Leoparden im Dino-Land

Def Leppard: Phil Collen im Interview

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(Bild: Universal Music)

Mitunter beschleicht einen das Gefühl, dass der schreckliche, aber begründete Lockdown der zurückliegenden zwei Jahre auch seine guten Seiten hatte. Denn wie schon bei diversen anderen Acts zu beobachten, haben auch Def Leppard ihr wohl seit Jahren bestes Studioalbum aufgenommen. Die prächtige Scheibe nennt sich ‚Diamond Star Halos‘ und liefert eine großartige Mischung aus Hard- und Glam-Rock mit Pop-Attitüde, topmodern produziert, in kompositorischer Hinsicht jedoch mit unverkennbarem 70s-Flair.

Die federführenden Musiker jedenfalls sind stolz wie Bolle und zudem überglücklich, auf diesem Album zu ihren frühesten musikalischen Einflüssen zurückzukehren. Und die findet man unter anderem auch bei T. Rex, wie man nicht nur anhand der ersten Singleauskopplung ‚Kick‘ unschwer erkennen kann.

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Wir haben in unserem großen Def-Leppard-Interview ihren tiefenentspannten Gitarristen/Songschreiber Phil Collen getroffen, der sich über das aktuelle Werk seiner Band und auf die Bühnenrückkehr freut.

Hallo Phil, wie geht es dir?

Danke, es geht mir großartig. Wir beginnen in Kürze mit den Proben für die bevorstehende US-Tournee, deren Start ich kaum erwarten kann. Zum Glück ändert sich die Konzertsituation wieder Stück für Stück zum Besseren.

Du bist also nicht erschöpft von einer langwierigen und komplizierten Produktion?

Überhaupt nicht. Dies war die entspannteste Studiosession, die ich jemals erlebt habe. Aufgrund des Lockdowns konnte ich sämtliche Gitarrenparts bei mir zuhause aufnehmen. Das hat viel Spaß gemacht und war absolut stresslos. Auch deshalb hatten wir am Ende weit mehr Material als normalerweise.

Könntest du bitte den ungewöhnlichen Albumtitel erklären? Wenn ich es richtig verstanden habe, ist es ein Zitat aus dem T. Rex-Song ‚Get It On‘, richtig?

Exakt. Das Zitat verwenden Joe Elliot und ich schon seit vielen Jahren immer dann, wenn wir uns über die Zeit unterhalten, in der wir vom Musikvirus infiziert wurden. Es waren die Jahre 1972, 1973, mit Bands und Künstlern wie David Bowie, Mott The Hoople, später Queen, und eben auch T. Rex. Der Begriff ‚Diamond Star Halo‘ ist, wie du richtig bemerkt hast, aus ‚Get It On‘ und fasst all das zusammen, was uns damals an Musik so begeistert hat. Als wir jetzt etwa bei der Hälfte der Produktion angekommen waren und feststellten, dass es auf eine gewisse Weise ein Konzeptalbum wird und auf die erwähnte Ära verweist, haben wir uns für diesen Albumtitel entschieden. Wir sind natürlich auch von Deep Purple, Led Zeppelin oder Jimi Hendrix geprägt, aber die anschließend einsetzende Glam-Rock-Ära hatte den noch größeren Einfluss auf uns.

Und das ganz offenkundig nicht nur textlich.

Vor allem hinsichtlich der Songstrukturen, die deutlich auf die Glam-Rock-Ära verweisen. Als ich zum ersten Mal Joes Demos hörte, erinnerte mich das an 1973, an Elton John auf ‚Madman Across The Water‘, oder auch an Pink Floyd auf ‚The Dark Side Of The Moon‘. Ich finde, dass unsere erste Single ‚Kick‘ absoluter Glam-Rock ist. Dies trifft meines Erachtens für die gesamte Scheibe zu. Mit ‚Diamond Star Halos‘ feiern wir diese besondere Epoche der Rockmusik. Passenderweise hatten wir im Studio Mike Garson zu Gast, der auch schon für David Bowie gespielt hat.

Die Songs stammen von Joe Elliot und dir?

Joe und ich haben fünf Stücke gemeinsam geschrieben. Er wohnt in Dublin, ich in Kalifornien. Ich schickte ihm meine Ideen, er schickte mir seine. Schon am jeweils nächsten Morgen fingen wir an, daran konkret zu arbeiten. Darüber hinaus habe ich drei Songs mit anderen Komponisten komponiert, wie zum Beispiel mit meinem guten Freund CJ Vanston, der unter anderem schon Joe Cocker, Toto oder Steve Lukather produziert und für sie auch persönlich gespielt hat. Jeweils zwei Stücke stammen von Joe und von mir allein, einen weiteren hat unser Bassist Rick Savage beigesteuert.

