Mathias Dieth im Interview: Leadgitarrist bei Datog
von Matthias Mineur, Artikel aus dem Archiv
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(Bild: Matthias Mineur)
Wenn sich der Kölner Gitarrist Mathias Dieth zwischen seinem Beruf als Rechtsanwalt und seinen künstlerischen Vorlieben für Rock und Metal zu entscheiden hätte, müsste er vermutlich passen! Denn mit den Bands Tiffany Kills und der Allstar-Truppe DATOG (Kurzform für Dirkschneider And The Old Gang) sowie einem Flamenco-Duo hat er derzeit gleich drei musikalisch heiße Eisen im Feuer. Wie es dazu kam und mit welchen Instrumenten er das DATOG-Debüt ‚Babylon‘ eingespielt hat, erzählt der 61-jährige Musiker in einem ausführlichen Gespräch.
INTERVIEW
Mathias, um ein Haar wärst du Pianist und nicht Gitarrist geworden, oder?
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Na ja, ganz so knapp war es nicht. Meine Eltern wollten, dass ich Klavier spiele, deshalb bekam ich mit neun Jahren Unterricht, konnte mich aber nie so richtig dafür begeistern. In unserem Wohnzimmer hing eine Gitarre an der Wand, auf der meine Mutter mitunter ein paar Akkorde spielte. Irgendwann schnappte ich mir die Gitarre, und merkte, dass ich sie deutlich reizvoller fand als Klavier. Nach einer kurzen Diskussion genehmigten mir meine Eltern Gitarrenstunden, wenig später gründete ich meine erste Schülerband. Ein paar ältere Mitschüler liehen uns ein paar billige Hertiecaster-Gitarren und alte Verstärker, auf denen wir drei Nummern spielten, darunter ‚Radioaktivität‘ von Kraftwerk und ‚Oh Boy‘ von Mud.
Eine geliehene Hertiecaster als Urknall einer bemerkenswerten Karriere!
Die Hertiecaster hat mir mein Vater anschließend für 60 Mark gekauft. Mit 14 investierte ich die Geldgeschenke meiner Verwandten zur Konfirmation in einen Verstärker und eine Tacoma-Stratocaster-Kopie. Die Tacoma war meine erste Gitarre, mit der man etwas anfangen konnte. Irgendwann riss mir die tiefe E-Saite. Da wir auf dem Land und ohne Musikgeschäft für Ersatzteile wohnten, hatte meine Gitarre monatelang nur fünf Saiten. Damit Akkorde zu spielen machte keinen Spaß, und so wurde ich Sologitarrist. Mit 16 entdeckte ich UFO mit Michael Schenker. Schenker wurde mein Held, mein Idol. Metal gab es damals bei uns noch nicht, es nannte sich Hardrock und hatte auf mich eine unfassbare Anziehungskraft.
Mit 18 bist du bei der überregional bekannten Band Gravestone eingestiegen.
Gravestone war eigentlich eine Art Hippie-Band, die den typischen Prog-Rock der Siebziger spielte. Sie hatten aber einen neuen Gitarristen, Klaus „Doc“ Reinelt, den ich super fand. Ich dachte: Mit dem will ich spielen, von ihm kann ich etwas lernen! Es funktionierte tatsächlich, als ich zu Gravestone stieß waren wir beide Solo-Gitarristen, die sich gegenseitig anfeuerten. Durch uns entwickelten sich Gravestone zu einer typischen Metal-Band der frühen Achtziger. Nach einem Nachwuchsfestival in der Stuttgarter Schleyerhalle bekamen wir einen Plattenvertrag, wodurch alles etwas professioneller wurde. Gleichzeitig war ich Schüler am Münchner Gitarren-Institut MGI, das Absolventen des GIT in Los Angeles gegründet hatten.
Bist du von Gravestone direkt zu Sinner gewechselt?
