Red Brüll-Bull

Test: Walrus Audio Eras

Anzeige
(Bild: Dieter Stork)

Luxus-Zerre, die zweite: Nach dem Multi-Overdrive Ages aus dem vergangenen Jahr präsentiert Walrus Audio mit dem Eras nun dessen Distortion-Pendant. Auch hier stehen fünf Grund-Sounds zur Verfügung, die umfangreich feingetunt werden können. Und das natürlich wieder unter einer originell designten Haube.

Fangen wir gleich mal mit der Optik an: Die ist natürlich wie immer Geschmackssache, aber meiner Meinung nach hat sich die US-Company mit Sitz in Oklahama City beim Eras – nach bereits vielen außergewöhnlichen Designs – noch einmal selbst übertroffen. Der „geflügelte Stier auf rotem Grund“ ist definitiv ein echter Hingucker, der nicht nur auf dem Board einiges hermacht. Zu Beginn der Testphase dachte ich, dass es sich hierbei um eine spezielle mystische Figur handelt, auf die sich auch der Name bezieht, bis mir (glücklicherweise schnell) klar wurde, dass die Bezeichnung Eras, also „Ären“ oder „Epochen“, sich an die seines Gegenstücks Ages („Zeitalter“, „Ewigkeit“) anlehnt. Offensichtlich sind beide gekommen, um zu bleiben.

Anzeige

Und dafür haben die Entwickler auch diesem Pedal einiges mit auf den Weg gegeben: Neben den obligatorischen Reglern für Zerranteil (Gain) und Lautstärke (Vol) besitzt es einen Zweiband-EQ, über den sich Bässe und Höhen sowohl boosten als auch zurücknehmen lassen, einen Fünfweg-Drehschalter in Poti-Form für die Modes sowie einen Blend-Regler, der Effekt- und Eingangssignal zusammenmischt. Also alles wie schon beim Ages. Fast.

Einen kleinen Unterschied gibt es: Blend nannte sich beim Ages „Dry“ und fügte dem Effekt-Ton bei Rechtsdrehung nach und nach das trockene Signal hinzu. Beim Eras ist es andersherum – Blend mischt dem am Input eingehenden Klang fließend den Zerrsound zu. Rechts heißt hier also „Vollgas“, links passiert in Sachen Drive nichts. Dieses Poti hält einige interessante Anwendungsoptionen in petto, wie wir bald sehen werden.

SOUNDS & EMPFINDUNGEN

Herzstück des Pedals ist der Mode-Regler mit seinen fünf Positionen, bei denen sich die heftig zerrenden Sounds teils mehr, teils weniger unterscheiden – was auch massiv von subjektiven Komponenten abhängt.

Kleiner Exkurs zum Thema Klang-Empfinden: Der Verfasser dieser Zeilen hatte vor einigen Jahren die Gelegenheit, Rammstein-Gitarrero Richard Kruspe im Rahmen seines Nebenprojektes Emigrate zu interviewen. Mit am Tisch saß Richards dortiger Partner Arnaud Giroux, der dessen Detailverliebtheit in puncto Gitarrensound in etwa so beschrieb: „Richard bastelt ewig daran herum. Einmal spielte er mir einen veränderten Part vor und ich hörte keinen Unterschied. Ich brauchte mehrere Durchläufe, um zu erkennen, welche Details er variiert hatte. Für ihn hingegen war der Unterschied ganz deutlich.“

Dieses kleine Beispiel mag belegen, dass es für das eine Paar Ohren so gut wie keine Unterschiede zwischen verschiedenen Optionen gibt, wohingegen ein anderes klare Abweichungen registriert – und sich auch näher damit beschäftigen mag. Und auch die Anwendungssituation macht natürlich einen Unterschied: Spiele ich im Kreise meiner Hobby-Band mit vier anderen Instrumenten oder lote ich im Studio die Tiefen meiner Gitarrenspur aus?

Nach diesem kleinen Gedankenspiel zurück zum Sound-Center des Eras. Die fünf Presets lassen sich in zwei Kategorien einteilen: Die ersten drei Optionen kommen mit einem leichten Mid Cut, bei den Varianten 4 und 5 ist diese Mittendelle stärker ausgeprägt, sie werden vom Hersteller auch als „Rhythm Modes“ bezeichnet. Ansonsten unterscheiden sie sich durch verschiedene Clipping-Modi mit entsprechenden Dioden. In Modus 1 und 4 gibt es ein LED-Hardclipping, bei 2 und 5 kommt Silizium zum Einsatz, Modus 3 kombiniert beide Formen. Walrus gibt dazu folgende Sound-Beschreibungen:

Mode 1: schnelle Ansprache, ideal für Palm Mutes
Mode 2: etwas weicher und komprimierter
Mode 3: voller Klang mit viel Sustain
Mode 4: gescoopte Mitten mit straffem Ansprechverhalten
Mode 5: warmer und voller Rhythmussound

Inwieweit man diese Vorlagen für sich erkennt und einsetzt, bleibt einem jeden selber überlassen – siehe die Empfindungsdifferenz zwischen Richard Kruspe und Arnaud Giroux. Walrus Audio bezeichnet die Modes entsprechend als „Geschmacksrichtungen“ oder „Aromen“. Da diese aber in ihrem Kontext allesamt vorzüglich munden, kann man dies auch ganz einfach so formulieren: Das Eras bietet fünf Charakter-Variationen im Hi-Gain-Segment, mit denen sich auf breiter Front bestens arbeiten lässt – vor allem wenn man bedenkt, welche Möglichkeiten in Sachen Finetuning das Pedal sonst noch bietet.

