Im Interview

Alexandr Misko: YouTube-Star mit Signature-Gitarre

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(Bild: Roland Hutzenlaub)

Vier Jahre sind vergangen, seit der YouTube-Star und Fingerpicking-Virtuose Alexandr Misko erstmals in Deutschland auf der Bühne stand.

Seinerzeit präsentierte der russische Ausnahmemusiker den Besuchern des 2017er Guitar Summits im Mannheimer Rosengarten unter dem augenzwinkernden Motto „The Beauty Of Open Tunings“ (O-Ton: „So kann man auch mit Akustikgitarren Heavy Metal spielen!“) seine Interpretation von Nirvanas ‚Smells Like Teen Spirit‘, mischte Rap-Einflüsse mit klassischen Arrangements und zeigte unkonventionelle Kniffe seiner außergewöhnlichen Technik: Misko verwendete ein Haarband für seine charakteristische Abdämpftechnik und hatte für den Shaker-Sound der Rhythmusbegleitung den Korpus seiner Gitarre mit Schmirgelpapier aufgeraut.

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Zum weltweiten Publikumsliebling wurde der 24-Jährige durch das Video seiner legendären Version von Michael Jacksons ‚Billie Jean‘. Saitenkünstler Jon Gomm bezeichnet Alexandr Misko, der im vergangenen Jahr unter die Top 10 der besten Musiker seines Fachs gewählt wurde, sogar als „die Zukunft der Akustikgitarristen“. Kein Wunder also, dass mittlerweile viele Instrumentenbauer auf den Shooting-Star aufmerksam geworden sind. 2019 verabredeten Misko und die Tübinger Gitarrenschmiede Baton Rouge eine längerfristige Kooperation mit dem Ziel eines Signature-Modells. Dies liegt jetzt vor und ist noch spektakulärer als erwartet.

 

DIE GITARRE

 

Einzigartige Brückenkonstruktion: Die Hipshot-Bridge fungiert als Tailpiece und wurde in dieser Form vermutlich noch nie in einer Akustikgitarre verbaut. Die Brücke erlaubt zusätzlich zu den Banjo-Tunern die Stimmung der Saiten zu verändern. (Bild: Roland Hutzenlaub)

Ohne Übertreibung: ein wahres Wunderwerk, ein Meisterstück des modernen Gitarrenbaus! Nur so lässt sich die neue Baton Rouge Alexandr Misko Signature treffend bezeichnen. Die trickreiche Konstruktion bietet unfassbar viele Spielmöglichkeiten und ist damit dem genialen Misko wie auf den Leib geschneidert.

Das Highlight des innovativen Instruments ist ohne Zweifel die Hipshot-Bridge, eine in dieser Form neuartige Erfindung, wie sie bis dato vermutlich noch nie auf einer Akustikgitarre verbaut wurde. Das Besondere daran: Durch die am Korpusende montierte Hipshot-Bridge kann jede Saite nochmal zwei Töne tiefer gestimmt werden. Entstanden ist die Alexandr Misko Signature als Kooperation zwischen Misko, dem Instrumentenhersteller Baton Rouge und Gitarrenbauer Stefan Zirnbauer von der Munich Guitar Company. Im Detail sieht sie wie folgt aus:

Die Korpusdecke mit Abalone-Schalllochring und schwarzem ABS-Binding plus Zierstreifen besteht aus Sitka-Fichte, die Zarge aus Indischem Palisander, der Boden aus Nussbaum. Der Mahagoni-Hals hat einen 1 cm dicken Nussbaumstreifen. Griffbrett und Kopfplattenfurnier sind aus Ebenholz, die Gitarre hat 26 (!) Fanned-Fret-Edelstahlbünde und einen Black-Tusq-Sattel. Zur Erhöhung der Stimmstabilität gibt es zwei Kohlefaser-Rohre zwischen Hals- und Endblock des Korpus, zwei bis in den Oberklotz reichende Kohlefaserstäbe, einen Gotoh-2-Wege-Halsstab sowie ein Kohlefaserstab in der Kopfplatte.

