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Test: Music Man St. Vincent

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Music Man St. Vincent
(Bild: Dieter Stork)

Music Man vergibt das erste Signature-Instrument an eine Frau! Sollte man vielleicht gar nicht besonders erwähnen, aber verdient ist verdient, denn St. Vincent, bürgerlicher Name Annie Clark, geht die Sache wunderbar unkonventionell an. In Videos und auf der Bühne ist sie eh Bombe, aber die schöne Dame überrascht auch immer wieder mit intelligenten, schrägen und irgendwie quer gedachten Gitarren-Sounds. Neu? Was ist heute im engeren Sinne bei E-Gitarren schon noch wirklich neu? Variation ist Thema! Dennoch: Interessante Frau, die Unabhängigkeit, ja Freiheit atmet … und was kann die Gitarre?

Wen nennt man hier eigentlich Model? Schnittig und durchgestylt treten jedenfalls beide auf … und gegen den Trend gebürstet. Das vorgelegte St.-Vincent-Modell kommt jedenfalls mit Hals und Griffbrett aus Palisander. Das zu Zeiten, wo andere so weit wie möglich weg rudern, vom inkriminierten Tropenholz.

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konstruktion

Keine Frage, die passen perfekt zusammen, Annie Clark und ihr St.-Vincent-Modell, aber keine Sorge: diese Gitarre kann vielen Spielern gefallen, und das vollkommen unabhängig vom Geschlecht. Es beginnt mit der etwas eckigen Gestalt einer schlank gestalteten Korpussilhouette, die aber dank der gut geschnittenen Taille und einer Abgleichung zur Armauflage auf dem herausgeführten Korpushorn hinten oben einerseits, sowie der Anlagebucht am Boden oben auf uneingeschränkt komfortable Handhabung hin ausgelegt ist. Eher aus optischen Gründen erhielt auch der Bereich um die Schalt- und Regelmimik herum einen gradlinig abgeflachten Konturschnitt, der die erhabene Korpusmitte pfeilförmig auf den winkelförmig gestalteten Korpusabschluss hinausführt. Der Korpusplatte aus afrikanischem Mahagoni von etwa 41 mm Stärke setzte man am Korpusboden Fräsungen für ein groß- zügig bemessenes Elektrikfach und das Vibratosystem.

Der Hals aus einteiligem Palisander ist in Höhe des 16. Bundes in den Korpus eingesetzt und über eine Metallplatte mit fünf Schrauben bombenfest fixiert. In das Griffbrett aus nämlichem Material mit 10″ Radius setzte man 22 akkurat verarbeitete, glänzend polierte Bünde (High Profile, Medium Width) und St. Vincent Inlays zur Lagenkennung. Die parallel herausgeführte kleine Kopfplatte bekam Schaller M6-IND Locking Mechaniken in 4 + 2-Anordnung. Der kleine Kopf sorgt für parallele Saitenführung mit kurzen Wegen und ausreichendem Andruck auf den Sattel mit längenkompensierter Ausarbeitung zu, was Saitenniederhalter überflüssig macht.

Music Man St. Vincent
Die kleine Kopfplatte mit 4+2 Locking-Mechaniken (Bild: Dieter Stork)

Mit langer 648 mm-Mensur werden die Saiten zur Music Man Modern Trem Bridge mit Reitern aus gehärtetem Stahl geführt. Das aufliegend montierte und an drei Federn aufgehängte System arbeitet im Messerkantenprinzip und ist mit Einsteckarm ausgerüstet.

Die Elektrik: Drei DiMarzio Mini Humbucker stehen in Kommunikation mit generellen Volume- und Tone-Reglern, deren dreieckige Knöpfe sogar die Reglerstellung erkennen lassen. Die Pickups werden mit dem davor platzierten 5-Weg-Schalter angewählt. Der Blick ins Elektrofach zeigt saubere Arbeit. Die Minipots auf Platine machen die Montage für den Hersteller zwar leichter, spätere Service-Leistungen dagegen eher nicht. Auch lässt sich den größeren CTS-Pots eine längere Lebensdauer zusprechen. Kein Ding, aber warum kann man diese Plastikdeckel eigentlich nicht für plane Oberflächen versenkt montieren?

