Von der Werkbank ins Studio

Dave Jordan & Long Distance Calling

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(Bild: Andre Stephan)

Welche deutsche Rockgruppe kann schon von sich behaupten, bereits in der Hamburger Elbphilharmonie aufgetreten zu sein und dort das Publikum restlos begeistert zu haben? Die Instrumental-Progressive-Rocker Long Distance Calling dürfen sich seit wenigen Monaten eines solchen Ereignisses rühmen. Ihr Auftritt im Mai 2022 hat bewiesen, dass die atmosphärisch dichte und rhythmisch komplexe Musik der vierköpfigen Formation in ganz unterschiedlichem Ambiente funktioniert. Und dass sie große Emotionen erzeugen sowie möglicherweise sogar zu einem Umdenken in wichtigen Menschheitsfragen anregen kann.

Denn genau das ist der Anspruch des neuen LDC-Albums ‚Eraser‘, das Ende August in die Plattenläden kommt und sich dem Thema „bedrohte Tierwelt“ widmet. Dass für die involvierten Musiker auch der Mensch dazu zählt, dürfte angesichts der weltweit zunehmend dramatischeren Klimakrise keine allzu große Überraschung sein. Besonders spannend ist in diesem Zusammenhang die Frage, wie man als Künstler ein solch kompliziertes Thema musikalisch umsetzt. Und woher die ursprüngliche Inspiration der Beteiligten stammt, diese Art Musik zu machen.

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David Jordan ist Gitarrist der Band und zugleich einer der Hauptsongschreiber. Der 38-Jährige erzählt, wie eine ausgeleierte Musikkassette sein Leben verändert hat und welche Vorteile ein lückenhaftes Langzeitgedächtnis haben kann. Außerdem gewährt er einen interessanten Einblick in das von ihm auf ‚Eraser‘ verwendete Equipment.

David, gab es für deine Entscheidung, Musiker zu werden, eine Art Urknall? Etwas, das dich in deiner frühen Jugend nachhaltig zum Gitarrespielen inspiriert hat?

Ja, das gab es. Ich kann mich an viele schöne Momente erinnern, obwohl ich als Kind keine allzu große musikalische Auswahl hatte. Aber ich besaß eine Kassette von Dire Straits: ‚Brothers In Arms‘, die ich bis zum völligen Ausleiern gehört habe. Die stärkste Erinnerung an meine Kindheit ist: Ich liege in meinem Zimmer auf dem Fußboden, spiele mit Lego und höre dabei Dire Straits. In solchen Augenblicken war ich wie weggetreten, nicht mehr auf dieser Welt, auf einer anderen Bewusstseinsebene. Das ist übrigens bis heute so geblieben: Wenn es mir beispielsweise schlecht geht, kann ich mich immer noch komplett aus der Realität herausbeamen, indem ich Musik höre oder spiele.

Vom Musikfan zum aktiven Musiker muss mehr passiert sein als nur das Hören einer ‚Brothers In Arms‘-Kassette.

Bei uns zuhause stand eine Akustikgitarre herum, die ich schon recht früh immer mal in die Hand nahm und darauf herumklimperte. Das bemerkte irgendwann mein Vater und meldete mich bei der Musikschule in Münster an. Dort hatte ich einen Lehrer, der mein größter Motivator war. Mit eiserner Lerndisziplin nahm er es zwar nicht übermäßig genau, aber er wusste mich nachhaltig zu inspirieren. Die zum ernsthaften Musikmachen notwendige Disziplin habe ich mir dann später aus eigenem Antrieb heraus angeeignet.

2012 hast du dich mit deiner eigenen Gitarrenreparaturwerkstatt Soundranger selbstständig gemacht.

