0% Holz – 99,9% Metall

Test: Fehse Aviator P90

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(Bild: Dieter Stork)

Nicht wenige Gitarrenbauer haben sich in den vergangenen Dekaden neben Hölzern zunehmend auch mit alternativen Materialien beschäftigt, Rickenbacker ja sogar bereits zu Beginn der 1930er-Jahre. Experimentiert wurde und wird u. a. mit Kohlefaser (Carbon Fiber), Sound-Compound (Keramik), Arium (Harze und mikroskopische Glaskörner), ja sogar mit Granit und Marmor.

Das beliebteste Material ist jedoch Aluminium, geschätzt wegen seines geringen Gewichts und seiner guten Resonanzeigenschaften. Zudem lässt es sich leicht bearbeiten. Erstaunlicherweise hatte ich in meiner gesamten Laufbahn als Redakteur bisher erst eine einzige Gitarre unter der Lupe, die ausnahmslos aus Aluminium gefertigt worden war.

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Marcel Fehse, ausgebildeter Metallverarbeiter und Gitarrist, hat sich neben seiner Tätigkeit als Geschäftsführer einer Metallbaufirma in Obernkirchen/ Niedersachsen dem Gitarrenbau verschrieben. Voll auf Aluminium fokussiert, findet man an seinen Instrumenten weder Holz, noch Kunststoffe noch Composite-Materialien, höchstens in Fremdprodukten wie Pickups, Potis, Kondensatoren, Kabeln, Schaltern, Schalterknöpfen usw.

KONZEPT

Klar, als Metallverarbeiter kennt sich Marcel Fehse bestens mit CNC-Fräsen aus. Somit steht der Fertigung hochpräziser Komponenten nichts im Weg. Viel Zeit hat er in die Entwicklung seiner Gitarren investiert, vor allem Design und Klang betreffend. Daraus entstand das völlig eigenständige Modell Aviator mit zahlreichen interessanten Detailllösungen. So wird die ca. 8 mm dicke Korpuszarge inklusive Halsaufnahme und Stegverstrebung aus einer massiven 32-mm-Aluminiumplatte gefräst. Vorne und hinten bleiben jeweils 3,5 mm breite Ränder stehen, in die die 2,4 mm Aludecke und der 1,2 mm dicke Stahlblechboden passgenau und Oberkante bündig eingelassen sind.

Fixiert werden sie von je 10 starken Neodym-Magneten, deren Halterungen in die Zarge und die Stegstreben integriert wurden. Auf diese Weise lässt sich der Boden über eine kleine Öffnung neben dem unteren Gurtpin problemlos aus dem Rahmen hebeln. Damit auch die Aludecke von den Magneten angezogen wird, hat Marcel Fehse kleine Stahlscheiben aufgeklebt.

Warum aber sollte man die Decke entfernen wollen? Weil Fehse Guitars zwei weitere mit unterschiedlichen Pickups und Schaltungen bestückte Decken zum Austauschen anbietet, und zwar zwei Humbucker mit Dreiwegschalter, Volume und Tone, sowie drei Singlecoils mit Fünfwegschalter, Master-Volume- und zwei Tone-Reglern.

Vor dem Austausch der Decke müssen jedoch Boden, Saiten, Steg und die angeschraubte Masselitze entfernt und die Verbindungen zur zargenseitigen Rohrklinkenbuchse abgelötet werden. Technisch kein großer Akt, zeitlich ca. eine halbe Stunde. Die großen Edelstahl-Gurtpins stammen ebenso aus eigener Fertigung wie die eleganten kleinen verschraubten Potiknöpfe aus massivem Alu.

Alle drei Korpusbestandteile, die eingelassene Kopfplattenfront, aus der das Fehse-Logo à jour gelasert wurde, das Logo des zugehörigen handgefertigten Alu-Koffers und die Abdeckung des inneren Zubehörfachs wurden in identischer Farbe pulverbeschichtet, hier also Forge Fire Red. Alternativ stehen elf weitere interessante Farben zur Auswahl.

