Über Kreativität in schwierigen Zeiten

Die Corona-Chroniken

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Die Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie legen weite Teile des öffentlichen und somit auch des kulturel­len Lebens lahm. Für Musiker bedeutet dies Tournee- und Konzertabsagen sowie das Wegfallen von Studio-Jobs und Lehrtätigkeiten; selbst eine reguläres Proben ist derzeit nicht möglich. Die Folgen sind dramatisch: Vielen brechen in diesen Wochen wichtige Einnahmen weg. Wie kann man alldem nun als Musiker kreativ etwas entgegen­setzen und vielleicht sogar einen Nutzen aus dieser wirtschaftlich kritischen Situation ziehen?

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Gitarre & Bass hat bei drei bekannten deutschen Protagonisten nachgefragt…

MARCUS DEML

(Bild: © Marcus Deml, Triple Coil Music. All rights reserved.)

Der in Hamburg lebende Gitarrist hat am Guitar Institute of Technology in Los Angeles studiert. Zurück in Deutschland avancierte Deml zu einem gefragten Live- und Studiomusi­ker, der u. a. für Kingdom Come, Nena, das Rödelheim Hartreim Projekt oder Rick Astley tätig war. Außerdem ist Marcus mit dem Ambient-meets-Guitar-Projekt Earth Nation unterwegs, spielt Jazzrock mit Electric Outlet und aktuell Bluesrock mit The Blue Poets. Den Blues hat Marcus Deml angesichts der aktuellen Lage jedoch nicht, wie er erzählt:

„Die Krise tut meiner Kreativität absurderweise sehr gut. Ich verbringe 10-12 Stunden pro Tag in meinem Studio. Ich komponie­re, übe, nehme auf und drehe neue YouTube-Videos für meine Guitar-Junkie-Reihe. Ich bin daher kreativ abgelenkt und versuche positiv zu denken.  Ich mache gerade eine Gitarren-Platte die ich unter eigenem Namen veröffentlichen werde. Auch dafür ist die Quarantäne ein Segen. Man merkt jetzt erst so richtig, wie viel potentielle Kreativzeit im Alltag ver­schwendet wird. Außerdem nehme ich noch eine neue Electric-Outlet-Produktion (mit Frank Itt am Bass) auf und habe das große Glück, dass ich Studio-Jobs von Zuhause machen kann.

Da ich auch noch meine eige­ne Plattenfirma www.triple­coilmusic.com habe, gibt es natürlich noch das Alltagsgeschäft, wie den Online-Shop etc. Ich konzipiere neue Signa­ture-Produkte. Das macht sehr viel Spass. Natürlich poste ich auch täglich in den sozialen Medien. Für Künstler ist es von oberster Priorität, dass ihre Musik um gehört wird, was von den Streaming-Diensten natürlich brutal ausgenutzt wird. Jetzt wäre es an der Zeit, sich dafür einzusetzen, dass wir Musiker für Streaming angemessen bezahlt werden. Daher sollten alle einen Brief an Monika Grütters, die Staats­ministerin für Kultur und Medien schreiben und einen Mindestlohn fordern (www.bundesregierung.de). Ist denn ein Cent pro Stream zu viel verlangt?

Die Krise trifft die Künstler natürlich deshalb so hart, weil wir keine Lobby haben und Musik und Kunst im Allgemei­nen verramscht werden. Tota­le Selbständigkeit scheint jetzt mehr denn je der einzige Über­lebensweg zu sein, auch wenn das ein wenig traurig ist…“


TOBIAS HOFFMANN

(Bild: Lutz Voigtländer)

Der in Köln gelandete Gitarrist, Jahrgang 1982, ist Echo-Jazz-Preisträger 2015 und WDR-Jazz-Preisträger 2016. Hoffmann war auf zahlreichen nationalen und internationalen Festivals zu Gast. Zudem arbeitet er als Dozent und ist Mitglied im Klaeng Jazzkollektiv Köln. Vom Jazz kommend, überschreitet er musikalische Grenzen, sei es auf den Alben seines Tobias Hoffmann Trios oder mit der Surf-Band Expressway Sketches. Derzeit rücken andere Dinge in den Vordergrund, sagt Tobias Hoffmann:

„Da ich Familie habe und die Kinder zurzeit nicht zur Schule gehen können, ist bei mir tatsächlich gar nicht so viel Zeit übrig. Für die Kids ist das natürlich auch alles eine sehr ungewohnte und zuweilen angespannte Situation – keine Schule, kein Spielplatz, keine anderen Kinder, kein Schwimmbad, Zoo usw… Momentan versuchen meine Frau und ich, die Familie gut durch diese Zeit zu manövrieren. Das hat jetzt Vorrang.

