Im Interview

The Lumineers: Ein wunderbares Gefühl

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(Bild: Noa Griffel)

Wer das Duo aus Denver auf seinen Überhit ‚Ho Hey’ von 2012 reduziert, begeht einen törichten Fehler: Gitarrist/Sänger Wesley Schultz und Drummer/Pianist Jeremiah Fraites haben seitdem vier Studio-Alben in der Schnittmenge zwischen Americana, Pop und Rock veröffentlicht, die an Intensität und Spielfreude kaum zu überbieten sind. Und: Sie haben ein Millionenpublikum erreicht. Jetzt legen die Lumineers einen weiteren Geniestreich vor: ‚Automatic’. Anlass für ein ausführliches Gespräch mit Mr. Schultz.

Interview

Wesley, ist ‚Automatic’ einfach ein typisches Lumineers-Album, oder welchen Ansatz verfolgt ihr diesmal? Was ist – in deinen Ohren – anders?

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(lacht) Ich finde es nicht schlimm, dass unser Sound eine gewisse Kontinuität besitzt. Im Gegenteil: Das steigert das Identifikationspotential. Gleichzeitig habe ich das Gefühl, als ob wir in eine neue Phase unserer Karriere eingetreten wären. Denn wir haben ‚Automatic’ im Grunde wie ein Live-Album aufgenommen – wie es Leute vom Schlag eines Neil Young zu tun pflegen.

Sie gehen in eine Scheune, spielen alles live ein und isolieren den Gesang. Doch man hört halt immer noch, wie das Schlagzeug oder die Gitarre einstrahlen. Und das verleiht dem Ganzen etwas Organisches, weil es als Gruppe, als Kollektiv entstanden ist und auf einer Performance basiert. Diesen Ansatz haben Jeremiah und ich übernommen – was bedeutet, dass da weder viel Clicktrack noch Studio-Tricksereien im Spiel waren. Es ging eher darum, das Ganze wie eine Garagen-Aufnahme klingen zu lassen.

Und dafür habt ihr das Utopia-Studio in Woodstock gebucht?

Ganz genau. Es ist ein offener Raum, der ein wenig an Abbey Road erinnert, und in dem das erste Musikvideo aller Zeiten gedreht wurde: ‚Video Killed The Radio Star’ von den Buggles. Man kann das Ganze nach seinen Wünschen gestalten, und wir haben uns für mehrere Arbeitsstationen entschieden – für Schlagzeug, Gitarre, Klavier.

Dazu gab es eine Gesangskabine, aus der man alles überblicken konnte. Insofern sind sämtliche Takes im Zusammenspiel entstanden, denn wir hatten permanent Blickkontakt. Wenn man das mit dem vergleicht, was wir in der Vergangenheit gemacht haben, war das etwas ganz anderes. Denn bislang haben wir alles separat eingespielt und waren oft nicht einmal zur selben Zeit im selben Raum.

Dabei steckt mehr Energie im Zusammenspiel, was wir leider erst zu unserem 20. Dienstjubiläum erkannt haben. Eben dass wir eine bessere Chemie haben, wenn wir live spielen. Dagegen waren unsere alten Aufnahmen oft Multi-Trackings. Was bedeutet, dass sie nie unsere wahre Essenz eingefangen haben. Deshalb sind wir zum Anfang zurückgekehrt – zu den ersten Sessions in meiner Garage.

Wobei ihr einen persönlichen Rekord aufgestellt habt – ein komplettes Album in 21 Tagen abzuschließen. Wie kommt’s?

Für unsere Verhältnisse ist das wahnsinnig schnell. Klar, werden jetzt einige Leute denken, dass müsse doch noch schneller gehen − aber nicht bei uns: Da sind drei Wochen wirklich etwas Besonderes.

Was Gitarren betrifft: Was kommt bei den neuen Songs zum Einsatz bzw. wie unterscheidet sich das von früheren Alben?

Die wichtigste Gitarre war ganz klar diese wunderbare Gibson Hummingbird von 1963, die mir unser Manager geliehen hatte. Ich scherze oft, sie sei mir gestohlen worden, weil ich sie am liebsten behalten würde. Ich habe diese akustische Gitarre im Jumbo-Format auf so ziemlich jedem Song verwendet.

