Leo vor Tele

Nacho Prototype II, E-Gitarre im Test

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Wer kennt das Blackguard-Buch? Diesen 3,5 kg schweren, großformatigen und 420 Seiten starken Wälzer, in dem es um die ersten Fender Broadcasters, Esquires, Nocasters und Telecasters geht? Und in dem mehr als 30 originale Gitarren aus dieser Zeit bis auf die letzte Schraube auseinander genommen werden und alles, aber auch alles in Bild und Wort dokumentiert ist?

(Bild: Dieter Stork)

Für diese akribische, nerdige Fleißarbeit, die diesem Werk zugrunde liegt, ist niemand anders als Nacho Banos verantwortlich – also der Nacho, von dem auch die Gitarre stammt, um die es hier gehen soll. Und der sich in den USA den Ruf erarbeitet hat, erstklassige Repliken von Fender-Instrumenten der 1950er-Jahren zu bauen. Nacho und seine Mitarbeiter sind leidenschaftliche Vertreter des Vintage- Mythos und versuchen mit jedem Instrument, den Look, das Spielgefühl und den Ton dieser alten Gitarren so gut es eben geht zu reproduzieren. Dazu verwenden sie Old-School-Materialien und – Produktionsmethoden und gehen bis ins kleinste Detail, um nicht nur klanglich, sondern auch optisch ein möglichst korrektes Old-School-Instrument abzuliefern.

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Nacho Banos erforscht zudem seit geraumer Zeit frühe E-Gitarren ab ca. 1930. Und ja, ein Buch über diese spezielle Phase sei auch in der Planung, ließ uns Nacho wissen. Wieder mit mehr als 400 Seiten, im ebenso unhandlichen wie prächtig anzuschauenden Coffeetable- Format. Co-Autor des Buches, das ‚The Pinecaster Book‘ heißen wird, ist übrigens ein gewisser Billy F. Gibbons. Erste Infos gibt es bereits unter www.thepinecasterbook.com. Aber bevor dieses Buch erscheint, dürfen wir uns jetzt schon über true history und jede Menge Facts freuen, aus der Zeit, kurz bevor Leo im Jahre 1950 mit der ersten Esquire anfing, Gitarrengeschichte zu schreiben.

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Prototyp

Beamen wir uns also zurück in die Zeit der Firma K&F Manufacturing Corporation, die Leo Fender zusammen mit „Doc“ Kauffman 1945 gegründet hatte. Hier wurden Gitarren-Verstärker repariert und konstruiert, aber auch Lapsteels gebaut. Schon zwei Jahre vorher hatten die beiden sehr grob eine E-Gitarre zusammengehauen, hauptsächlich, um die eigenen Tonabnehmer testen zu können. Doc Kauffman stieg bereits ein Jahr später aus der Firma aus, nicht ohne Leo zu ermuntern, das Feld E-Gitarre verstärkt zu beackern. Aus K&F Manufacturing wurde 1946 dann Fender Manufacturing, und kurze Zeit später Fender Electric Instrument Co., und Figuren wie Don Randall und George Fullerton prägten ab dann die Fender-Geschichte maßgeblich mit. Leo, als Lapsteel-Produzent mittlerweile landesweit erfolgreich, gab dann die Parole aus: „Wir wollen elektrische Standard-Gitarren bauen, die so ähnlich klingen sollen wie unsere Lapsteels!“ Das bedeutete, dass er keinen Gedanken daran verschwendete, traditionelle Gitarren mit hohlem Resonanzkörper herzustellen, sondern die Klangerzeugung allein den Tonabnehmern und einer passenden Verstärkung überlassen wollte.

Und dazu reichte eben tatsächlich eine Brettgitarre in der Art einer Lapsteel. Und er und George Fullerton machten sich an die Arbeit, um Vorgaben wie „Sie soll leicht sein, leicht zu spielen, alle Bünde sollten erreichbar sein – und sie sollte billig zu produzieren und zu reparieren sein“ umzusetzen. Im Sommer 1949 gab es den ersten Prototyp einer „spanischen“ Gitarre. Aus zwei Teilen Pine gebaut und mit seiner 3:3-Kopfplatte hatte er unverkennbar Prototyp- Charakter und erschien trotzdem den Musikern von damals wie ein Wesen von einem anderen Stern. Denn sie ließ sich spielen und klang gar nicht mal so schlecht … ! Im Winter 1949 verließ der zweite Prototyp die Werkbank Fullertons. Aus welchem Holz der Korpus war, darüber streiten einige Experten. Die einen sagen Esche, Nacho Banos u. a. ist der Überzeugung, dass es Pine war. Und er hat das Original eigentlich lange genug untersuchen dürfen, sodass wir uns seiner Darstellung anschließen. Sicher ist, dass zwei Planken Sandwichartig aufeinander geleimt und daraus der Body gesägt wurde.

