Im Interview

Santana: Der Heiler

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(Bild: Marylène Eytier)

Mit seinem neuen Album ‘Sentient’, das eigentlich keines ist, will Altmeister Carlos Santana die Welt retten – nicht mehr und nicht weniger. Jetzt kehrt er nach sieben jähriger Pause zurück auf deutsche Konzertbühnen. Grund genug für ein Gespräch in seiner Residenz auf Hawaii.

Den 78-Jährigen vors Mikrofon zu bekommen, ist dieser Tage schwieriger denn je: Er wechselt die Plattenfirmen wie die Unterhosen, wird von seinem Management hermetisch abgeschirmt und hat offenkundig wenig Interesse an endlosen Interview-Marathons, wie er sie noch in den 2000ern – zu Zeiten von ‚Supernatural’ und ‚Shaman’ – absolviert hat.

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Deshalb bedarf es viel Ruhe und Geduld, um irgendwann einen ebenso kurzen wie kurzfristigen Termin zu bekommen: „Morgen Abend. 20 Minuten.” Wer die Kröte schluckt, erlebt einen tiefenentspannten älteren Herren mit überraschend lichtem Scheitel, der einem per Zoom-Schalte von der Terrasse seiner 18,5-Millionen-Dollar-Villa auf Kauai entgegenlächelt. Die Audienz beim selbsternannten Heiler kann beginnen.

Herr Santana, was hat Sie nach Hawaii verschlagen, wo Sie seit einigen Jahren Ihren Zweitwohnsitz haben?

Es ist das Paradies. Hier gibt es keinen Stress und keine Sorgen. Wenn man die Nachrichten ignoriert und den Fernseher gar nicht erst einschaltet, sondern nur den Himmel, die Natur, die Vögel und den Ozean betrachtet, ist es ein Ort der Heilung. Und die brauchen alle Leute – überall.

‘Sentient’, Ihr neuestes Werk, ist kein neues Studio-Album, sondern eine Zusammenstellung von alternativen Versionen, remasterten Album-Stücken und unveröffentlichten Songs. Welches Ziel verfolgen Sie damit?

Was ich will, ist unbändige, kreative Energie in ein Meisterwerk verwandeln. Denn seien wir ehrlich: Es gibt nur wenige Musiker auf dieser Welt, die ein Album wie ‚Sentient’ hinbekämen – mit so unterschiedlichen Künstlern wie Smokey Robinson, Michael Jackson, Miles Davis, meiner Frau Cindy und Darryl McDaniels von Run-D.M.C. Aber auch mit einem solchen Flow.

Ich liebe die beiden Stücke, die ich mit Michael aufgenommen habe – ‚Stranger In Moscow’ und ‚Whatever Happens’. Und ich liebe Smokey Robinson. Wenn ich einen Schritt zurückmache und auf meine Karriere blicke, hat das etwas davon, als ob jemand alles für mich orchestriert hätte – mein gesamtes Leben lang.

In dem Sinne, dass ich irgendwo auftauche, spiele und ergänze. Egal ob Bill Graham, Clive Davis, Miles Davis, Tito Puente, B.B. King – die Leute haben bestimmte Situationen für mich kreiert, denen ich nur noch beitreten musste. Nach dem Motto: „Du kannst hier mit Eric Clapton, Jimmy Page, Jeff Beck, Buddy Guy, John McLaughlin oder Paco de Lucia spielen – aber veranstalte keinen Wettkampf, vergleich dich nicht mit ihnen, sondern ergänze sie.” Das ist es, was ich tue – und es macht Spaß.

Sehen Sie darin Ihre Lebensaufgabe – der perfekte Begleiter zu sein? Und: Ist das die Rolle, die Sie auch auf diesem Album mit allerlei Musikprominenz übernehmen?

Ganz genau. Und ich verlasse mich da auf mein Gefühl – nichts anderes. Es ist eine tolle Sache, das Album mit ‚Blues For Salvador’ zu beenden – weil ich den Blues halt ganz anders spiele als Stevie Ray, Jimi Hendrix oder Eric Clapton. Aber es ist immer Blues, nur eine andere Herangehensweise.

