Im Interview

Jeroen Paul Thesseling & Quadvium: Holz und Finger

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(Bild: Jurgen Heerkens)

Jeroen Paul Thesseling erhielt im Alter von sieben Jahren Geigenunterricht und studierte ab 1988 Bassgitarre in Enschede. Schon als Teenager pendelte er zwischen Jazz- und Metal-Bands, ehe er bei den progressiven Death-Metallern Pestilence erstmals auf internationaler Ebene in Erscheinung trat. Diesem Stil blieb er abseits eigener Projekte weiterhin treu, vor allem bei den deutschen Obscura, wobei der Einsatz sechs- und schließlich siebensaitiger Fretless-Bässe sein Markenzeichen wurde. Im Rahmen seines aktuellen Projekts Quadvium arbeitet der 1971 geborene Niederländer indes mit der amerikanischen Metal-Bass-Legende Steve DiGiorgio (u.a. Testament, Death) zusammen.

Das Duo nennt seinen Stil „Instrumental Progressive Metal Fusion” und wird auf seinem Debütalbum ‚Tetradōm’ von der US-Gitarristin Eve sowie Drummer Yuma van Eekelen begleitet. Wir sprechen mit Jeroen über die Schwierigkeit, für zwei Bässe zu komponieren, die Tücken beim Produzieren des Ergebnisses und die Schönheit der Beschränkung auf ein und dasselbe Instrument.

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Quadvium wurden nicht erst kürzlich gegründet, oder?

Nein, unsere Zusammenarbeit hat sich über viele Jahre hinweg entwickelt. Wir kennen uns schon lange und trafen uns regelmäßig, wenn unsere Bands international tourten. Dabei sprachen wir wiederholt über ein gemeinsames Projekt, doch die Umsetzung dauerte, weil wir immer so beschäftigt waren.

Ich fand die Vorstellung aber wegen unsere unterschiedlichen Klangcharaktere und Spielweisen reizvoll – es ist ein einzigartiges Konzept und hat eine Menge Zeit in Anspruch genommen. Erst als wir Eve hinzuzogen, die mitgeschrieben und das Album schließlich auch produziert hat, ging es schneller voran, weil sie uns half, unseren Ideen eine Form zu geben und sie stimmig miteinander zu verbinden.

‚Tetradōm’ ist überraschend musikalisch ausgefallen, es geht nicht vordergründig um die Zurschaustellung von Technik.

Zu hören, dass das so ankommt, freut mich. Alle sieben Songs haben die gleichen Zutaten, aber eine jeweils eigene Identität, weil sie sich strukturell voneinander unterscheiden, was das Album sehr dynamisch macht. Dabei war der Ausgangspunkt Death Metal, der Steves und mein gemeinsamer Nenner ist.

Wir fingen mit harten, kraftvollen Riffs an und schickten sie gesammelt an Yuma, mit dem ich früher bei Pestilence war und der ein Wahnsinns-Drummer ist. Er arrangierte sie, sodass wir ein Grundgerüst hatten und weiter darauf aufbauen konnten.

Der Platten- und die Songtitel wirken exotisch. Einige der verwendeten Begriffe kommen aus nordischer Mythologie oder östlicher Philosophie – wie wählt man überhaupt Titel für Instrumentalmusik? Der Name Quadvium geht ja aufs Quadrivium zurück, also die vier weiterführenden der sieben freien Künste: Zahlentheorie, Geometrie, Musik und Astronomie.

Wir schreiben schon an Stücken für ein zweites Album und denken generell längerfristig. Es soll eine Reihe von Alben geben, denen ein übergeordnetes Konzept zugrunde liegt. Mehr kann ich dazu noch nicht sagen, aber da Liveshows in dieser Konstellation erst mal unwahrscheinlich sind, ist es umso wichtiger, der Studioarbeit einen besonderen Rahmen zu geben.

Was muss man beim Komponieren für eine Band mit zwei Bässen beachten?

Man sollte die Basslinien so arrangieren, dass sie einander nicht stören. Das tut man in einer herkömmlichen Band auch in Bezug auf die anderen Instrumente neben dem Bass, doch bei zwei Bässen kommen sich die tiefen Frequenzen gegenseitig in die Quere.

Wir haben viel mit dem Kontrapunkt aus der klassischen Barockmusik gearbeitet und für Abwechslung gesorgt; mal spielen wir unisono beziehungsweise die gleiche Linie, bloß harmonisch versetzt, mal sind es zwei verschiedene Melodien. Was wir auf keinen Fall wollten, waren eine Aufteilung in Lead- und Rhythmusbass oder Soloduelle.

Welche Bässe habt ihr verwendet?