HALS & STEG

Griffbrett und Kopfplatte bestehen aus einem einzigen Stück Aluminium, mit dem der hohl gefräste Aluhals verschraubt ist, den im Inneren Lamellen derart stabilisieren, dass auf einen Justierstab verzichtet werden konnte. Allein die Saitenspannung beschert dem Hals eine optimale leichte Konkavkrümmung. Vier nicht fühlbare, runde Messing-Inlays im Halsrücken decken die Schraubenköpfe ab. Eine relativ kleine Fläche im Korpusrahmen dient als Auflage für die letzten vier Bünde des Griffbretts. Zwei Schrauben aus Edelstahl mit Inbus-Rundköpfen garantieren eine stabile und zuverlässige Verbindung von Korpus und Hals.

Die Kopfplatte verläuft parallel zum Griffbrett, wurde aus Balancegründen von hinten ausgehöhlt und mit einem Blech abgedeckt. Im 4/2-Schema angeordnete Kluson BackLock (Locking-)Tuner verbinden das pulverbeschichtete Front- mit dem präzise eingepassten Rückblech und halten auf diese Weise quasi die Kopfplatte zusammen. Marcel Fehse hat die 22 schlanken aber hohen Edelstahlbünde in die Griffbrettschlitze geklemmt, zusätzlich verklebt und perfekt bearbeitet. Vorne markieren Messing-Dots die Lagen, auf die für den User wichtigeren Sidedots hat er jedoch verzichtet.

Auch der breite aufgeschraubte Sattel, dessen Kerben für .010-.049-Saiten vorgesehen sind, ist ein interessantes Eigenprodukt. Da die Saiten wegen der nur um 7 mm parallel versetzten Kopfplatte keinerlei Druck auf den Sattel ausüben können, zieht sie ein spezieller Messingniederhalter in die Sattelkerben. An dieser Stelle fällt auf, dass zwischen den Saiten und dem erstem Bunddraht noch reichlich Platz ist, der Sattel somit noch um gut 4-5 Zehntelmillimeter abgesenkt werden könnte.

Interessantes Sattelkonzept (Bild: Dieter Stork)

Korpusseitig tragen zwei Schraubstützen aus Edelstahl den sehr flach gestalteten massiven Aluminiumsteg. Die präzise Fertigung der Stützen verhindert, dass der Einteilersteg kippelt. Da die gekerbten Edelstahlreiter 15 mm lange Justierbereiche für die Oktave besitzen, konnte auf eine Grobjustierung an den Stützbolzen verzichtet werden. Ein kompatibles Vibratosystem, welches statt des Stegs einfach in die Stützen eingehängt wird, ist bereits in der Entwicklung. Man darf also gespannt sein.

Fehse-Alusteg mit erweiterten Reiter-Justierwegen (Bild: Dieter Stork)

Alle drei Varianten der Fehse Aviator bzw. deren Decken werden serienmäßig mit Tonerider-Pickups bestückt, die wegen ihrer Klangqualitäten und ihres guten Preis-Leistungs-Verhältnisses beliebt sind. Unsere Aviator kommt mit Humbucker-formatigen Rebel-90-Einspulern, die höhenjustierbar an der Decke befestigt wurden. Da sie in ihren Aussparungen sehr stark wackeln, wären härtere Distanzfedern empfehlenswert.

Kontrolliert werden die Pickups per Dreiwegschalter, Master-Volume- (mit Treble Bleed) und Master-Tone-Reglern. Für mein Empfinden liegt der Schalter sehr weit außerhalb des Aktionsradius, und der Hebel lässt sich nur nach oben und unten bewegen. Da der Toggle Switch im Innern zu nah an der Stabilisierungsstrebe des Stegs liegt, lässt er sich nicht verdrehen um die Schaltrichtung ergonomischer zu gestalten.

