(Bild: Ruhland)
Ralf Reichen, der Tonehunter, war nicht nur ein Jäger des guten Tone. Nein, durch ihn habe ich auch so viele interessante Menschen im Gitarren-Universum kennengelernt. Einer davon ist Till Kersting − Musiker, Gitarrist und Komponist. Irgendwann mal stand ich bei Ralf im Shop und drückte mir lechzend die Nase an seiner Vitrine mit seltenen Pedalen platt, als ich aus dem Büro seine Stimme hörte: „Hey Till … na, wie schaut’s aus?“ Ich rief zurück: „Alles Takko, außer der Jeans!“ Darauf meinte Herr Hunter: „Nee, komm ruhig rum, ist ruhig gerade, nur Till ist da!“ Hä?
Diese Antwort fand ich etwas surreal, also stiefelte ich ins Büro, schaute Ralf fragend an … und der lachte auf einmal los und prustete in den Hörer: „Ey Till, der Till hier guckt gerade ziemlich verwirrt aus der Wäsche. Kennt ihr euch eigentlich?“ Ich muss wohl so far out geschaut haben wie die Schuhverkäuferin bei Reinhold Messners Flipflop-Anprobe, bis Ralf mir nach dem Auflegen erklärte, dass er mit Till Kersting gesprochen hatte.
Irgendwann haben wir uns dann mal kennengelernt, wir zwei Tills. Und festgestellt, dass wir nicht nur beide Keith Richards verehren, sondern auch die Telecaster als die einzig wahre Gitarre anerkennen. Till, my brother from another mother. Im Laufe der Jahre wurden wir Musikerfreunde und haben auf meinen Herzenswünsche-Benefizkonzerten natürlich auch gemeinsam unsere Teles geschrubbt.
HUBRAUM RULEZ!
Was mich an Till Kersting begeistert, ist seine freundliche, empathische Art und seine Musikalität. Er spielt spektakulär unspektakulär (oder umgekehrt) und kann sich wie ein Chamäleon anpassen. Er schafft es, dass seine Art, Gitarre zu spielen, überall passt und gemocht wird: Von Tommy Engel, Carolin Kebekus, Stefanie Heinzmann, Tom Beck, The Baseballs, Deine Sitzung … der Mann ist ein „One size fits all“-Beanie, der allen gefällt und trotzdem seinen eigenen Tone hat. Als Linkshänder hat er irgendwann mal seine Nr.1-Gitarre, eine blonde Lefthand 1965 Fender Telecaster gefunden – und egal, welche Gitarre er sonst noch spielt, meiner Meinung nach klingt er mit der 65er Tele am besten. Davon konnte ich mich im Mai bei einem Gig der Baseballs im FZW Dortmund überzeugen, bei dem Till mir einen ausführlichen Rig-Check gewährt hat. Und der hatte es in sich! Als ich am Ende meine Esquire über seinen Fender High-Power-Tweed-Twin geschubst habe und ein paar „Honky Tonk Women“-Chords und -Licks abgedrückt habe, schoss mir doch gleich die Milch ein vor Begeisterung über 80 Watt aus vier 6L6 und zwei 12ern! Hubraum rulez! Aber der Magnatone Panoramic Stereo war mit seinem unvergleichlichen Vibrato ebenfalls eine Offenbarung. Beim gemeinsamen Essen mit der sympathischen Band haben wir zwei Tills uns dann ausführlich unterhalten.
(Bild: Hoheneder)
INTERVIEW
Till, was war deine Initialzündung in Sachen Gitarre?
Mein Onkel Ray Binder hatte eine Beatband und sein Gitarrist hatte mich mit seiner Lautstärke und seinem Lebensstil schon als Teenager sehr beeindruckt: Rock’n’Roll spielen, trinken, rauchen und jede Menge Frauen − wollte ich auch! Als die Schülerband meiner Schule dann die Stelle des Rhythmusgitarristen neu besetzte, habe ich meine Chance ergriffen, bin ins Wasser gesprungen … und schwimme bis heute.
Aufgewachsen als Zirkuskind – war das wichtig für deine musikalische Sozialisation?
Der Kulturcircus, in dem ich groß geworden bin, hat ein eher so’n alternatives Programm dargeboten. Musikalisch war das eine Mischung aus Rock und Free-Jazz, Blues und Minimal Music. Dazu dann Tanztheater, Artistik und sonstige Kuriositäten. Die Musiker-Kollegen waren viel älter und ich war der einzige Gitarrist in der Band. Deshalb habe ich alles von anderen aufgesogen und die Mucke gehört, die die geübt haben. Da war von Zappa, Hendrix, Miles Davis und Ray Charles alles dabei − ich habe also schon sehr früh alten Blues und Jazz der 40er bis 70er Jahre gelernt und spiele bis heute in dieser Tradition.
