Swell Sound Machine

Test: Electro-Harmonix Attack Decay

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(Bild: Tom Schäfer)

Das Attack Decay ist eine Neuauflage des – kaum zu glauben – Attack Decays, welches in den 80ern gefertigt wurde und heutzutage hohe Preise auf dem Gebrauchtmarkt erzielt. Ganz im Sinne der Modernisierung ist die aktuelle Version kleiner geworden und kann dabei sogar noch mehr.

Im Herzen ist und bleibt das Attack Decay ein „Tape Reverse Simulator“. Als ich das las, dachte ich zunächst der Test müsse ja recht kurz werden, da der Funktionsumfang wohl eng gesteckt ist. Doch weit gefehlt. Während Electro-Harmonix schon beim Original von Volume Swells, Reverse Sounds, Stakkato Noten und Streicher Sounds spricht setzt die Neuauflage in Sachen Funktionsumfang noch einiges drauf und bietet beispielsweise einen Poly Modus und Presets.

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Robustes Äußeres

Das Attack Decay kommt in der bekannten Pappschachtel von Electro Harmonix und bringt seinen Freund das Netzteil gleich mit. Ein Batteriebetrieb ist auch weder vorgesehen noch möglich. Des Weiteren liegt eine englischsprachige Bedienungsanleitung im Paket – beim gebotenen Funktionsumfang sicher eine willkommene Dreingabe.

Ansonsten bietet sich ein gewohntes Bild: Eine robuste Kiste mit übersichtlich-klarer Grafik und gut zu bedienenden Elementen. Die Potis bieten ebenso wie die Schalter einen sehr angenehmen Widerstand und tragen in Kombination mit dem Funktionsumfang dazu bei, dass das Pedal auch als deutlich höherpreisig durchgehen könnte.

Trotz seiner immerhin acht Potis, vier Buttons und den zwei Fußschaltern bleibt das Gerät übersichtlich und verhältnismäßig einfach zu bedienen. Auch die immerhin fünf Klinkenbuchsen würde man nicht unbedingt erwarten – noch ein Update gegenüber dem Original. Neben dem Input und Output wird hier noch ein Expression-Pedal-Anschluss für die optionale Bedienung aller Parameter geboten.

Wer den Sound gerne mit weiteren Effekten anreichern möchte, der kann dies nun durch Send- und Return-Buchsen tun. In diese können weitere Effekte(-Ketten) eingeschleift werden, welche vor dem Input des Pedals aktiv werden. Persönlich hätte ich es glücklicher gefunden, wenn Send und Return auf einer Seite zu finden wären, und dafür der Expression Anschluss neben den Input gewandert wäre. Geht aber natürlich auch so.

Vielseitige Funktionen

Wie eingangs bereits erwähnt, darf man sich hier nicht vom Namen täuschen lassen. Das Attack Decay ist viel mehr als „nur“ ein Reverse Simulator. Aber das kann es natürlich auch.

Schauen wir uns doch kurz die Funktion der Regler an und versuchen danach, diese in einen sinnvollen Kontext zu stellen: Oben links findet sich der Poly Button. Dieser ändert das Verhalten von Mono (eine Hüllkurve für das gesamte Signal) zu Poly (eine Hüllkurve pro neu erkanntem Ton). Eine Hüllkurve besteht hierbei vereinfacht gesagt immer aus den Parametern für das An- und Abschwellen des Sounds, also genau aus Attack und Decay. Daneben finden wir Sens. Mittels der Sensitivity kann eingestellt werden, ab welchem Input ein neuer Sound getriggert wird. Darunter befinden sich die drei Buttons für die Presets. Einfach drücken und schon wird das Preset aktiv. Oder gedrückt halten, um ein neues zu speichern. As easy as it gets.

Rechts daneben findet sich die Bedienung für das Fuzz. H.Vol bestimmt die Lautstärke des verzerrten Signals, Tone den Sound und Harmonix die Intensität des Effektes. Um das Fuzz ein oder auszuschalten drückt man einfach den linken Fußschalter. Hält man diesen länger gedrückt, so kann man durch die Presets schalten.

