Die Soundmaschinen im Soundcheck

Boutique-Legenden: Trainwreck vs. Gladius

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(Bild: ProGuitar)

Für diesen Test habe ich einen besonderen Leckerbissen: Aus dem ProGuitar-Shop in Schwarzenbruck bekam ich drei brandneue Trainwreck-Originale aus (wieder) aktueller Produktion sowie die entsprechenden Repliken von Gladius für einen ausführlichen Vergleich.

TRAINWRECK HISTORIE

Neben seltenen Marshall- und Fender-Konstrukten aus früher Produktion gibt es eigentlich nur zwei echte Boutique-Legenden, die heute als Originale Traumpreise unter Sammlern erreichen. Ganz oben auf der Liste stehen wohl die Dumble-Overdrive-Special-Amps, die mittlerweile im sechsstelligen Bereich gehandelt werden. Sie markieren den Anfang der sogenannten Boutique-Amp-Ära. Ab 1982 baute der geniale Amp-Techniker Ken Fischer zunächst für einen Freund einen eigentlich als Low-Budget-Produkt ausgelegten Prototypen, der unter dem Namen Trainwreck Liverpool in die Geschichte eingehen sollte.

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Fischer war ein ähnlich kompromissloser Tüftler wie Alexander Dumble und baute genau wie sein Mitbewerber ausschließlich Custom-Amps in sehr geringer Stückzahl. Eine schwere Krankheit ließ 1988 bei Ken Fischer Folgeschäden zurück, die seine Arbeitsfähigkeit stark einschränkten und denen er schließlich 2006 viel zu früh erlag. Zu dieser Zeit war die Warteliste für seine Kunden aufgrund seiner Krankheit immens. Denn auch ohne Werbung oder Marketing-Gimmicks wurden seine Amps schnell zum Geheimtipp für Klangliebhaber.

Seine und Dumbles Philosophie glichen sich überraschend übereinstimmend. Robben Ford erklärte mir das vor einigen Jahren in einem Interview wie folgt:

„Diese Leute haben wahrlich das Rad nicht neu erfunden. Sie bauen im Grunde einfache Amps ohne die tausend kleinen Switches und Push-Pulls. Der Klang kommt aus dem Konstrukt selbst. Sie suchen nach dem puren, maximal dynamischen Ton, der diese Amps selbst zu einem Instrument macht. Dazu gebrauchen sie fast ausschließlich ihre Ohren und tauchen in den Mikrokosmos von Layouts, Kondensatoren und Übertragern ein. Und das teils soweit, dass sie sich auch manchmal darin verlieren. Im Grunde ist dieser Aufwand unbezahlbar. Diese Amps könnte man auch als Kunstwerke betrachten.“

Das beschreibt die Arbeitsweise eines Ken Fischers wirklich gut. Sein Geheimnis lag nicht nur in der Schaltung, sondern vor allem in der Auswahl der Komponenten. Und welche schließlich seiner harten Prüfung standhielten, entschied seine seit jeher komplexe Vorstellung von einem guten Gitarren-Ton. Sounds, die die Musiker beflügeln und inspirieren. All das gelang Ken Fischer so gut, dass er tragischerweise erst nach seinem frühen Tod einen enormen Legenden-Status erreichte. Schließlich hat er zu Lebzeiten kaum mehr als 100 Amps gebaut.

Anders als Dumble nahm er sich vor allem britische Amps als Vorbild: den Vox AC30 zum Beispiel, auf dem seine Modelle Rocket und Liverpool aufbauen, sowie den Marshall Plexi, den er mit seinem Express-Modell würdigte. Schaut man sich die Schaltungen seiner drei Modelle genauer an, entdeckt man, dass er sich bei Fender, Vox und Marshall bedient hat, um seine Custom-Amps in eine neue Dimension zu heben. Von allen das Beste! So lautete seine Devise.

Das große Geheimnis liegt also nicht in der Schaltung allein, sondern in der Fähigkeit des Erbauers, all diese Zutaten zu einem Kunstwerk zu machen.

Dumble und Fischer werden für diese Herangehensweise oft belächelt. Vor allem in messgläubigen Technikerkreisen wie in unseren Landen. „Tone-Building“ wird hier einfach zu oft missverstanden oder als Marketing-Getue verrissen. Und da ich ja selbst Amp-Techniker bin, kann ich mit solchen Ansätzen durchaus etwas anfangen. Schließlich konnte ich nun diese Amps persönlich und in aller Ruhe testen – und sie klingen so überzeugend und überragend, dass sich einem durch bloßes Studium der Schaltungen die Geheimnisse solcher Sounds einfach nicht erschließen. Und bevor man da mitreden möchte, sollte man diese Verstärker einfach mal gehört haben.


