Günstige Arbeitstiere, unterschätzte Underdogs, übersehene Youngtimer und vergessene Exoten: In den „Kleinanzeigen Heroes“ stellen wir euch die Geheimtipps des Gebrauchtmarkts vor, die einen maximalen „Bang for the buck“ liefern.
(Bild: Dieter Roesberg)
Acoustic Model 165
Drehen wir die Zeit zurück zum Ende der 70er-Jahre: Nach langen Jahren der Vorherrschaft von Tube-Boliden wie Marshall, Hiwatt, Fender und Orange und vielen Versuchen, mit Transistor-Amps in den Markt zu kommen, tauchten in Deutschland Vollröhren-Super-Amps wie Mesa/Boogie, Dumble oder Jim Kelley auf.
Wie so oft, wurden alle diese Newcomer nicht über große Vertriebe nach Deutschland importiert, sondern zunächst über kleine Fachgeschäfte. In Bochum gab es den Amp-Spezialisten Applied Acoustics, der 1976 die ersten Boogies nach Deutschland brachten und kurz darauf auch Alexander-Dumble-Amps importierte. Aus dem Laden Applied Acoustic der Gebrüder Roy wurde kurz darauf Kitty Hawk – aber das ist eine andere Geschichte.
Jim Kelly wurde von verschiedenen großen Händlern importiert, und dann gab es noch den Laden Prosound in Koblenz, der schon Hamer-Gitarren u.v.m. nach Deutschland importiert hatte. Einer der Inhaber, Peter Wolf, hatte immer schon perfekte Drähte in die USA. Später wurde er Importeur von PRS-Guitars, dann ging er in die USA als weltweiter Verkaufsleiter zu PRS, heute ist er bei Knaggs Guitars. Und so war er einer der ersten, der erfuhr, dass Ende der 70er-Jahre die renommierte Transistor-Bass-Amp-Marke Acoustic sich den Gitarrenverstärker-Markt genau angeschaut und eine Lücke entdeckt hatte. Und so brachten sie mit dem Acoustic Model 165 einen Vollröhren-Amp mit kaskadierenden Vorstufen auf den Markt.
Acoustic war bis dahin vor allem durch die extrem leistungsstarken und lauten Bass-Amps und -Boxen 360 und 361 sowie 370 und 301 bekannt geworden – Musiker wie Jaco Pastorius, Phil Lynott oder John Paul Jones gehörten zu den Aushängeschildern der Firma. Den größten Aufmerksamkeitsschub bekam Acoustic beim Woodstock Festival 1969, wo durchgehend eine 360/361-Anlage auf der Bühne zu sehen und zu hören war.
Das Model 165 war ein Combo mit 12“-Electro-Voice-EVM-12L-Speaker in einem offenen Holzgehäuse aus Eiche und Nussbaum. Als Modell 164 gab es das Ganze auch mit braunem Tolex, und mit dem Model 160 auch als reines Topteil, zu dem eine 12“-Box angeboten wurde.
(Bild: Dieter Roesberg)
FRANK ZAPPA AMP
Einer der ersten User des Model 165 wurde Frank Zappa, der exakt diesen Amp mit einer 12“-Zusatzbox live und im Studio von 1979 bis 1985 benutzte. Und auch sein damals 20-jähriger Gitarrist spielte exakt die gleiche Combi. Der junge Nachwuchsgitarrist spielte wie vom anderen Stern und war damals schon ein Hingucker. Sein Name: Steve Vai. Ich habe die Band zu der Zeit zweimal in Deutschland live gesehen – war zwar nicht meine Musik, aber was die Band mit den beiden Gitarristen auf der Bühne hingezaubert hat, war sensationell!
LEBENSDAUER
So gut die Entwickler von Acoustic den Markt beobachtet und das beste aller bisherigen Amps kompiliert hatten, gab es doch eine Sache, die ihnen entgangen war: Die beiden kaskadierenden Vorstufen mit insgesamt vier Volume-Reglern waren zu nah an dem Patent, das Randall Smith von Mesa/Boogie für den Mark II angemeldet hatte. Auf Einspruch des Amp-Gurus wurden die Modelle anschließend verändert. Zwar gibt es keine Veröffentlichungen darüber, aber weil die Änderungen über Nacht geschahen, war es klar, dass dies der einzige Grund sein konnte.
Ab sofort nannte sich der Verstärker Acoustic GT100 und es gab ein kleines Schwestermodell, den GT60. Kanal eins hatte nur noch einen Volume-Regler, der Master musste entfallen. Aber damit war auch der Sound nicht mehr der gleiche. Und schon 2 Jahre später wurde die Produktion eingestellt und dieses Kapitel der Firma Acoustic beendet. Ob der Patentstreit zum Ableben der Firma beigetragen hatte oder nicht, ist bis heute ungeklärt. Insgesamt wurden von der Serie Modell 165/164/160 1000 Stück gefertigt, 350 davon wurden nach Deutschland geliefert.
