Im Interview
Scott Sharrard: Der (nicht mehr ganz) Neue bei Little Feat
von Matthias Mineur, Artikel aus dem Archiv
(Bild: Geoffrey Clowes/Shutterstock)
Als Fan dieser Band kann man dem Titel ihres 1998er Studioalbums ‚Under The Radar’ wohl leider nur zustimmen: Little Feat gelten bei Fachleuten als eine der besten Rockgruppen der Welt, haben aber – zumindest in Europa – nie den großen Durchbruch geschafft. Obwohl die US-Band im Juli 1977 ein spektakuläres, live auf allen deutschen Fernsehbildschirmen übertragenes Rockpalast-Konzert gab und anschließend mit ihrem Live-Album ‚Waiting For Columbus’ kurz vor einer Weltkarriere stand, gilt sie hierzulande bis heute als Insidertipp.
Das wird sich vermutlich auch mit dem neuen fabelhaften Werk ‚Strike Up The Band’ kaum ändern. Oder etwa doch? Immerhin hat sich nach dem Tod von Originalsänger/-Gitarrist Paul Barrére im Oktober 2019 mit dem 48-jährigen Scott Sharrard ein Nachfolger in den Vordergrund gespielt, der diese Band auch einem jüngeren Publikum näherbringen könnte. Zumal ‚Strike Up The Band’ mit seiner heißen Mischung aus Rock, Blues, Americana, Soul, Funk, Country und Jazz erneut großes Kino ist. Das findet auch Sharrard selbst.
Scott, herzlichen Glückwunsch zu einem wunderbaren neuen Little-Feat-Album. Wann und wie hast du die Band entdeckt und wie war damals dein erster Eindruck?
Ich wuchs mit Rock’n’Roll-Radio und der Plattensammlung meiner Eltern auf, in der sämtliche Little-Feat-Alben zu finden waren, vor allem ‚Waiting For Columbus’. Ich habe ihre ersten Songs bereits als kleines Kind gehört, quasi auf dem Wohnzimmerfußboden.
Mein Vater ist selbst Gitarrist und Singer/Songwriter und spielte immer wieder ein paar ihrer Songs. Mit etwa zehn wollte ich die Stücke unbedingt lernen, speziell ‚Let It Roll’ mit Craig Fuller, der den Part von Lowell George übernommen hatte. Ich sah Little Feat ein paar Mal auf der ‚Let It Roll’-Tour und mit dem darauffolgenden Album ‚Representing The Mambo’.
Habe ich es richtig verstanden, du hast das Gitarrenspielen mit den komplexen Little-Feat-Songs gelernt?
Ja. Jetzt, da ich selbst in der Band bin, sitze ich „unter der Kühlerhaube”, wie wir hier sagen. Ich kann den Motor sehen und wie alles zusammengesetzt ist. Inzwischen habe ich alles mindestens 100-mal auseinandergenommen und wieder zusammengesetzt.
Bevor ich die Gelegenheit bekam, selbst Teil dieser großartigen Band zu werden, war es unmöglich jemanden zu finden, der diese Songs richtig spielen kann, da sie so unfassbar schwierig zu lernen sind. Ich vergleiche ihre Musik mit der von Thelonious Monk. Bei Monk ist der Groove so mächtig, ihn zu spielen erscheint nur dann möglich, wenn man sich detailliert damit auseinandersetzt, wie die einzelnen Teile zusammenwirken.
Haben dir Little Feat erzählt, wie sie dich entdeckt haben?
Ich war Gregg Allmans Gitarrist und Bandleader, und so lernte ich Bill Payne (Little-Feat-Keyboarder, Anm. d. Verf.) kennen. Gregg und ich waren im Sommer 2015 mit den Doobie Brothers auf Tour und Bill Payne war deren Pianist. Der wichtigste Verbindungsmann ist allerdings mein Freund Jay Collins, ein New Yorker Saxofonist, er stellte mich bei Gregg Allman vor und spielte auch Saxofon bei Little Feat, als Paul Barrére krank wurde.
Bill Payne suchte 2019 im Doobie-Brothers-Lager nach einem Ersatzmann für Paul und bekam meinen Namen genannt. Er rief mich an und erzählte mir, dass er auf meiner Band-Homepage gelesen hatte, dass Little Feat zu meinen Vorbildern gehörten. Ich bekam also den Job, und ausgerechnet beim allerersten Gig war Paul am Morgen gestorben.
