Stimmen im Wind

Test: Walrus Audio Mako R1

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(Bild: Dieter Stork)

Noch vor einigen Jahren ertranken die Pedaleros in einer endlosen Flut an Overdrive-Pedals. Heute scheint es, als hätten aufwendige Reverbs diesen Platz in der Szene eingenommen. Ist das Reverb-Pedal also das neue It-Piece? Und kann Walrus Audio mit seinem R1 überzeugen?

Walrus Audio aus Oklahoma City (USA) hat sich vom kleinen Boutique-Hersteller zu einem mittelgroßen Anbieter von teils außerordentlich populären Pedalen gemausert. Ihr meistverkauftes Produkt ist der Julia-Chorus, und wie die meisten Walrus-Geräte punktet er auch mit seiner grafischen Gestaltung.

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Das R1 weist ein radikal anderes Design auf, ebenso wie die anderen Vertreter der Mako-Serie, das D1-Delay und die ACS1-Amp/Cab-Sim. Hall ist für Walrus nichts Neues – mit dem Descent, Fathom und zuletzt dem Slö legten die Jungs und Mädels aus dem mittleren Westen bereits eigenwillige Raum-Pedale vor. Doch keines verfügt über ein Füllhorn an Funktionen, wie es das R1 anbietet. Das hat freilich auch seinen Preis: Mit deutlich über € 300 kämpft die Mako-Serie in einer anderen Liga, möchte aber auch mehr leisten als die bisherigen Walrus-Geräte.

Mit 12 x 6,3 x 6,5 cm entspricht das R1 in etwa den MXR-Standardmaßen. Das matte Gehäuse wirkt edel und robust. Die 359 Gramm machen beim Gewicht des Pedalboards den Kohl auch nicht fett. 300mA Stromhunger des R1 wollen jedoch beachtet werden. Die beiden MIDI-Slots befinden sich stirnseitig – da fanden Stromanschluss, Stereo- und Mono Ein- und Ausgänge sowie ein USB-Anschluss keinen Platz mehr und wanderten an die Seiten. Das Walrus Audio R1 bleibt, mit all seinen Funktionen, dennoch eine konkurrenzlos kompakte Ansage an die großen Teile von Strymon & Co.

EIN VOLLES COCKPIT

Das R1 macht mit so einigen Reglern und Switches auf engstem Raum erst mal Angst, und ein genaueres Studium der Anleitung wird dringend empfohlen, da die Bedienung nicht selbsterklärend ist. Die beiden Fußschalter sind (True-)Bypass links und „Sus/Latch“ rechts. Letzterer ist der von vielen anderen Reverbs bekannte Schalter, mit dem man die Hallfahne entweder „halten“ (solange man auf dem Switch steht) oder automatisch auf endlos schalten kann. Mit diesem Treter werden – in Kombination mit dem Bypass-Switch – auch die Presets gespeichert und angewählt.

Darüber befinden sich drei Mini-Switches. Der Linke schaltet im Zusammenspiel mit dem darüber liegenden „Tweak-Knob“ durch verschiedene Einstellmöglichkeiten. Hauptsächlich wird damit die mittlerweile bei Reverbs obligatorische Chorus/Vibrato-Modulation gesteuert. Je nach Position des Switches kann man Intensität und Geschwindigkeit des Vibratos oder die Verzögerung der Hallfahne steuern.

Der mittlere Switch wählt die drei Preset-Banks an. Das Pedal erlaubt (ohne MIDI) 3×3 = 9 Presets, mit MIDI sind es 128. Der rechte Switch arbeitet mit dem darüber liegenden Tune-Poti und dient der Feineinstellung von Höhen und Bässen in der Hallfahne, daneben – im „X-Mode“, den man auch von früheren Walrus-Pedals kennt – beeinflusst man die Spezial-Sounds der Modi.

Für diese befindet sich in der Poti-Reihe darüber mittig ein Rotary-Schalter, der bei Betätigung nicht „einrastet“, sondern stufenlos arbeitet – das finde ich haptisch unbefriedigend, funktioniert aber problemlos. In der obersten Poti-Reihe sehen wir links Decay, womit die Abklinglänge der Hallfahne eingestellt wird, in der Mitte Swell und rechts den selbsterklärenden Mix-Regler. Swell hat es in sich – nur bei Linksanschlag erklingt die Hallfahne so, wie man es erwartet. Dreht man das Poti in Uhrzeigerrichtung auf, schneidet der R1 das Attack des Originalsignals ab, sodass man einen orchestral anschwellenden Effekt erhält – je weiter man aufdreht, desto ätherischer und „ungitarristischer“ wird die Sache. Filmreif.

UNENDLICHE WEITEN

Womit wir bereits auf einer Reise in unendliche Weiten wären. Qualitativ steht das R1 seinen Vorgängern in nichts nach. Sauber, stabil und ohne digitale Fragmente oder unangenehmes Klirren erklingen die Sounds. Beim Einschalten herrscht aber erst mal Verwirrung: Das R1 hat keinen Live-Modus, man befindet sich sofort in einem Preset. Je nachdem wie dieses eingestellt war, als das Pedal zuletzt abgeschaltet wurde, entspricht der ertönende Klang also nicht dem, was man mit Blick auf die Regler erwartet.

