Workshop
Americana: Songwriting – The Last Day Of Summer
von Martin Schmidt, Artikel aus dem Archiv

Nach den etwas theoretischen Ausflügen in Dur- und Moll-Skalen beschäftigen wir uns diesmal mit der Sache, um die es am Ende geht: Musikmachen in Form von Songwriting. Als Beispiel dient ein Stück aus meiner Feder.
DER SONG
‘The Last Day Of Summer’ ist ein Song von meinem 2007 erschienenen Album ‘Adventures In The Land Of Twang’, dass ich mit Dick Dales Drummer Dusty Watson aufgenommen habe. Das Stück kombiniert Surf Feeling mit einer eher loungigen Late-Fifties-Stimmung. Als ich den Song schrieb, war ich sehr begeistert von der Band ‘The Vanduras’, einem Surf-Musik-Duo bestehend aus Gary Brandin und seinem Sohn Geoff. Das Vater- und Sohn-Gespann frönte einer eher entspannten Surfvariante, mit einer groß klingenden Lapsteel als Hauptinstrument. Das inspirierte mich zu eigenen Versuchen in der Richtung. In der Retroszene herrscht oft eine Tendenz, Genres überexakt zu differenzieren. Das ist aus Rockabilly und Jazz bekannt, kommt aber auch in der Surf-Musik häufig vor. Viele Einflüsse werden dann mit dem Vermerk „Das ist kein echter Surf!” ausgeschlossen. Interessant ist, dass es in der Zeit aber viele Musiker gab, die scheuklappenfrei alle möglichen Elemente kombinierten. Surf-Gitarren-Sounds plus Lounge-Grooves und angejazzte Akkordfolgen ergaben ein Genre namens Exotica, dass einen perfekten Background zum Cocktailschlürfen in der Tikibar bot. Bei Interesse kannst du zur Vertiefung gerne in Alben von Martin Denny, Billy Mure, Les Baxter und Arthur Lyman reinhören.
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KOMPONENTEN
Beim Komponieren folge ich selten festen Konzepten. Oft fange ich einfach an, auf der Gitarre zu improvisieren, und es entsteht eine Akkordfolge, ein Rhythmuspattern oder eine Melodiesequenz, aus der ich versuche, einen Song zu basteln. ‘The Last Day Of Summer’ startet mit dem Rhythmuspattern aus Takt 1. Es basiert auf einem Bb6-Akkord, der für mich immer eine Art Hawaii-/Südsee-Feeling erzeugt. Das Rhythmuspattern habe ich dann mit einem klassischen Surfbeat kombiniert und zu einer jazzigen Akkordfolge ausgeweitet.
Der A-Teil besteht aus einer II-V-I-Verbindung in Bb-Dur
| Bb6 | Bb6 | Bb6 | Bb6 | | Cm7 | F | Bb6 | Bb6 |
Zur Einleitung in den B-Teil verwandelt sich der letzte Akkord in einen Dominantseptakkord, der dann zur vierten Stufe in Bb-Dur führt.
| Eb | Ab6 | Bb6 | Bb7 | | Ebm | Ab6 | Gm7 | Gbmaj7 Ab6 |
Ich verwende ein paar Akkorde, die den Bb-Dur-Rahmen sprengen. Der Ab6 kommt aus Bb-Mixo, der Ebm und Gbmaj7 aus Bb-Moll. Diese Akkordverbindungen sind typische Jazz-Klischees, die oft aber auch in populären Songs der Fifties vorkamen.
ARRANGEMENT
Arrangiert habe ich den Song für eine Besetzung aus zwei Gitarren, Steelguitar, Bass und Schlagzeug. Im Studio habe ich bis auf das Schlagzeug alles selbst eingespielt. Die Rhythmusgitarre hält sich im A-Teil an das Pattern aus dem Intro. Im B-Teil sorgen Akkorde auf die Eins des Taktes für etwas Fülle. Die Voicings sind nicht besonders jazzig, sondern typische Barré-Akkorde. Die Leadgitarre spielt die Melodie als Kombination aus Single Notes und Akkordmelodie. Meist habe ich einfache Dreiklänge verwendet. Im B-Teil kommen aber auch ein paar jazzige Voicings in enger Lage auf den hohen Saiten vor. Bei dem Original-Studio-Track doppelt eine Lapsteel die Melodie des A-Teils und fügt im B-Teil Akkorde hinzu. Für das Workshop-Playalong habe ich diese jedoch stummgeschaltet. Das Solo läuft über einen viertaktigen Vamp.
| Gm7 | Ebsus2 | Bb | Bb |
Die Hälfte der Soloform übernahm die Lapsteel, der Rest wurde auf einer Stratocaster gespielt. Dieses Split-Solo-Konzept gibt es oft auf Countrytracks der Fifties. Es sorgt für Sound-Abwechslung und verhindert das „Endless Noodling Syndrom” vieler Gitarren-Platten. Da alle Akkorde aus der Bb-Dur-Tonleiter stammen, ist sie auch die richtige Wahl für dein Solo.
Soweit der Einblick in meinen Kompositions- und Inspirations-Prozess zu einem Song, der Surf, Jazz, Exotica und Country kombiniert. Viel Spaß beim Üben! In der nächsten Folge zeige ich dann ein paar Konzepte, wie man anhand einer solchen Komposition verschiedene Aspekte seines Gitarrenspiels verbessern kann. ●
(erschienen in Gitarre & Bass 04/2025)
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