Tobias Hoffmann Trio: Wie Reduktion Freiheit schafft
von Marian Menge, Artikel aus dem Archiv
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(Bild: Schönhofer, Philipp, Hoffmann)
Es kommt nicht von ungefähr, dass das neue Album des Tobias Hoffmann Trios den Hauptdarsteller und Namensgeber selbst an seine alte Band Global Tourists und damit „Indie” erinnert: Der tonale und zusammenspielerische Ansatz von Gitarrist Hoffmann und Bassist Frank Schönhofer ist eigen und hat sich seit dem mit einem Echo ausgezeichneten Debüt dieser Formation (2014) noch einmal kräftig weiterentwickelt: Sie klingen wie ein Instrument und vermeiden im Jazz geläufige Manierismen gleichermaßen wie aufplusterndes Gehabe von blues-rockenden Trios: In sich ruhend lässt ‚Start/Stop’ aufhorchen, leider zum letzten Mal in dieser Besetzung.
Doch bevor wir auf die beiden Saitenkünstler zu sprechen kommen, müssen zwei weitere Protagonisten von ‚Start/Stop’ thematisiert werden. Denn die interessanteste Geschichte zu diesem vierten Album der Formation, das erstmals nicht auf Cover-Versionen bekannter Stücke basiert, sondern auf Kompositionen von Hoffmann zurückgreift, steuert eigentlich der Drummer bei. Und auch wenn uns das in einem Gitarrenmagazin eigentlich nur peripher interessiert, soll sie hier eingestreut werden.
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Auch weil sie viel über die Entstehung der Aufnahmen, die Herangehensweise des Trios und generell ihr Verständnis von Musik erzählt. Der aus den Niederlanden stammende, in Köln ansässige Etienne Nillesen ist ein gefragter Jazz-Schlagzeuger und Dozent am ArtEZ Konservatorium in Arnheim. Und dieser Jazz-Dummer hatte irgendwann keine Lust mehr aufs Jazz-Drumming, aber lassen wir das Tobias Hoffmann erzählen: „Etienne hat vor vielen Jahren schon angefangen aus allen Bands auszusteigen, in denen er ein komplettes Drumset gespielt hat.
Er hatte einfach das Interesse daran verloren und sich mehr auf die Snare-Drum fokussiert. Jetzt macht er damit Karriere, Komponisten schreiben Auftragskompositionen nur für seine Snare-Drum. Unser Trio war die letzte Band, in der er noch eine Bassdrum benutzt hat.
Es fing damit an, dass er zuerst keine Toms mehr gespielt hat. Dann keine Hi-Hat mehr. Und dann hat er vor zwei bis drei Jahren erklärt, dass er auch keine Becken mehr spielen will, und gefragt, ob es dann noch Sinn macht, dass wir im Trio weitermachen.
Ich fand es cool und wollte es ausprobieren. Ich hatte schon immer befürchtet, dass irgendwann der Punkt kommt, dass er sagt, er spielt jetzt gar nicht mehr mit. Diese Phase ohne Becken hatten wir noch nicht auf Platte, aber das hatte bei den Gigs so cool geklungen, weil es viel geöffnet hat und plötzlich viel mehr Platz da war.
Also habe ich ihn gefragt: Hast du Bock noch eine letzte Platte ohne Becken zu machen? Und dann hat er ja gesagt.” Zum Glück. Wobei so ganz ohne Blech gings dann doch nicht: Auf der Snare lag bei den Aufnahmen teilweise ein kleines Splashbecken, aus dem Nillesen Sounds ähnlich der einer Hi-Hat herausholt.
Der andere Protagonist, der eine besondere Erwähnung verdient, ist Produzent Jan Philipp, in dessen Sunshine Studios Cologne die drei das Album aufgenommen haben. Und zwar live, alle in einem Raum und im Kreis angeordnet (soweit das bei einem Trio möglich ist), mit der eingepreisten Gefahr von Übersprechungen. Dazu Tobias: „Für mich war es eine Premiere, dass wir alle in einem Raum aufgenommen haben. Und das ohne darauf zu achten, ob der Bass-Amp auf die Bass-Drum strahlt, sondern sogar exakt gegenüber stand.
Jan weiß genau, wie man mikrofoniert. Er wollte zum Beispiel auch, dass ich zwei Verstärker spiele. Gar nicht unbedingt für den Stereo-Sound, sondern damit mein Signal von beiden Seiten in gleicher Lautstärke in die Overheads des Drumsets kommt.
Der Unfall, der dann im Studio passiert ist, war, dass ich den Hall gerne mal an- und ausschalte, was ich aber nicht für zwei Verstärker gleichzeitig machen konnte. Aber wir haben dann festgestellt, dass es eigentlich toll klingt, wenn der eine Amp immer trocken ist und der andere eben manchmal einen Hall hat, der dann nur auf einer Seite hängt.” Dadurch erhält die Aufnahme an manchen Stellen eine faszinierende Breite, die gar nicht in der Postproduktion erzeugt werden musste, sondern von Anfang an durch die Mikrofonierung im Mix angelegt war.