Legt man Hand an, gibt sich das schnell; auf der Bühne erfordert das aber ein gewisses Mitdenken. Verwirrung entsteht erneut durch die vielen Regler. Was machen die Tweak/Pre-Delay- und die Tune/ X-Kombination in diesem oder jenem Sound-Modus nochmal? Blick ins Handbuch … aaaa-ha. Kurz gesagt: Das R1 erfordert Einarbeitung und ist nicht auf Plug-and-Play ausgelegt. Darunter fällt auch das Speichern und Abrufen von Presets:

Um sie abzurufen, wählt man mit dem mittleren Mini-Toggle die jeweilige Bank an und switcht dann mit beiden Fußschaltern gleichzeitig (!) durch. Dabei verändert sich die rechte LED farblich, um anzuzeigen, in welchem Preset man sich befindet. Äh, okay … das macht man dann mal im hellen Tageslicht eines Sommerfestivals, in der Hitze des Gefechts, während die Bandkollegen nervös gucken! Auch wenn das mit einem gesunden Erinnerungsvermögen und ohne Alkohol-Einfluss praktikabel sein sollte, wurde das bei anderen Geräten schon einfacher gelöst, meist über ein größeres Format. Genug gemeckert – wie klingt denn das R1?

Spring: Wie der Name sagt, handelt es sich hier um die Simulation eines Federhalls. Klingt toll, ob dem analogen Connaisseur die Authentizität des Gebotenen genügt, muss er selbst wissen. Für mich ist die Soundqualität so gut, dass dieser Modus schon reichen würde. Wie oben erwähnt, lässt sich der Hall per Chorus/Vibrato-Effekt auch noch von schwummerig bis seekrank modulieren, während X eine kaum wahrnehmbare Verzerrung auf die Hallfahne gibt.

Hall: Ebenso selbsterklärend, handelt es sich hierbei um die ganz große Lagerhalle, in die man seine Gitarre reinrockt. X stellt hier die Raumgröße ein.

Plate: Emuliert wird hier ein analoger Plattenhall wie der EMT 140. Dieser Hallmodus klingt deutlich metallisch, was man mit dem X-Modus zähmen und wärmer machen kann.

BFR: Wir begeben uns nun in den experimentellen Ambient-Bereich. BFR steht für „Big Fu**ing Reverb“, und ist im Prinzip wie Hall, nur mit stärkeren Diffusionen. Hier stand wohl der Descent aus dem Walrus-Programm Pate, und ja, es klingt nach riesiger Tropfsteinhöhle. Ein wohlig-gruseliger Sound. X erhöht hier die Diffuionsrate der Mikro-Delays des Reverbs in der „Höhle“ und verwäscht den Sound immer mehr.

RFRCT: Die Abkürzung steht für „Refract“. Zusammen mit dem letzten Modus (Air) für mich der beeindruckendste Sound des Pedals. Die Hallfahne wird hier frakturiert: Leichte, zufällige Verzerrungen und digitale Glitches werden hinzugefügt, sodass ein Effekt wie von atmosphärischen Störungen in einem Radiosignal entsteht, der sich mit Tweak und Tune interaktiv einstellen lässt. Der Effekt ist so inspirierend, dass spontan neue Songideen aus den Fingern sprudeln und man die Zeit vergisst – kein Witz, so war es beim Test!

Air: Der letzte Modus des R1 ist … ich kann es nur mit dem englischen Wort „haunting“ beschreiben. Der Hallfahne wird hierbei nicht nur ein leichter Schimmer, sondern auch ein … nennen wir es „Windgeräusch“ hinzugefügt, das sich mit X verstärken oder ganz abdrehen lässt. Man will es aber hören, glaubt mir. Und sich dann stundenlang in melancholischen Akkordtexturen verlieren. Dann noch Swell aufdrehen … hach, Stimmen im Wind …

RESÜMEE

Der Hallpedal-Markt ist hart umkämpft, und Platzhirsche wie das Strymon Big Sky haben bereits vor Jahren die Latte sehr hoch gehängt. Das R1 liefert MIDI-Funktionalität in einem vergleichsweise kleinen Format und trumpft damit gegen die großformatige Konkurrenz auf. Die Qualität der gebotenen Sounds ist sehr hoch, wobei das Pedal sehr feine Anpassungen an den Geschmack erlaubt. Negativ aufgefallen ist mir die – sicherlich dem kompakten Format geschuldete – Bedienbarkeit, die aber erfahrene Pedaleros nicht überfordern sollte; ob das Ganze live-tauglich oder eher fürs Studio geeignet ist, muss jeder auf Basis seines persönlichen Bühnenangst-Levels entscheiden. Andere Pedale sind da idiotensicherer.

Sicherlich entfaltet das R1 die schiere Schönheit seiner Sounds vor allem im Ambient-Bereich und bei Solokünstlern. Im Band-Getöse dürften gerade die Spezial-Sounds RFRCT und Air leicht untergehen. Doch diese beiden Modi haben mich unglaublich inspiriert – und wären allein schon Grund für den Kauf.

www.walrusaudio.com

Preis (Street): ca. € 369

PLUS

● sehr kompaktes Format
● extrem inspirierende Sounds
● hohe Vielseitigkeit
● MIDI

MINUS

● keine allzu leichte Bedienbarkeit

(erschienen in Gitarre & Bass 04/2021)

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