DIE SOUND-MASCHINEN

Ein Trainwreck passt heute eigentlich gar nicht mehr in das industrielle Portfolio aktueller Gitarrenverstärker. Hier heißt die Devise allzu oft: Flexibilität oder Vielseitigkeit. Die „eierlegende Wollmilchsau“, nach der jeder zu suchen scheint. Ein Trainwreck hat eben nur einen ganz speziellen Sound, der die Vorlieben des Erbauers unmissverständlich auf den Punkt bringt. Alle drei Verstärker sind laut, raubeinig, geräuschvoll, unfassbar dynamisch und komplex.

Sie strotzen geradezu vor Muskelmasse und ähneln in diesem Punkt Ken Fischers geliebter Harley Davidson. Es gibt jeweils nur einen Input, Regler für Volume, Treble, Mitten, Bass und einen Presence-Regler – das muss genügen. Die Elektronik sorgt dafür, dass die Amps immer am Limit laufen. Endstufenverzerrung mit nur geringer Gegenkopplung und gainfreudige Röhren wie die EL84 oder EL34 sorgen für dieses mächtige Getöse, dass so ganz anders klingt als ein „braver“ Fender-Amp.


AUFERSTEHUNG DER LEGENDE

Fischers langjähriger Mitarbeiter John Mark konnte die Familie des Gründers vor einigen Jahren davon überzeugen, dass es immer noch eine Nachfrage nach diesen Verstärkern gibt. Er bot sich an, die drei Modelle Liverpool, Express und Rocket wieder exakt so zu bauen wie der verstorbene Fischer – einschließlich der wunderschönen Holzgehäuse. John Mark baut seither mit ähnlich kritischen Ohren diese Trainwrecks für Liebhaber auf dem amerikanischen Markt. Kaum wurde dieses Vorhaben bekannt, füllte sich wieder die Warteliste mit Trainwreck-Enthusiasten, denen es bisher nicht vergönnt war, eines der extrem seltenen Originale zu erhaschen.

Umso erstaunlicher, dass ProGuitar-Chef Ron Mehl alle drei Amps für seinen Laden ergattern konnte. Schließlich arbeitete er schon seit längerer Zeit selbst zusammen mit Gladius-Gründer Adrian Socnik an Repliken dieser Amps. Also war es nur logisch, die Originale zu ordern, damit sich Kunden von diesem Vorhaben überzeugen konnten. „Ich habe mal auf einem USA-Trip einen originalen Trainwreck Express gehört, und dieses Erlebnis hat mich seitdem nicht mehr losgelassen.“, so Ron Mehl zu seiner Liebe zu diesen Produkten.

Im Laufe der Zeit entwickelte sich eine eifrige Korrespondenz zwischen John Mark, Ron Mehl und Adrian Socnik, den Mark sogar bei seinem Vorhaben hilfreich unterstützte, ohne aber Betriebsgeheimnisse preiszugeben. Socnik arbeitete zusammen mit Ron Mehl hart an der Entwicklung seines Hommage-Trios, und das Ergebnis kann sich mehr als hören lassen.

Zwei Wochen lang stöpselte ich mein Gitarrenkabel in die jeweiligen Paarungen von Trainwreck und Gladius und konnte mich selbst von der Treffgenauigkeit dieser Repliken überzeugen. Socnik gelingt es tatsächlich, die spezielle Textur dieser Amps einzufangen. Ein Unterfangen, das er vor allem dem Zugang der von Fischer präferierten Trafos geschuldet sieht.

Nur in einem Punkt weicht er von den Originalen ab. Neben einem Master-Volume hat er seinen Amps sogar noch einen eingebauten Powersoak spendiert. Und das ist klug, denn die Trainwrecks sind wahre Lautstärke-Monster. Verstärker, die ihre volle Qualität vor allem aus der Endstufensättigung zaubern, lassen mitunter die Wände wackeln und die Front-Of-House-Mixer verzweifeln. Es ist ihm gelungen, den Trainwreck-Sound in – sagen wir mal – Bühnen- oder Proberaumlautstärke zu überführen. Und das ist ein großes Plus.

Auch in puncto Verarbeitung scheint es so, dass er hier und da noch ein Schippchen drauflegen konnte. Chassis und Gehäuse scheinen beim deutschen Produkt etwas stabiler und solider. Zuletzt freut es, dass seine Amps seitliche Griffe haben, die bei den Originalen gänzlich fehlen. Man weiß nie so recht, wie man einen Trainwreck am besten hochheben soll.


SOUNDCHECK

Zum Soundcheck mit allen sechs Amps hatte ich drei Boxen am Start. Zwei Gladius-2×12-Boxen mit Celestion Alnico Blues bzw. Celestion Creambacks sowie eine 1967er Marshall-4×12-Box mit 25-Watt-Greenbacks (Lead-Cones). Die Testgitarre war eine Gibson Collectors Choice „Nicky“ mit originalen PAF-Pickups.