Die drei größten Potis sind Vol, Blend, Attack und Decay. Volume setzt hierbei die Masterlautstärke. Bei Blend wird es etwas komplizierter, da es hier drei Modi gibt. Standardmäßig regelt man hier das Verhältnis von trockenem zu effektiertem Signal. Man kann aber auch das Verhältnis von trockenem zu Fuzz Signal vor den Hüllkurven regeln. Oder aber man wählt, wie sich das, was am Return ankommt mit dem Ausgang der Hüllkurven mixt. Puh, gar nicht so einfach. Zum Glück sind die Namensgeber Attack und Decay wieder etwas leichter verdaulich:

Attack regelt die Geschwindigkeit, mit der Noten einfaden. Ganz nach links gedreht ist dies aktiviert, ganz nach rechts reden wir von 8 Sekunden fade-in. Das Pendant bildet der Decay Regler. Er bestimmt den Fade-Out des Sounds. Bei Maximaleinstellung ist er deaktiviert, kurz davor sind es auch hier 8 Sekunden. Beide Regler fangen übrigens bei 4ms an und lassen so diverse Sounds zu. Dazu später mehr.

Bleibt nur noch der Fußschalter unten rechts, der nichts Geringeres tut, als das Pedal ein- und auszuschalten. Die drei LEDs in der Mitte zeigen verschiedene Status an: leuchtet H, so ist das Fuzz aktiv, leuchtet P auf, so hat ein Input-Signal den Schwellwert überschritten und eine neue Hüllkurve ausgelöst. Die namenlose LED rechts zeigt an, ob das Pedal aktiv ist.

(Bild: Tom Schäfer)

Der Sound

Gleich vorweg: „Tape Reverse“ kann ich aus historischen Gründen als Namen verstehen. Heutzutage würde man den Schwerpunkt wohl etwas anders setzen, denn mit der Regelmöglichkeit über Attack und Decay sind natürlich deutlich mehr Sounds möglich. Verständlich wird es natürlich immer gut an Beispielen.

Doch zunächst der kurze Check des generellen Signals: Das Bypass Signal klingt gut. Aktiviert man das Pedal und regelt Blend komplett zu, so ergibt sich ein leicht komprimierter Sound. Das klingt sogar ziemlich gut. Und wie ich später herausfand ist tatsächlich ein Kompressor an Bord, der auch ausgeschaltet werden kann.

Durch den Volume-Regler ist das Pedal auch als leichter Booster nutzbar. Allerdings liegen hier keine sehr hohen Reserven an, es kann aber gerade in Kombination mit dem Fuzz ganz spannend sein. Womit wir auch direkt beim nächsten Punkt der Sound-Liste sind. Das integrierte Fuzz klingt old-school und schön kaputt. Bei zugedrehtem Tone passiert an den Lautsprechern noch irgendwas im Bass, aber eigentlich kommt kaum noch hörbarer Ton heraus. Nutzbare Sounds erhält man etwa ab 9 Uhr. Meinen Ohren nach wird nur an einem Low-Pass Filter die Cutoff-Frequenz der Höhen festgelegt, es findet keine aktive Verstärkung dieser statt. Ganz aufdrehen klingt also gut und hat bei mir die besten Ergebnisse gebracht. Da das Blend Poti ja sogar eine eigene Option für das Zumischen des Fuzz bereithält, kann man recht präzise einstellen, wie viel vom Original-Sound man noch hören möchte. Man kann das Attack Decay also auch als reines Fuzz Pedal nutzen, wofür ich persönlich jedoch eher dedizierte Pedale bevorzugen würde.

Aktiviert man hier den Poly Modus, hört es sich ein wenig so an als wäre ein Ring-Mod aktiv. Das liegt einfach an der Technologie und kann tatsächlich ganz witzig klingen.

Nun aber zu den eigentlichen Attack-&-Decay-Features: Als einfachstes Beispiel kann wohl ein Volume Swell dienen. Hierfür stellt man die Sensitivity so ein, dass sie neue Töne der Gitarre gut erkennt, regelt Volume erst mal mittig und dreht Blend komplett auf, damit nichts vom trockenen Signal durchkommt. Nun stellt man Attack auf etwa 9 Uhr und dreht Decay voll auf. Die Abklingzeit wird also nicht beschnitten, aber das Signal wird langsam eingefadet. Im Mono-Modus kann man hier sogar die Form der Kurve ändern in der dies geschieht. Allerdings verarbeitet Mono ja die eingehenden Signale nicht einzeln, sodass es bei schnellerem Spiel nie laut wird – weil der Sound immer wieder neu probiert, einzufaden.