Du bist ungeheuer vielseitig: Du bist mit den Baseballs auf Tour, spielst im Kölner Karneval, machst TV-Musik für Quizshows, warst jahrelang mit Tom Beck, Stefanie Heinzmann, Tommy Engel und als musikalischer Direktor der Carolin-Kebekus-Band im TV präsent. Und hast immer wieder auch deine eigene Musik veröffentlicht. Was macht dich zur Universalwaffe?
Die Wahrheit ist: Ich kann eigentlich nur eine Sache gut − und das ist so spielen, wie ich es selber toll finde. Ich finde es oft erstaunlich, in welchem Kontext das auch für andere funktioniert und die Leute meinen Sound gerne mit ihrer Musik verbinden. Das ist quasi für alle Win-Win! Ich habe die Roots der amerikanischen Musikgeschichte inhaliert und kann z.B. Blues mit den harmonischen Möglichkeiten des Jazz oder der Country-Musik verbinden. So habe ich meine Sprache gefunden, die ich auf der Gitarre erzählen will. Ich mische diese drei Stile, stecke meine Tele in einen Fender-Amp und drehe auf. That’s it.
Ist doch herrlich, wenn dein Style und Tone für so viele unterschiedliche Acts passt. Wie würdest du denn selber deine musikalischen Stärken beschreiben?
Ich spiele energetisch. Wenn ich nix fühle, spiele ich auch nicht gut. Ich bin meistens der Motor der Band und versuche, meine Mitmusiker in die Richtung zu treiben, in die ich laufen will. Wie hast du das neulich in deiner Kolumne genannt … „in meiner Band kann jeder machen, was ich will“… da habe ich sehr geschmunzelt! Ich nenne das „diktatorische Demokratie“: Alle dürfen und sollen sich einbringen − aber einer muss das Schiff nach Hause segeln! Deshalb gibt es auch nur wenige Schlagzeuger mit denen ich gut klarkomme, da ich oft die Time leicht interpretiere und stillschweigend erwarte, dass mir alle folgen. Ein bisschen wie Keith und Charlie Watts. Wenn einer dem Click-Gott mehr vertraut als mir, dann ist das eher nix für mich.
Same here. Was ist die Gitarre für dich?
Es gibt nur eine große Gitarren-Liebe in meinem Leben: meine alte Fender Telecaster. Ich brauche nichts anderes und kann alles mit ihr bedienen. Klar, die Tele ist unbarmherzig: Sie ist sauschwer zu spielen, macht blaue Flecken am Körper, hat eine hohe Saitenlage, der Hals-Pickup ist ‘nen Tacken zu dumpf, der Bridge-PU zu schrill … und was die Intonation ab dem 12. Bund betrifft … nun ja (lacht)! Egal. Ich liebe die Tele von ganzem Herzen. Wie Keith Richards schon sagte: „damit bist du in der Hardware Abteilung“.
(Bild: Hoheneder)
Dann servier’ mir mal deine 3 Top-Helden der Gitarre…!
Bleiben wir bei Uncle Keef. Als ich gecheckt habe, dass der Gitarrist von der Beatband meines Onkels eigentlich alles von ihm geklaut hatte, wusste ich, wem ich folgen musste. Richards ist für mich Mr. Rock ‘n’Roll: Sound, Haltung und Wahnsinn liegen göttlich im Einklang. Nebenbei sind die Stones auch die größte Inspiration für meine eigene Musik. Ein weiterer Held ist B.B. King. Es gab keinen zweiten, der mit so viel Freude, Wärme und so wenigen Noten so viel erzählen konnte. Die Queen des Rock ‘n’Roll ist und bleibt für mich Tina Turner. Diese unbändige Kraft, diese explosive Energie … mein Gott, was hat diese Frau für unglaubliche Shows abgeliefert. Die Songs waren nicht immer so mein Fall, aber diese Power − Halleluja!!!
Du gibst dir unheimlich viel Mühe mit deinem Live-Gear-Setup und bist aktuell mit den Baseballs auf Tour – erklär’ uns mal bitte dein Rig!
