Kerngeschäft: Crunch

Test: Harley Benton DC-60 Junior

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Harley Benton DC-60 Junior(Bild: Dieter Stork)

Es ist schon schräg, welche Antworten man erhält, wenn man den Begriff „Pelham“ googelt. Erstens: Ein Pferdegebiss. Zweitens: Eine Stadt in Alabama/USA. Und drittens: Nichts weiter … Googelt man dann aber mit der Bilder-Suche weiter, entfalten sich wahre Gitarrenwelten mit einer der vielleicht schönsten Farben der E-Gitarrenhistorie.

Harley Benton, längst berühmt (und bei der Konkurrenz berüchtigt) für ihr ausgezeichnetes Preis-Leistungsverhältnis, haben sich mit der neuen DC-60 Junior der Gibson SG Junior im Allgemeinen und der Farbe Pelham Blue im Besondern angenommen. Das Ergebnis sieht auf den ersten Blick aber mal so richtig scharf aus!

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MATERIE

Die Specs-Liste der DC-60 Junior enthält fast genau die gleichen Features wie eine sechsmal so teure Gibson SG Junior. Lediglich beim Griffbrettmaterial gibt es Unterschiede. Hier verwendet Gibson nach wie vor Palisander, während Harley Benton auf das leicht rötlich erscheinende Amaranth setzt.

Dieses mittlerweile auch vom Aussterben bedrohte Holz wird gerne im gehobenen Innenausbau als Furnier, aber hier und da auch im Instrumentenbau verwendet, dann eher unter dem Namen Purple Heart. Es ist sehr hart, dicht, spröde, schwindet kaum bei Temperatur- und Feuchtigkeitsschwankungen und lässt sich gut bearbeiten – von daher scheint es geradezu prädestiniert für Griffbretter von Saiteninstrumenten.

Der Rest der DC-60 (DC = Double Cutaway) ist typisch Gibson SG: Mahagoni für Body und Hals, 628-mmMensur bei einem Griffbrettradius von 12″, ein Wrap-Around-Steg (hier von WSC) und ein DogEar Alnico-V-P90 von Roswell am Steg. Von den nominellen Features ist dieses blaue Brett also bestens bestückt. Die prächtige Lackierung in Pelham Blue ist sehr gut gemacht und weist keinerlei Unregelmäßigkeiten oder Unperfektheiten auf.

Harley Benton DC-60 Junior
Zuverlässig: Wilkinson Deluxe Mechaniken (Bild: Dieter Stork)

Die Wilkinson-Deluxe-Mechaniken im Stil der alten Kluson-Typen mit Plastikknopf passen thematisch bestens ins Bild, während der Einteiler-Steg von WSC ein Tribut an die Moderne darstellt. Denn die Oktavreinheit war bei den originalen Vintage-Einteilerbrücken, die ohne jegliche Einstellmöglichkeiten auskommen mussten, immer eine kritische Angelegenheit. Mit dem WSC-Steg mit seinen sechs individuell einstellbaren Reitern wird diese Problematik jedoch umgangen. Zwar könnte ein massiver Einteiler ohne separate Reiter eine noch bessere Übertragung der Schwingungen in den Body realisieren, aber Harley Benton legt den Fokus eher auf eine saubere Einstellbarkeit der Oktavreinheit – und das hat ja durchaus auch seine Berechtigung.

Harley Benton DC-60 Junior
Mit separaten Saitenreitern: WSC WrapAround Einteiler-Steg (Bild: Dieter Stork)

Der Hals ist Gibson-typisch in einem leichten Winkel in den Korpus eingeleimt. Dieser scheint etwas steiler ausgefallen zu sein als bei dem Vintage-Original, sodass die Saiten kurz vor der Brücke in einem Abstand von ca. 20 mm über der Decke stehen. Bei alten Gibson-Gitarren dieser Art beträgt dieser Abstand ca. 16 bis 17 mm. Dank dieses hohen Verlaufs steht der Pickup relativ weit von den Saiten weg (ca. 9 mm), während es Gibson-Originale gibt, die hier einen Wert von 3 bis 4 mm aufweisen.