Genau da hilft der Poly-Modus, der aus dem HOG2 übernommen wurde. Dieser funktioniert selbst bei schnelleren Passagen erstaunlich gut und verarbeitet jeden Ton einzeln. Spätestens hier wird klar, warum man das nicht mehr einfach mit einem Volume-Pedal oder dem Regler an der Gitarre selber macht – das wäre schon ordentlich Arbeit.

Dreht man Attack etwas weiter auf, so landet man in Gefilden, die an gestrichene Instrumente erinnern. Etwas, was ich oft mit anderen Mitteln probiere umzusetzen. Und ich muss sagen: Das funktioniert hier wirklich toll.

Dreht man Attack ganz nach links, aber dafür Decay nicht ganz auf, so ergibt sich der gegenteilige Effekt: Die Töne werden am Abklingen gehindert. Ganz zugedreht bleibt kaum noch was übrig, so ab etwa 9 Uhr erinnert das Ganze an ein Banjo und kann wirklich Spaß machen. Natürlich ist auch jede Kombination aus Attack und Decay möglich. EHX empfiehlt den Mono Modus, wenn man Attack & Decay zeitgleich beeinflussen möchte. Dann bleibt das Signal auch sauberer, im Poly Modus ergeben sich aber teils interessante Sounds, die dann eben nicht mehr ganz „rein“ sind.

Wenn man möchte, dass eine Hüllkurve nicht nur ein Mal, sondern wiederholt durchlaufen wird, so kann man dies durch einen besonderen Tastendruck einstellen. Warum man das will? Weil man dann auf einmal ein sehr fein einstellbares Tremolo hat.

Generell lässt sich am Attack Decay sehr viel über sekundäre Funktionen oder das Drücken von mehreren Schaltern zugleich regeln. Jetzt wird auch klar, warum die (englischsprachige) Anleitung 24 Seiten hat. In dieser wird unter anderem auch ausführlich beschrieben, wie ein Expression Pedal anzuschließen ist. Ab Werk kontrolliert dies das Volume des Pedals. Jedoch kann man mit wenigen Handgriffen jedes der acht Potis – und auch jede Kombination – steuern. Und diese Kombination ist dann auch noch im Preset abspeicherbar. Ich will gar nicht wissen, was das alles von einem kleinen Boutique-Hersteller kosten würde.

Resümee

Wow. Ich habe das Pedal eingangs völlig unterschätzt. Es ist mal wieder super, was einem Electro-Harmonix zu dem aufgerufenen Preis hinstellt. Man kann nicht nur Attack und Decay regeln, wie es der Name verspricht. Man bekommt auch ein vollwertiges Fuzz und verschiedene Modi. Dazu noch drei Presets, die Option, alles Mögliche mit einem Expression-Pedal zu modulieren und einen Effekt-Loop dazu. Und dann gibt es noch jede Menge sekundäre Funktionen durch die sich beispielsweise ein Kompressor oder ein Tremolo aktivieren lassen. Die Grundfunktionalität bleibt aber immer klar ersichtlich und lässt sich entspannt einstellen. Dabei trackt das Gerät insbesondere im Poly Mode richtig gut und wird so sicher das ein oder andere Volume Pedal für Swells und Fade-Ins ablösen.

Negatives gibt es eigentlich nichts zu berichten. Klar, das Tracking ist im Poly Modus besser, dafür entstehen bei manchen Sounds Artefakte, die etwas seltsam klingen können. Aber das ist irgendwie auch schon wieder charmant und gut kontrollierbar.

Von mir eine ganz klare Kaufempfehlung für dieses nicht alltägliche Pedal.

PLUS

  • vielseitige Sounds
  • einfache Bedienung
  • Presets
  • Expression-Pedal-Anschluss
  • Send & Return

(erschienen in Gitarre & Bass 12/2019)

Produkt: Gitarre & Bass 12/2022 Digital
Gitarre & Bass 12/2022 Digital
Im Test: J. Rockett Uni-Verb +++ G&L Fullerton Deluxe LB-100 +++ Dowina Albalonga GACE HiVibe +++ Nik Huber Bernie Marsden Signature +++ Fender Acoustasonic Player Telecaster +++ Gibson Dave Mustaine Signature Flying V +++ Börjes JB-Custom 5 DLX-Multiscale +++ EarthQuaker Devices Ghost Echo by Brain Dead +++ Blackstar St. James 50/EL34 112 Combo +++ Harley Benton Double Pedal Series

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