Die 70er wollen ihre Pedale zurück

Test: Orange Sustain, Distortion & Phaser

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(Bild: Dieter Stork)

Vor einiger Zeit überraschte Orange, legendärer Amp-Hersteller aus UK, mit einer Serie von Effektpedalen, die – ganz im Zeitgeist – grafisch aufwändig gestaltet wurden. Umso verwunderlicher, dass sie nun eine kleine, aber feine Reihe von Tretern auf den Markt werfen, die alles andere als flamboyant auftreten.

Die 1970er-Jahre haben angerufen, sie wollen ihre Pedals zurück“ – diesen Kalauer hatte ich sofort im Sinn, als ich die drei Geräte aus ihren Schachteln holte. Derartig unauffällig, ja spartanisch gestaltet waren Effektgeräte wirklich nur in der Antike – also vor etwa 50 Jahren, wenn man in die Frühzeit der Bodentreter zurückblickt. Eine kleine Recherche liefert ein wenig überraschendes Ergebnis: Bei dem Trio Sustain, Distortion und Phaser handelt es sich in der Tat um Nachbildungen obskurer, fast vergessener Pedale von Orange aus den 1970er-Jahren. Das erklärt einiges.

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Mit Maßen von 112,5 x 89 x 70 (TBH/mm) entsprechen die drei Teile so gar keinem heute geläufigen Standardformat. Befänden sich die Anschlüsse (In/Out/9V-DC-Buchse) nicht stirnseitig, könnte man den doch recht simplen Tretern geradezu Pedalboard-Unfreundlichkeit bescheinigen. Selbst MXR hat ja seine alten Geräte mittlerweile auf Mini-Formate eingeschrumpft, und die Klassiker waren schon nicht groß.

Mit jeweils um die 400g sind die Teile auch nicht eben leicht, zumal sie innen bei weitem nicht prall mit Bauteilen gefüllt sind, sondern mit ganz normalen Platinen. Festgeklebte Gummifüßchen bestärken mich in der Annahme, dass Pedalboard-Freundlichkeit nun wirklich kein Kriterium dieser Neuauflage war – weshalb man die ganze Nummer unter anderen Gesichtspunkten bewerten muss: Es handelt sich um eine nostalgische Reise zurück in die Vergangenheit, inklusive der damals beileibe nicht genormten Maße. Das ist quasi Teil des Konzepts.

Laut Orange gab es den vielfachen Wunsch aus der Community, die alten Pedale – Distortion, Sustain, Phazer (sic!) – neu aufzulegen und mit einigen Features wie LEDs und Netzteil-Buchse zu modernisieren. Man fand tatsächlich die alten Schaltpläne – und Orange-Chefdesigner Ade Emsley machte sich ans Werk. Behutsam merzte er nach genauer Analyse auch so einige Schwachstellen der Originale aus und ersetzte einige Komponenten mit anderen. Ein Batteriebetrieb ist nicht mehr vorgesehen (allerdings sind die Pedale leicht dafür modifizierbar). Und ja, der „Phazer“ heißt jetzt Phaser! Voller Stolz verweist Orange mehrfach darauf, dass die Pedale in Großbritannien gefertigt werden. Das erklärt auch die angesichts des Funktionsumfangs durchaus saftigen Preise. Ob „Global Britain“ da wettbewerbsfähig ist?

SUSTAIN

(Bild: Dieter Stork)

Wir bleiben unpolitisch und widmen uns zunächst mal dem Sustain. Wie beim Original handelt es sich dabei um einen simpel konstruierten optischen Kompressor. Laut Orange bedurfte es eines Online-Aufrufs, um an den originalen Schaltkreis zu kommen. Zwei Regler bestimmen Ausgangspegel (Level) und Kompressionsgrad (Depth), das wars. Das Sustain hat einen „always on“-Buffer, es handelt sich also nicht um ein True-Bypass-Gerät: Die Tonauffrischung wird hier sehr wörtlich genommen.

(Bild: Dieter Stork)

Zudem hat Orange dem Gerät eine sich verändernde LED-Anzeige verpasst: Haut man kräftiger in die Saiten, wird das Licht von blau zu lila und zeigt an, wenn der Kompressor richtig ackert. Der Level-Regler rastet mittig ein, ein Indikator für Unity Gain ist das aber nicht – denn Unity Gain ist etwa bei 10 Uhr am Reglerweg erreicht. Danach boostet das Pedal das Signal bereits. Und was da aus den Boxen kommt, ist allererste Kompressor-Güteklasse: Ein fein aufbereiteter Sound, der so manchem anämischen Clean-Channel am Amp neues Leben einhauchen dürfte. Bei höheren Settings am Depth-Regler stellt sich auch der fröhliche Country- „Plopp“-Sound ein, den man von Kompressoren kennt und bei bestimmten Anwendungen auch liebt. Ansonsten tut das Orange Sustain auf sehr hohem Qualitätslevel das, was es soll.

