Tom Petty: Tiefe Einsichten

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(Bild: Dennis Callahan)

Er hat nur selten über sich, seine Musik und seine Weltsicht gesprochen – einfach, weil sich Tom Petty primär als Musiker und Entertainer verstand. Als einer, der über seine Songs kommuniziert – selbst auf die Gefahr hin, da gründlich missverstanden zu werden. Wie bei seinem fünften Album ‚Long After Dark’, das 1982 erschienen ist und bis heute als schwächstes Werk in Pettys Gesamtkatalog gilt – weil es hinter den Verkaufserwartungen zurückgeblieben ist und ungewöhnlich düster anmutet. Doch jetzt hat Pettys älteste Tochter Adria den verschollenen zweiten Teil des vermeintlichen Flops gefunden – und ihn neu aufgelegt: als imposantes Doppelalbum.

Interview

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Adria, warum gilt ‚Long After Dark’ als das schwarze Schaf des Petty-Katalogs? Was ist so anders bzw. falsch daran?

Das ist eine interessante Sache. Vielleicht liegt es daran, dass es die düstere Stimmung der 80er Jahre aufweist – und ein paar Songs wie ‚One Story Town’, ‚Straight To Darkness’, ‚You Got Lucky’ und ‚Change Of Heart’, die wirklich zynisch und bissig sind. Also quasi Liebeslieder, die ein bisschen frontaler und intensiver sind.

Und zu ‚Long After Dark’ gibt es noch ein komplettes zweites Album, das nie veröffentlicht wurde und von der Stimmung her deutlich optimistischer ist. Mein Vater hat sich damals – aus welchem Grund auch immer – entschieden, die Songs auf diese Reagan-Ära-Stimmung zu reduzieren – auf den düsteren Vibe dieser Zeit, in der Kokain das bevorzugte Mittel zur Realitätsflucht war.

Warum war ihm das so wichtig?

Ich schätze, er wollte das damalige Lebensgefühl einfangen – ohne es irgendwie zu schönen oder zu verwässern. Und nach ‚Damn The Torpedoes’ und ‚Hard Promises’, die ein bisschen gefühlvoller und poppiger waren, schrieb er halt Sachen, die ein bisschen kantiger waren und kritischere Texte aufwiesen.

Das war die eine Seite – die andere war wieder mehr so, wie man es von ihm kannte: Ausgelassen und unbeschwert. Nur: Irgendwie hat er nicht die goldene Mitte zwischen beiden Seiten gefunden – weshalb er sich ganz für die kantigere, düstere Variante entschied.

(Bild: Neal Preston)

Dann bildet das Album einen regelrechten Gegenpol zu Michael Jacksons ‚Thriller’ und Marvin Gayes ‚Sexual Healing’ – den Bestsellern dieser Zeit?

Ja, die Top 40 tendierten mehr in Richtung Pop – und wurden immer stärker von Synthesizern dominiert. Weshalb der Song ‚You Got Lucky’, auf dem mein Vater selbst Synthesizer verwendet hat, auch der Einzige auf dem Album war, der da mithalten konnte bzw. größere kommerzielle Beachtung gefunden hat. Deshalb war er immer der Meinung, die Heartbreakers hätten dieses spezielle Album nicht richtig hinbekommen. Doch als ich es mir letztes Jahr noch einmal vorgenommen und es in Ruhe gehört habe, hat sich meine Perspektive ein bisschen geändert. Ich finde, es enthält sehr wohl ein paar großartige Sachen.

Aber dein Vater es nicht gemocht?

Er hat es als Reinfall erachtet. In dem Sinne, dass es die hohen Erwartungen, die ‚Damn The Torpedoes’, ‚Hard Promises’ und ‚Stop Draggin’ My Heart Around’, seine Zusammenarbeit mit Stevie Nicks, geschürt hatten, nicht erfüllen konnte. Deshalb war es auch sein letztes Album mit Jimmy Iovine und Shelly Yakus, die für den End-Siebziger-Sound von Tom Petty verantwortlich waren. Es war das Ende dieser Ära. Und ich schätze, mein Vater wusste nicht so recht, wohin er mit dem Album wollte bzw. wie er es noch stärker machen konnte. Dabei war die Sache, die ihm wichtig war: Nicht nur starke, einzelne Songs zu haben, sondern wirklich gute, in sich geschlossene Alben abzuliefern. Hier wusste er scheinbar nicht so recht, wie er das anstellen sollte.

Richtig schlecht verkauft hat es sich aber nicht – es war nur kein internationaler Bestseller.

