierzu steht diese monotone und träge Velvet-Underground-Düsternis in ,If I Think‘. Der zerbrechliche Gesang nimmt einiges von dem vorweg, was später Kurt Cobain berühmt machen sollte. Der ruhige Part wechselt stets in schnelle Punk-Ausbrüche. Diese Laut-Leise-Dynamik ist generell ein Markenzeichen von Mudhoney.

Mudhoney live!
Univox Super-Fuzz
Electro-Harmonix Big Muff Pi

Noch eine pophistorische Randnotiz: ,In ‘n’ Out Of Grace‘ beginnt mit einem Zitat aus dem 66er Kult-Rockerfilm ‚The Wild Angels‘. Peter Fonda, der den Anführer einer Bikergang spielt, beginnt eine Rede vor Gericht mit den Worten: „We wanna be free to do what we wanna do…“. Dasselbe Sample hat die schottische Band Primal Scream 1991 im Hit ,Loaded‘ verwendet. Deutlich kommt auf ,Superfuzz Bigmuff‘ der Bezug zu Protopunk und insbesondere zu Iggy Pop und seiner Band The Stooges durch. Nur ist eben der Sound noch brachialer als in den frühen 70ern.

Die titelgebenden Fuzz-Effekte spielen dabei wohl die tragendste Rolle, eben Mark Arms Univox SuperFuzz und das Electro-Harmonix Big Muff Pi von Steve Turner. Letzterer setzte auch ein WahWah ein. Zudem zeigen Fotos aus der Zeit Steve meist mit einer Fender Mustang und Mark mit einer Hagstrom III. In Live-Mitschnitten quer durch die Jahre sieht man öfter Fender-Amps hinter den Musikern stehen. Mister Turner sagte einmal zum Thema Gitarren-Equipment:

„Wenn du dich an die Ästhetik erinnerst, von der wir kommen – Garage Punk, und Punkrock im Allgemeinen – wurde vieles davon mit billigem Equipment gemacht, und viel davon war wiederverwendetes Equipment, das Gitarristen als Müll abgetan hatten. Wie die Fender Mustang. Das war für mich die ultimative Gitarre als Kind, aber als ich mir endlich eine kaufen konnte, wurde sie als billig abgestempelt. Ich habe sie für 150 Dollar bekommen. Die Danelectro- und Silvertone-Amps waren eine Art von hochbewertetem Müll, als wir begannen uns für sie zu interessieren. Ein großer Teil unseres Sounds basiert auf billigem Equipment, also macht es für mich Sinn, das ich immer noch billiges Equipment kaufe.“

Insofern dürfte klar sein, welche Instrumente auf dem im April kommenden neuen Album ,Plastic Eternity‘ zu hören sind. Dreiviertel der Originalbesetzung sind immer noch am Start, Bassist Guy Maddison ist seit 2001 für Matt Lukin dabei. Mit dem neuen Album feiern sowohl Mudhoney als auch Sub Pop ihr 35-jähriges Bestehen. Den passenden Soundtrack hierzu liefert das für den Grungerock der 90er so wegweisende ,Superfuzz Bigmuff‘.

(erschienen in Gitarre & Bass 04/2023)

Kommentare zu diesem Artikel

  1. Klingt total nach wildem Punk.“Billiges“ Equipment muß ja nicht immer grauenvoll klingen,nur im Fall von Mudhoney („Schlammhonig“) bekomme ich bereits nach extrem kurzer Zeit Migräne Attacken und Unwohlsein. Ein „Meilenstein“ der Krawallmusike,Lärm ohne Ende….
    ….unbedingt meiden!

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    1. Meine Lieblingsband…

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    2. Yes sir, ganz Ihrer Meinung, eine Zumutung und
      Ein meilenstein in Arroganz und publikumsverarschen

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  2. Green River in einem Atemzug mit Soundgarden zu nennen finde ich mehr als verwegen.

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  3. Eine der besten Bands überhaupt und meist unterschätzten Bands aller Zeiten. Live besonders zu empfehlen. Der Gesang kling halt aufs erste hören nicht ganz so eingängig. Und ganz besonders hervorzuheben, nach einer etwas schwachen, experimentierfreudigen Phase Anfang diesen Jahrtausends sind die letzten und auch das Neue Album absolut Top. Sie leben also nicht nur von ihren Klassikern, sondern liefern auch tolles, neues Material.

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