Wie bei vielen anderen Gitarren auch lassen die vorhandenen Kerben des Grafitsattels noch etwas Spielraum, um etwas tiefer gefeilt zu werden und somit eine flachere Saitenlage und bessere Intonation auch in den ersten Bünden zu erreichen. Es ist nicht viel, was hier fehlt, aber es geht noch tiefer. Auch die Positionen der Sattelkerben sind nicht optimal, denn wer genau hinschaut, wird feststellen, dass zum einen die Saiten nicht wirklich mittig angeordnet über das Griffbrett verlaufen, und zum anderen, dass die tiefe E-Saite zunehmend schräg zur Griffbrettkante verläuft, je weiter es in Richtung Korpus geht. Das behindert die Spielbarkeit und den Klang in keiner Weise, aber wem Details wichtig sind, der wird sich über kurz oder lang einen neuen Sattel anfertigen müssen.

Die Medium-Jumbo-Bünde sind hingegen einfach nur perfekt! Professionell abgerichtet, bestens poliert und seitlich sorgfältig entgratet – da wird die Messlatte in diesem Low-Budget-Segment sehr hoch gelegt.

Im E-Fach finden wir zwei gute Potis des Herstellers Alpha und eine Input-Buchse von gutem Standard. Die komplette Verdrahtung ist sehr sauber und professionell realisiert. Der akustische Sound der DC-60 lässt Vorfreude auf die folgenden Experimente am Amp entstehen. Voll, ausgewogen, direkt und recht laut klingt es – und irgendwie bissig.

Harley Benton DC-60 Junior
Recht groß: Der Abstand zwischen Pickup und Saiten (Bild: Dieter Stork)

RIFFOLOGY

E-Gitarren mit nur einem Pickup sind eine Welt für sich, fast schon ein Mysterium. Die Saiten schwingen aufgrund eines geringeren Magnetfelds ungehinderter, was in einer besseren Dynamik und einem breiten Klangbild resultiert. Vor allem spielen sich diese Gitarren leichter – irgendwie ermöglichen diese One-Pickup-Ponys ein innigeres Spielgefühl, ein leichteres „Dig-In“. Klar – ohne Hals-Pickup fehlen etliche Klangvarianten, aber vielleicht ist ja auch hier manchmal weniger mehr? Man hat ja auch noch zwei Potis und den eigenen Anschlag, um den Sound zu steuern …

Clean liefert die DC-60 Junior überraschenderweise einen ähnlichen Sound wie ein Fender-Singlecoil. Mit definierten Höhen, überhaupt nicht schrill, und mit relativ wenig Pfund im unteren Frequenzbereich – das geht grob in Richtung Fender Tele. Ein geringerer Abstand zu den Saiten könnte dem Pickup zu mehr Druck im Tiefbereich verhelfen, aber da man die Höhe eines DogEar nicht einstellen kann, und auch das Höherstellen der Polschrauben kaum etwas bringt, muss man sich entweder mit diesem durchaus attraktiven Clean-Sound anfreunden, oder im gut sortierten Fachhandel Shims besorgen, eine Art Unterleg- „Ringe“, die unter den DogEar gelegt werden und ihm zu einer höheren Position verhelfen.

Erstmal geht es aber auch gut ohne – und je mehr Verzerrung ins Spiel kommt, desto augenscheinlicher tritt dann auch die Existenzberechtigung einer solchen Gitarre zutage. Knallig, direkt, spontan, bissig – hier zeigt die DC-60 Junior ihr wahre Bestimmung. Powerchords sind ihre ureigene Sprache! Und die spricht sie absolut verständlich, denn nichts matscht, wird muffig oder undefiniert.