Die einzige Ausnahme: Bei ‚Same Old Song’ habe ich eine dieser akustischen Gibsons gespielt, die einen weißen Pickguard über und unter dem Schallloch haben. Aber in erster Linie war es die Hummingbird, die ganz anders ist als alles, was ich je verwendet habe. Davor war es diese Semi-Hollow-Gitarre von Guild. Die T-100D, die auf Alben wie ‚III’ und ‚Brightside’ auch wirklich toll geklungen hat.

Wobei du auf einem Stück auch zur Elektrischen greifst – nämlich auf ‚So Long’. Was spielst du da?

Dieselbe Gitarre, die ich auf ‚Brightside’, dem Titelstück des letzten Albums, verwendet habe: eine White Falcon. Eine der Lieblingsgitarren von Neil Young, die er ziemlich oft verwendet. Sie hat hervorragend zu diesem Stück gepasst.

Bedeutet das, du schreibst vor allem auf der Akustischen während die Elektrische nur eine zusätzliche Klangfarbe ist, die du bei Bedarf hinzufügst?

Auf den letzten drei Alben war das definitiv so. Da habe ich nur gelegentlich zur E-Gitarre gegriffen und ansonsten alles mit der Guild erledigt. Einfach, weil es das war, was ich zur Hand hatte und worin ich mich regelrecht verliebt habe. Doch diesmal bin ich zum Ansatz unseres Debüts zurückgekehrt, auf dem nur akustische Gitarre vertreten waren. Dafür habe ich diese Hummingbird verwendet, die den Sound jedes einzelnen 70s Rock-Albums aufweist, das ich je geliebt habe. Deshalb habe ich mir gleich ein paar davon zugelegt, mit denen ich demnächst auch auf Tour gehe. Also Teile, die nicht ganz so alt und wertvoll sind.

Besitzt du auch solche Modelle?

Leider nein. Ich habe eher Gitarren im mittleren Preis-Segment – aber seit kurzem auch eine richtig nette Hummingbird, einfach weil ich so begeistert davon bin. Und ich achte darauf, meine Instrumente sachgemäß zu lagern, also in eher feuchter Luft. Da tue ich mein Bestes. Nur: Ich möchte nichts zu Teures und Anspruchsvolles.

Denn in der Vergangenheit habe ich mich nicht sonderlich gut darum gekümmert, weil meine Familie und ich viel unterwegs sind. Wir leben einen Teil des Jahres in Denver, wo es extrem trocken ist – also eher schlecht für Gitarren. Die übrigen Monate sind wir in den Catskills, die zwar ein bisschen feuchter sind, aber auch nicht die beste Umgebung für etwas wirklich Nettes. Von daher habe ich etliche dieser Yamaha-Nippon-Gakki-Modelle, insbesondere die FG-150 und die FG-350 mit dem roten oder grünen Label.

Das sind immer noch Schnäppchen – nicht sonderlich teuer, aber vom Klang her umwerfend. Nur: Selbst die kann man nicht mit auf Tour nehmen, weil sie zu anfällig sind. Für zuhause sind sie dagegen prima.

(Bild: Nick Bell)

Welcher Tradition folgst du als Gitarrist? Wer hat dich am meisten beeinflusst oder geprägt?

Was ich liebe, ist die Art, wie akustische Gitarren auf den frühen Alben von David Bowie eingesetzt wurden. Davon war und bin ich schwer beeindruckt – von diesem vollen, runden, direkten Mick-Ronson-Sound. Und natürlich bin ich mit Bob Dylan aufgewachsen. Ich mag sein kantiges Picking, das unglaublich charismatisch und eigenständig ist – vor allem bei seinen akustischen Sachen.

Was moderne Gitarristen betrifft, würde ich sagen: Beck oder Blake Mills. Sie erzielen einen wirklich umwerfenden Ton, den ich ebenfalls liebe. Aber wer mich in puncto Sounds immer wieder aufs Neue beeindruckt, ist Jeff Tweedy von Wilco. Er ist ein Meister darin, skurrile, schrullige Klänge zu finden. Davon sind Jeremiah und ich gleichermaßen besessen. Ihm sind Sounds genauso wichtig wie mir – nur an Klavier und Kontrabass.

