Test: Tausch Electric Guitars 665 RAW Royal Purple
von Michael Dommers, Artikel aus dem Archiv
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LOVE @ 1ST SIGHT
Zugegeben, diese 665 RAW ist nicht die erste Tausch Guitar, die ich in Händen habe. Das Phänomen dürfte den Meisten bekannt sein: Du nimmst eine Gitarre, spielst die ersten Töne und weißt sofort, die isses! Das passiert mir nicht oft, aber genauso ist es hier. Ich muss mich nur kurz an die 665 mm Mensur gewöhnen, wegen der etwas größeren Bundabstände besonders in den Bünden 1-5. Das nicht zu dünne ovale C-Profil, der gerelicte Rücken mit holzig-warmem Grip, die verrundeten Griffbrett- und Bundkanten, die Compound-Radien, die ultraflache, schnarrfreie Saitenlage, das geringe Gewicht, die Ausgewogenheit am Gurt und auf dem Bein. Das fluppt und fließt spätestens ab Sekunde 10. Zudem spricht die Gitarre unglaublich direkt und artikuliert an, zeigt rekordverdächtige, leicht perkussive Tonentfaltung und beeindruckend langsam und kontinuierlich abklingendes Sustain. Da kann gerade mal meine beste Paula mithalten. Obgleich die 10-46 Saiten straffer als auf einer 648er Fender- oder gar auf einer 625er Gibson-Mensur erscheinen, tut das dem Spielkomfort der 665 RAW keinen Abbruch.
Dank semiakustischer Konstruktion erzeugt die unverstärkte Gitarre ein extrem kraftvolles, voluminöses, lautes und sehr ausgewogenes obertonreiches Klangbild, bei dem Hals und Body deutlich spürbar resonieren und Akkorde transparent, lebendig und präzise mit sauberer Saitentrennung dargestellt werden. Welchen Einfluss nimmt nun der Zwetschgenblock auf den Klang?
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Zwetschgenblock mit Messinghülsen. Gewindeschrauben und Muttern stabilisieren das Krallenblech. (Bild: Dieter Stork)
Ich habe den Eindruck, als töne er etwas runder und wärmer als ein Stahlblock und zeigt keineswegs Einschränkungen beim Sustain. Für einen aussagefähigen Direktvergleich müsste ich die 665 auf einen solchen umrüsten. Aus Erfahrung weiß ich jedoch, dass die klanglichen Unterschiede z.B. zwischen Stahl- und Messingblöcken eher im Cleanbetrieb und dann auch nur marginal hörbar sind. Deutlicher sind sie indes bei Zinkguss und Stahl. Fakt ist, dass unsere Protagonistin mit dem Holzblock phantastisch klingt und ich keinerlei Drang verspüre, das Klangbild modifizieren zu wollen.
Der Hals-Tauschbucker entpuppt sich als sehr gelungene und geschmackvolle PAF-Interpretation. Er klingt wunderbar warm und setzt die Vorgabe durch die Korpusbauweise perfekt um, trennt die Saiten bei Akkorden sauber, glänzt mit hoher Transparenz, süßlichen Höhen und Schmatzen bei jedem Anschlag. In der Stegposition agiert ein Häussel VIN+ mit AlNiCo5-Magneten, der als heißere PAF-Variante einen vollen kräftigen Ton mit straffen, knackigen, druckvollen Bässen, klar artikulierenden Mitten, luftigen Höhen und reichlich Obertonpotential liefert. Wie der Hals-Pickup zeigt auch er im Zerrbetrieb exzellente Performance, schiebt kraftvoll aber definiert in den Bässen, durchsetzungsstark in den Mitten und Höhen und überzeugt selbst bei komplexeren Akkorden mit perfekter Balance und lebendiger Transparenz.
Im Split Mode des Hals-Humbuckers ist dessen Halsspule mit 5,4 kOhm aktiv. Der charaktervolle Grundcharakter des Pickups bleibt erhalten, es tönt lediglich etwas schlanker, frischer und perlender. In Mittelstellung des Schalters sind der Hals-Humbucker und die Halsspule des Steg-Pickups am Start, die klanglich in Richtung Tele tendieren, wunderbar glockig, insgesamt aber auch etwas perkussiver und runder daherkommen. Die Halsspule des Steg-Pickups im dritten Split Mode gibt sich sehr spritzig und twangy, wenn auch nicht ganz so bissig und scharf wie eine Tele. Alle Split-Varianten liefern auch im Distortion-Betrieb erstklassige, charaktervolle Sounds, erzeugen jedoch konstruktionsbedingt leichtes Brummen.
Dank Locking Tuner und bestens abgerichteten Tusq-Sattels bleibt das schwebend eingestellte Tausch-Vibrato selbst nach (gemäßigten) Dive-Bomb-Attacken überraschend stimmstabil.
Beide butterweich rotierenden Potis zeigen völlig gleichmäßige Regelcharakteristik und lassen sich mit den verschraubten Rändelknöpfen komfortabel und präzise bedienen.
(Bild: Dieter Stork)
RESÜMEE
Eigentlich sollte der Fokus dieses Tests auf dem Vibratosystem und dessen zahlreiche Detailverbesserungen inklusive des hölzernen Blocks liegen. Am Ende kann ich konstatieren, dass das System aufgrund des durchdachten Konzepts und der Verwendung hochwertiger Komponenten sehr gut und angenehm unauffällig funktioniert. Den klanglichen Anteil des Holzblocks möchte ich eher als marginal bewerten, dafür mindert er das Gewicht der Gitarre um immerhin rund 200 Gramm. Noch mehr begeistert mich jedoch die Gitarre selbst, deren Design, Klangeigenschaften, Ansprache, Dynamik, breites Sound-Angebot, Bespielbarkeit, hochwertige Komponenten und vor allem die Verarbeitung. Kein Wunder, dass Rainer Tausch inzwischen auch international einen exzellenten Ruf erworben hat, und das mit Recht. By the way: Klanglich und dank ihrer verlängerten Mensur ist die 665 auch für Drop Tunings prädestiniert.