Über den Black-Tusq-Sattel gelangen die Saiten zu den Keith Banjo D-Tunern, mit denen während des Spielens für jede Saite die Stimmung verändert werden kann. Die an den Saiten befestigten Wittner-Violin-Tuner dienen zum Feinstimmen. (Bild: Roland Hutzenlaub)

Die Pickups setzen sich aus einem Mimesis-Kudos-Schalllochtonabnehmer mit Mikrofon, einem Fishman-BP-100- Bass-Pickup als Deckentonabnehmer und mehreren K&K-Big-Spots-Decken-Piezo-Tonabnehmern zusammen. Der Output läuft über eine Neutrik-etherCON-CAT6A-Buchse.

Wer Alexandr Misko schon einmal auf der Bühne gesehen hat, kennt seinen Wust an Kabeln, die aus mindestens fünf Buchsen aus seiner Gitarre kommen. Dieses hat sich bei der neuen Gitarre erledigt: Die Baton Rouge Alexandr Misko Signature benötigt nur eine einzige Buchse und ein einziges Kabel, eine Klotz-Sonderanfertigung, die gesplittet wird. Geplant ist die in der Signature-Version recht kostspielige Gitarre technisch zu verschlanken und sie dann in einer zahlenmäßig noch nicht endgültig festgelegten Serienproduktion einer größeren Zielgruppe zu einem erschwinglichen Preis anzubieten.

DAS INTERVIEW

Alex, die wichtigste Frage zuerst: Hältst du deine neue Gitarre schon in den Händen?

Ja, es gibt sogar bereits drei oder vier Videos, in denen ich die neue Gitarre spiele. Die ersten Clips dienen allerdings nur zu Demonstrationszwecken.

Handelt es sich bei deinem Exemplar noch um den Prototypen oder bereits um das endgültige Modell?

Es gibt bislang nur diese eine Gitarre, deshalb ist sie zugleich auch der Prototyp, an dem wir bis vor wenigen Tagen noch hinsichtlich einiger Feintunings geschraubt haben. Der Aufbau ist ziemlich komplex, deshalb wurde ständig kontrolliert, ob alles funktioniert. Um die Gitarre eigenhändig testen zu können, musste ich über Monate warten, denn wegen Corona durfte ich nahezu ein Jahr lang nicht nach Deutschland reisen.

Gab es konkrete Vorgaben?

Das Ziel war natürlich eine Traumgitarre, mit allen Features, die mir das Handling erleichtern. Wichtig sind die diversen Pickups und vor allem die Hipshot-Bridge, die es in dieser Form bislang nur sehr selten – und bei Akustikgitarren überhaupt noch nicht – gegeben hat. Lediglich Michael Manring, einer meiner wichtigsten Einflüsse, verwendet auf seinem Bass etwas Ähnliches. Mein Wunsch war, das Tuning der Saiten nicht nur an den Mechaniken, sondern auch an der Brücke verändern zu können, um weitere Tuning-Optionen zu erhalten. Wichtig war natürlich, trotz unterschiedlicher Tunings eine hohe Stimmstabilität zu gewährleisten.

Das Resultat ist eine sehr spezielle und deshalb auch ziemlich kostspielige Gitarre, die in dieser komplexen Form wohl nur für wenige Musiker Sinn ergibt. Deshalb arbeiten wir bereits an einer vereinfachten Version, die preislich bei etwa 1000 bis 1200 Euro liegen dürfte. Allerdings: Wer ein exakt gleiches Exemplar meines Signature-Modells mit sämtlichen Features haben möchte, kann es für etwa 15.000 Euro ordern.

Wie weit seid ihr mit den Planungen eines Serienmodells?