Zunächst habe ich 2004 bei Rare Guitar angefangen. Zu Beginn noch hinter dem Tresen, doch im Laufe der Zeit zunehmend häufiger in der Werkstatt, da mich immer schon interessiert hat, wie man aus dem Vorhandenen das Bestmögliche für sich selbst oder für andere herausholt. Es dauerte etwa zwei Jahre, bis ich bei Instrumenten hauptsächlich Umbauten und Reparaturen vorgenommen habe. Insgesamt war ich acht Jahre bei Rare Guitar, konnte dort sehr viel lernen und wertvolle Erfahrungen sammeln. Ende 2012 habe ich mich dann mit meiner eigenen Werkstatt selbstständig gemacht. Bei Soundranger (https://www.facebook.com/SoundRanger) repariere, modifiziere, restauriere und optimiere ich hauptsächlich Gitarren und Bässe. Mittlerweile geht damit häufig auch eine Soundberatung einher. Da ich das große Glück habe, das Thema nicht nur als Spieler, sondern auch als Gitarrentechniker unter anderem für Sasha, H-Blockx oder Jupiter Jones, als Studio-Engineer und Produzent beleuchten zu können, bleibt viel hängen, was ich anschließend guten Gewissens weitergeben kann.

Die Werkbank: Neben dem Studio Daves zweiter Arbeitsplatz (Bild: Dave Jordan)

Welche Art Beratung wünschen deine Kunden?

Das können ganz unterschiedliche Fragestellungen sein: „Wie komme ich mit dem vorhandenen Equipment meinem Soundideal näher?“ Oder: „Wie bekomme ich meinen Sound durchsetzungsstärker?“ Oder auch: „Wie finde ich in der Band meine Frequenzlücke?“ Amps und Effekte betreue ich zwar auch, allerdings kann ich da nicht alles. Reparaturen gelingen mir meistens, aber beispielsweise von Modifikationen der Schaltung lasse ich lieber die Finger. Da gibt es andere Leute, die das besser können.

Gibt es nach getaner Arbeit eine bestimmte Tageszeit, einen bestimmten Ort, eine bestimmte Stimmung, in der du am stärksten fürs Songschreiben inspiriert bist?

Ja, die gibt es in der Tat. So etwas ist ja oftmals abhängig vom Biorhythmus und den eigenen Gewohnheiten. Gegen Abend, wenn ich den ganzen Tag über in der Werkstatt gearbeitet habe und es draußen dunkel wird, bin ich am wenigsten von anderen Dingen abgelenkt. Der Ort ist mir dabei ziemlich egal. Ich brauche zum Beispiel auch keine bestimmte Ordnung, bin eher der „Typ Chaos“, der sich vom Wirrwarr um ihn herum nicht ablenken lässt. Wichtiger für mich ist die Frage, wie viele verschiedene Instrumente ich vorfinde, vor allem dann, wenn zu Beginn der Kopf noch völlig leer ist.

(Bild: Dave Jordan)

Kannst du unter Zeitdruck oder psychischer Anspannung kreativ sein?

Diese Frage ist momentan relativ aktuell, denn bei unserem neuesten Album ‚Eraser‘ musste ich viele Songs unter ziemlich großem Zeitdruck schreiben, womit ich mächtig zu kämpfen hatte. Kurz vor dem geplanten Produktionsbeginn stellte ich fest, dass ich noch viel zu wenige Ideen entwickelt hatte, und zudem eine Menge des Materials nur rudimentär vorhanden war. Das löste bei mir einen großen Schrecken aus. Zum Glück habe ich einen guten Kumpel, einen Metal-Jazzer, der mich beruhigte und sagte: „Aus so stressigen Situationen wie aktuell bei euch sind schon viele große und wichtige Alben entstanden. Der Trick dabei ist: Man muss locker bleiben.“

Ich erinnere mich, dass ich etwa eine Woche vor dem Studiotermin ein bestimmtes Solo noch immer nicht fertig hatte. Also feilte ich fünf Tage lang zwischen vier und fünf Stunden täglich an diesem Solo und fiel dabei fast in eine Art Druckloch. Es war verdammt schwer, da wieder rauszukommen und es mit anderen Melodien, einer anderen Rhythmik zu probieren. Zum Glück ist mir dies dann irgendwann gelungen, aber wirklich Spaß hat es nicht gemacht. Ich merke, dass ich den Rücken frei haben muss, um solche Dinge wirklich gelöst erarbeiten zu können.

Was ist der erste Schritt, wenn du an neuen Songideen bastelst?