Ja. Ihr Frontmann Mat Sinner hatte mich spielen gesehen und ließ eines Tages seinen Manager Manfred Hertlein bei mir anrufen. Mit den Gravestone-Jungs war es zunehmend schwieriger geworden, einige waren im Studium oder in Ausbildung und konnten nicht mehr so viel proben. Mir war das zu wenig, ich hatte Blut geleckt und ging daher zu Sinner. 1986 habe ich mit ihnen das Album ‚Comin’ Out Fighting‘ aufgenommen, mit Produzent Chris Tsangarides und dem heutigen Deep-Purple-Organisten Don Airey. Ich war noch an einer zweiten Platte beteiligt, aber während der Aufnahmen rief mich Udo Dirkschneider an und sagte: „Ich bin bei Accept raus und suche Gitarristen für meine eigene Band.“ Dieses Telefonat hat mein Leben verändert.
Musstest du lange über sein Angebot nachdenken?
Nein, ich war Accept-Fan, ging zu ihren Konzerten und war von der Band schwer beeindruckt. Udo lud mich zum Vorspielen ein, ich wohnte damals in Stuttgart-Hohenheim und studierte Wirtschaftswissenschaften. Mit Sinner konnte ich mein Studium zwar halbwegs verbinden, aber immer, wenn ich für eine Klausur lernte, hätte ich eigentlich Gitarre spielen müssen. Und immer, wenn ich Gitarre übte, hätte ich fürs Studium lernen müssen. Das hat mich innerlich fast zerrissen. Als Udo anrief, dachte ich: Das ist ein Zeichen! Ich habe sofort mein Zeug gepackt, bin nach Düsseldorf in den Proberaum von Warlock gefahren, mit Frank Rittel und Peter Szigeti waren ja zwei Warlock-Musiker dabei. Udo holte mich vom Bahnhof ab. Ich dachte, jetzt kommt hier der Rockstar mit seiner riesigen Limousine, doch stattdessen kam der kleine Udo mit einem kleinen Auto, ganz unprätentiös, ganz geerdet und sympathisch. Ich hatte zur Vorbereitung drei oder vier Songs bekommen, die später auf dem Album ‚Animal House‘ zu finden waren. Udo war mit meinem Spiel hochzufrieden, also habe ich mein Studium abgebrochen, meinen klapprigen BMW mit Marshallboxen, Gitarren und Verstärkern und allem Zipp und Zapp vollgeladen und bin nach Pulheim gefahren.
Sein Pedalboard u.a. mit Boss ES-8, Strymon El Capistan, Boss DC-2, Mooer Noise Killer und Mad Professor Silver Spring Reverb (Bild: Matthias Mineur)
Mit U.D.O. hast du vier Alben aufgenommen, richtig?
Für mich war es das erste Mal in einem professionellen Umfeld, mit einem Produzenten und ausreichend Studiozeit. Und es gab erstmals Geld, ich glaube vier- oder fünftausend Mark, eine für mich immens hohe Summe. Nach den Aufnahmen waren Szigeti und Rittel plötzlich weg. Wir mussten aber die erste Tournee vorbereiten, somit war die Frage, wer spielen soll. Udo organisierte für den Bass seinen Wuppertaler Bekannten Dieter Rubach, und ich holte meinen Sinner-Kumpel Andy Susemihl ins Boot. In dieser Konstellation haben wir die erste Tour und auch die zweite Platte ‚Mean Machine‘ gemacht. Auf der dritten Scheibe ‚Faceless World‘ habe ich sämtliche Gitarren gespielt, da Andy wieder weg war. Unser Produzent Stefan Kaufmann hat alles aus mir herausgeholt und immer wieder dafür gesorgt, die Komfortzone zu verlassen. ‚Faceless World‘ wurde kein knüppelhartes Metal-Album, im Gegensatz zum folgenden ‚Timebomb‘, das auch härtere Bedürfnisse befriedigte.
Weshalb hast du dich dann bei U.D.O. verabschiedet?