Wie gesagt: Meine eigene Gitarre ist quasi fertig, es müssen lediglich noch ein paar wenige Finetunings vorgenommen werden. Das Serienmodell wird mehr oder weniger identisch aussehen, allerdings mit deutlich weniger Pickups, denn wer benötigt eine dermaßen große Anzahl Tonabnehmer? Diese Reduktion wird die Gitarre weitaus günstiger machen. Ich hoffe, dass Anfang 2022 das Serienmodell fertig ist, denn ich möchte es persönlich testen, um sicherzustellen, dass es tadellos funktioniert. Immerhin steht da mein Name drauf, und ich möchte die Leute nicht enttäuschen.

Was war die schwierigste Herausforderung bei der Herstellung des Prototyps?

Die Umsetzung der meisten Ideen war dank unseres Konstrukteurs Stefan Zirnbauer nicht allzu kompliziert: dreiteiliger Hals mit Gotoh2-Wege-Stab und Kohlefaserstab in der Kopfplatte, eine spezielle Korpus-Konstruktion mit zwei Kohlefaser-Rohren zwischen Hals- und Endblock sowie zwei Kohlefaserstäben, die bis in den Oberklotz reichen. Schwierig dagegen war, die Brücke stimmstabil zu machen, denn die Tuning-Optionen sind ja wirklich ungewöhnlich. Mit der Hipshot-Bridge kann jede Saite nochmal zwei Töne tiefer gestimmt werden. Zusätzlich zu den Banjo-Tunern habe ich also pro Saite drei zusätzliche Töne, insgesamt also vier verschiedene Noten.

Womit sich natürlich auch jedes Mal der Saitendruck verändert.

Richtig, zumal man nicht nur eine, sondern gleichzeitig drei oder vier Saiten und damit den gesamten Akkord verändern kann. Womit nicht nur die Saitenspannung, sondern auch die Reibung variiert, was bei der Gestaltung des Sattels natürlich berücksichtigt werden musste. Kein leichtes Unterfangen, aber es hat funktioniert. Wir mussten Fender-Rollensättel nehmen, um die Reibung auf beiden Seiten zu minimieren. Aber da es von Fender keine Custom-Brücken oder -Sattel gibt, mussten wir den Rollensattel sowohl für den Sattel als auch für die Brücke in Einzelteile schneiden. So etwas habe ich bei einer Akustikgitarre noch nie gesehen.

Musst du dir wegen der verwendeten Fanned Frets einen anderen Stil angewöhnen?

Nein, die Gitarre, die ich zuletzt gespielt habe, hat auch Fanned Frets. Rückblickend war die Umstellung sowieso nicht schwer, auch wenn Fanned Frets freakig aussehen und scheinbar schwierig zu spielen sind. Doch das ist nicht der Fall, außer man spielt dauerhaft einen G-Dur-Akkord als Barré-Griff. Meine neue Signature-Gitarre hat 26 Bünde, also noch mehr als die vorherige – nicht weil ich da oben greife, sondern weil ich so die Flageoletts besser treffe.

Und die Fanned Frets haben einige echte Vorzüge, denn je länger die Bass-Saiten sind, umso stimmstabiler bleiben sie. Für meine sehr tiefen Tunings ist dies ein wichtiger Vorteil. Außerdem sehen Fanned Frets lustig aus, klingen super und sind leicht zu spielen. Das allerdings müssen wir möglichen Kaufinteressenten wohl explizit erklären, denn auch die Serienversion wird Fanned Frets haben. Die Leute müssen verstehen, dass sie keine Angst davor haben müssen.

Wie ist die Saitenlage? Genauso wie bei deinen bisherigen Gitarren?

Aufgrund meiner besonderen Spieltechnik muss die Saitenlage bei mir natürlich so flach wie möglich sein. Wegen der Hipshot-Brücke ist sie in diesem Fall aber natürlich ein Kompromiss. Ich liebe Pickups und daher ist die Gitarre mit all den Tonabnehmern perfekt für mich. Sie erzeugt exakt den Sound, den ich beim Spielen im Kopf habe und der zu einem integralen Bestandteil meiner Musik geworden ist. Die Saitenlage muss so angenehm sein, dass man intuitiv das spielt, was einem der Kopf sagt, ohne unbewusst zu befürchten, an der einen oder anderen Stelle nicht genügend Druck auf die Saiten zu bekommen, da die Saitenlage zu hoch ist.