Selbst bei heftigen Fuzz-Sounds bleibt sie unerschütterlich stets die dynamische, kraftvolle Riffmaschine, mit beiden Beinen fest auf der Erde und immer voll im Zentrum des Band-Sounds. Das macht einfach nur Spaß! Vintage-typische Klänge mit typischholzigem Knuspern und dieser gewissen Sweetness stehen allerdings nicht auf der Speisekarte – hier geht es druckvoller, mittiger zur Sache, und das steht dieser Gitarre ausgezeichnet.

ALTERNATIVEN

Wenn es um Alternativen mit Double Cutaway geht, entdecke ich erstmal weitere Harley-Benton-Modelle: Einmal das Schwestermodell zu dieser Pelham Blue DC-60, die DC-60 Junior in Faded Cherry, der klassischen SG-Farbe. Dann die DC-Junior, ein Remake der Gibson Double Cutaway Les Paul Junior, von der es auch FAT-Versionen mit einem fetten 59er-Halsprofil gibt.

Die ESP/LTD Viper-10 kommt ähnlich günstig und das sogar mit zwei Pickups, hat aber einen angeschraubten Hals, ebensoso die Epiphone SG Special. Mit der Vintage Reissued V130CRS will die englische Marke hier auch mitreden, allerdings ist dieses Modell schon € 100 teurer als die Harley Benton DC-60 Junior. Günstiger geht also nur ein Bausatz wie z. B. der Harley Benton Electric Guitar Kit DC Style.

RESÜMEE

Ich mag dieses Pelham-blaue SG-Remake! Und zwar nicht nur wegen des Preises, sondern vor allem wegen des kompromisslosen Charakters. Ein-Pickup-Gitarren sind ja meistens kompromisslos, aber sie lehren dich den Umgang mit Potis, Anschlag und Fingern. Neben einer Super-Optik liegt der Fokus auf Spielbarkeit und Funktionalität – und damit auf den Eigenschaften, die gerade bei einem Einsteigerinstrument die wichtigsten sind. So ist die Bundierung sehr gut, und zusammen mit dem bequemen Halsprofil wird eine perfekte Spielbarkeit geboten. Wichtige Hardware wie die Mechaniken und der einstellbare WSC-Steg sorgen für große Zuverlässigkeit, die auch einen professionellen Einsatz ohne Probleme zulassen.

Das klangliche Kerngeschäft der DC-60 Junior sind dynamischdreckige Crunch- bis Medium-Zerr-Sounds, in denen Riffs noch schlagkräftig herausgeschleudert werden können, ohne dass sie im Band-Gefüge untergehen. Mehr Punch und Druck könnte zudem erreicht werden, wenn der DogEar P90 etwas höher gelegt würde, handwerklich ein Klacks und sehr zu empfehlen. Fazit des Resümees: Die DC-60 trifft genau die Richtung, die das Vorbild, die Gibson SG Jr., vorgegeben hat. Mission erfüllt!

PLUS

● Preis-/Optik-/Leistungsverhältnis
● Bundierung
● Riff-Sounds
● WSC-Steg
● auch als Leftie lieferbar

MINUS

● großer Abstand zwischen Pickup und Saiten
● Kerbung des Sattels

(erschienen in Gitarre & Bass 11/2021)

Produkt: Fender Stratocaster
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Kommentare zu diesem Artikel

  1. Dass nun gleich alle Harley Bentons unter dem Artikel verlinkt sind, auf die anderen genannten Marken aber nicht, spricht Bände …

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  2. Auch bei dieser Gitarre wurde ein häufiger Fehler mit bleibendem Schaden gemacht. Die beiden Schrauben an der Wraparound wurden mit zu kleinem Schraubendreher justiert, so daß die Verchromung abgeplatzt ist. Wer allerdings auf Aging steht, freut sich vielleicht.

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  3. die Vintage Reissued V130CRS ist kein SG Modell, sondern eine LP Junior Doublecut Kopie. Kann man somit schlecht vergleichen.

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