Steve spielte sein neues Ibanez-Signature-Modell. Davon hat er zwei Fünfsaiter, die jeweils ein bisschen anders klingen. Er brachte sie mit zu den Aufnahmen hier in Amsterdam, legte sich aber schließlich auf einen fest, damit der Sound einheitlich blieb.

Ich benutzte natürliche meine Warwick-Thumb-Modelle, die ich schon seit 1993 spiele – und seit 2011 sind es eigentlich nur noch Siebensaiter. Dabei handelt es sich um sehr mittenlastige Instrumente, die deutlich anders als die beiden von Ibanez klingen, doch das kam uns beim Abmischen entgegen.

Wir haben in Stereo aufgenommen – man hört Steve links und mich rechts – und dazu noch eine Spur mit dem trockenen Signal beider Bässe. Es gibt also drei Kanäle, die aber im Mix je nach Song und Part unterschiedlich gewichtet werden. Meistens ist es ja bei Metal-Produktionen so, dass der Bass beim Abmischen untergeht, wohingegen man bei uns sogar die Finger über die Saiten gleiten hört.

Produzenten behaupten oft, der Mix würde ruiniert, wenn man den Bass weiter in den Vordergrund rückt, doch das stimmt nicht; man muss nur wissen, wie man es anstellt. Ich glaube, Eve hat insgesamt 35 verschiedene Mixe angefertigt. Wir haben also mit einem sehr komprimierten Raum begonnen und ihn immer weiter und weiter geöffnet. Im Grunde klingt die Platte sehr analog.

Die beiden Köpfe hinter Quadvium: Steve Di Giorgio und Jeroen Paul Thesseling (Bild: Judit Petrás)

Auf alle Fälle wirkt sie sehr organisch, fast als hätte die Band in einem Raum aufgenommen, was aber nicht der Fall war.

Nein, ich muss sagen, dass ich die alten Zeiten vermisse, als man 16, 17 Jahre alt war und zweimal pro Woche mit seinen Freunden probte. Wir haben das Album zu jeweils ungefähr 50 Prozent in Kalifornien und den Niederlanden gemacht. Die Kommunikation war über die Entfernung hinweg sehr intensiv.

Eve hat das Material so aufbereitet, dass Steve und ich uns frei entfalten konnten. Das hätten wir mit keinem der Gitarristen geschafft, mit denen wir es vor ihr versucht hatten. Sie war die Einzige, die verstanden hat, wohin wir mit dieser Musik wollten.

Wäre es möglich, in dieser Konstellation auch einen Sänger zu haben?

Ich sagte schon früher in Interviews, dass ich Death Metal deshalb so mag, weil der Gesang monoton ist. Das macht die Musik in melodischer Hinsicht simpler, sodass man mehr Raum für andere Sachen hat, darum passiert ja auch so viel auf einmal in Death-Metal-Songs.

Die Schönheit eines Instrumentalalbums besteht wiederum darin, dass man genauso frei agieren und sowohl auf der harmonischen als auch der melodischen Ebene aufwendigere Sachen machen kann. Um konkret auf deine Frage zu antworten: Als Band sind wir sehr aufgeschlossen, aber würden wir mit Gesang arbeiten, dann vielleicht so wie Allan Holdsworth, also eher als zusätzliche Klangfarbe. Es hängt sowieso immer davon ab, ob es Parts gibt, zu denen Gesang passt, bei Gitarren- oder Schlagzeugsolos ist das ja nicht anders.

Habt ihr mit Stimmungen experimentiert oder nur die Standardstimmung benutzt?

Nur Standard. Bei Obscura stimmte ich einen Ganzton runter, doch je tiefer man geht, desto schwieriger wird es, die Kontrolle über den Ton zu behalten. Im Übrigen gibt es auch nur Fingerstyle auf dem Album zu hören, kein Slapping, Tapping oder so.

Wie würdest du Steves und deinen Stil miteinander vergleichen?

Wir kommen beide aus einem klassischen Umfeld. Er hat mehrere Instrumente spielen gelernt, auch Tuba, glaube ich, und zwar genau wie ich schon in einem sehr jungen Alter. Außerdem denken wir in musikalischer Hinsicht ähnlich und wussten bereits früh, dass wir für den Rest unseres Lebens Musik machen wollten. Unsere Spielweise und Sound unterscheiden sich indes stark. Mein Ton ist relativ rund, auch weil ich als Violinist begonnen habe, wohingegen seiner mit mehr Klirren und Schnarren einhergeht.

Ich mag beides und nehme den Bass grundsätzlich gerne möglichst puristisch auf – mit neutraler EQ-Einstellung, an der man bestenfalls kleine Optimierungen vornimmt. Auf diese Weise fängt man den natürlichen Klang des Instruments und den Charakter des Spielers unverfälscht ein.

Was bedeutet das in Bezug auf dein Stamminstrument, den Warwick Thumb?

