Workshop

Americana: Üben am Song

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(Bild: Robert Buchel/Shutterstock)

Ich hoffe du hast den Song ‚The Last Days Of Summer‘ aus der letzten Folge gemeistert und Thema und Begleitung gelernt. Diesmal soll es um ein Übungskonzept gehen, das sich an diesem Stück orientiert.

ÜBEN

Vergleicht man die Übekonzepte deutscher und amerikanischer Musiker, stellt man oft fest, dass man in unseren Gefilden dazu neigt, Dinge theoretisch und sehr gründlich anzugehen. Das ist an sich nichts Schlechtes, führt aber oft zu einem Berg oder gar Gebirge an Übungsmaterial, dessen Bewältigung einem schon vor dem ersten Schritt zum Gipfel die Puste ausgehen lässt.

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Absichten wie „Ich müsste mal alle Vierklangsarpeggios in fünf Lagen üben“ sind ehrenwert, aber auch sehr umfangreich. Hat man wenig Zeit, verschiebt man solche Konzepte auf „später, wenn ich mehr Zeit habe“ und dudelt stattdessen kurz ein bisschen in E-Moll. Der Lerneffekt ist gleich null, und das Arpeggio-Gebirge ragt immer noch unerklommen in die Höhe.

Viele Amerikaner, die ich interviewt habe, gehen eher praktisch vor und üben kleine Bausteine, die sie in einem bestimmten Stück aus ihrem Repertoire anwenden können. Dann kann man vielleicht einen bestimmten Akkord oder ein bestimmtes Lick nicht in allen Tonarten und an allen Stellen auf dem Griffbrett spielen, aber man kann es beim nächsten Gig sofort in einen Song einbauen, also Musik machen. Und darum geht es doch letztendlich, oder?

DIE BAUSTEINE

Wenn wir uns das Stück aus der letzten Folge noch einmal anschauen, kann man an der Akkordfolge des A-Teils einige Konzepte erklären. Hier nochmal die Changes:

| Bb6 | Bb6 | Bb6 | Bb6 |
| Cm7 | F | Bb6 | Bb6 |

Es handelt sich um eine II-V-I-Verbindung in Bb-Dur, und man kann sich fragen, welche gitarristischen Bausteine für diese Akkorde man kennt.

Kenne ich die Akkorde in verschieden Varianten? Kann ich die benötigten Tonleitern spielen? Kann ich die Akkorde als Arpeggios spielen, um beim Solo auf Akkordtönen aufzulösen?

In Beispiel 1 siehst du verschiedene Akkord-Voicings. Ich fange mit einfachen Barré-Akkorde an. Dann folgen die Dreiklänge auf den Saiten G H E und D G H. Abschließend gibt es ein paar Basic-Jazz-Akkorde, die die Dreiklänge mit zusätzlichen Tönen erweitern. Je nach deinem Kenntnisstand kannst du dir diese Voicings nach und nach aneignen. Falls du die Barré-Akkorde schon kennst, versuche die Akkordfolge in einem straighten Groove durchzuspielen. Wenn das klappt, könntest du den Groove in ein Looper-Pedal oder deine DAW einspielen und die Dreiklänge darüberlegen. Hierbei würde ich mit einer Variante pro Akkord anfangen und nicht gleich alle sechs Möglichkeiten auf einmal ausprobieren.

Danach kannst du dir die Tonleitern aus Beispiel 2 vornehmen und schauen, ob du sie ohne falsche Töne durchspielen kannst. Klappt das, versuche mit ihnen über die Akkordfolge zu improvisieren. Gut sind auch Intervall- und Sequenzübungen, die ich in Americana Folge 12 bereits vorgestellt habe.

In Beispiel 3 siehst du ein paar Vierklang-Arpeggios. Ich habe dir für jeden Akkord eine Variante aufgeschrieben, die nah an der Tonleiterposition liegt. Versuche, die Arpeggios auswendig zu lernen und dann in die Improvisation einzubauen.

ANWENDUNG

Was dabei herauskommen kann, habe ich in Beispiel 4 bis 6 dargestellt. Den Anfang macht ein Chord-Melody-Part, bei dem ich verschiedene Voicings zum Einsatz bringe (Beispiel 4). In Beispiel 5 kombiniere ich die zwei gezeigten Tonleitern. Über den Bb-Dur-Akkord benutze ich die Bb-Dur-Pentatonik, über die II-V-Verbindung mehr die Bb-Dur-Tonleiter. Beispiel 6 nutzt fast nur Arpeggios zum Solospiel, bevor es auf einer Bb-Dur-Phrase endet. Versuche die Beispiele mit den Bausteinen aus Beispiel 1-3 in Verbindung zu bringen, um zu verstehen, wann und wie sie eingesetzt werden.

EXPANDIEREN

Falls dir die geschilderten Übungskonzepte noch nicht reichen, kannst du versuchen, Tonleitern und Arpeggios dieses Songs in einer anderen Lage zu spielen. Oder du nimmst ein anderes Stück, suchst die Bausteine anhand der Akkordfolge heraus, übst sie und wendest sie dann auf das neue Stück an. Nimm dir nicht zu viel auf einmal vor. Wenn du beim nächsten Gig ein neues Akkord-Voicing in ein oder zwei Songs unterbringst, hast du schon viel erreicht. Versuche dieses „Üben am Song“ langfristig zu sehen. Nach sechs Monaten oder einem Jahr sollten sich eine Menge Fortschritte feststellen lassen. Viel Spaß beim Üben!

(erschienen in Gitarre & Bass 06/2025)

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