Namensgeber und Gitarrist des Trios: Tobias Hoffmann (Bild: Schönhofer, Philipp, Hoffmann)
Nun aber zu den beiden für dieses Magazin relevantesten Akteure: Tobias Hoffmann, Gitarre, und Frank Schönhofer, E-Bass. Sie machen schon seit vielen Jahren zusammen Musik und haben auf ‚Start/Stop’ ihr Zusammenspiel perfektioniert, ihre Interaktion kultiviert und ihre Sounds auffallend aneinander angeglichen.
Man merkt, dass die beiden eine langjährige musikalische Reise verbindet und sie mittlerweile, jeder mit eigenem Akzent, dieselbe Sprache sprechen. Doch auch das ist nach Aussage der beiden mit beeinflusst von der Reduzierung des Schlagzeugs: „Das hat auf uns abgefärbt”, erzählt Schönhofer.
Bassist Frank Schönhofer (Bild: Schönhofer, Philipp, Hoffmann)
„Ich für meinen Teil kann sagen, dass ich insgesamt weniger gespielt habe, weil ich den Eindruck hatte, mich viel mehr auf den Sound konzentrieren zu können und viel mehr Ausgestaltungsmöglichkeiten zu haben: Man kann die großen Bögen spielen, mit Dynamik und eben auch mit der Stille arbeiten. Das geht oft nicht,
wenn die ganze Zeit ein ganzes Set durchrödelt.” Schönhofer kontert und erweitert die cleanen Singlenote-Lines von Hoffmann mit oft abgedämpft gespielten Basslines. Dadurch entstehen verspielte Grooves, die an Motown denken lassen und nur dadurch funktionieren, dass beide gewisse Pausen lassen und sich über die Notenlängen einig sind.
Dadurch fällt es beim Hören mitunter schwer, genau auszumachen, was von der Gitarre und was vom Bass kommt, die beiden Klangquellen verschmelzen regelrecht miteinander, um dann im nächsten Moment in unterschiedliche Welten aufzubrechen, wobei die bekannte Rollenverteilung mit dem Bass als Basis und der Gitarre als Soloinstrument nur selten offensichtlich zur Anwendung kommt.
Auch die jeweiligen Grundsounds der beiden sind nicht so weit voneinander entfernt: Beide sind trocken, holzig und der Bass spielt auffällig oft in hohen, der Gitarre Konkurrenz machenden Lagen. „Ich finde es schön, dass wir manchmal wie ein großes Instrument klingen, wie eine Riesenharfe”, sagt Schönhofer, und Hoffmann erklärt: „Das war auch die Idee dahinter.
Wir haben es uns in Konzerten ein bisschen erspielt, dass wir Momente gefunden haben, in denen wir in der gleichen Range waren, dass es sich so anfühlte wie in unserer alten Indie-Band Global Tourists.” Ja, die Verwendung des Begriffs Indie, der eigentlich für manchmal schrammeligen, oft eigenwilligen Pop/Rock verwendet wird, macht an dieser Stelle absolut Sinn, denn das Trio ist, vor allem auf dieser Aufnahme, weit weg von einem herkömmlichen Jazz-Ansatzpunkt.
Zwar wird improvisiert und die Akkordfolgen und Sololinien sind auch eher im Jazz verortet, aber durch alles weht ein freigeistiger Wind, der alles zulässt und keine Grenzen setzt. Das unterstützen auch die Kompositionen von Hoffmann, die auf maximale Freiheit ausgelegt sind, und dem Drummer erst im Studio vorgestellt wurden: „Eigentlich sind das ganz einfache Ideen, manche basieren auf einem lediglich zweitaktigen Schema, andere haben vier Takte.”
Die beiden Gitarren-Amps Fender Princeton Reverb & Deluxe Reverb sowie der Bass-Amp Euphonic Audio Doubler (Bild: Schönhofer, Philipp, Hoffmann)
Das komplexeste Stück der Platte hat einen achttaktigen A-Teil und einen viertaktigen B-Teil. Festgelegt waren nur die Begleitungen, für die allerdings ein Akkordsymbol im Leadsheet nicht ausreicht, da sie auskomponiert sind und oft nur im Verbund aus Basston und Topnote funktionieren. Um das klanglich stimmig zusammen auf Bass und Gitarre umzusetzen haben die beiden zuvor viel mit verschiedenen Tonarten experimentiert.
Und wer jetzt meint, anmerken zu müssen, ein zweitaktiges Schema sei noch keine Komposition, dem sei der YouTube-Kanal von Tobias Hoffmann empfohlen (nicht zu vergessen natürlich seine Gitarrenpräsentationen auf dem YouTube-Kanal von Vintage Guitars Oldenburg). Dort gibt es zu jedem einzelnen Song ein ausführliches Erklärvideo, in dem er jeweils die Sounds, tonalen Hintergründe, Herangehensweisen an die Improvisationen etc. thematisiert.
So kann man ‚Start/Stop’ nicht nur unter klaengrecords.de kaufen, sondern auch tiefer einsteigen in die musikalische Welt des Tobias Hoffmann Trios.