Till & Tone: Live is’ live!

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(Bild: Rolle Ruhland)

Ich habe es hier schon erwähnt: Ein prägendes Album für meine Tone- & Musik-Sozialisation war das legendäre ‚Live!’-Doppelalbum von Status Quo. Es wurde am 4. März 1977 veröffentlicht und ist ein Zusammenschnitt von drei Gigs der Band im Glasgower Apollo Theatre vom 27.-29. Oktober 1976.

Mein Bruder hatte vorher die Alben ‚Blue for you’ und ‚On the Level’ auf Cassette aufgenommen, ergo hatte ich mir die ‚Live!’-Platte 1977 zu Weihnachten gewünscht. Und siehe da – das Christkind hatte Erbarmen und legte mir meine Wunschplatte unter den selbstgeschlagenen Sauerländer Weihnachtsbaum mit echten Bienenwachskerzen.

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Mein Bruder bekam ‚Alive II’ von Kiss … das gefiel mir auch, aber bei weitem nicht so gut wie der tighte, harte Boogie-Rock der Frantic Four. Erwähnenswert ist die Tatsache, dass wir diese Musik auf einem tragbaren Philips-Mono-Kofferplattenspieler gehört haben, wo der Deckel gleichzeitig auch den pisseligen Lautsprecher beherbergte.

Aber wir wussten es nicht besser und konnten es kaum abwarten, bis unsere Mutter ihre nervenzerfetzenden Heintje-&-Willi-Schneider-Weihnachtsplatten abgespielt hatte und wir uns mit dem Philips in unsere gemeinsame 10qm2-Butze zurückziehen durften. Dann mussten wir uns nur noch einigen, was zuerst gehört wurde: Quo oder Kiss.

Da mein Bruder älter und stärker war, mussten wir uns natürlich nicht wirklich einigen. Vielleicht mochte ich deswegen Kiss ab 15 nicht mehr, während ich das Quo-Album bis heute regelmäßig höre und immer noch liebe. Warum?

THE MAGNIFICENT STATUS QUO!

Ich hatte damals noch nie eine Live-Aufnahme einer Rockband gehört, war also gespannter Ersthörer. Quo ‚Live!’ beginnt sofort mit einem hörbar begeisterten Publikum und dem ersten Höhepunkt: Jackie Lynton, Sänger und langjähriger Kumpel von Rick Parfitt, brüllt mit einer unerhört lauten, rauen Pub-Stimme das ikonische Intro in das bestimmt zu Tode erschrockene Ansagermikro.

Ein Intro, das jeder beinharte Quo-Maniac heute noch auswendig kann: „Is there anybody out there who wants to rock? Is there anybody out there who wants to roll? And is there anybody out there who wants to boogie? Tonight … live … from the Apollo Glasgow … we have the number one Rock’n’Roll band in the land … will you welcome … the magnificent … STATUS QUOOOOOOO!”

Das war der erste „Tone” auf diesem Album. Ich sehe mich heute noch auf dem Teppich liegen, völlig fasziniert von diesem brutalen Hooligan-Organ und der Aussprache einiger Wörter: „Live!” klang wie „loooooiiif” – und natürlich am Ende der Ansage „the mäknifischent Schtäidus Kwoooooooh!”.

Hühnerpelle, Faszination – selbst mir als 12-jährigem Provinzler war klar, dass hier eine Sensation angekündigt wird, dass es um Leben und Tod geht. Und wahrscheinlich war auch viel Alkohol im Spiel.

Original Quo-Eintrittskarte vom Apollo Theatre 1976 (Bild: Ralf Oehmichen)

LIVE IS LIVE!

Dann erklingt in dem Jubel ein kleiner On-Stage Soundcheck: ein Bassdrum-Kick, ein paar Schläge auf Snare und Toms. 2 Gitarrenakkorde, dazwischen eine Cowbell, ein paar Worte von Francis Rossi, die ich außer „Alright” bis heute nicht verstehe, und das Spektakel beginnt: Rick Parfitts Rhythmusgitarre shuffelt los, der Güterzug rollt gnadenlos an, die Band steigt ein, die Meute ist auf den Füßen und klatscht frenetisch im Takt.