(Bild: Dieter Roesberg)
VERDAMMT LANG HER
Auch Klaus „Major“ Heuser der Band BAP hatte sich Anfang der 80er-Jahre einen Acoustic Model 164 zugelegt, den er auf den ersten sechs Alben der Kölner Band benutzte. Auch das legendäre, beliebte und berüchtigte Riff von ‚Verdamp lang her‘ wurde damit gespielt. Und es gibt den Klang des Acoustics sehr gut wieder. Er hatte die Zerre, das Sustain und die Kraft von Boogie und Co, aber wirkte insgesamt etwas weicher und wärmer, während Mesa mit jeder neuen Version härter und schärfer wurde. Klaus „Major“ Heuser war von seinem Amp total überzeugt. Da er ihn aber fast täglich live und im Studio benutzte und er wusste, dass es keinen Nachschub mehr gab, beauftragte er die deutsche Firma Poseidon, ihm eine Kopie des Acoustic Model 165 anzufertigen. Diesen Amp sah man dann die nächsten Jahre bei BAP, bevor das Rack-Zeitalter einsetzte und auch Heuser Rack-weise Equipment auf die Bühne schleppen ließ.
TEST IM FACHBLATT
Ende der 70er/Anfang 80er war ich Redakteur beim Fachblatt Musik Magazin. 1977 hatte ich den ersten in Deutschland erhältlichen Mesa/Boogie MK 1 getestet, und auch der Acoustic Model 165 fand den Weg in mein Arbeitszimmer. Der Bericht erschien Anfang 1980, und wenn ich den jetzt über 40 Jahre später lese, muss ich sagen, dass alles was drin steht, stimmt. Natürlich konnte man nicht wissen, was noch kommen sollte, aber die Einordnung hat noch heute Gültigkeit: ein super klingender, durchdachter Röhren-Amp mit Power, Soundvielfalt und allen Optionen, die heute Standard sind. Und das mit – im Vergleich zum Mesa/Boogie MKI und MKII – einfacherer Bedienbarkeit. Einzig, dass der Amp in seinem „Ikea-Look“ mit Eiche und Nussbaum etwas bieder aussah, war damals ein Manko.
Ich habe den Amp damals gekauft, oft im Studio verwendet und auch eine Zeit lang live gespielt – dank Flightcase ist er auch heute noch gut erhalten. Ich habe ihn jetzt nach vielen Jahren Pause wieder angeschmissen und erstaunlicherweise funktioniert noch immer alles. Ein Schalter wollte erst nicht, aber nach kurzem Aufwärmen und ein paarmal bedienen kam es zum Déjà Vu – der gleiche Sound wie vor vielen langen Jahren. Verblüffend perfekt in Zimmerlautstärke und dann überaus kraftvoll mit geforderter Endstufe und EV-Speaker. Insgesamt ein großer Bassanteil, der durch den Bass-Boost nochmal getoppt werden kann. Zusammen mit dem Overdrive brachte das einen weichen, singenden und harmonischen Lead-Ton.
Aber auch Kanal eins war nicht zu verachten: sehr in der Tradition einen Twin-Reverbs mit vielen brillanten Höhen und einer voluminösen Tiefe. Im Studio musste der Amp für Allerlei herhalten, unter anderem auch zum Verstärken einer angezerrten Mundharmonika, die dann über ein Leslie-Kabinett zu Gehör gebracht wurde. Nur eine von vielen Anwendungsbeispielen. Ich habe mir nochmal alte Aufnahmen angehört und bin überrascht, welche Vielfalt der Amp bietet – von jazzig-clean über Sustain-reich angezerrt, und auch heavy Riffs klingen überzeugend.
(Bild: Dieter Roesberg)
TECHNIK
Die Modelle 165/164 und 160 sind reine Vollröhren-Amps mit vier 6L6-Röhren von Groove Tubes in der Endstufe. Die Leistung ist umschaltbar von 100 auf 60 Watt. Dazu kommen vier 12AX7-Vorstufenröhren (ebenfalls GT). Die Eingangsstufe kann von Röhren auf FET umgeschaltet werden. Die beiden Kanäle sind hintereinandergeschaltet und per Fußschalter oder am Amp umschaltbar, der Schaltzustand wird jeweils mit einer LED angezeigt. Zunächst pegelt man Kanal eins ein mit Gain und Master, schaltet Kanal zwei hinzu und passt dann Zerrgrad und Lautstärke an. Klangregelung: Bass, Mitten, Höhen, Presence, Bass-Boost und Treble-Boost, letztere sind durch Push/Pull-Funktionen hinzufügbar. Ein 5-Band-EQ mit +/- 18 dB kann per Schalter bzw. Fußschalter zugeschaltet werden, das gleiche gilt für den regelbaren und schaltbaren Accutronics Federhall – Anfang 1980 eine totale Seltenheit.