Bevor die Controlplate eines Precision Basses montiert wurde, trug der zweite Prototyp eine elliptisch geformte Platte, auf der die beiden Potis montiert waren. Die Nacho-Variante hat den Abdruck dieser ersten Platte exakt kopiert. (Bild: Dieter Stork)

Vielleicht hatte Leo hier bei seinem Nachbarn Paul Bigsby über den Zaun geschaut, der bereits ein paar „Spanish“-Gitarren mit einseitig aufgebautem Headstock für seinen Kumpel Merle Travis gebaut hatte, als Leo noch in Lapsteels machte. Der Sprung von den beiden Prototypen hin zur Serienproduktion war kein großer, denn viele der Eigenschaften, die die beiden Protos zeigten, fanden sich auf den späteren Esquire, Broad-, No- und Telecasters wieder: Die Materialien Pine, Esche und Ahorn, die Korpusform, der geschraubte Hals (anfangs noch ohne stabilisierenden Stahlstab), die Steg-Konstruktion mit der großen Grundplatte und natürlich der schräg eingebaute Tonabnehmer, den Fender seinem Lapsteel- Modell Champion entliehen hatte. Im April 1950 stellte Fender dann sein erstes Serienmodell, die Esquire, der Öffentlichkeit vor – und der Rest ist bekanntlich Geschichte. Zurück in die Jetztzeit und zu Nacho Banos! Der hatte die Möglichkeit, den Prototyp II genauestens zu studieren und hat sich daran gemacht, Quadratzentimeter für Quadratzentimeter eine originalgetreue Replik davon zu bauen. Und die schauen wir uns jetzt genau an, von oben nach unten:

  • Die Mechaniken stammen ursprünglich von einer Lapsteel, haben Plastik- Knöpfe, sitzen auf zwei 3er-Grundplatten und sind in sechs einzelne Einheiten aufgeschnitten. Ein Feature, das nur auf dem zweiten Prototyp zu finden war.
  • Bund für Bund wurde der Hals ausgemessen, die Original-Halsform vorne und hinten (auch optisch) kopiert, ein alter Stahlstab eingebaut sowie der gleiche Bunddraht und Stringtree von damals benutzt.
  • Nacho analysierte Röntgenaufnahmen des Originals, suchte und fand Oregon Pine mit einer ähnlichen Maserung und programmierte seine CNC so, dass die ihm die beiden Body-Planken in den exakten Maßen inklusive der Hohlkammern, die das Original ebenfalls aufwies, ausspuckte. Leo Fender hatte bei seiner anschließenden Serienfertigung auf das aufwendige Aushöhlen verzichtet, weil ihm dieser Arbeitsprozess zu lange dauerte.
  • Um das originale Finish zu erreichen, lackierte Nacho die Gitarre erst in Weiß, dann in Rot, und schliff alles wieder ab und versiegelte die Oberfläche mit Klarlack – so wie es dem Original auch geschehen war. Spuren des weißen und roten Lacks sind originalgetreu an den richtigen Stellen stehen geblieben.
  • Die Controlplate des Originals hatte ursprünglich die elliptische Form eines Footballs und wurde später durch die Platte eines 1956er Precision Basses ersetzt. Im Original ist der Abdruck der Football-Plate unter der Precision-Platte noch zu sehen; also fertigte Nacho eine Stahl-Replik dieser längst verschollenen Kontrollplatte, montierte sie vor dem finalen Lackieren und erzielte damit den gleichen optischen Effekt wie beim Original.
  • Das Pickguard hat exakt die Form und das Material (Phenolharz, bzw. Bakelit) wie das Original.
  • Der Tonabnehmer ist eine exakte Reproduktion des originalen Pickups mit einer Basis aus rotem Vulkanfiber, einer zusätzlichen Masseleitung, Magneten und Spulen wie bei alten Lapsteel- Pickups – und ohne die sogenannte „Elevator plate“, also die Metallgrundplatte, die unter jedem Tele-Pickup zu finden ist. Denn die alten Lapsteel- Pickups und damit auch das Prototyp-Original hatten die auch nicht.
Die Controlplate stammt von einem Fender Precision Bass. (Bild: Dieter Stork)