SUSTAIIIIIIN

Mit 4,19 kg bringt die Aviator ein gerade noch akzeptables Gewicht auf die Waage. Marcel Fehse verspricht, dieses bei den künftigen Modellen auf 3,5 kg zu reduzieren. Bin gespannt, wie er dies bewerkstelligen wird. Auch das handgefertigte Alu-Case ist alles andere als ein Fliegengewicht. Im passgenau ausgeschnittenen Schaumstoff-Inlet liegt die Gitarre quasi sicher wie in Abrahams Schoß.

Mit Ausnahme seiner beiden Verschlüsse macht der grau pulverbeschichtete Koffer mit seinen fetten Scharnieren, verschraubten Stahlecken, Flightcase-Klappgriff, Gummifüßen und Firmenlogo in Gitarrenfarbe einen superstabilen Eindruck. Allerdings schließt der Deckel nicht dicht ab, sondern bildet verschlussseitig einen Spalt von etwa 3 mm. Stabilere und straffer montierte Verschlüsse wären hilfreich. Zurück zur Gitarre.

Erwartungsgemäß gibt sich die Aviator kopflastig. Während auf dem Bein und gleichzeitig am Körper anliegend noch nahezu Balance herrscht, driftet der losgelassene Hals bei „Gurtbetrieb“ ab wärts, stoppt jedoch etwa in der Horizontalen. Entwarnung also, das geht für ein solches Instrument völlig in Ordnung und ist durchaus handle-bar.

Der 32 mm dicke Body besitzt keinerlei ergonomische Shapings und wirkt daher kantig. Allein der runde Zargenverlauf hinter dem Hals erleichtert den Zugang zu den höchsten Lagen, obgleich mangels Platz entspanntes Spiel etwa am 20. Bund endet. Das Halsprofil ist in zweierlei Hinsicht gewöhnungsbedürftig: Zum einen verändert sich die Halsdicke auf der gesamten Länge nicht nennenswert, zum anderen meidet der – offenbar aus Gewichtsgründen – abgeflachte Halsrücken den Kontakt zur Mitte meiner Handfläche.

Halsübergang (Bild: Dieter Stork)

Jedoch nach wenigen Minuten hatte ich mich mit dem etwas unkonventionellen Profil angefreundet, da Marcel Fehse die Ränder der Abflachung angenehm verrundet hat. Die mit winzigen Glasperlen bestrahlten Oberflächen – auch die von Griffbrett, Potiknöpfen und Steg – fühlen sich angenehm griffig an, materialbedingt allerdings auch recht kalt. Da jedoch Aluminium gute Wärmeleitfähigkeiten besitzt, passt sich die Temperatur recht schnell an. Anderseits sollte die Aviator tunlichst nicht auf einer Open-Air-Bühne der prallen Sommersonne ausgesetzt werden. Ich selbst musste diese Erfahrung einmal mit einem Alu-Pickguard machen, an dem ich mir beinahe die Fingerspitzen verbrannt habe.

Bei einer E-Gitarre mit Hohlkorpus wird das rein akustische Klangbild bekanntlich mehr vom Body geprägt als bei einer Solidbody. Besonders deutlich zeigt das die Aviator, die nicht nur erstaunlich laut klingt, sondern auch einen gewissen Resonator-Charakter besitzt. Der Klang ist ausgewogen, transparent, spritzig und obertonreich aber auch blechern, auch wenn der Korpus dem Klangbild eine gewisse Wärme mit straffen drahtigen Bässen beschert. Obgleich das Aluminium-Konstrukt nicht sonderlich intensiv schwingt, wird schon jetzt deutlich, welch beeindruckendes Sustain es an den Tag legt, bei dem jeder angeschlagene Ton extrem langsam und gleichförmig abklingt. Wirklich rekordverdächtig!

Aber auch hinsichtlich Ansprache und Tonentfaltung macht die Aviator deutlich, dass sie dynamisch bestens aufgestellt ist und Ausdruck und Tonbildung gleichermaßen unterstützt. Vom Output her liegen die Tonerider R90 gleichauf mit originalen 50er-Soapbars, klingen jedoch insgesamt etwas präsenter, luftiger und obertonreicher und geben sich zudem durchsetzungsfreudiger. Dennoch punkten beide mit der typischen P-90-Performance inklusive der allseits gepriesenen Dynamik.