ERWEITERTER ZUGRIFF

Die erste Option hierbei ist der beherzt eingreifende Zweiband-EQ, der diese Aromen auf Wunsch deutlich variieren kann – dreht man beide Potis voll auf, ertönt ein sehr spezieller Klang, der eher als Spezial-Effekt denn als klassischer Hardrock/Metal-Sound durchgeht, was dem Pedal eine weitere Facette verleiht. Aber er kann natürlich auch subtiler eingreifen und den individuellen Favoriten-Modus dezent bis kräftig optimieren.

Und dann gibt es ja noch den Blend-Regler, der die Zerre des Eras dem anliegenden Signal hinzufügt. Je nach Stellung lässt sich die Transparenz des Tons erhöhen, auch wenn ich beim Riff-Spiel stets den Rechtsanschlag bevorzugt habe, aber speziell bei Singlenotes oder Sololinien bietet dieses Poti zusätzliche Möglichkeiten. Doch es eröffnet noch ganz andere Optionen – etwa wenn man einen Bass in die Hand nimmt und seinem Ton eine ordentliche Prise Lemmy hinzufügen möchte, ohne sich vollends im Distortion-Dschungel zu verlieren.

Gut funktioniert auch das Zuregeln des Zerranteils zu einem am Input anliegenden Chorus-Sound, prächtig experimentieren lässt sich hier zudem mit Gain-Stacking, bei dem das Eras einem vorgeschalteten Crunch- oder Zerrsound beigemischt wird. Fazit: Mit dieser Option lassen sich auch ungewöhnlichere Farbtöne abseits von schwarz und weiß anmischen – und das alles mit einer Handumdrehung.

VIELFALT IM VERGLEICH

Der zentrale Punkt ist und bleibt jedoch die Zerrauswahl über die fünf Presets. Bevor ich darauf noch einmal eingehen möchte, fangen wir beim generellen Wesen des Eras an: Getreu seiner Bestimmung als Distortion-Pedal sind angezerrte Klänge mit voll aufgerissener Gitarre nur sehr bedingt möglich, selbst bei Linksanschlag des Gain-Potis erklingt mit einer angeschlossenen Tele ein Sound, den man in der Rubrik „Heavy Crunch“ einordnen könnte.

Welchen der Grund-Sounds man wählt, hängt neben dem eigenen Geschmack auch von der Position in der Band ab – welchen Part übernehme ich, welchen Klang kann ich dafür am besten einsetzen? Da geht es nicht um besser oder schlechter, es ist vielmehr eine Frage der Anwendung. Im Test kam neben der Tele auch eine Humbucker-bestückte EVH Wolfgang Special zum Einsatz. Mit beiden Gitarren lieferte das Eras je fünf durchweg überzeugende Klang-Optionen mit reichlich Gain-Reserven, die über die weiteren Potis akkurat dem persönlichen Geschmack angepasst werden konnten.

Welche Möglichkeiten sich daraus ergeben, wurde klar, als ich zum Abschluss eine rot-gelb-schwarz-grüne Koalition auf dem Effektboard versammelte. Im direkten Vergleich mit drei anderen bissigen Distortion-Pedalen aus dem Fundus des Autors – einem MXR Distortion +, einer Rat sowie einem Maxon Sonic Distortion – zeigte sich das Eras aufgrund seiner Ausstattung und den damit verbundenen Optionen klar als das vielseitigste Pedal der Abordnung. Gelb, grün und schwarz konnten zwar mit ihren jeweiligen Sounds punkten, der geflügelte Stier jedoch hatte mit Abstand die größte Bandbreite zu bieten.

(Bild: Dieter Stork)

RESÜMEE

Wer ein vielseitiges Distortion-Pedal mit klugen Zusatz-Features sucht, könnte mi t dem Eras viel Freude haben. Die jüngste Kreation aus dem Hause Walrus Audio bietet nicht nur eine große Palette sehr guter Grund-Sounds, mit Optionen wie dem Blend-Regler und dem effektiven EQ lassen sich neben klassischen auch ungewöhnliche Klänge erzeugen, die deutlich über das normale Maß hinausgehen – ebenso wie die beinahe schon spektakuläre Optik des Pedals. Wie mit dem Ages hat die US-Company auch hier voll ins Rote, pardon, Schwarze getroffen.

PLUS

● breite Palette an Distortion-Sounds
● Blend-Option
● flexible EQ-Sektion
● außergewöhnliche Optik

(erschienen in Gitarre & Bass 12/2021)

Produkt: Treble Booster Special
Treble Booster Special
Jeder Gitarrist hat wohl seinen Lieblings-Song mit einer Treble-Booster-Gitarre. Hier erfährst du auf mehr als 30 Seiten alles über den kleinen Sound Zauberer!

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.

Das könnte dich auch interessieren