Als ich also Fred (Tackett, Gitarre), Kenny (Gradney, Bass) und Sam (Clayton, Percussion) zum ersten Mal traf, musste ich ihnen erst einmal mein Beileid aussprechen, bevor wir auf die Bühne gingen. Es war einer dieser spirituellen, zufälligen Momente, in dem der Stab weitergereicht wurde.
Welch traurige Geschichte!
Ich habe eine ähnliche Erfahrung mit Levon Helms hinter mir, und natürlich war ich auch bei den letzten Shows von Gregg Allman dabei.
Als Bill Payne dich fragte, ob du bei Little Feat einsteigen wolltest – musstest du lange darüber nachdenken?
Nein, ich habe sofort zugesagt, weil er mir anbot, vollwertiges Bandmitglied zu werden. Er sagte: „Ich möchte, dass du mit uns arbeitest, unser Leadsänger und Gitarrist wirst und Songs für uns schreibst.” Nicht bei jeder Band, in der ich gespielt habe, hat es so angefangen, aber bei jedem Projekt, bei dem ich mitgewirkt habe, wurde ich entweder festes Mitglied oder sogar Bandleader und Produzent.
Für mich ist es ein besonderes Phänomen, dass Little Feat ihren Stil und ihren Sound seit 1975 trotz personeller Umbrüche nie wirklich verändert haben. Hattest du Angst, dass es dir nicht gelingen könnte, diesen Stil weiterzuführen?
Auf jeden Fall! Ich würde es allerdings nicht Angst nennen, sondern eher Schüchternheit. Andererseits habe ich in meiner Karriere mit vielen meiner musikalischen Helden gearbeitet und weiß, dass alle eine Gemeinsamkeit verbindet: Die Tatsache, dass sie unglaublich bescheiden sind, wenn es um ihre Musik geht.
Und selbst dann, wenn man nicht auf ihrem Niveau spielt: Begegnet man der Musik, die man liebt, auf Augenhöhe, und zeigt seine Leidenschaft, seine Offenheit und bis zu einem gewissen Grad seine Kenntnisse über die Geschichte dieser Musik, bekommt man ihren Respekt. Die besten Rock’n’Roll-Bands waren immer schon Talentschmieden für junge Musiker.
Ich glaube, dass Little Feat von Beginn an ihre eigene Richtung eingeschlagen und ihre eigenen Geschichten erzählt haben. Es gibt einen roten Faden, der bis in die Gegenwart hineinreicht. Die Formel, die einst von den Beatles entwickelt wurde, hat sich nicht verändert, sie ist ganz ähnlich wie die von Beethoven.
Im Grunde hat auch Stravinsky bei seiner Instrumentierung nach demselben Schema gearbeitet, nur dass die Harmonien und die Erzählungen der Geschichten moderner wurden und sich komplett verändert haben. Und genau das machen wir bei Little Feat. Wir bauen auf 50 Jahre Musik auf, wir verwenden dieselben Parts an genau denselben Stellen und auf dieselbe Weise, doch dann erzählen wir unsere eigenen Geschichten und setzen auf unsere eigene Herangehensweise.
Ein gutes Beispiel ist unsere zweite neue Single ‚Midnight Flight’, bei der ich zuerst, vermutlich unbewusst, das Opening-Riff von ‚Hate To Lose Your Lovin’ vom Album ‚Let It Roll’ einfach in einem anderen Tuning gespielt habe. Der Song hat zunächst das Feeling von ‚Hate To Lose Your Lovin’ oder auch ‚One Clear Moment’, doch dann verändert sich die Akkordfolge, der Text, die Melodie.
Man muss immer mit dem Grundgerüst eines Songs anfangen, und Little Feat gehören rhythmisch zu den komplexesten Bands in der Geschichte des Rock’n’Rolls. Man startet also mit diesem amerikanischen Sound, diesem polyrhythmischen, in New Orleans verwurzelten Funk, der aus New Orleans stammt und sich ausgebreitet hat.
Es ist diese Kreuzung aus Karibik und Afrika, aus klassischer französischer Musik, Delta Blues und was damals alles sonst noch an der Mündung des Mississippi zusammenkam. Das ist das Herz der Musik von Little Feat.
(Bild: Geoffrey Clowes/Shutterstock)
Hattest du großen Einfluss auf das Songwriting und die Produktion von ‚Strike Up The Band’? Hast du den Sound von Little Feat beeinflusst?