Ich glaube, es lief ganz ok, aber nicht so, dass er richtig glücklich damit gewesen wäre. Er war enttäuscht, dass es nicht ganz so gut ausgefallen war, wie er sich das vorgestellt hatte. Aber heute ist es beliebter als zur Zeit seiner Erstveröffentlichung. Wobei ich auch den Verdacht habe, dass er es bewusst so angelegt hat, dass es nicht so viel kommerzielles Appeal besaß, wie seine Vorgänger. Denn er wurde damals so bekannt und bekam so viel mediale Aufmerksamkeit, dass er sich damit ziemlich unwohl fühlte und das vielleicht auch gezielt zu reduzieren versucht hat. Einfach, weil ihm der Druck zu viel wurde.

Du klingst wie ein Fan, was die Musik deines Vaters betrifft. Wie kommst es, dass du nicht dagegen rebelliert hast – wie die meisten Teenager?

Na ja, ich bin hier in Los Angeles aufgewachsen. Und unter meinen Freundinnen und Bekannten war es ganz normal, berühmte Eltern zu haben. Von daher habe ich nie groß darüber nachgedacht. Im Sinne von: Es war nichts Besonderes oder wer-weiß-wie-Spektakuläres, zumindest ein Elternteil zu haben, das als angesehener Entertainer galt. Ich schätze, die erste Show meines Vaters habe ich mit sieben Jahren besucht. Das war im Forum – ein Auftritt der ‚Hard Promises’-Tour.

Es war das erste Mal, dass mein Vater wollte, dass ich dabei bin – und miterlebe, was er so tut. Er dachte, dass das für ein Kind sehr überwältigend und schwer zu verstehen sein müsste. Aber ich habe seine Musik immer geliebt. Ich fand sie sehr anziehend und vertraut, und ich war froh, dass das die Umgebung war, in der ich aufgewachsen bin. Lustigerweise fand ich das dann gar nicht mehr so interessant, als ich erwachsener wurde. Ich habe LA verlassen, bin selbst eine Filmemacherin geworden und habe jahrelang für Beyoncé, Rihanna und eine Menge großer Bands gearbeitet.

Aber als mein Vater starb, ist meine tiefere Beziehung zu seinem Werk wieder hervorgetreten – einfach, weil Musik etwas Therapeutisches hat. Im Sinne von: Es tut gut, sich darin zu flüchten und sich davon verstanden zu fühlen. Deswegen tue ich alles dafür, sie zu bewahren. Nicht, um damit Profit zu machen, sondern weil ich sie für große Kunst halte.

Tom Pettys älteste Tochter Adria (Bild: Dana Pleasant)

Also kümmerst du dich jetzt Vollzeit um den Nachlass und hast dafür alles andere zurückgestellt?

Oh ja, ich arbeite seit sieben Jahren als Nachlassverwalterin. Was bedeutet, dass ich alles Visuelle digitalisiere, aber auch sämtliche Archive meines Vaters sichte und auswerte. Einfach, weil da wahnsinnig viel vorhanden ist. Diese Jungs waren ständig im Studio und haben die ganze Zeit geschrieben. Insofern ist es wichtig, das mit offenen Ohren und Hingabe anzugehen, um es für die Zukunft zu bewahren.

Von wie viel unbekanntem und spannendem Material reden wir?

Es ist wahnsinnig viel – vielleicht sogar zu viel, um es je zu veröffentlichen. Und natürlich besteht die Verlockung, da alles rauszuhauen, weil mein Vater leider nicht die Gelegenheit dazu hatte. Nur: Es ist auch wichtig, das mit Ruhe und Sachverstand anzugehen, um den Markt nicht zu überfluten und für den gegenteiligen Effekt zu sorgen, den man eigentlich erzielen möchte. Eben nicht dieses: „Schon wieder ein neuer Petty-Song? Muss das sein?”

Warum hat Tom eigentlich so selten in Deutschland gespielt? Lag es an den Konfrontationen, die er auf der 82er Tour hatte – als er die Shows mehrfach wegen Gewalt im Publikum unterbrechen musste?

Stimmt. Das zeigt der Film. Aber: Daran hat es nicht gelegen. Im Gegenteil: Er hat Deutschland geliebt und fand es dort sehr cool. Deshalb wurden ja auch einige Shows und ein paar Szenen von ‚Heartbreakers Beach Party’ in Deutschland gedreht. Das Problem war eher, dass etliche dieser Konzerte in der Nähe von amerikanischen Militärbasen stattfanden – und dort viel getrunken wurde bzw. es oft zu Schlägereien kam. Das hat sich bei seinen Gigs fortgesetzt. Trotzdem hat mein Vater Europa und ganz besonders Deutschland geliebt.

Er fand es dort sehr aufregend und wollte nach der Tour zum vierzigsten Bandjubiläum dorthin zurückkehren. Das war sein Plan: Er wollte wieder in kleineren Hallen auftreten und ein neues, jüngeres Publikum erreichen. Das Problem in den Jahren davor bestand auch darin, dass er ein ziemliches Gewohnheitstier war und die vielen Tourneen der 70er und 80er zum einen als sehr anstrengend, zum anderen aber auch wie einen Kulturschock empfunden hat. Denn: Er war ein typischer Amerikaner, der am liebsten zu Hause war. Deshalb hatte er auch lange Zeit Probleme mit der Vorstellung, kreuz und quer durch die Welt zu reisen.

