(Bild: Denis Goria)
Die 1990 in Helsinki gegründeten Amorphis waren Vorreiter der bis dahin kaum existierenden finnischen Metal-Szene. Als Quartett spielte die Band anfangs Death Metal, der im Zuge zahlreicher Besetzungswechsel Einflüsse aus anderen Bereichen in sich aufnahm – vor allem Folk und Progressive Rock, die den Stil des nunmehrigen Sextetts bis heute mitbestimmen.
Ihr 15. Studioalbum ‚Borderland’ wirkt nun wie eine Zusammenfassung von allem, was Amorphis über dreieinhalb Jahrzehnte hinweg ausgemacht hat, bringt aber auch einige wohldosierte Neuerungen mit sich. Mit Gitarrist Tomi Koivusaari und Bassist Olli-Pekka „Oppu” Laine, die beide auch der Urbesetzung der Gruppe angehörten, unterhalten wir uns unter anderem über die Tatsache, dass Jens Bogren nicht mehr ihr Stammproduzent ist.
Tomi, lass uns ganz am Anfang beginnen: Wie bist du zur Musik gekommen und Gitarrist geworden?
Tomi: Ich war elf oder zwölf Jahre alt, als ich ‚I Wanna Be Somebody’ von W.A.S.P. im Fernsehen sah. Die Band hat mich umgehauen und war tatsächlich auch die erste, die ich bewusst hörte. Danach kamen natürlich Iron Maiden, Dio und Black Sabbath. Bald darauf bekam ich meine erste Gitarre und gründete eine Band. Wir wussten nicht, wie man spielt, traten aber schnell in den Kellern unserer Nachbarn auf und schrieben vom Start weg eigene Songs.
Erinnerst du dich an deine erste Gitarre?
Tomi: Ja, es war eine billige Stratocaster-Kopie, eine Shiro Splinter. Sie sah schön aus, war aber nicht besonders gut, blieb nicht in Stimmung und so weiter.
Bist du Autodidakt, oder hast du Unterricht genommen?
Tomi: Ich versuchte, mir das Spielen beibringen zu lassen, doch als mein Lehrer meinte, ich hätte eine falsche Picking-Technik, ging ich nicht mehr zum Unterricht. Ich bin also größtenteils Autodidakt, ja.
(Bild: Denis Goria)
Oppu, wie war das bei dir?
Oppu: Ich war sechs Jahre alt, als ich eine Violine zu Weihnachten bekam, also ein ziemlich empfindliches Instrument, das außerdem schwer zu lernen ist. Ich nahm fünf, sechs Stunden, war aber nicht so begeistert davon, wie es sich mein Großvater wünschte, der mir das Ding auch geschenkt hatte.
Auf der Schule im Musikunterricht lernte ich dann Musiktheorie und griff zum Bass, wahrscheinlich wegen des finnischen Musikers Pave Maijanen. Danach war Gene Simmons ein großer Einfluss, doch Bassunterricht habe ich nie genommen.
Ist das mit ein Grund dafür, dass Amorphis schon anfangs als reine Death-Metal-Band ziemlich einzigartig klangen?
Oppu: Wir hörten viele Death-Metal-Bands wie Morbid Angel, Carcass oder Entombed, die uns stark geprägt haben, doch zur Zeit unserer Gründung waren auch Pink Floyd, Progressive Rock und finnische Volksmusik wichtig, generell die Musik der 1970er. Außerdem wollten wir nicht wie unsere Idole klingen, obwohl wir es auch nicht darauf angelegt haben, möglichst originell zu sein. All die verschiedenen Einflüsse zu verarbeiten machte einfach Spaß; wenn uns ein Riff zum Lächeln brachte, musste es gut sein.
Tomi: Mein Musikgeschmack änderte sich damals ziemlich schnell. Ich ging von Kiss und AC/DC zu Accept, Mötley Crüe und Twisted Sister über, ein Jahr später folgten Slayer und Metallica, und nach einem weiteren Jahr war ich im Death Metal angekommen.
Die vorigen Bands durfte man zum jeweiligen Zeitpunkt nicht mehr hören, weil sie zu lasch waren. Eine Zeitlang hörte ich dann aber überhaupt keine harten Sachen, und heute ist es eine nostalgische Angelegenheit: Man legt die alten Platten auf, von denen man die Songtexte noch kennt, und schwelgt in Erinnerungen. Mittlerweile haben wir jedoch einen Punkt erreicht, an dem es schwierig ist, noch Musik zu entdecken, die man als frisch empfindet, selbst wenn es weiterhin tolle Bands gibt – allein bei uns in Finnland beispielsweise Oranssi Pazuzu oder Hexvessel.