Ja, das habe ich, und das kann man positiv oder negativ sehen. Ich überlasse es lieber anderen zu beurteilen, ob der Sound dadurch besser oder schlechter geworden ist. Ich glaube, meine Bandmitglieder mögen meine Arbeit, in dieser Hinsicht habe ich großes Glück gehabt.
Und ich arbeite sehr hart daran, ihr musikalisches Niveau zu erreichen, was keine leichte Aufgabe ist. Wenn jemand wissen möchte, wie mein Sound klingt und wie er innerhalb von Little Feat existiert, findet man im Internet darauf tonnenweise Antworten. Ich mache seit meinem 20. Lebensjahr Platten, anfangs mit meinem Partner Sean Dixon und meiner eigenen Band The Chesterfields aus Milwaukee beziehungsweise später New York. Außerdem gibt es von mir sechs Soloalben, das letzte – es heißt ‚Rust Belt’ – wurde 2021 veröffentlicht.
Könntest du erklären, was für dich der einfachste und was der schwierigste Teil bei der Studioarbeit mit Little Feat war?
Das ist sehr interessant, denn Little Feat, die Gregg Allman Band, meine eigene Formation und auch alle Bands, mit denen ich im Laufe der Jahre gearbeitet habe, funktionieren auf dieselbe Weise. Es läuft genauso ab wie man in den Fünfzigern eine Platte bei ‚Sun’ oder ‚Chess Records’ aufgenommen hat – man geht in den Aufnahmeraum, stellt sich im Kreis auf, spielt und nimmt so viel wie irgend möglich live auf.
Dabei schaut man sich gegenseitig in die Augen und entwickelt einen Groove, irgendeine Interaktion und einige dieser überraschenden Augenblicke. Beim Playback achtet man dann auf die Genauigkeit, aber mehr als alles andere achtet man auf den Swing und auf die weniger perfekten Stellen.
Auf Dinge, die einfach so passiert sind und die einen überraschen. Dinge, die man selbst oder jemand anderes gespielt hat und die eigentlich gar nicht da sein sollten, über die man sich aber trotzdem freut. Im Studio kann man heutzutage sagen: „Dieser Gesangspart hat mir nicht gefallen” und ihn dann noch einmal einsingen oder mit Pro Tools bearbeiten.
Wenn man ein Wort, eine Note oder einen Takt ändern will, egal ob von der gesamten Band oder nur eine einzelne Spur, funktioniert das mit nur einem einzigen Klick. Auf diese Weise lässt sich unglaublich schnell arbeiten.
Was bei einer so erfahrenen Band wie Little Feat sicherlich ein wahrer Segen ist.
Absolut! Bei Little Feat ist über hunderte von Gigs diese einzigartige Chemie entstanden. Wenn eine Band schon seit Jahren zusammen tourt, lebt und arbeitet, hat sie einen bestimmten Stil, und jeder weiß genau, wie er navigieren muss.
Wir haben drei oder vier Basictracks pro Tag aufgenommen. Für unser gesamtes Blues-Album ‚Sam’s Place’, das wir vor ein paar Jahren in Memphis eingespielt haben, brauchten wir weniger als zwei Tage. Wir arbeiten schnell, wir trödeln nicht herum.
Und als wir diesmal ins Studio gingen – Achtung, jetzt kommt eine kleine Hinter-den-Kulissen-Geschichte! – hatte keiner von uns vorher mit Vance Powell gearbeitet. Ich bin ein Riesenfan von Vances Arbeit als Engineer und Mixer, er hat alle Chris-Stapleton-Platten betreut, er arbeitet mit Jack White, hat Beyonce gemischt, Vance ist ein wunderbar talentierter Typ.
Normalerweise nimmt er einfach den ersten wirklich guten Gesangs- oder Gitarren-Take, kommt dann zurück, wenn die Band mit den Aufnahmen fertig ist und baut beides ein. Ich jedoch sagte: „Vance, wir müssen alle Jams komplett aufnehmen!” Er wollte wissen weshalb.
Ich erklärte ihm: „Ich singe bei jeder Session und spiele alle Gitarrenparts, da ich möglicherweise einiges davon behalten möchte. Jedes Mal könnte der perfekte Part dabei sein.” Ich schätze, die halbe Platte besteht aus den Live-Vocals, die ich mit der gesamten Band aufgenommen habe. Nur für ein paar wenige musste ich ein weiteres Mal in die Gesangskabine.
(erschienen in Gitarre & Bass 11/2025)
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