Auf der Rückseite gibt es einen seriellen Einschleifweg, der erstaunlich gut funktioniert, im Gegensatz zu den vergeblichen Versuchen bei Mesa dieser Zeit, dies sinnvoll hinzubekommen. Außerdem gibt es einen zweiten Speaker-Anschluss, einen Impedanz-Schalter, der zwischen 4 und 8 Ohm wechselt, sowie einen Ground-Lift-Schalter. Die Amps waren ab Werk so eingerichtet, dass sie ohne großen Aufwand von 110 auf 230 Volt umgeschaltet werden konnten. Auch heute noch erschreckend: Der Amp wiegt 30 kg!
HEUTE
Damals kostete das Acoustic Model 165 exakt 2400 D-Mark, umgerechnet knapp 1200 Euro (Inflation nicht berücksichtigt). In den Kleinanzeigen tauchen die Modelle 165 und 164 immer wieder auf, und werden für deutlich unter 1000 Euro gehandelt. Unglaublich!
Wie so oft schrecken viele aufgrund des Gewichtes zurück , meinen Erfahrungen nach haben jedoch sämtliche alte Vollröhren Amps die auffallend gut klingen , ein höheres Gewicht , solange es Combos mit schweren Trafos und Speaker Magneten sind … und keiner will mehr etwa schleppen und sie denken diese Klangfülle gibts heute im Hand Taschen Format , ich glaub nur an die Dinos , sie überzeugen mich immer wieder , aber ja , Junge Leute müssen ihre eigenen Erfahrungen machen . In den Kleinanzeigen stand lange ein solcher , nicht sicher ob es der Tube war ?♂️ aber die Transistor verkauften sich ja noch schlechter damals , also war es wohl besagter , für 800 € und offen blieb ob der je verkauft wurde
@ Rainer: Tja, diese Weicheier von heute. Ich habe einen PCL Vintage Amp 1956 von ca. 1985. Bei Ebay Kleinanzeigen mal für ganz, ganz wenig Geld in Topp Kondition + Service erstanden. Der hat/hatte als standard Lautsprecher einen EVM 12S drin. Der Amp ist auch schwer wie Blei. Aber er klingt halt. Nur heute nimmt man lieber ein Laptop + Software und alles wird digital. Ich halte davon nix, genau wie du Rainer. So oller Dinosaurier-Röhrenamp, der hat schon was. Trotz Gewicht, trotz fehlendem USB Anschluß und Firmware Update. Ich hatte auch verschiedene Digital Teile. Aber die haben alle den Weg zum Schrottplatz gefunden, wo sie auch hingehören. Mein Kumpel hatte mal den GT60. War auch ein schönes Teil. Der andere Kumpel von mir hatte sich damals der erwähnten Poseidon bestellt. Lang, lang ist’s her. Meine Güte.
Der zukünftige Trend geht wohl leider doch in die Richtung der totalen Digitaltechnik,die dann die „moderne Generation“ bevorzugt,weil ältere solide Röhrenverstärker viel teurer und schwergewichtig sind.
Ich besitze auch noch einige alte Vollröhren Combo-Amps, (z.B. Hayden,Marshall,Laney und Starfield/made by Ibanez/Leeds/England) die ich niemals verkaufen werde,weil sie de facto sehr gut klingen,und damals durchaus robust gefertigt wurden!
Das Gesamtgewicht eines soliden Vollröhren-Verstärkers ist jedoch bestimmt nicht von der Hand zu weisen,denn jede(r) Gitarrist(in) kommt auch irgendwann einmal in ein gewisses Alter,in dem die Bandscheiben hinüber sind. Das sollte man realistisch betrachten,und frühzeitig praktische Rollen unter dem Amp befestigen.
Der damalige Starfield VT-100 Watt Röhren-Amp hatte in den frühen 1990er-Jahren bereits teilweise Rollen unter der Bodenplatte ab Werk montiert. Der „kleinere“ Starfield VT-50 Watt Combo (handverdrahtete) Boutique-Amp mit einem Original Celestion 12“ Zoll Lautsprecher wog ja schon satte 20 Kg,und war somit auch kein Leichtgewicht. Heute ist dieser besagte „Brüllwürfel-Combo“ aus Great Britain in unverbasteltem Originalzustand kaum noch unter 500,-€ gebraucht von Privat zu finden!
Die einstige Produktion dieser Starfield Amps war leider relativ kurz,und deshalb scheinen diese wunderbar klingenden Amps bis heute nur Insidern bekannt zu sein,was sie zweifelsfrei zu hochbegehrten Objekten unter echten Kennern macht.
Fazit: der Klang eines alten Vollröhren-Amps ist absolut nicht mit der „modern-sterilen“ Digitaltechnik zu vergleichen! Es lebe die alte ehrwürdige Röhrentechnik!