Retro-Moderne: Novo Guitars Serus J. Nucleus im Test
von Franz Holtmann, Artikel aus dem Archiv
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Novo Guitars so weit das Auge reicht bei The Fellowship of Acoustics.
TOLLER HALS – KRAFTVOLLE SOUNDS
Das Offset-Design hat sich nicht ohne Grund als moderner Standard etabliert, kombiniert es doch beste Proportionierung für ausgeglichene Trageeigenschaften mit perfekt ausgelotetem Zuschnitt für eine rundum komfortable Handhabung. Natürlich kann auch die Novo Serus J all die Vorteile dieser Korpusform für sich verbuchen. Dank entsprechend gesetzter Konturen am Boden oben und zur Armauflage liegt die Gitarre perfekt an und richtet sich spielgerecht aus. War das doch auch gar nicht anders zu erwarten, so setzt das Nashville-Team von Dennis Fano dann aber mit der Gestaltung und Feinjustierung des Halses ein deutliches Ausrufungszeichen. Das mittlere C-Profil von 42,3 mm Sattelbreite, angenehm verrundet und samtig versiegelt, ist einfach ein Traum. Das tief gesetzte untere Cutaway gewährleistet überdies zusammen mit der diagonal angepassten Halsaufnahme uneingeschränktem Griffbrettzugang bis zum letzten Bund hinauf. Alles fühlt sich einfach richtig an bei diesem Modell.
Zugriff auf hohe Bünde durch verbesserten Hals-Korpus-Übergang (Bild: Dieter Stork)
Auf den ersten Anschlag hin teilt sich dann sofort mit, dass wir mit der Serus J auch in Sachen Klangentfaltung ein absolut potentes Arbeitsgerät in Händen halten. Kraftvoll und markant in der Ansprache, dynamisch auf den Anschlag reagierend, schwingintensiv und wunderbar resonant. Baubedingt ist lediglich das resonierende Mitschwingen der Saiten hinter dem Steg hinzunehmen. Das muss nicht jedem gefallen, kann aber als modelltypisches Ambiente durchgehen.
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Dennis Fano verlässt sich nicht ohne Grund schon an die 25 Jahre auf Pickups von Lindy Fralin. Dennis: „Sie sind unglaublich reaktionsschnell und voller Persönlichkeit – genau wie Lindy und sein Team.” Da kennen und mögen sich zwei Nerds ganz offenbar.
Am Amp erweisen sich die verbauten Fralin P90s tatsächlich als mehr als angemessene Tonwandler für das substanzielle und harmonisch ausgeglichene Klangvermögen der Serus J. Mit ihren traditionellen Widerstandswerten von jeweils um die 6,8 kOhm geben sie bemerkenswert kraftvolle Signale heraus. Schalten wir durch die drei Positionen, hören wir eine Abfolge von optimal gewichteten Sounds: rund und doch straff aufgeräumt vom Single Coil am Hals, nicht zu sehr ausgekämmt und dennoch angenehm kehlig in der Zusammenschaltung beider Pickups, und druckvoll kompakt mit leichtem Sprung nach vorn durch die nuancierte Fokussierung der oberen Mitten bei Aktivierung des Steg-Pickup. Im Clean-Betrieb erzielen wir damit in allen Positionen charaktervolle Sounds: Akkorde immer klar durchzeichnet und von eindrucksvoller Präsenz; das solistische Linienspiel von der schnellen Ansprache und akzentuierten Umsetzung jeder Aktion profitierend.
Im Overdrive lässt die Serus J dann erst so richtig ihre Muskeln spielen – wunderbar körnig aufgelöst bei Akkorden mit leicht aufreißendem Crunch in mittelbösen Einstellungen, trocken und kraftvoll vorpreschend bei zunehmender Zerre. Obwohl uns der Hals-Pickup gerade noch mit seinen vital abledernden Powerchords erfreute, eskaliert das tonale Geschehen mit Umschalten auf den P90 am Steg dann doch deutlich. Der Bursche knurrt bei Gain geradezu unbändig, übersetzt jede Aktion mit aggressiv zupackendem Biss. Achtung Metapher: Wäre diese Gitarre ein heißblütiges Rennpferd, würde es seinem Jockey einiges an Disziplin abverlangen, um es zu bändigen. Sitzt der aber erst einmal fest im Sattel, entsteht eine schlagende Einheit. Back to reality: Serus J reagiert also erstaunlich sensibel und nuancenreich auf den Anschlag.
Mit dynamisch geführtem Plektrum lässt sich die ganze Palette der musikalischen Emotion vom Flüstern bis hin zum Schrei leichthändig aufrufen, je nach Stärke des Anschlags. Auch ist der Anteil an Zerre oder die Intensität des Ausdrucks mit dem Volume-Poti bestens zu steuern. Das ist bei der verbauten puristischen Elektrik alles absolut praxisgerecht abgestimmt und was man auch macht, es klingt eigentlich immer gut. Dennis nannte diese Pickups „incredibly responsive and full of personality”. Ist ja immer so eine Sache, Dingen Persönlichkeit oder gar Charakter zuzusprechen, die oder den soll doch bitte der Spieler/die Spielerin haben. Gleichwohl kann man den Fralin-P90-Pickups ohne Frage große Klasse zusprechen. Und hey, komm mir jetzt nicht mit Brummen. Natürlich machen die das, aber das ist nun mal der Preis für die immense Vitalität und tolle Dynamik dieser Tonabnehmer.
Ah, das Vibratosystem wollen wir aber nun auch nicht vergessen. Die Mastery Bridge sorgt für saubere Intonation und gibt uns in Verbindung mit dem weich aufgehängten Vibratoteil löblich verstimmungsarme Modulationen an die Hand. Selbst nach heftigen Bendings finden die Saiten ihre Ausgangsposition stimmstabil wieder – holla!
(Bild: Dieter Stork)
RESÜMEE
Die Handschrift von Dennis Fano ist auch bei den Modellversionen seiner aktuellen Firma Novo Guitars unübersehbar. Seine retro-modernen Designs treffen den Nerv der Zeit mit einer Verbindung von traditioneller Anmutung und aktuellen Anforderungen an die Spielpraxis. Zurecht werden die Entwürfe der prägenden frühen Jahre geliebt und im Fall der Serus J kann man ohne Frage von der Veredelung einer ergonomisch immer schon genialen Konzeption sprechen. Zeitgerecht angepasst – vor allem der hervorragend gestaltete Hals mitsamt seiner perfekten Bundierung (PLEK-finalisiert) ist hier zu nennen – und mit den exzellenten Fralin-Pickups ausgestattet wird dieses perfektionierte Offset-Design aus den Händen des Dennis Fano einfach zum Knaller. Scheiße Dennis, alter Verführer. Dachte, es sei alles gesagt und mein Paradies längst dornenfrei eingerichtet. Aber nein, da ist sie schon wieder, die sündhafte Versuchung. Hat man denn immer noch nicht gelernt zu widerstehen? Schauen wir mal … teuflisch gute Gitarre! ●