DISTORTION

(Bild: Dieter Stork)

Laut Orange hat sich unter der Haube des Distortion durchaus einiges im Vergleich zum Original aus den 70ern getan. So wurde das Dioden-Clipping aufgegeben, stattdessen arbeitet das Pedal mit JFETs und hat ein Amp-artiges Tone-Stack bekommen. Bass und Mitten sind unveränderbar voreingestellt, die Höhen lassen sich mittels eines kleinen Trim-Potis auf der Innenseite einstellen. Denn außen befinden sich, wie beim Original, nur zwei Regler: Level und Depth, wobei ersterer die Ausgangslautstärke bestimmt und letzterer die Distortion-Intensität. Auch beim Distortion ist, wenn ausgeschaltet, noch ein Buffer aktiv.

(Bild: Dieter Stork)

Das Pedal hat hohen Headroom, Unity Gain ist schon in der ersten Hälfte des Regelwegs erreicht. Das Distortion kann – bei komplett runtergedrehtem Depth-Poti – auch als Clean-Boost fungieren. Dreht man Gain weiter auf, wird der Ton rauchig und im besten Sinne haarig – bis sich, je nach Pickups, so ab 12 Uhr am Regler dann satte Distortion einstellt, die bei Rechtsanschlag durchaus für klassischen Metal herhalten kann – die Bässe sind auch dann nicht zu matschig und bröselig oder gar fuzzy. Für singende Soli bräuchte man aber dennoch eventuell noch das Sustain-Brüderchen dahinter, es sei denn, man brät mit richtig heißen Pickups in das Teil rein.

Der Sound an sich kann durchaus mit aufgerissenen und mit EL34 betriebenen Verstärkern aus den 1970ern verglichen werden. Mit normalen Humbuckern war mir die Voreinstellung etwas zu matschig in den Bässen, nach Einstellen des Trimpotis ganz nach links klarte der Sound aber wunderbar auf und wurde richtig knackig! Hier empfehle ich also durchaus, mal Hand anzulegen und die für die eigene Gitarre richtige Einstellung rauszufinden. Sehr schade, dass man dazu erst die Klappe abmachen muss. Bei den behutsamen Änderungen aller drei Pedale im Vergleich zu den Originalen hätte es der Authentizität keinen Abbruch getan, wenn man das Trimpoti doch mittels eines kleinen Reglers von Außen bedienen könnte.

PHASER

(Bild: Dieter Stork)

Kommen wir zum (derzeit) letzten im Bunde, dem Phaser. Der ist noch spartanischer ausgestattet als seine Freunde – er hat nur einen Regler: Speed. Keine Trimpotis im Innern, keine Level-Kontrolle oder sonst irgendwas. Dafür ist er als einziger im Bunde True Bypass im ausgeschalteten Zustand. Testen wir mal, ob er „den einen Job“, den er hat, auch gut erledigt. Und ich kann ganz klar sagen: Jawohl. Dieser 4-Stufen-Phaser ist dank eines JFET-Buffers sehr nebengeräuscharm und klingt wundervoll seidig und geschmeidig.

Bei Linksanschlag des Reglers swooshed der Sound im sanften Wellengang auf und nieder. Dreht man das Poti weiter auf, geht das Blubbern los. Es handelt sich dabei nicht um eine total weiche Sinuskurve, sondern der Sound ist durchaus prononciert, und damit auch im Bandgeballer recht durchsetzungsfähig. Ganz nach rechts gedreht kommt man in den Bereich „Träume des Roboters“, laut Ade Emsley ist die Maximal-Geschwindigkeit durchaus etwas schneller als der klassische MXR-Phaser. Wer kein ausgewiesener Modulations-Soundtüftler ist, sondern vielleicht eine etwas geringere Gedulds- oder Aufmerksamkeitsspanne hat, wird hier rundum glücklich.

(Bild: Dieter Stork)

FAZIT

Mit dem Sustain, Distortion und Phaser legt Orange drei für die heutige Pedalszene sehr ungewöhnliche Pedale vor. Sie sind alle äußerlich unspektakulär, in der Ausstattung spartanisch und scheren sich mit ihren Maßen wenig um Pedalboard-Freundlichkeit. Man merkt deutlich, dass hier eine nostalgische Neuauflage von Klassikern im Vordergrund stand – auch wenn unter der Haube einiges geändert wurde; ohne Zugeständnis an die Moderne ging es dann doch nicht ganz. Deshalb will ich das Design hier nicht negativ bewerten. Qualitativ sind alle drei Pedale über jeden Zweifel erhaben, die Soundkultur ist erstklassig.

PLUS

● Soundqualität
● Verarbeitung
● Bedienbarkeit
● Anpassungen an die Neuzeit

MINUS

● Tone-Poti beim Distortion nicht von Außen zugänglich (ist aber historisch korrekt)

(erschienen in Gitarre & Bass 01/2023)

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