Für mich ist er unersetzbar, man kann damit ein Subbass-Fundament legen, aber auch mit Obertönen Akzente setzen. Er ist einfach mein Bass, so wie ein Geiger oder Cellist sagt: „Ich werde nie mit einem anderen Instrument spielen können.”

Kann man von Glück reden, wenn man seine Nische gefunden hat, sich darin stetig verbessert und der Perfektion nahekommt, statt ständig neue Dinge auszuprobieren und auf der Stelle zu treten?

Aus diesem Grund habe ich die Schule vorzeitig verlassen, geübt wie verrückt und mich darauf konzentriert, einen eigenen Stil zu entwickeln. Wenn es um den Ton geht, frage ich mich immer, wie ich noch mehr herausholen kann. Es hängt aber auch immer von dem musikalischen Umfeld ab, in dem man sich bewegt. Beispielsweise lassen sich Steves Arbeit mit Testament und meine mit Obscura kaum mit Quadvium vergleichen.

Das Quadvium-Line-Up (v. l. n. r.): Eve (Gitarre), Yuma van Eekelen (Drums), Steve Di Giorgio (Bass), Jeroen Paul Thesseling (Bass). (Bild: Agonia Records)

Man kann einer Band ja auch nicht den eigenen Stil aufzwingen.

Das gilt insbesondere für Bassisten. Man legt Fundament und darf sich nicht zu weit oder zu oft davon entfernen. Als Hörer liegt mir persönlich nichts mehr an superschnellen Solos und extremer Technik.

Tatsächlich achte ich vielmehr auf den Sound, den Holz und Finger erzeugen. Dort findet die eigentliche Entwicklung statt, ich will mich nicht verzetteln und jedes Mal, wenn ich einen beeindruckenden anderen Bassisten höre, von meinem Weg abkommen, weil ich den Drang habe, ihm nachzueifern.

Wäre es da nicht sinnvoll für dich, einen reinen Akustikbass zu spielen?

Nein, ich bin fest davon überzeugt, dass ich den gleichen Hals und die gleiche Saitenlage brauche wie auf dem Thumb. Ich bin weniger offen dafür, verschiedene Instrumente zu spielen. Mehr als diesen siebensaitigen Fretless brauche ich nicht.

Bist du auch so rigide, was die Wahl deiner Saiten angeht?

Ja, ich verwende seit jeher Warwick Black Labels aus Edelstahl. Ich habe andere Saiten ausprobiert, bin aber immer bei diesen geblieben, auch weil ich ihre Rauheit mag.

Hattest du jemals Probleme mit dem Verschleiß des Griffbretts durch diese rauen Saiten?

Ich habe Griffbretter aus Schlangenholz, Ebenholz und Palisander. Letzteres ist weicher, aber Verschleiß hängt generell von der Spieltechnik und Stärke des Anschlags ab. Steves Ibanez hat ein Epoxid-Griffbrett, das sich toll anhört und weniger sensibel gegenüber Temperaturschwankungen ist, die wiederum für meine Bässe ein Problem darstellen.

Wenn es sehr feucht ist, klingen sie nicht so gut, bei trockenem Wetter wie im Winter ist der Sound tadellos. Ich spreche nicht von einem großen Unterschied, doch man kann es definitiv hören.

Abschließende Frage: Wie sieht dein Alltag als Berufsmusiker in der Regel aus?

Ich bin ein sehr aktiver Mensch und täglich im Schnitt vier Stunden zu Fuß unterwegs, weil ich viel Zeit brauche, um meinen Kopf freizubekommen und mich auf die Musik zu konzentrieren, weil ich ganz allgemein viel nach- und überdenke. Darum arbeite ich oft nachts an Musik.

Um Pläne verwirklichen zu können, muss ich Energie auf die für mich richtige Weise sammeln. Steve wird voraussichtlich für den Rest des Jahres bis Weihnachten auf Tour gehen, mein Leben läuft völlig anders, gerade auch jetzt mit Quadvium.

Ich glaube fest an diese Band und will sie zusammen mit den anderen drei Mitgliedern so weit vorantreiben, wie es geht. Mir ist klar, dass es heute schwerer denn je ist, so spezielle Musik wie unsere unter die Leute zu bringen. Umso mehr weiß ich es zu schätzen, dass wir in der Lage sind, Alben zu veröffentlichen.

Eine wichtige Rolle spielt dabei auch das Umfeld; man muss sich mit Menschen umgeben, die einen motivieren, weiterhin kreativ zu bleiben. Ich hoffe, dass wir früher oder später einen Punkt erreichen, an dem wir über Konzerte nachdenken können. Vielleicht machen Steve und ich auch ein paar gemeinsame Bass-Clinics.

(erschienen in Gitarre & Bass 07/2025)

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