Unser Gig in Helsinki auf einem Mittsommerfestival mit Sepultura und Winger war meine letzte Show, es machte mir keinen Spaß mehr. Das lag auch an den damaligen Rahmenbedingungen. Wir waren eine langhaarige Band aus den Achtzigern, 1991 brach das dunkle Jahrzehnt des klassischen Metal an. Die Plattenfirma wollte den Vertrag nicht verlängern und lieber Musiker in Holzfällerhemden und mit langen Koteletten, außerdem stand ständig dieser Elefant namens Accept im Raum, der immer Thema war. Mir ging das alles auf die Nerven, ich hatte die Lust an der Musik verloren. Ich bin gebürtiger Schwabe und hatte eingebläut bekommen, dass man etwas „Ordentliches“ im Leben machen soll. Außerdem hatte ich das Gefühl, dass mein Talent nicht groß genug sei, um als Musiker und Gitarrist dauerhaft zu bestehen.
Ich wollte nicht im Supermarkt an der Kasse sitzen, um meinen Lebensunterhalt zu verdienen. Ich brauchte Futter fürs Gehirn und immatrikulierte mich an der Uni für Jura. Dort saß ich dann in der ersten Vorlesung mit langen Haaren, Jeans und Cowboystiefel zwischen lauter angehenden Juristen. Obwohl Jura als ziemlich trockenes Studium gilt, war es für mich wie eine Offenbarung. Ich fand es großartig zu verstehen, wie das Recht funktioniert und das Zusammenleben in der Gesellschaft organisiert wird. Nach acht Semestern habe ich mein Examen abgelegt und promoviert, parallel fing ich in einer Kölner Kanzlei an zu arbeiten. Erst viele Jahre später habe ich erstmals wieder eine Gitarre gekauft, und zwar bei ‚Ulis Musik‘ eine schwarze Gibson ES-355. Die Gitarre erinnerte mich an einen meiner Lehrer am Münchner Gitarreninstitut, den famosen Gunnar Geisse.
Bild: Matthias Mineur
Gibson Custom Shop ES-355 Ebony, Baujahr 2009
Bild: Matthias Mineur
Gibson ES-335, Baujahr 1966
Und jetzt hast du mit DATOG und Tiffany Kills gleich zwei Bands am Start.
Mit DATOG werden wir vermutlich nicht allzu oft auftreten, eventuell ein paar Festivals, mehr ist derzeit nicht in der Pipeline. Tiffany Kills ist ein Projekt mit meinem Freund Christian Tolle, einem fantastischen Gitarristen und Songschreiber. Christian ist auch Produzent mit einem kleinen Studio in der Nähe von Köln. Wir haben eine Band auf die Beine gestellt, die anfänglich eigentlich nur live spielen sollte, also genau das Gegenteil von DATOG. Unser Bassist Tom Baer kommt aus Dortmund und ist ein hervorragender Soul-Jazzer, ich habe im Scherz zu ihm gesagt: „Komm zu uns, hier kriegst du Eier aus Eisen!“ Unser Sänger ist John Cuijpers aus Holland, von wo auch Johns Frau Mendy als Sängerin und unser fantastischer Schlagzeuger Tom Wetzels stammen. Wir sind also drei Holländer und drei Deutsche und schmeißen unseren Katalog zusammen, mit ein paar eher rockigen U.D.O.-Stücken von ‚Faceless World‘ und Songs von Christian, der mit seinem Christian Tolle Project schon mehrere Alben veröffentlicht hat. Wir hatten bereits einige schöne Gigs in Holland im Vorprogramm von Adrian Vandenberg oder mit Tyketto. Im Juli haben wir mit Tiffany Kills unser erstes Album ‚World On Fire‘ veröffentlicht.
Tandler Goldhart Les Paul, Baujahr 2021 (Bild: Joerg Tandler)
Welche Gitarren hast du bei DATOG gespielt?