Bei den Baseballs ist es eigentlich ganz einfach: Man muss viel Luft bewegen und dann auf der Druckwelle surfen! Es macht viel Spaß, ein Setup zu spielen, mit dem sie dich in kleinen Clubs steinigen würden! Fangen wir mit den Gitarren an: 90% bestreite ich mit meiner 65er Tele. Ich habe auch ‘ne Spare-Tele, falls mal mit der alten Dame was ist. Neu auf der Tour ist die Maybach Capitol Masterbuilt von Nick Page, wunderschön geaged mit Bigsby!
(Bild: Hoheneder)
Die Gitarren gehen in ein Schmidt-Array-Pedalboard mit folgenden Pedalen: Peterson Tuner (der im Lehle Loop hängt), dann gibt’s den Fußschalter vom Amp für Tremolo und Reverb. Manchmal booste ich den Bridge-PU mit dem Tweedy von DanDrive, oder ich benutze für die Zwischenposition den Barbershop von Fairfield Circuitry. Der verändert den Grundton nicht und gibt nur etwas Körnung plus Lautstärke hinzu. Mit dem Fulltone Tape Delay booste ich das Gesamtsignal nochmal, stelle das Slapback Echo mit einer Wiederholung ein und splitte mein Signal von da auf die beiden Amps. Als Spare für das Fulltone ist noch ein Carl Martin Delayla XL Analog Delay und ein Lehle p-split auf dem Board. Das wird aber nur benutzt,wenn das Fulltone rumzickt.
(Bild: Hoheneder)
Das erste Signal geht in den Magnatone Panoramic Stereo Head mit 2×12″-Box. Ein Stereo Amp mit zwei 12 Watt Endstufen, Federhall, und das herrliche Biastremolo wandert von einem Speaker zum anderen. Deshalb wird der Amp auch mit zwei SM57 abgenommen und liegt im Mix in der Halle links und rechts. Das zweite Signal geht in einen Fender High Power Tweed Twin 2×12″ und wird mit einem Sontronics Delta Bändchenmikro abgenommen, das Mono im Center-Mix liegt. So habe ich quasi mit 2 Amps, vier 12er-Speakern ein Wet/Dry/Wet-Setup. Wenn ich die Amps aufdrehe und richtig reinlange … holy moly, das ist die Gefahrenzone, die macht süchtig (lacht)!
Das kann ich vollauf bestätigen. Zeit für ein Resümee: Bis du zufrieden mit dem, was du als Musiker erreicht hast oder gibt es manchmal Momente, in denen du mit deinem Leben als Sideman haderst?
Nein. Ich bin unglaublich dankbar für die vielen Stationen in meinem Leben und den wunderbaren Momenten, die ich mit so vielen unterschiedlichen Künstlern teilen konnte. Dazu habe ich immer meine eigenen Bands gehabt und meine Musik gespielt, so wie ich es wollte. Die gesunde Mischung dieser beiden Welten macht mich am glücklichsten. Wenn ich nur in meinen Songs und Produktionen stecke, will ich irgendwann immer vor mir selber weglaufen oder ich langweile mich schnell. Und wenn ich zu viel für andere mache und nichts Eigenes, dann schiebe ich Frust. Es ist eine fragile Waage, die immer neu justiert werden will. Manchmal denke ich, dass ich für andere Künstler meistens der bessere Gitarrist sein kann als für mich selber, weil ich da nur die Gitarre im Blick haben muss und der ganze Musik-Business-Mist von anderen gemacht wird.
Hast du noch Träume?
Klar, wer nicht mehr träumt kann sich doch direkt hinlegen. Ich möchte wieder mit meiner Band touren und dafür ein paar neue Songs schreiben. Mein letztes Album ‚Circuskind‘ (Bearfamily Records auf Vinyl/CD) haben wir wegen der Pandemie damals nicht auf die Bühne bringen können. Mit meinem Gitarren-Freund Helmut Krumminga arbeite ich gerade an einem Duo Programm, das wollen wir schon seit langem machen. Ich habe viele Filmmusik-Ideen und würde gerne mit ein paar Regisseuren zusammenarbeiten. Wegen meinen Töchtern möchte ich nicht zu oft auf Tour sein und auch Zuhause im Studio arbeiten. Mit den Baseballs würde ich gerne alt werden … ich sehe uns noch mit 70 jedes Oldie-Festival in irgendeinem Landkreis in Schutt und Asche legen! Aber bis dahin ist noch ein langer Weg … solange bleibe ich weiter jung, wild und gefährlich (lacht)!
Danke, Till!
Bitte, Till! (beide lachen) ●
(erschienen in Gitarre & Bass 10/2025)