Hast du in deinem Haus ein eigenes Demo-Studio?

Ja, alles entsteht hier! (Collen hebt seinen Laptop an und lässt den Blick der Kamera durch den Raum gleiten. Er sieht aus wie ein wohnlich eingerichtetes Büro, mit hölzernem Schreibtisch, einem Computer, einer Sitzgarnitur und einigen Gitarren, die neben einem Fenster stehen, Anm. d. Verf.) Mein Computer ist mein Studio. (lacht)

Die digitale Technik hat es dir in den zurückliegenden 20 Jahren also deutlich einfacher gemacht als dies noch zu Zeiten von ‚Hysteria‘ oder ‚Adrenalize‘ der Fall war?

Absolut, speziell als produzierender Songwriter. Diesmal sind sogar einige meiner Demo-Gitarren auf dem Album zu hören, wie etwa in unserer ersten Single ‚Kick‘. Deshalb klingt die Nummer zwar etwas roher als normalerweise, doch mir gefällt das. Ich habe Joe ständig meine Demo-Gitarren vorgespielt und ihn nach seiner Meinung gefragt. Meistens gefielen sie ihm, so dass wir entschieden, sie nicht durch „produzierte“ Gitarren auszutauschen, sondern die Demo-Gitarren für das finale Album zu verwenden.

Joe Satriani hat mir kürzlich etwas Ähnliches erzählt. Auch bei ihm wurden die aus einem SansAmp stammenden Demogitarren fürs Album genommen, anstatt sie auszutauschen.

Mit einem großartigen Ergebnis. Ich liebe Joes neues Album, es klingt fantastisch! Ich finde den Gitarrensound brillant. Ein guter Klang ist halt weit mehr als nur der technische Aspekt des Spielens. Es geht vor allem ums Gefühl, um den Spirit. Dies ist in unserem Fall ein weiterer großer Unterschied zu früher: Auch bei den Gesangsideen habe ich einfach mit einem Shure SM58 direkt vor dem Computer gesessen und gesungen, um alles möglichst authentisch zu halten. In ‚Kick‘ oder ‚You Rock Me‘ gibt es nur acht Gesangsspuren. Bei unserem Produzenten Mutt Lange waren es damals auf ‚Hysteria‘ mehr als 90.

Kommen wir zu deinem aktuellen Equipment: Bist du noch Jackson-Endorser? Und ist die PC-1 immer noch deine Hauptgitarre?

Ja. In den meisten Fällen waren es meine PC-1-Modelle. Die Gitarren in den Songs ‚Kick‘ und ‚Fire‘ stammen ausschließlich von meiner 2004er PC-1, Rhythmus wie Solo. Ich habe allerdings auch mit einer alten Squier Telecaster sowie mit der Squier-Kopie einer Fender Starcaster gespielt, die ich für 300 Dollar erstanden habe und die unfassbar gut klingt. Die Squier-Modelle waren allerdings die Ausnahmen.

Sammelst du Gitarren? Kaufst du noch neue Instrumente?

Nein, eigentlich habe ich damit aufgehört. Der Grund, weshalb ich die Squier Starcaster gekauft habe, ist: Ich war neugierig, ob die Qualität tatsächlich so gut ist wie man überall lesen konnte. Das wollte ich selbst überprüfen. Heutzutage bekommt man unfassbar gute neue Gitarren für ganz kleines Geld.

Phil Collen mit seiner „Dread“ (Bild: Matthias Mineur)

Wie viele Gitarren besitzt du insgesamt?

Ich schätze etwa 200. Sie sind allerdings in der ganzen Welt verstreut, manche sind in meinem Haus in London, einige andere zuhause bei Joe. Hier in meinem kleinen Studio sind nur meine Lieblingsgitarren.

Verkaufst du mitunter Instrumente?

Nein. Für mich sind Gitarren etwas sehr Persönliches. So etwas verkauft man nicht wieder.

Hat sich dein Gitarren-Sound im Laufe der Jahre signifikant verändert?