Mitte Februar habe ich mit dem Tobias Hoffmann Trio ein neues Album aufgenommen. Im Moment bin ich dabei, die richtigen Takes auszuwählen, eine Stückreihenfolge zu machen usw. Arbeit, die ich sowieso alleine zu Hause machen kann.

Meine Konzerte sind bis Ende Mai alle abgesagt. Mein Unterricht an der Hochschule und Musikschule läuft momentan online, darüber bin ich sehr glücklich. Entweder live per Skype, oder ich biete den Schülern an, für sie Lehrvideos anzufertigen. Zusätzlich gebe ich im Moment recht viele Privatstunden online. Viele Schüler aus weiter entfernten Städten nutzen die Gunst der Stunde und kommen auf mein Angebot zurück, was sehr schön ist, weil diese Stunden „in echt“ wahrscheinlich nicht stattgefunden hätten. Das funktioniert erstaunlich gut und ich denke schon darüber nach, das Angebot auch nach dem Shutdown aufrechtzuerhalten.

Ansonsten übe ich und habe mal wieder eine längere Transkription gemacht. Ich würde auch gern ein paar neue Stücke schreiben. Für alle diejenigen, die große finanzielle Einbußen haben, empfehle ich die Website der Deutschen Jazzunion. Dort gibt es eine ausführliche Linksammlung zur Coronakrise und Stellen, an die man sich wenden kann, um beispielsweise Gagenausfälle erstattet zu bekommen.

Ansonsten kann ich anderen Musikern nur sagen: Nutzt die Zeit so gut es geht und kümmert euch um euer Publikum! Findet kreative und alternative Lösungen, eure Musik in dieser Zeit unters Volk zu bekommen. Und kümmert euch um eure Schüler. Ich habe das Gefühl, dass es in dieser Zeit sehr viel wert ist, dass unsere Unterrichtsangebote weitergehen. Ich erlebe sehr viel Solidarität von Seiten der Schüler und Eltern. Bei mir hat sich beispielsweise niemand vom Unterricht abgemeldet. Auch viele Veranstalter zahlen trotz Konzertabsagen Gagen, oder zumindest einen Teil davon. Dafür müssen wir sehr dankbar sein!“


UFO Walter

(Bild: UFO)

Der Bassist aus Düsseldorf ist seit den frühen 80er-Jahren als Musiker unterwegs. Bislang spielte er mit Randy Hansen, Leon Hendrix (Jimis Bruder), Buddy Miles (Santana, Hendrix), Nichts, Blumio und vielen mehr. Nach eigener Aussage liebt er es, mit Sounds und Effekten zu experimentieren. Was macht UFO Walter in Zeiten des Coronavirus?

„Ich genieße die Zeit mit meiner Lebensgefährtin, spiele Bass, pflege meine Instrumente und mache überfällige Reparaturen im Haus und im Studio.

Momentan arbeite ich an Roter Kreis, ein geiles Projekt mit Jason Firchow (aka JayJay), einem hammer Rapper und Frontmann. Am Schlagzeug sitzt Vom Ritchie von Die Toten Hosen, Thomas Schneider von den Fehlfarben spielt Gitarre und ich bin am Bass. Wir waren noch vor der Corona-Krise im Studio und jetzt kann ich mischen und sortieren. Aktuell gibt‘s auch verschiedene Online-Projekte an denen ich beteiligt bin – aus Spaß und Solidarität. Leider wurde u. a. auch die Randy-Hansen-Frühjahrstour abgesagt, insgesamt also knapp 30 Konzerte inklusive mehrerer USA-Termine. Das ist mein halbes Jahreseinkommen. Das ist natürlich bitter. Ich habe die üblichen Anträge gestellt, bei GVL, Gema etc. Jetzt heißt es Netzwerkpflege betreiben und mich auf den Neustart vorbereiten.

Ansonsten rate ich: Bleibt zuhause und erneuert euch! Üben, entspannen, Musik hören und nicht nur schlechte Nachrichten lesen oder in eine Angststarre verfallen. Kochen lernen, meditieren und – allgemein gesagt – relaxen.“

(erschienen in Gitarre & Bass 05/2020)

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