Hauptsächlich meine 2021er Tandler Les Paul Goldhart und meine weiße Gibson Les Paul Custom von 1990, aber auch eine Strat und die ES-355. Bei meinem dritten Projekt, einer Flamenco-Band, spiele ich eine fantastische Cordoba Fusion 14 Maple mit der Besonderheit, dass sie als Klassik-Nylon-String-Modell mit einem Tonabnehmersystem für E-Gitarristen gebaut wurde, das heißt: Sie hat einen leicht gewölbten Hals, in dem sogar ein Stahlstab eingelegt ist, was für Konzertgitarren ungewöhnlich ist. Die Cordoba nehme ich sogar mit in Urlaub oder an den Strand. Ich kann sie jedem E-Gitarristen empfehlen, der Akustikgitarren spielen möchte.
Gibt es zwischen deinen Gitarren eine Gemeinsamkeit?
Uli Kurtinat hat mich überzeugt, dass ein Instrument seinen Spieler von allein findet. Wenn irgendwo Gitarren herumstehen, nehme ich sie in die Hand und spüre direkt, ob sie mich inspirieren und ob ich Spaß habe, darauf zu spielen. Wenn das der Fall ist, überlege ich, ob ich sie mir zulege. So war es zum Beispiel mit meiner schwarzen ES. Ich spiele viele unterschiedliche Stile und nehme immer noch gerne auch meine alte ESP M1 aus der U.D.O.-Zeit in die Hand, sie ist das ideale Rock/Metal-Brett. Da ich vergleichsweise kleine Hände habe, bevorzuge ich eher dünne Hälse als dicke. Trotzdem habe ich mir auch Gitarren mit dicken Hälsen gekauft, beispielsweise eine wunderbare Sunburst Les Paul, die toll aussah und grandios klang, bei der aber der Hals sehr dick war. Deshalb habe ich mir von Jörg Tandler den Hals abschleifen lassen. Das gleiche habe ich mit meiner 54er Anniversary-Custom-Shop-Stratocaster von 2014 gemacht, die Teil der Sammlung eines verstorbenen Sammlers aus Frankreich war, die ein Bekannter gekauft hat.
1987er Fender Custom Shop Stratocaster Doubleneck in Ocean Turquoise
Ich habe 15 Strats getestet und schließlich die mit dem besten Klang genommen, obwohl sie den unbequemsten Hals hatte. Aber auch der wurde passend gemacht. Ansonsten mag ich natürlich Les Pauls! Eine der besten Gitarren, die ich je besessen habe, ist die erwähnte Les Paul, die mir Jörg Tandler gebaut hat. Ich wollte immer eine Goldtop haben, mit schwarzem Plastik, die ein bisschen alt aussieht. Jörg meinte nur: „Ich weiß, was du willst, eine Art 57er. Ich bau sie dir!“ Originale 57er, 58er, 59er Les Pauls kann man nicht bezahlen, wenn man sie überhaupt angeboten bekommt. Außerdem mag ich ES-Modelle, da sie mir einfach gut in der Hand liegen.
Bild: Matthias Mineur
Gibson Les Paul Classic Reissue 1960 in Tobacco Burst, Baujahr 2003
Bild: Matthias Mineur
Gibson Les Paul Deluxe Sunburst, Baujahr 1973
Mit welchen Amps hast du die DATOG-Scheibe eingespielt?
Stefan Kaufmann hat seine eigene Art zu produzieren, er verwendet unter anderem ein Plug-In namens Overloud, das den Charakter der jeweiligen Gitarre bestmöglich abbildet. Ansonsten habe ich über meinen alten Bogner Marshall gespielt. Den JCM800 hat mir damals Reinhold Bogner persönlich modifiziert, er ist auf allen U.D.O.-Platten zu hören, neben einem Marshall, den Bernd Stephan modifiziert hat. Den Bogner Marshall spiele ich allerdings nicht mehr live, da er mir zu wertvoll geworden ist. Vor kurzem habe ich den Victory Super Kraken entdeckt, einen tollen Amp, der einen wunderbar dreckigen britischen Sound erzeugt. Und für meine Homerecordings habe ich zudem einen Friedman SS100. ●