Ein interessantes Detail: Das Pickguard, auf das die vorderen zwei Mini-Humbucker geschraubt sind, zeigt deutliche Nivellierung. Es ist in der Mitte recht dick und läuft auf die Zargenränder hin flacher werdend aus. Die präzise verarbeitete Gitarre wurde mit Polyester lackiert, der Hals ist mit von Hand poliertem Gunstock Oil versiegelt. Zum Vergleich haben wir dann auch noch das Modell in Stealth Black hinzugezogen. Das hat entgegen der Internet-Auskünfte von Music Man nämlich einen deckend matt lackierten Hals aus Ahorn mit Ebenholzgriffbrett. Geliefert wird St.Vincent in einem verhältnismäßig großen Hartschalenkoffer.

praxis

Das lediglich 3,3 kg schwere St.-Vincent-Modell (die Stealth Black-Variante wiegt sogar nur knapp 3 kg) erweist sich trotz seiner etwas kantigen Formgebung sitzend wie stehend gespielt als ein unerwartet bequem zu handhabendes Instrument. Mit 41,3 mm Breite am Sattel gehört der Hals zu den schlankeren seiner Art. Wem das gefällt, der bekommt ein ausgesprochen griffiges Hälschen in die Hand gedrückt, das sich fast schon von allein spielt. Der lang gezogene Korpus mit seiner etwas angehobenen Armauflage bringt die Schlaghand etwa zwischen Mittel- und Steg-Pickup in perfekte Stellung. Bei Spieltechnik mit abgesenktem Handgelenk profitiert der Spieler zudem von der glatten Auflagefläche der Modern Trem Bridge.

Das akustische Tonambiente der St. Vincent ist deutlich vom Tonholz geprägt. Vor allem der dunkle Palisanderhals bringt die ihm eigene Klarheit und Definition in die straff durchzeichnete Klangtextur ein. Eine pulvertrockene wie ebenmäßige Darstellung, die das Holz förmlich schmecken lässt und Akkorde mit perfekter Saitentrennung plastisch aufzulösen vermag. Da agiert die Black Stealth-Alternative etwas weniger kühl, insgesamt runder und mit mehr federndem Anschlagsverhalten, dafür nicht so ebenmäßig und glasklar definiert.

Music Man St. Vincent
Einteiliger Palisanderhals, fünffach aufgeschraubt (Bild: Dieter Stork)

Gehen wir in den Amp, so müssen wir uns erst einmal mit der etwas anderen Verschaltung der Mini-Humbucker vertraut machen. Die Einzelschaltungen liegen ab Mittelstellung des Blade Switches wie folgt an: Pos. 3 Mitte Hals-Pickup; Pos. 2 Mittel-Pickup, Pos. 1 Steg-Pickup – nur der letzte also wie gewohnt. Die Pos. 4 schaltet Hals-, Mittel- und Steg-Pickup parallel zusammen, die Pos. 5 ganz vorn den Hals- und den Steg-Humbucker ebenfalls parallel.

Die DiMarzio Minis machen sich perfekt in dieser Gitarre, mal vorausgesetzt, man sucht nicht zwanghaft nach Vintage-Gold. Sie unterstützen mit ihrer schlanken, aber kompakt drückenden Tonübertragung das eh schon trocken-knochige Klangambiente effektiv.

In klaren Amp-Einstellungen agiert der Hals-Pickup allein (Mittelstellung des Schalters) klar und straff mit vergleichsweise zurückhaltenden Bässen. Eine gesunde Grundfarbe, mit der die Arbeit dank präzise definierter Darstellung von Mehrklängen Spaß macht und die dann mit Umschalten auf den Mittel-PU lediglich etwas schlanker und deutlich präsenter wird. Zeigt das Spiel über Letzteren schon einen irgendwie kessen Punch, so geht der Steg-Pickup da dann noch deutlich drüber. Der wandelt mit fokussierten Hochmitten schon angriffslustig, auch bissig, aber ohne diese Perforation des Trommelfells von Singlecoils in der Position.

Sehr schön machen sich dann auch die Kombi-Sounds der Positionen 4 und 5. Beide liefern mit parallel geschalteten Pickups erfreulich farbstarke Klangderivate. Die sind schon schaltungsbedingt etwas ausgekämmt, aber sehr schön stimmig und keineswegs mager oder gar spirrig, also eine gute Erweiterung und von hohem Nutzwert.

Das Klangbild der Black-Stealth-Variante mit Ahornhals/Ebenholzgriffbrett bleibt grob gesprochen schon im gleichen Kontext, was Klangstaffelung und Ausrichtung angeht. Dennoch ist der Ausdruck etwas weicher und gefälliger, weniger ebenmäßig und zerlegt in sauber separierte Stimmen. Auch die Umsetzung vom Anschlag ist nicht so knochig, hat mehr Federkraft.

Interessant ist das angelegte Gefälle in den Schaltstellungen mit Amp auf Zerre: die Mitte (Pos.3/Hals-PU allein) zeigt sich rund, straff und maßvoll drahtig, liefert aber dabei den Klang mit den gedecktesten Farben. Von der Mittelposition des Schalters ausgehend wird der Klang nun in beide Richtungen Position um Position heller: nach vorn geschaltet ertönen in Pos. 4 alle drei Humbucker (parallel), dann in Pos. 5 die Kombination von Hals- mit Steg-Pickup (parallel). Das Klangbild ist so angelegt, dass es trotz der parallelen Verdrahtung tatsächlich aufsteigend präsenter wird.