Eigentlich ist das Medium für den ersten Schritt völlig egal, also ob die Grundlage irgendein Beat, eine Basslinie oder eine Keyboardpassage ist. Oft passiert es auch, dass ich auf der Gitarre herumklimpere und plötzlich ein Lick finde, das sich als Ansatz für einen neuen Songs eignet. In einem solchen Fall lerne ich zunächst einmal, das Lick so zu spielen, dass es wirklich flüssig und harmonisch klingt, und suche dann eine dazu passende Melodie. So baut sich das erste Grundgerüst eines neuen Songs auf. Hilfreich ist immer, anschließend eine Pause zu machen und die Idee aus meinem Kurzzeitgedächtnis verschwinden zu lassen. Denn dadurch bekomme ich ein neutraleres Verhältnis zu dieser ersten Idee. Nach ein paar Tagen habe ich ein objektiveres Urteil und kann mich besser in einen unvorbereiteten Hörer hineinfühlen. Denn die Frage lautet natürlich: Kommen die von mir gewünschten Emotionen auch tatsächlich beim Hörer an? Aufgrund meines fehlenden Langzeitgedächtnisses kann ich diese Frage an mir selbst überprüfen. Nach ein paar Tagen erkenne ich, ob eine Idee nur mich oder auch den Hörer berührt.

Daves Studio: Hier hat er das neue Album ‚Eraser‘ eingespielt (Bild: Dave Jordan)

Für eine so ambitionierte Band wie Long Distance Calling muss der Auftritt in der Hamburger Elbphilharmonie vor allem zweierlei gewesen sein, nämlich die pure Freude und der pure Stress. Denn eure Musik lebt zu einem nicht unerheblichen Teil aus einer atmosphärisch perfekten Performance.

Spielerisch hat es für uns in der Elphi keinen Unterschied gemacht, da wir In-Ear-Monitore verwenden. Für unseren Mischer dagegen war es weitaus stressiger, denn die Elphi erlaubt keine Fehler. Man hört zum Beispiel das Schlagzeug, vor allem Snare und Becken, im gesamten Saal, auch ohne PA. Und wenn sich die Musik gerade in einer ruhigen Passage befindet, vernimmt man auch jedes Knacken beim Anschalten irgendeines Amps oder Effektgerätes. Natürlich durfte man die Lautsprecher der Verstärker nicht nach vorne zum Publikum ausrichten, sondern musste sie seitlich stellen, sonst hätten sie die Zuschauer in den ersten Reihen komplett weggeblasen. Trotzdem habe ich mich mit der Gesamtsituation ausgesprochen wohlgefühlt, denn wir spürten schnell, dass unsere Songs gut gemischt bei den Leuten ankommen. Jedenfalls ist während des Konzerts niemand aus dem Publikum geflüchtet. (lacht)

Last but not least: Mit welchem Equipment hast du ‚Eraser‘ eingespielt?

Da war zum einen meine Helliver Momentum aus dem Jahr 2016, mit einem Amber-Custom-Hot-60-Pickup in der Bridge und Amber-Custom-Single-Coils. Hinzu kam eine Helliver Classic Double von 2009, mit Amber Custom Hot 60 Ceramic in der Bridge und Custom Hot 60 Alnico V am Neck, plus eine 2007er Helliver F mit Häussel-Perl-Set, dazu meine Helliver Momentum Hollow von 2018 mit Amber-Classic-Hot-Set sowie der Prototyp einer Baron Model 1 von 2020 mit Amber-P90-Standard-Set.

Helliver Classic Double Clara, Baujahr 2009
Helliver F, Baujahr 2007, mit Häussel-Perl-Set
Helliver Momentum Hollow, Baujahr 2018
Baron Model 1, Prototyp, Baujahr 2020
Jordans Pedalboard mit Diezel-Schaltleiste
Der Diezel Hagen kam auch auf ‚Eraser‘ zum Einsatz
Toff The Slowblow MK2 Preamp

 

Der Amp war ein Diezel Hagen, hinzu kamen ein Carl Martin Compressor/Limiter, ein ErnieBall-6167- Stereo-Volume-Pedal, ein Fractal Axe-FX Ultra und eine Steppke & Soundranger 1x12er Box mit Celestion-G12K100-Speaker über AIS-Titanium-Kabel von Klotz. Das Recording-Setup bestand aus einem Tul-G12-Klotz-Custom-Mikrofonkabel, meinem Toff The Slowblow MK2, einem Klotz Custom Multicore, einem RME Fireface 800, dazu Cubase 10 mit Adam-A7X-Monitoren.

(erschienen in Gitarre & Bass 09/2022)

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