Das ist mir klar geworden, als ich in Japan war und gehört habe, wie sie den Blues dort angehen. Eben ganz anders, aber mit derselben Emotionalität und Leidenschaft. Er muss nicht immer so klingen wie bei B.B. King, Albert King, Freddie King, John Lee Hooker, Lightnin’ Hopkins oder Jimmy Reed.

Es muss nicht Memphis-, Chicago oder Texas-Blues sein, sondern es gibt auch einen Welt-Blues, der überall ein bisschen anders klingt. Ich kann mich bewegen, wo immer ich will. Ich kann im tiefsten Afrika sein und bin doch kein Tourist, sondern ein Familienmitglied. Die Menschen kennen mich und lieben meine Musik.

Hand aufs Herz: Wie ist es mit solchen Superstars, aber auch persönlichen Helden zu spielen? Sind Sie da nie nervös?

Ich fühle mich wie ein Kind, das zum ersten Mal Disneyland besucht – und alles ist im Voraus bezahlt: Die Fahrten wie das Essen. Und wenn ich in einen Raum kam, um mit Wayne Shorter, Herbie Hancock, Miles Davis oder Tony Williams zu spielen, gaben sie mir nicht den empörten Blick, sondern den fröhlichen – weil sie mir ein gutes Gefühl geben wollen.

Eben, als ob ich zu Hause wäre und mich unter Freunden befinde. Und mit Künstlern vom Format eines Michael Jackson oder Prince zu spielen, macht mich dankbar. Man hat mir die Möglichkeit gegeben, meine Musik mit ihnen zu teilen.

Sie kannten Miles sehr gut und sind öfter mit ihm aufgetreten. Zusammen aufgenommen haben Sie dagegen nur einmal: Zwei Stücke auf dem ‚Mystic Man’-Album von Paolo Rustichelli. Warum nicht mehr?

Es hat sich nicht ergeben. Und ich bin sehr dankbar, dass es überhaupt geklappt hat. Anna-Maria, die Frau von Wayne Shorter, meinte damals: „Da gibt es diesen Typen namens Paolo Rustichelli, der so etwas wie der Quincy Jones von Rom ist. Er hat zwei Stücke für Herbie, Miles und Wayne geschrieben – und eins für dich. Willst du es hören und vielleicht auch darauf spielen?” Ich sagte sofort zu und habe mich mit Paolo angefreundet. Ich liebe ihn, seine Kompositionen und seine Herzlichkeit.

Vermissen Sie diese Ausnahmetalente in der heutigen Musikwelt?

Definitiv. Aber: Ich bin immer noch hier und erinnere mich an ihre Herangehensweise. Und die neue Generation da draußen hat ja ebenfalls die Möglichkeit, in die nächste Garage zu gehen und Stücke von den Doors, AC/DC, Led Zeppelin, Cream oder Jimi Hendrix zu üben.

Nach einer Weile können sie diesen Kram dann zur Seite legen und ihrem Herzen folgen. Das haben Eric Clapton und Jimi Hendrix genauso gemacht: Sie haben die Stücke der Blues-Meister gecovert. Doch nach einer Weile haben sie Albert King, Freddie King und B.B. King zur Seite geschoben und ihr eigenes Ding gemacht. Das ist das Entscheidende: Irgendwann muss man aufhören, die Musik von jemand anderem zu spielen und seiner eigenen den Vortritt lassen.


The Sentient Tour 2013
Ippodromo del Galoppo, Milano
26 luglio 2013
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(Bild: Roberto Finizio)

Spielen Sie eigentlich immer noch PRS-Gitarren, oder hat sich in den letzten Jahren irgendetwas an Ihrem Setup geändert?

Nein, es sind hauptsächlich PRS-Modelle, dazu ein paar Akustik-Gitarren mit Nylon-Saiten. Das einzige, was sich geändert hat, ist, dass ich jetzt Dumble-Amps benutze. Und zwar exklusiv.

Wie kommt’s?

Sie haben einen tollen Sound und sind wahnsinnig gut verarbeitet. Dafür bin ich immer zu haben – für gute Qualität und einen guten Ton. Das ist das Wichtigste.

Was macht PRS-Gitarren in Ihren Ohren so besonders?