Ob er sich signifikant verändert hat, kann ich nicht beurteilen, aber dass er sich verändert hat, steht fest. Vor ein paar Jahren tourten wir in Australien mit den Scorpions. Ich unterhielt mich mit Matthias Jabs, den ich sehr verehre. Er sagte mir, dass er das Plektrum statt mit einem mit zwei Fingern plus Daumen hält, weil es für sein Spiel und seinen Sound sehr gut wäre. Ich hatte das vorher auch bereits gelegentlich gemacht, aber seit dem Gespräch mit Matthias mache ich es jetzt noch deutlich öfter. Je länger man aktiv ist, umso mehr Einflüsse kommen hinzu. Zumal sich auch die Musik generell sehr verändert hat. Es gibt HipHop gemischt mit Pop, es gibt Country mit Rock, und es gibt Jazz gemischt mit Soul und R&B. All das beeinflusst mein Spiel und mein Songwriting. Zudem verstehe ich besser, was ich da mache.

Jackson Custom PC-1 „Soul-Ah”, Baujahr 2004, mit DiMarzio-Pickups und Jackson Sustainer
Jackson Custom PC-1 „Dread”, Baujahr 2009, mit DiMarzio-Pickup und Jackson Sustainer
Jackson Custom PC-1 „Splatter”, Baujahr 2009, 30th Anniversary Edition
Jackson Custom PC-1 „Big Boy”, Baujahr 2009, mit Titanium-Sattel

 

Weißt du beim Komponieren und Aufnehmen immer sofort, welche Gitarre für welchen Part am besten geeignet ist?

Bei den meisten Gitarren ist dies eine Frage der Intonation. Wenn ich etwas aufnehmen möchte und merke, dass die Intonation nicht 100%ig stimmt, lege ich die Gitarre sofort wieder weg. Denn ich selbst bin nicht sonderlich versiert im Einstellen von Gitarren mit Vibrato. Also greife ich eine meiner Lieblingsgitarren, deren Intonation perfekt ist, und spiele mit ihr. Im aktuellen Fall war dies meistens die Jackson PC-1 mit dem DiMarzio-X2Nund dem Sugar-Chakra-Pickup. Meine wichtigsten Gitarren haben allesamt DiMarzios verbaut.

Hat sich diesbezüglich dein Geschmack also nicht verändert?

Seitdem ich mit 17 meine erste Gitarre, eine Les Paul mit DiMarzio-Pickups bekam, schwöre ich auf DiMarzios. Mein genereller Musikgeschmack hat sich möglicherweise verändert, aber ich stehe immer noch auf den gleichen Gitarrensound wie früher, nur halt mit neuerem Equipment. Zuhause spiele ich immer noch den Blackstar Silverline, der genauso klingt wie mein Fractal Audio, den ich auf Tournee einsetze. Letztlich klingen beide Geräte wie ein Marshall, den ich zu Zeiten von ‚Pyromania‘ gespielt habe. Mein originaler 50-Watt- ‚Pyromania‘-Marshall wurde mir damals leider kurz nach der Produktion gestohlen. Früher musste man noch alles sehr sorgfältig mikrofonieren, außerdem brauchte man für einen guten Sound extrem große Boxenwände. Das alles ist mit dem Fractal Audio nicht notwendig.

Collens Live-Rack mit Fractal Audio Axe-Fx II (Bild: Matthias Mineur)

Der Fractal Audio kommt auch im Studio zum Einsatz?

Nein, dort spiele ich ausschließlich über Guitar Rig 5 von Native Instruments.

Ein Kemper Profiler kommt für dich nicht in Frage?

Ich habe bislang noch keinen getestet. Ich höre zwar oft, dass ich den Kemper unbedingt ausprobieren müsse, bin aber mit dem Fractal Audio rundum zufrieden. Und in kleinen Clubs spiele ich sowieso über meinen Blackstar.

Gibt es nach einer so langen und erfolgreichen Karriere wie der von Def Leppard noch offene Wünsche oder Träume?

Alle meine Wünsche wurden übertroffen. Als wir anfingen wollte ich unbedingt in großen Clubs wie dem Londoner Hammersmith Odeon spielen. Dass ich irgendwann einmal in Stadien vor zehntausenden von Menschen auftreten werde, hätte ich mir in meinen kühnsten Träumen nicht vorstellen können. Aber: Wir sind noch immer nicht am Ende, auch nach weit über 100 Millionen verkaufter Alben nicht. Es gibt immer noch das nächste Album, den nächsten Song, und damit die Hoffnung, dass wir uns weiter steigern können. Dieses Gefühl wird vermutlich nie enden. Und es darf auch nie enden, denn nur in der Kreativität liegt das wahre Ziel eines Musikers. Wer aufhört kreativ zu sein, verliert den Sinn seines Lebens.

Was für ein schönes Schlusswort, Phil! Ich wünsche dir alles Gute mit eurem bemerkenswert guten neuen Album!

(erschienen in Gitarre & Bass 08/2022)

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