Aus der Mittelposition nach hinten geschaltet ertönen die einzelnen Pickups wie üblich in der Tendenz von dunkel (Pos. 3/Hals-PU) über mittel (Pos. 2/Mittel-PU) nach hell (Pos.1/Steg-PU). Hat man sich erst einmal an die beiden Schaltrichtungen gewöhnt, macht das durchaus Sinn.

Klasse sind die angelegten Sounds in den Einzelschaltungen für Powerchords und die Riff-Fabrik. Klar definiert, leicht knurrig und auch höchst ebenmäßig. Für das solistische Spiel sind in den entsprechenden Farbschattierungen nach angewählter Schaltposition tendenziell glatte und strahlende Sounds mit sattem Sustain zu erzielen. Wie schon erwähnt, steigern sich Präsenz und Kompression mit jeder Schaltstufe, über den Steg gibt es dann kompakt bissige Kante. Allesamt höchst leistungsstarke und farbintensive Sounds, die jede Menge Spaß aufkommen lassen, auch wenn es musikalisch etwas intensiver und dreckiger zur Sache geht. Gut machen sich ebenfalls die Kombi-Sounds mit leicht körnigem und kehligem Crunch. Dabei erscheinen sie ihrer parallelen Verschaltung zum Trotz gar nicht so mager, wie man das aus anderen Instrumenten kennt. Beim Spiel im High Gain hat man mit ihnen dann auch schnelle Farb- und Dynamikabstufungen an der Hand – coole Sache!

Music Man St. Vincent
Drei DiMarzio Humbucker sorgen für variable Sounds. (Bild: Dieter Stork)

Soweit die bevorzugt getestete Vincent-Blue-Variante mit Palisanderhals. Das schwarze Schwesterinstrument mit konventionellem Ahornhals liegt wiederum auf gleicher Linie, was die dynamische Handhabung und die prinzipielle Klangausrichtung angeht. Allein, die im Modus Clean schon bemerkten Aspekte finden auch im Overdrive zu etwas versetztem Ausdruck.

Insgesamt tönt es schon mehr gerundet und die Artikulation ist durch etwas stärkere Mitten wärmer. Dazu wird der Anschlag mit markantem, aber nicht ganz so knochigem Duktus und einer Spur schnellerem Attack herausgestellt. Das aber bewegt sich in engen Grenzen und fragt nach dem persönlichen Geschmack. Meiner tendiert tatsächlich mehr zum Ahornhals, aber das kann man auch ganz anders sehen.

Das aufliegend montierte Modern Trem System ist mit angenehmem Hebelwiderstand eingestellt, aber eher nicht für heftige Dive Bombs geeignet. Bei maßvoller Handhabung kommt man aber auf sehr schön gleitende Modulationen.

resümee

Tolle Sache: Annie Clark repräsentiert einen frischen Zugang zum Instrument, der vom Begriff Kunst im Sinne von Neuschöpfung, bzw. vom Aufmischen bestehender Aspekte inspiriert ist, und das spiegelt sich auch in ihrem Music-Man-Modell St. Vincent. Das nämlich wartet nicht nur mit einer exaltierten, aber unbedingt praxisgerecht austarierten Formgebung auf, es spielt sich auch noch bestens mit seinem schlank rundlichen Hals aus Palisander, der dem speziellen Tonambiente auch noch etwas an Farbe beizugeben vermag.

Das leichtere Black-Stealth-Vergleichsmodell mit Ahornhals agiert mit nur marginal versetztem Klangambiente, zeigt etwas mehr Rundung und Leichtigkeit im Ton, dafür aber weniger Präzision in der Saitentrennung. Wem jetzt der Vorzug zu geben ist, das muss jeder Spieler unbedingt für sich selbst herausfinden. Die Ausstattung mit Mini-Humbuckern von DiMarzio unterstützt mit einer gut gestaffelten Reihe an starken Sounds dieses besondere Instrument. Bestimmt ist das St.-Vincent-Modell so eigen und exklusiv wie seine Namensgeberin, aber wie die kluge Annie Clark so richtig kommentiert: „Das ist ein toller Player! Ich will wirklich, dass die Leute diese Gitarre spielen, nicht wegen mir, sondern um ihr eigenes Ding damit zu machen!“

Da können wir ihr natürlich nur zustimmen. Jetzt bist du am Zug! [2919]

Music Man St. Vincent

Music Man St. Vincent

(erschienen in Gitarre & Bass 12/2017)

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