Von da ab drosselt dieser hart rockende, shuffelnde Boogie-Freight-Train zwar ab und zu mal dynamisch Lautstärke sowie Tempo, aber nichts hält ihn wirklich auf. Die Band ist so tight, so eingespielt und John „Spud” Coghlan ist ein britischer Shuffle-Drummer, der definitiv – wie auch Rick Parfitt − nicht genug Respekt bekommt.

Alan Lancaster am Bass groovt und gröhlt, Francis Rossi ist kein begnadeter Leadgitarrist, aber ein sehr guter Liedgitarrist. Zwischendurch wird gejammt − es ist ein Fest! Man hört, dass die Band sich blind versteht.

Der Sound der beiden Gitarristen wird generiert durch Sound City und Marshall 100-Watt-Topteile sowie mehrere 4×12″-Boxen. Ob Rossi und Parfitt noch Booster benutzt haben – ich weiß es nicht, der einzige Effekt der zwischendurch hörbar ist, stammt höchstwahrscheinlich von einem bzw. zwei MXR Phase 90.

Der Sound der Amps ist britisch, durch und durch. Laut, gnarly, bissig, dreckig − aber auf keinen Fall matschig.

TELE – JA ODER NEIN? JEIN!

Rossi kämpft bei seinen Soli hörbar mit seiner grünen Tele, denn mit einer Tele muss man eben kämpfen − freiwillig macht die nix. Sustain oder breites Frequenzbild à la Les Paul? Fehlanzeige.

Aber dieses toughe, raue Mittengenagel … einfach nur herrlich. Parfitt hat zwar immer bei einigen Songs z.B. auch mal eine SG Junior benutzt, aber auch er wird hauptsächlich seine weiße Haupt-Tele benutzt haben. Sowohl Parfitt als auch Rossi haben wiederholt betont, dass es auf der Bühne bei Status Quo in den 70ern sehr laut war.

Interessant auch seine Betrachtung zur Telecaster in einem Interview von 1975, die zumindest erklärt, warum er im Laufe der Jahrzehnten so ziemlich alles an seiner Tele verändert hat bis auf die Bodyform: „Eine Telecaster hat definitv ein paar Nachteile. Eine Gibson hat so viel mehr Sustain und Ton und ist leichter zu spielen.

Mit einer Gibson würde ich wahrscheinlich besser klingen als mit der Tele. Eine Telecaster ist schwer zu spielen, sie ist ein zähes Stück Holz. Aber sie hat einen sehr klaren Sound, das ist es, was sie ausmacht − richtig derb und kräftig, wenn es zur Sache geht. Ich habe eine alte Strat und wollte sie live spielen … sie klingt aber einfach nicht so hard und heavy wie die Tele.”

ROCK ‘N’ ROLL UND PERFEKTION?

Das Album gilt bis heute als eines der besten Live-Rockalben, zumindest unter denen, die über ein echtes Live-Album reden. Da sind im Gegensatz zu vielen anderen legendären Mitschnitten der 70er und 80er keine Overdubs gemacht worden, man hört die raue Essenz, die vielen kleinen Verspieler und Reibereien eines echten Live-Gigs.

Was Rossi und Parfitt auch damals mit ihrem eigenen Werk hat fremdeln lassen. Während Parfitt immerhin einzelne Bits and Pieces geil fand, haderte Perfektionist Rossi mehr mit dem Album und seiner heiligen Reputation unter den Fans.

Er hasste die Verspieler und ärgerte sich später noch oft darüber, dass er nicht darauf bestanden hat, sie auszubügeln. Und hier wird es für mich interessant. Ich liebe das Album gerade wegen seinen Unzulänglichkeiten, der etwas zu lauten Ambience, den Feedbacks und Bums der Band. Denn: So ist das nun mal, das ist für mich Rock’n’Roll.

Das gilt auch für Live-Gigs meiner Bands. Natürlich halte ich Proben und Vorbereitung für sehr wichtig, aber die Kombination aus Rock’n’Roll und Perfektion finde ich langweilig und absurd.