An Kleinigkeiten wie z. B. die Schrauben wurde auch gedacht; die sind natürlich allesamt korrekt als Schlitzschrauben ausgeführt und – wie die gesamte Hardware – exakt dem Original entsprechend geaged. So auch die recht krud geschnittene Halsplatte, deren Maße sich von einer typischen Tele-Halsplatte aus der Serienfertigung unterscheidet. Schräg mutet natürlich die Position der Controlplate an, vor allem, wenn man bedenkt, dass bei dem ersten Prototyp die Controlplate aus heutiger Sicht weitaus günstiger platziert gewesen ist. Beim zweiten Prototyp schien man sich wohl wieder mehr an der Lapsteel orientiert zu haben und setzte die Regler näher an den Steg. Warum aber in dieser vertikalen Anordnung, das kann man heute nicht mehr nachvollziehen.

Schrieb laut und eindringlich Geschichte: Ein ehemaliger Lapsteel- Pickup in einer T-type Gitarre … (Bild: Dieter Stork)

Abgesehen von der Akribie, mit der hier ein Original reproduziert wurde, ist die Verarbeitung perfekt. Sattel, Bundierung, Verrundung der Bünde und der Griffbrettkanten sind auf dem Boutique- Standard von heute. Ob der damalige Prototyp auch wirklich schon auf dem Stand war?

Alles wie beim Original – sogar die Lackreste. (Bild: Dieter Stork)

Ganz die Neuzeit sind die Beigaben, die Nacho Banos dem Prototyp-II-Käufer mit auf den Weg gibt: Eine prall gefüllte Ledertasche, stilecht mit einem Concho verziert, mit interessantem Inhalt wie dem Ashtray, einem Zertifikat im bunten Tex- Mex-Stil, einem Brief im versiegelten (!) Umschlag mit den wichtigsten Features der Gitarre, einer DVD mit einer ausführlichen Foto-Strecke und einer Zusammenstellung von Kopien historischer Dokumente wie Briefe, Rechnungen, Lagerbestände, diverse Katalogauszüge und Shipping-Listen. Für Sammler ein gefundenes Fressen!

In einer stilechten Ledertasche befinden sich jede Menge Case Candies und ein Zertifikat im bunten TexMex-Stil. (Bild: Dieter Stork)

Das Original

Der ein oder andere Berufsskeptiker mag vielleicht anzweifeln, dass ein Prototyp solch heftige Spielspuren aufweisen soll. Denn normalerweise werden Prototypen ein paar Musikern gezeigt, deren Meinungen eingeholt, und dann verschwindet er in der Tonne oder verbleibt in der Firma. Nicht so jedoch dieser zweite Prototyp Leo Fenders. Roy „Jimmy“ Watkins, der Gitarrist von Ted Shelton and his Bryant County Boys, spielte diese Gitarre über viele Jahre. Er war mit Shug, der Schwester George Fullertons, verheiratet und hatte so den direkten Draht zur Firma Fender, der er auch als Gitarren- Tester zur Verfügung stand. Der zweite Prototyp war also bei Watkins im Dauertest und wurde im Laufe der Jahre mehrfach modifiziert. U. a. bekam er schon recht früh einen neuen Hals mit Stahlstab und der einseitig ausgerichteten Kopfplattenform, die Fender ab 1950 für seine Tele-Modelle verwendete. Der ursprüngliche Hals, so denkt Nacho, war identisch mit dem des ersten Prototyps, also mit symmetrischer, sogenannter Snake-Kopfplatte.

(Bild: Dieter Stork)

Vermutlich war dieser zweite Protoyp die erste Fender-Gitarre mit Stahlstab und 6:0-Kopfplatte! Die trug übrigens kein Fender-Logo und auch keinen Stringtree; Letzterer wurde erst Ende der 1950er-Jahre montiert. Interessant ist, dass sowohl die Prototypen als auch die ersten Esquire-Serienmodelle noch ein Griffbrett mit einem recht flachen 9,5″- Radius aufwiesen und Leo Fender erst mit der zweiten Produktionsreihe der Broadcaster Ende 1950 auf ein stärker gewölbtes Griffbrett mit 7,25″-Maß setzte. Nacho Banos ist der Meinung, dass Leo Fender damals nicht nur einen zweiten Prototyp, sondern gleich eine Handvoll davon gebaut hat. Aber das Original, das als Vorbild für Nachos Version diente, ist die einzige Gitarre dieser Art, die bis heute aufgetaucht ist. Sie war eine Zeit lang in der Rock and Roll Hall of Fame in Cleveland ausgestellt und gehört einem privaten Sammler.

