Klassiker reloaded: Peavey Classic 20 112 Combo im Test
von Michael Dommers, Artikel aus dem Archiv
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(Bild: Dieter Stork)
Als der US-Hersteller Peavey Electronics 1973 erstmals die Amps seiner Classic-Reihe vorstellte, war kaum damit zu rechnen, dass es sie mehr als 50 Jahre später immer noch geben würde. Anfang der 90er erblickte der Classic 20 Combo im schicken Tweed-Gehäuse mit Top Panel und 1×10″-Speaker das Licht der Welt. Damals natürlich noch Made in USA. 2015 präsentierte Peavey neben dem überarbeiteten Classic 20 Combo mit 1×12″-Speaker und Frontpanel ein Mini-Topteil-Pendant, das immer noch zum aktuellen Lineup zählt. Während seitdem Technik und Ausstattung nahezu unverändert blieben, glänzen die neuen Modelle mit überarbeiteter Optik.
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(Bild: Dieter Stork)
IM ANGEBOT
Der Blick auf das vordere Bedienfeld lässt zunächst nichts Besonderes erwarten: Solide Power- und Standby-Schalter, eine große rote Betriebsanzeige, darunter zwei T.S.I.-LEDs (Tube Status Indication), die separat den Betriebszustand der EL84-Endröhren signalisieren. Im Standby-Modus leuchten diese rot, bei aktivem Amp grün. Es folgen die Regler Reverb, die passiven Klangregler Treble, Middle und Bass, Post- und Pre-Gain (die traditionellen Peavey-Bezeichnungen für Master Volume und Input Gain), Kanalschalter, das Volume-Poti des Clean Channel und der Input.
(Bild: Dieter Stork)
Große Augen mache ich beim Blick auf die üppig bestückte Rückseite: Sie beginnt mit einem Spannungswahlschalter (115/220-230 Volt), einer Netzkabelbuchse und einem Sicherungshalter. Per Power-Output-Switch lässt sich die Ausgangsleistung des Classic 20 auf 5 und 1 Watt reduzieren. Der vom bordeigenen „Sheffield 1230+“-Lautsprecher belegte Speaker-Ausgang besitzt einen soliden Schalter zur Impedanzwahl (8/16 Ohm). Eine weitere Ausgangssektion bietet einen 3,5mm Kopfhörerausgang mit Lautsprecherstummschalter und einen trafo-symmetrierten XLR-Out mit Ground-Lift-Switch. Phones und D.I.-Out werden per MSDI (Mic Simulated Direct Interface) frequenzkorrigiert, halten also eine Speaker-Simulation bereit. Es folgen die Send- und Return-Buchsen des seriellen FX Loops und die TRS-Anschlüsse für zwei Zweifachfußschalter, von denen einer zum Lieferumfang zählt.
(Bild: Dieter Stork)
Sie gestatten die Schaltmöglichkeiten Channel Select/Boost On/Off bzw. Reverb/FX Loop On/Off. Komplettiert wird die Rückseite von einem USB-B-Anschluss, der als Audio Interface z.B. für Recording genutzt werden kann und ebenfalls mittels MSDI frequenzkorrigiert wird.
DRUMHERUM
Das aus 15 und 12 mm Birkensperrholz bestehende Gehäuse wurde vorbildlich verarbeitet. Vierkantleisten stabilisieren den Rahmen und halten die verschraubte Rückwand. Den Tweed-Bezug hat man bis in die hintersten Ecken perfekt aufgebracht. Vier Gummifüße garantieren sicheren Stand, während acht verschraubte Stahlecken beim Transport schützen, der sich dank des stabilen handlichen Kunstledergriffes und des geringen Gesamtgewichts problemlos bewältigen lässt. Hinten sorgen zwei ovale, mit Wabengittern gesicherte Öffnungen für Luftzufuhr. Den Peavey-Zwölfzöller hat man mit vier Schrauben an der Schallwand montiert.
(Bild: Dieter Stork)
INNENDRIN
An vier langen Gewinde- und drei Holzschrauben hängt das aus Stahlblech gebogene Amp-Chassis unter der Gehäusedecke. Vier üppig bestückte, mit dem Chassis verschraubte Platinen sind durch Flachbandkabel und dicke Einzellitzen, die man sorgfältig zu Kabelbäumen zusammengebunden hat, miteinander verbunden. Letztere finden Kontakt durch isolierte Steckschuhe.