Dann waren die Heartbreakers eine Band, die sich mit amerikanischer Musik und amerikanischen Themen befasst hat? Oder hat man sich einfach aus Bequemlichkeit auf den heimischen Markt beschränkt?

Natürlich war meinem Vater Amerika wichtig, aber ich würde nicht so weit gehen, zu behaupten, dass es ihm egal war, seine Musik nach Europa, Australien, Kanada oder wohin-auch-immer zu tragen. Ich denke, er hatte sehr wohl seinen Spaß dabei, im Ausland zu spielen und er wollte ein globaler Künstler sein. Aber eine Zeit lang, war es ihm kaum möglich, dass auf eine halbwegs komfortable Weise zu tun und dabei tatsächlich genug Schlaf zu bekommen. Solche elementaren Dinge. Außerdem – das ist jetzt kein Witz – hat er unter Heimweh gelitten und wollte allein deshalb nicht viel unterwegs sein. Für ihn war das ein echtes Problem.

(Bild: Aaron Rapoport)

Hinzu kommt, dass er kaum Interviews gegeben hat. Warum?

Keine Ahnung. Eigentlich war mein Vater ein ziemlich cooler Typ. Aber er liebte es auch, sich aus der Öffentlichkeit zurückzuziehen und nicht alles von sich preiszugeben, sondern etwas Mystisches zu bewahren. Deshalb hat er sich auf nichts eingelassen, was ihm nicht zusagte oder wo die Gefahr bestand, dass er sich falsch dargestellt fühlen könnte. Er war also sehr wählerisch. Und ich denke, das war zum reinen Selbstschutz. Darauf haben all seine Entscheidungen basiert. Er hat sich oft zurückgezogen und viel Musik gehört oder alte Filme geschaut. Er hat sich mit Menschen umgeben, die er mochte, und hat jeden Tag Musik gespielt und geschrieben.

Darf man fragen, was aus seiner umfangreichen Gitarrensammlung geworden ist?

Die befindet sich an einem Ort, den ich nicht verraten werde – und wo sie gut aufbewahrt ist. Schließlich hatten wir in der Vergangenheit einige unschöne Erfahrungen.

Du meinst die beiden Diebstähle – 2012 und 2019?

Genau. Und im Gegensatz zu 2012, als die fünf gestohlenen Gitarren schon kurze Zeit später sichergestellt wurden, sind die anderen leider immer noch verschollen. Sie wurden aus einem Lagerhaus in San Fernando Valley entwendet – zwei Jahre nach seinem Tod. Der Dieb muss genau gewusst haben, was er wollte, weil er nur dieses Lager geöffnet hat und sehr gezielt vorgegangen ist. Er hat Gitarren und ein paar Festplatten mit unveröffentlichter Musik mitgehen lassen.

Die Festplatten sind wenig später wieder aufgetaucht, doch von den Gitarren fehlt bis heute jede Spur. Das ist nicht nur ärgerlich, weil sie viele Hunderttausend Dollar wert sind, sondern weil sie – zumindest in meinen Augen – auch die Musen bilden, die ihn zu seiner Musik inspiriert haben. Sie nehmen da also einen wichtigen Stellenwert ein und sind ein bisschen mehr als nur Instrumente. Deshalb haben wir diejenigen, die noch in Familienbesitz sind, an einen geheimen Ort gebracht, wo sich so etwas nicht wiederholen kann.

Und die Versteigerung bei Bonhams im Herbst 2024?

Das waren Einrichtungsgegenstände aus seinem Anwesen in Malibu, das seine Witwe letztes Jahr verkauft hat. Natürlich war ich erst nicht sonderlich glücklich darüber, dass sie sich davon getrennt hat, aber irgendwie kann ich es auch verstehen: Sie muss sich vorgekommen sein, wie in einem Museum – mit all diesen Andenken an einen geliebten Menschen, der nicht mehr da ist und den sie schmerzlich vermisst. Insofern muss man irgendwann einen Schlussstrich ziehen und wieder nach vorne blicken.

Und seien wir ehrlich: Ich selbst hätte auch nicht gewusst, wohin mit dem ganzen Kram. Ich meine, es waren alte Teppiche, Möbel, Hemden, ein paar Gemälde, Statuen und sein Klavier – was soll ich damit? Bei seinem alten Ford Mustang habe ich kurz überlegt, aber auch dazu fehlen mir der Platz und die Zeit, mich richtig darum zu kümmern. Insofern: Man muss loslassen können. Selbst, wenn das nicht leicht ist.

(erschienen in Gitarre & Bass 05/2025)

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