Leichtgewicht

Kann solch ein Leichtgewicht denn überhaupt klingen? Gerade mal 2 Kilo bringt Prototype II auf die Küchenwaage, kein Wunder, dass ZZ Topper Billy F. Gibbons sofort auf der Matte stand und sich eine der sechs sicherte, die Nacho von dieser Gitarre baute. Für unsereins ist solch eine leichte Gitarre anfangs doch schon ungewohnt, aber – um die zu Beginn dieses Kapitels gestellte Frage zu beantworten: Ja, sie klingt – und wie! Resonant, mit frischem Obertonverhalten und einem langen Ausschwingverhalten. Fett im Antritt, blumig im Nachhall und zwischendurch die Freude pur. Nicht so brachial twangig wie z. B. eine gute 1950er-Jahre-Tele, sondern eher mit einer eleganten, sonoren Tonfärbung, der man den semiakustischen Charakter deutlich anhört. Harte obere Mitten sind hier nicht so stark vertreten, wie man es vielleicht von einer typischen T-style-Gitarre erwartet.

Spielen lässt sich die Prototype II ganz toll. Dieses kräftige, Soft-V-Halsprofil lässt sich im Zusammenwirken mit der abgeranzten Halsrückseite bestens greifen und sorgt gleichzeitig auch für einen intuitiv respektvollen Umgang mit dieser Lady. Denn so leicht die Gitarre auch ist, dieser Hals will trotzdem richtig bearbeitet werden. Ich kann mir gut vorstellen, wie die Musiker Ende der 1940er-Jahre ungläubig vor dieser Brettgitarre standen. Das soll also eine Gitarre sein? Und als diese dann ihr Lied sang, ging mit Sicherheit die Sonne auf – durch diesen speziellen Sound, der irgendwie nach Lapsteel, aber auch irgendwie nach etwas anderem klang.

Und dieses etwas andere machte viele neugierig, versprach es doch nicht nur einen tollen Klang, sondern auch ein lautes Spielen, ohne dass einen Feedback in die Schranken verweist. Und die Prototype II trägt eben genau diese Sonne des Originals im Herzen! Weil Nacho Banos sich die Mühe gemacht hat, jedes noch so kleine optische und konstruktionstechnische Detail exakt nachzubilden. Für Leo Fender war es damals nur ein kleiner Schritt von der Prototype II hin zur Esquire. Für die Gitarren- und Musikgeschichte jedoch war es einer der wichtigsten und größten Schritte überhaupt.

Alternativen

Na ja – die einzigen Alternativen wären Prototype IIs fünf Schwestern, die aber alle schon verkauft sind. Aber: Nacho Banos plant bereits eine neue, kleine Serie dieser Gitarre.

Resümee

Natürlich umfasst die Arbeit von Nacho Banos an der Prototype II mehr als die eines üblichen Gitarrenbauers. Ziel war es nicht nur, eine gute Gitarre zu bauen, sondern den exakten Nachbau eines historisch wichtigen Instruments zu stemmen. Und beides ist Banos hervorragend gelungen – denn sowohl als historisches Anschauungsobjekt als auch als Musikinstrument versprüht die Prototype II jede Menge Faszination. Vermutlich wird sie jedoch kaum auf einer Bühne eingesetzt werden, sondern eher ihrer zweiten Mission als Dokument einer wichtigen Phase der Gitarrengeschichte in einer Vitrine dienen. Es hat Spaß gemacht, zusammen mit der Prototype II in die alten Zeiten abzutauchen, aber es hat auch genauso viel Spaß gemacht, auf diesem perfekt gebauten Instrument ein paar Takte zu spielen. Denn ihr Klang und ihre Spielbarkeit sind so einzig- und so eigenartig, wie diese Gitarre auch optisch rüberkommt. Teils Tele, teils Lapsteel, teils Semiakustik, dazu federleicht und mit einem traumhaft zu bespielenden Hals. Großartig! Wir danken Ron von Pro Guitar, der uns die Nacho Prototype II zur Verfügung stellte.

Plus

  • Erscheinung
  • Sounds
  • Spielbarkeit
  • Konzept
  • Pickup

Aus Gitarre & Bass 05/2017

Produkt: Testbericht: Yamaha SG1801PX Phil X Signature
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