Mit welchen Saitenstärken funktioniert deine Gitarre am besten?

Ich spiele seit vielen Jahren Ernie-Ball-Bronze-Strings. Am besten funktionieren sie in der Kombination .013 auf .056, dann sind sie enorm stimmstabil. Es handelt sich dabei nicht um ein CustomSet, sondern um die ganz normale Serie. Auf meinen regulären Sechssaitern spiele ich zumeist in Ais oder Gis, also sehr tief. Bei den meisten meiner Tunings wurde ich von Jon Gomm inspiriert. Letztlich funktioniert die Gitarre mit fast jedem Saitensatz.

Eine interessante Idee ist auch die Verwendung von gleich drei Holzsorten für den Korpus. Hast du alle drei persönlich ausgesucht?

Ja. Ich sagte mir: Weshalb nicht meine drei Lieblingshölzer zusammen in einer Gitarre verbauen? Also haben wir Sitka-Fichte für die Decke, Indisches Palisander für die Zargen und Nussbaum für den Boden verwendet.

Wie wichtig ist dir der reine Akustik-Sound der Gitarre, der ja nicht nur vom Holz, sondern auch vom Sattel und der Brücke abhängig ist?

Der Akustiksound war zwar wichtig, hatte aber nicht die oberste Priorität. Die HipshotBrücke fungiert als Tailpiece, deshalb mussten wir darunter einen dicken Holzblock montieren, um ihr Stabilität zu geben. Um dennoch einen guten Akustiksound zu bekommen, sollte die Decke nicht zu dick sein, denn dann wäre sie zwar stabil, hätte aber nicht mehr genügend Resonanz. So entstand die Idee mit den Kohlefaser-Rohren. Aber mit all der Technik, den Pickups – es gibt allein 14 Piezos in der Gitarre, plus Mikro, plus einen magnetischen Tonabnehmer – und insgesamt sechs Ausgängen ist der Akustiksound nicht mehr allzu wichtig, zumal ich die Gitarre sowieso nie unplugged spielen werde.

Bei der vereinfachten Serienversion werden wir auf den Akustiksound jedoch größten Wert legen, damit interessierte Käufer nicht enttäuscht sind. Man kann die Gitarre über die Pickups spielen, man muss es aber nicht, denn sie klingt auch akustisch sehr gut.

Ist die Gitarre im Vergleich zu deinen bisherigen Modellen besonders schwer?

Ehrlich gesagt haben wir uns im Vorfeld darüber keine Gedanken gemacht, denn ich bin groß und stark. (lacht) Aber natürlich ist sie aufgrund der Features, der vielen Pickups etc. relativ schwer, ich tippe auf ca. vier Kilo, etwa so viel wie ein normaler E-Bass. Akustikgitarren liegen für gewöhnlich nur bei zwei bis zweieinhalb Kilo, aber für mich ist das höhere Gewicht okay, während es für Frauen möglicherweise zu hoch ist, und von den Maßen wohl auch zu groß.

Hast du schon ausgerechnet, wie viele verschiedene Tunings du mit der Gitarre spielen kannst?

Nein, noch nicht. Es sind unfassbar viele. Aber ich habe nicht vor, sämtliche Tunings in einem einzigen Song zu verwenden. Die Gitarre bietet einfach weitere tolle Optionen, und die bisherigen Videos, die ich veröffentlicht habe, zeigen lediglich Snippets, die ich mit der neuen Bridge im Hinterkopf entworfen habe. Allerdings fange ich ja auch gerade erst an, die Gitarre kennenzulernen.

Welchen neuen künstlerischen Aspekt erwartest du von ihr?

Ich hoffe, dass sie nicht nur all die Tunings und Techniken abdeckt, die ich sowieso spiele, sondern neue abgefahrene Ideen und mehr Optionen als bisher bringt.

Danke für das interessante Gespräch, Alex, es wird spannend werden!

(erschienen in Gitarre & Bass 01/2022)

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