Lastwiderstände (Bild: Dieter Stork)
Um den Speaker deaktivieren zu können, schützen auf der Ausgangsplatine fünf Lastwiderstände die Endstufe. Alle Röhren sitzen in stramm packenden Sockeln, die ECC83 werden zusätzlich durch Alukappen gesichert. Insgesamt kann ich sorgfältige, solide Verarbeitung attestieren.
(Bild: Dieter Stork)
Praxistest und Resümee auf Seite 2 …
POWER ON
Nach Betätigen des Netzschalters leuchtet die große rote Pilot Lamp dermaßen hell, dass die beiden zunächst roten T.S.I.-LEDs, die den Status der Endröhren während des Aufheizens und eventuelle Fehlfunktionen beim Vollbetrieb signalisieren sollen, im Standby-Modus nicht zu erkennen sind. Erst der Standby-Switch lässt sie gut sichtbar grün aufleuchten, was den fehlerfreien Betrieb des Classic 20 anzeigt. Der Clean Channel besitzt – abhängig von der Output-Power-Wahl – eine Menge Headroom. Während ihm PAF-Style-Humbucker im 20-Watt-Betrieb etwa bis Volume 7 warme ausgewogene Clean-Sounds mit luftiger Transparenz und geschmeidigen Höhen entlocken, vernehme ich beim selben Setting im 1-Watt-Modus sahnigen, im 5-Watt-Betrieb dezenteren, sehr akzentuierten Crunch.
Während der Clean-Kanal eindeutig Vintage-Flair versprüht, gibt sich der Lead Channel mit viel Gain moderner. Er kann aggressiv beißen und stellt Akkorde wunderbar harmonisch dar. Mit ein wenig Fingerspitzengefühl bietet er sogar Low-Gain-Crunch-Sounds, wenn man nämlich Pre-Gain auf eins und Post-Gain nach Bedarf einstellt. Seine Stärken liegen jedoch unbestritten im Mid- bis High-Gain. Beides zeichnet sich durch harmonische Distortion, Letzteres durch enormes Sustain aus, das jedem solierenden Hardrocker Freudentränen entlocken dürfte. Die beide Kanäle gleichzeitig bedienende passive 3-Band-Klangreglung zeigt reichlich Effizienz, sogar im High-Gain-Betrieb. Mit ca. 3400 ms Decay Time macht der eingebaute Digitalhall selbst bei spendabler Zumischung eine gute Figur.
Die ausschließlich fußschaltbare Boost-Funktion fettet den Sound nicht nur ein wenig an, sondern bewirkt auf beiden Kanälen eine Pegelanhebung von etwa 4dB, mangels Herstellerangaben gemessen mit der Pegelanzeige meines Mixers – Angabe natürlich ohne Gewähr. Für einen praktikablen Solo-Boost reicht das erfahrungsgemäß nicht aus, zumal sich die Wirkung mit zunehmender Verzerrung abschwächt.
Sowohl dem D.I.- als auch dem Phones- und dem USB-Out hat Peavey die Frequenzkorrektur MSDI spendiert, die praxisnah und geschmackvoll abgestimmt wurde und daher klanglich absolut überzeugt. Dank der installierten Lastwiderstände kann bei Bedarf der Lautsprecher komplett abgeschaltet werden ohne der Endstufe zu schaden.
Die fußschaltbare serielle FX Loop lässt sich nicht nur für externe Effekte nutzen. Wünscht man sich beispielsweise eine praktikablere Anhebung des Ausgangspegels als der bordeigene Boost, wären hier zusätzliche Booster (passive wie z.B. der Rath-Amp Solo Switch oder Minus-Booster, oder aktive wie Graphic EQs oder Clean Booster) eine gute Alternative.
In Verbindung mit dem stabilen Plywood-Gehäuse überträgt der Sheffield Zwölfzöller die Sounds sehr differenziert und transparent und verleiht dem Class 20 Combo ordentlich Druck und Klangfülle.
(Bild: Dieter Stork)
RESÜMEE
Schon Peaveys Classic-Amps der 90er-Jahre waren und sind auch heute noch unter Gitarristen höchst beliebt. Die mit zusätzlichen praktischen Features erheblich aufgewerteten aktuellen Classic-Modelle erweisen sich klanglich nicht nur als absolut ebenbürtig, sondern sind dank Leistungsreduzierung, frequenzkorrigierter D.I.-, Phones- und USB-Ausgänge sowie vier Fußschaltfunktionen wesentlich vielseitiger einsetzbar. Zudem bietet sich der Clean Channel als exzellente Pedal Platform an. Kurz: Ein toller leistungsstarker Amp, nicht nur für Club-Gigs, zudem top verarbeitet und zum fairen Preis.