Trotz kraftvoller und prägnanter Bässe zeigt der Hals-Pickup Ausgewogenheit, Transparenz, Wärme und hält wunderbar bluesig schmatzende Sounds bereit, während der R90B knackig, lebendig, frisch daherkommt und auch mit exzellentem Country-Twang überzeugt, ohne mit übermäßiger Schärfe zu nerven. Die Kombi beider Tonerider-Einspuler lässt das typisch glockige, leicht hohle Klangbild aus den Lautsprechern perlen, das sich für cleanes Rhythmus-, Arpeggio- und Melodiespiel anbietet.

Ihre eigentlichen dynamischen Stärken entfalten die R90s am crunchy zerrenden Amp, wo sie wunderbar sensibel auf Anschlag und Volume-Poti reagieren, was sie im Übrigen auch nahezu uneingeschränkt bei High-Gain-Distortion tun. In beiden Fällen glänzen sie mit druckvollen aber definierten Bässen, klar zeichnenden, singenden Mitten, vitalen silbrigen Höhen und reichem Obertonangebot. Obwohl die Tonerider R90 echte Einspuler sind, bleiben sie im Direktvergleich mit original Soapbar-Pickups selbst im High-Gain-Betrieb beeindruckend immun gegen Einstreuungen. Der Verdacht liegt nahe, dass der Alu-/Stahlblech-Body von sich aus schon die allerbeste Abschirmung bietet.

Die verwendeten Potis – das Volume ein Göldo B500k – rotieren butterweich und geschmeidig und lassen sich mit den Fehse-Knöpfen sehr komfortabel und präzise handhaben. Während Volume eine lineare, bei Gitarren weniger übliche Regelcharakteristik aufweist, die am Ende (voll aufgedreht) nur noch wenig Schub z.B. für ein Solo liefert, zeigt das logarithmische Tone-Poti seine eigentliche Wirkung vor allem in unteren Regelbereichen. Erfreulich: Volume ist mit einem Treble-Bleed-Kondensator bestückt, der Höhenverluste beim Zurückdrehen minimiert.

Griffbrett mit Messing-Dots
Halsrücken: Messing-Inlays decken die Griffbrettverschraubungen ab.

RESÜMEE

Es ist eher die Ausnahme und immer wieder aufs Neue erquickend und spannend zugleich, ein unkonventionelles Testinstrument wie die Fehse Aviator P90 unter die Lupe nehmen zu dürfen, auch dann, wenn es sich wie hier um den Prototyp eines noch wenig bekannten (Nachwuchs-)Gitarrenbauers handelt. Als eigentlicher Metallbauer beeindruckt Marcel Fehse mit unkonventionellem Konzept, frischem Design, innovativen Detaillösungen und nicht zuletzt Präzisionsarbeit und tadelloser Verarbeitung.

Die Aviator ist eine der ganz wenigen komplett aus Aluminium – und ein wenig Stahlblech – gefertigten E-Gitarren. Zum Konzept zählen optionale, unterschiedlich mit Humbuckern oder Singlecoils bestückte Austauschdecken, die wie der Stahlblechboden von Magneten gehalten werden. Die Tonerider-Rebel-R90-Pickups verleihen der Gitarre die typischen Sounds von P-90-Einspulern, wenn auch mit einem leicht frischeren und moderneren Touch, jedoch mit der gleichen Dynamik und Durchsetzungskraft der Originale. Hin und weg bin ich vom rekordverdächtigen Sustain der Gitarre.

PLUS

● Konzept & Design
● P-90-Sounds
● Dynamik & Sustain (!!!)
● viele innovative Detaillösungen
● Qualität der Hardware
● Verarbeitung

MINUS

● keine Sidedots
● Kopflastigkeit

(erschienen in Gitarre & Bass 10/2020)

Produkt: Fender Stratocaster
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