Wir haben jetzt zum ersten Mal einen Kontrabass zum Aufnehmen verwendet – um zu schauen, was dabei rauskommt. Genauso sind wir bei seinem neuen Klavier vorgegangen, das er scherzhaft als „Feuerholz” bezeichnet. Aus dem einfachen Grund, weil er seinen Klavierstimmer gefragt hatte, ob dieses Teil, das ihm seine Mutter geschenkt hatte, einigermaßen OK wäre.

Doch der Stimmer meinte nur: „Kumpel, das ist Feuerholz.” Im Sinne von: Man sollte es besser verbrennen. Das mag schon sein, doch wir mögen es trotzdem – weil es genau das ist, was Tom Odell und Jack Antonoff verwenden. Leute, die nicht immer das Schönste und Sauberste wollen, aber etwas mit Seele – ähnlich wie bei älteren Gitarren, die regelrecht singen, wenn man sie spielt. Tom Petty hatte ebenfalls einen Sound, der wirklich toll war.

Und ich muss zugeben, dass ich viele Vorbilder habe, die sich nicht auf ein Genre oder eine Schule beschränken, sondern sich überall bedienen. Dazu zähle ich zum Beispiel die Felice Brothers oder die Produktion von ‚Exile On Main Street’. Da haben die Stones die umwerfendsten Töne aus ihren Instrumenten geholt. Und es war ihre bewusste Entscheidung, sie so schmuddelig klingen zu lassen. Nach dem Motto: Ihnen standen alle Möglichkeiten offen, aber sie wollten etwas Abgefucktes. Für uns war das wahnsinnig inspirierend – also uns lieber ein paar interessante Sounds herauszupicken, statt etwas zu Poliertes und Sauberes abzuliefern.

Also etwas mit Charakter?

Das ist der Sinn des Spiels – das ist alles, worum es geht. (kichert) Ich bin der Meinung: Wenn ich etwas mit wenigen Worten oder Akkorden – also auf eine nicht überladene und wer-weiß-wie ausgefeilte Weise – sagen kann, sollte ich das tun. So, wie es Hemingway getan hätte. Ich meine, die Tatsache, dass Leonard Cohen ewig brauchte, um bestimmte Songs fertigzustellen, zeigt, wie kompliziert einige Songwriter vorgegangen sind. Und meine Helden waren eher Leute, die weniger gesagt haben. Wortreiche Sachen waren dagegen nie mein Ding.

(Bild: Nick Bell)

Macht euch das zum Gegenpol der heutigen Pop/Rock-Musik? Sind Minimalismus und Simplizität eine Reaktion darauf?

Das könnte man so sagen. Wobei ich einfach froh bin, dass sich überhaupt jemand die Mühe macht, uns zuzuhören. Andernfalls würde ich mich wie ein Verrückter fühlen – wie jemand, den man nicht ernstnimmt und der auf irgendeiner absurden Wolke schwebt. Nur: Ich könnte allein deshalb nichts dagegen tun, weil ich halt die Musik mache, die ich mag. Und das ist der Grund, warum sie funktioniert – weil ich daran glaube und das abfärbt.

Es ist ein Riesenglück, dass sie so breite Zustimmung findet und wir immer mehr Alben aufnehmen und Tourneen unternehmen dürfen. Der Schlüssel ist halt, dass du magst, was du tust und immer weiter machst. Selbst, wenn es Leute gibt, die dir sagen, dass es fürchterlich klingt, was du da tust. Das musst du akzeptieren. (lacht) Musik ist schließlich eine subjektive Sache, aber nichts Logisches. Sie ist rein zufällig.

Und dieses Gefühl der Identifikation habe ich, wenn ich zum Beispiel ‚I Am Trying To Break Your Heart’ von Wilco höre. Es ist die Art, wie sie das aufgenommen haben, die mir unglaublich mutig erscheint. Oder auch The Band, die wiederum Elton John und viele andere Künstler beeinflusst haben, indem sie einfach ihr Ding durchgezogen haben. Das war mitunter so schräg und knarzig, aber auch ehrlich und hatte so viel Tiefe.

Wenn ich das meinen Kindern vorspiele, die in der Grundschule sind, verstehen sie es sofort. Und ich weiß nicht, warum das so ist, aber es ist wie bei Bob Marley: Bestimmte Künstler haben etwas an sich, zu dem man eine spontane Beziehung aufbauen kann.

(erschienen in Gitarre & Bass 04/2025)

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