Gladius Liverpool (Bild: Udo Pipper)

LIVERPOOL

Der Liverpool, dessen Namen wohl von einer Hommage Fischers an seinen Lieblings-Amp, den Vox AC30, herrührt, klingt wie ein AC30 „on steroids“. Alles tönt hier größer, fetter, dynamischer und mit satterem Overdrive. Ein Tone-Monster, das in bester Manier vielleicht an dicke Brian-May-Riffs erinnert.

Nach ein paar Powerchords meint man den Rock-Amp schlechthin vor sich zu haben. Mit der Les Paul klingt der Amp schon in unteren Lautstärkebereichen außerordentlich fett und satt. Eine tiefe Mittenkralle liegt in den Akkorden, wie sie wohl kein Pedal der Welt zutage bringen mag. Trotz der überraschend direkten Ansprache kippen die Töne schon jetzt in ein langes Sustain, das es auch ohne Highgain-Einstellungen erlaubt, singende Soli zu spielen.

Trainwreck Liverpool
Trainwreck Liverpool

Bei keinem anderen Amp habe ich das bisher in dieser Ausprägung gehört. Die Betonung bleibt auch bei höheren Lautstärken stets in den unteren Mitten, etwa wie bei einer alten BMW-Einzylinder oder der bereits erwähnten Harley. Hier passt die Gladius-Box mit den Creambacks am besten, während die alte Marshall-Box nur knapp dahinter agiert, in den unteren Registern aber schon manchmal überfordert scheint.

Ab Lautstärke im Zwölf-Uhr-Bereich wird der Amp kaum noch lauter, sondern mischt noch mehr dieser unglaublich kräftigen Overdrive-Tugenden hinzu. Die Pforten öffnen sich, wenn ihr wisst, was ich meine.

Der Gladius tönt fast exakt wie sein Vorbild. Nur die Mitten liegen einen Hauch höher als beim Trainwreck, was mir beim Test sogar etwas besser gefiel, da jetzt auch die 4×12-Box wieder voll mitspielen kann. Der Ton scheint ein wenig durchsetzungsstärker und sogar konturierter. Klasse!


Gladius Express (Bild: Udo Pipper)

EXPRESS

Der Express spielt noch etwas wilder und aggressiver auf. In der Vorstufe fast identisch mit dem Liverpool setzt er sich vor allem durch die EL34-Endstufe vom Vorgänger ab. Der Ton kommt hier noch etwas muskulöser und dicker daher. Ein Meilenstein in Sachen Power-Riff. Etwas anderes mag man mit diesem Amp auch gar nicht spielen. Er ist auch der lauteste der drei Testprobanden.

Wobei man den Begriff Lautstärke hier auch erst einmal neu definieren müsste. Mein iPhone misst schon bei halber Lautstärke weit über 100 dB. Wie eine Abrissbirne scheint dieser Amp meinen Hörraum zerlegen zu wollen. Alles schwingt, rasselt und klappert, was bisher auch keinem frisch restaurierten Twin Reverb gelang.

Trainwreck Express
Trainwreck Express

Die Oberton-Textur ist aufgrund der Endstufenröhren etwas weniger farbenfroh als beim Liverpool, dafür aber umso kraftvoller. Der Gladius kann auch hier voll mithalten. Wieder liegen die Mitten einen Hauch höher, wobei die Höhen allerdings etwas schöner auflösen und prägnanter gelingen als beim Vorbild. Auch dankt man hier dem Powersoak für geringere Lautstärken und somit längerer Spielfreude, denn den Express hält man im 25 Quadratmeter großen Hörraum nicht lange aus. Die Leistungsreduzierung ist hier also mehr als willkommen.


Gladius Rocket (Bild: Udo Pipper)

ROCKET

Der Rocket spielt schließlich auf wie ein wirklich guter, alter Vox AC30. Nicht mehr und nicht weniger.

Und diesmal gefällt mir der Gladius wirklich eindeutig besser, denn diese typisch glockigen U2-Klänge oder auch mal glasklare Akkorde gelingen überzeugender, obwohl der Trainwreck auch hier ordentlich vorgelegt hat. Letzterer klingt nun wirklich traumhaft mit der Gladius-2×12-Alnico-Bestückung. Und das ist am Ende mein persönlicher Favorit, auch wenn das beeindruckendste Ergebnis in Sachen Rockton der Express liefern konnte.

Trainwreck Rocket
Trainwreck Rocket

Am Ende sind Beschreibungen von Klangerlebissen ja immer etwas sehr Persönliches. Wer diese Klänge einmal selbst hören und erleben möchte, dem sei ein Vor-Ort-Termin bei ProGuitar empfohlen. Nirgends sonst kann man diese Amps derzeit ausschweifender testen kann als dort.


(erschienen in Gitarre & Bass 01/2022)

Produkt: Jazz Amp
Jazz Amp
Realität oder Illusion?

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