Jede von ihnen hat ihre eigene Persönlichkeit, ihre eigene Klangfarbe. Fender Strats, Gibson- und Gretsch-Gitarren haben das zwar auch, aber nur die Paul-Reed-Smith-Gitarren verstimmen sich nicht. Das ist der Grund, warum ich darauf schwöre: Wenn sie bei mir eintreffen sind sie nie verstimmt, sondern immer perfekt und sofort spielbereit.

Das ist der Unterschied zu den meisten anderen Gitarren – sie verstimmen sich und auf Dauer ist das unangenehm und irritierend. Aber die Art, wie Paul Reed Smith seine Gitarren baut, sorgt halt dafür, dass das nicht vorkommt. Egal, wie das Wetter ist, wie hoch die Luftfeuchtigkeit oder wie intensiv die Trockenheit ist: Sie bleiben immer, wie sie sein sollten.

David Gilmour und Mark Knopfler haben sich im letzten Jahr von etlichen Gitarren getrennt – für einen karitativen Zweck. Wie werden Sie mit all den Instrumenten vorgehen, die Sie im Lauf Ihres Lebens zusammengetragen haben?

Ich danke ihnen, dass sie mir erlaubt haben, so viel wunderbare Musik mit ihnen zu erzeugen. Und Mark und David haben das Richtige getan: Man verkauft sie nicht, um Profit zu machen, sondern um damit etwas Gutes zu tun. So, wie es auch Eric Clapton getan hat, der eine Klinik gebaut hat.

Welchen Plan verfolgen Sie demnach?

Denselben. Ich werde alles meiner Milagro Foundation spenden. Ich weiß noch nicht, wann ich das angehen werde, aber das ist mein Plan.

Was hat Sie beim legendären New Yorker Jazz-Label Candid Records anheuern lassen?

Das ist ein weiteres, neues Abenteuer für mich. Denn seitdem ich CBS und Arista verlassen habe, suche ich nach einem Label, das eine makellose Integrität besitzt. Denn die braucht jeder Musiker. Rein emotional, aber auch durch einen starken Vertrieb. Das ist kein schwieriges Geschäftsmodell, aber es muss halt funktionieren. Und das war zuletzt nicht immer der Fall.

Candid dagegen ist ein kleines Boutique-Label mit vernünftigem Vertrieb und einem großartigen Katalog. Ich bin stolz, ein Teil davon zu sein – neben Chick Corea und Wayne Shorter. Das macht mich stolz. Es ist ein bisschen wie ein Ritterschlag – wie die Aufnahme in einen exklusiven Club.

Verraten Sie uns noch, was uns auf Ihrer kommenden Deutschlandtour im Sommer erwartet?

Ich werde fast drei Stunden spielen – und Gestern, Heute und Morgen auf die Bühne bringen. Heute und Morgen sind zwei Blöcke in der Show, in denen ich improvisieren werde. Ohne Setliste – einfach so, weil ich erst im jeweiligen Moment weiß, worauf ich gerade Lust habe und mich da treiben lasse.

Ich meine, mir ist klar, dass die Leute ‚Black Magic Woman’ und ‚Maria Maria’ hören wollen. Das sind die Stücke, für die sie das Haus verlassen und zu mir in die Hallen kommen. Und egal ob du Sting oder James Brown bist: Danach musst du dich richten und ‚Roxanne’ und ‚I Feel Good’ spielen. Das verstehe und respektiere ich. Die Leuten wollen die Hits hören.

Aber ich gebe ihnen auch gerne, was ich „das Gemüse” nenne. Nach dem Motto: Hier ist das Steak, dort das Gemüse, erst dann gibt es Eiscreme. Und wenn ich live spiele, fahre ich das große Menü auf – mit Steak, Gemüse und Eis zum Dessert.

Sie waren sieben Jahren nicht mehr in Deutschland – haben Sie uns denn gar nicht vermisst?

Oh doch – und wie. Aber jetzt bin ich bereit und habe eine Menge Musik im Gepäck. Das finde ich aufregend. Aber jetzt muss ich zum Sport. Meine Frau gibt mir das Zeichen zum Aufbruch. Das sollte ich besser nicht ignorieren. (lacht)

(erschienen in Gitarre & Bass 07/2025)

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