Das neue Live-Boxset (Bild: Till Hohenender)

SEID NICHT SO HART ZU EUCH SELBST!

Bis einen Tag später in den sozialen Medien das erste Handy-Video auftaucht. Dann verstehe ich auf einmal Francis Rossi, der es schrecklich findet, sich seine „Fehler” immer wieder anhören zu müssen.

Ich gucke mir nämlich das Video meiner Band an und zucke bei jedem leicht überzogenem Bending oder leicht blauen Gesangstönen zusammen und denke: das geht aber besser, du Napfsülze. Jetzt hört jeder, wo du auf Kies gefurzt hast.

ABER: Warum liebe ich die Fehler der Live-Alben von Hendrix, Quo oder den Stones und bin mit meinen eigenen so ungnädig? Manchmal gucke ich Handyvideos von berühmten Acts und denke erleichtert: Wow, die Nummer spielen wir echt besser oder wenigstens nicht schlechter.

Wenn ich Brian Johnson von AC/DC kurzatmig flat gurgeln höre oder Axl Rose wie eine verendende, leidlich gestimmte Kreissäge kreischt – umso besser für mich, macht ruhig weiter so! Wenn ihr Stars nicht perfekt seid, dann ist die Bürde nicht so hoch für uns Normalos. Oder – um es mit einem Augenzwinkern zu formulieren: Leute, seid nicht so hart zu euch selbst.

DER NUTZEN DER MAKELLOSIGKEIT

Ich habe mal ein Zitat von Neil Young gelesen, dass mir sehr gut gefällt:

“Ich kann den Nutzen der Makellosigkeit einfach nicht erkennen!”

Neil Young

Damit kann ich viel anfangen, nicht nur was Rockmusik betrifft. Die Telecaster − für mich bitte ohne Compensated Saddles, ohne Modern-Bridge, Rippenspoiler oder was auch immer. Am liebsten so, wie Leo Fender sie vor 70 Jahren entworfen hat.

Dann habe ich eben mal aufgeschrappte Finger oder Schürfmacken am Handballen. Ja, die Body-Konturen der Tele sind hart, wenn man wenig Speck auf den Rippen hat. Aber dieser Sound, dieser einzigartige, rotzig-bissige Bridge-Pickup-Sound einer guten Tele: unbezahlbar!

Dafür lasse ich alles andere stehen. Übrigens, Francis Rossi hat wohl mittlerweile auch seinen Frieden mit dem Quo-Livealbum gemacht. Die Original-Master-Tapes sind wieder aufgetaucht und alle drei Konzerte wurden akribisch neu abgemischt und gemastert, bis Rossi mit dem Sound zufrieden war.

Gut, der alte Egomane hat seine Gitarre etwas lauter gezogen − aber man hört die Instrumente und Gesänge viel besser. Sogar Rick Parfitts Sigmatismus ist deutlich vernehmbar. Ob ich das besser finde als die Mischung vom Originalalbum? Nein, natürlich nicht. Aber als Alternative echt klasse! Und: Die Fehler sind Gott sei Dank auch auf dem neuen Mix. Herrlich!

Danke für die Inspiration und Fotos, Ralf Oehmichen.

Kommentar zu diesem Artikel

  1. Ich hab das damals, mit 14, in der Westfalenhalle erlebt, und es hat mich nachhaltig erschreckt, was Lärm und Masse mit mir gemacht haben: Das Gefühl beim Konzert war einfach irre; am Tag danach habe ich gelernt, dass dieses stundenlange Umptah auch nicht interessanter war als Heintje (oder Tony Marshall, der auf dem Kofferplattenspieler meiner Schwester lief). Die Platte steht immer noch hier – ich glaube, ich habe sie damals gekauft, weil ich wissen wollte, ob’s wirklich soooo schlimm war.

    Die Lautstärke kann ich übrigens bestätigen. Ich wundere mich heute noch, dass meine Ohren das überlebt haben.

    Wieso ist Till eigentlich so berühmt und ich bin arm gebleiben? Wenn er seine Geschichten zu erzählen beginnt, denke ich immer erst: Hey, aber das war doch ich… 😉

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