Du warst anfangs auch der Growler der Band, hast das aber kurz vor der Jahrtausendwende aufgegeben. Ist dir damals aufgefallen, dass sich dein Gitarrenspiel dadurch veränderte, weil du dich stärker darauf konzentrieren konntest?
Tomi: Ja und nein. Wir haben uns schon bei unserer Gründung darauf geeinigt, dass ich die Rhythmusparts übernehmen würde, weil sie einfacher zu spielen waren, während ich sang. Das beeinflusst unseren Sound aber bis heute, weil ich auf Schlichtheit stehe. Ich habe das Gefühl, dass es einen bestimmten Raum für meine Gitarre zwischen Bass und Schlagzeug gibt. Würde ich hohe Töne spielen, hätte ich den Eindruck, etwas würde fehlen – zumindest bei Amorphis, in anderen Projekten kann ich mich auch als Leadgitarrist austoben, wenn ich will.
Oppu, du bist 2000 bei Amorphis aus- und 2017 wieder eingestiegen. Wie hat sich dein Spiel in der aktuellen Konstellation im Vergleich zu früher verändert, falls überhaupt?
Oppu: Es wurde viel professioneller als in den 1990ern, allein schon weil wir In-Ear-Monitore verwenden, obwohl ich mich daran zuerst gewöhnen musste. Ich hatte bis dahin nur mit Bühnenmonitoren gespielt und natürlich meinen Ampeg-Amp mit Boxenturm benutzt, was ziemlich laut war. Ich konnte zum ersten Mal alles hören, weshalb du davon ausgehen darfst, dass wir früher deutlich unsauberer gespielt haben. Hinzu kommt, dass wir Konzerte in den Anfangstagen nicht besonders ernst nahmen. Wir sind zum Beispiel sehr oft betrunken aufgetreten, was natürlich längst tabu ist.
Wahrscheinlich waren wir seinerzeit schlicht nervös und gingen auf diese Weise mit unserem Lampenfieber um, ganz zu schweigen von verstimmten Instrumenten, weil wir auf unsere ersten Tourneen keine Techniker mitnahmen. Oft stimmten wir einfach nach Gehör.
Tomi: Ich denke außerdem, wir wollten nicht wirklich gut auf der Bühne sein. Death Metal klang damals meist räudig, also wollten wir dem in nichts nachstehen. Headbangen und Posieren waren wichtiger als Präzision, zumal wir in Finnland keine Metal-Szene mit international erfahrenen Bands hatten, wie es sie etwa schon in Schweden gab. Niemand zeigte uns, wie es ging, also mussten wir quasi selbst Pioniere werden. Und man sollte nicht vergessen, dass wir einfach sehr jung waren.
Sehr ihr euch zuerst als Instrumentalisten, die sich stetig weiterentwickeln wollen, oder doch eher als Rundum-Musiker und Songwriter?
Oppu: Ich wollte nie ein Virtuose werden. Ich beherrsche keinen spektakulären Moves und kann auch nicht superschnell spielen, mir geht es von jeher immer nur ums Feeling. Das ist das Wichtigste für mich, zudem experimentiere ich gerne und spiele den gleichen Song live sehr selten genauso wie am Abend zuvor. Demnach verstehe ich mich in erster Linie als Songwriter. Natürlich macht Spielen großen Spaß, doch das Komponieren von Musik gefällt mir noch besser.
Vielleicht hat das auch etwas mit dem Älterwerden zu tun; ich tüftle lieber in meinem Heimstudio herum, und jemandem wie Jaco Pastorius nachzueifern reizt mich nicht. Wie Tomi schon sagte, man hält es simpel, aber effektiv, und gibt sich gegenseitig Raum.
Tomi: Genau. Es ist schon vorgekommen, dass mir tolle Gitarristen irgendwelche Tricks zeigten, die ich aber schon am Tag danach wieder vergessen hatte. Mir so etwas zu behalten ist einfach nicht mein Ding, ich bin definitiv ein Team-player und kein Einzelgänger. Das heißt nicht, dass ich zu Hause keine neuen Dinge ausprobiere, aber bei Amorphis ist meine Rolle eindeutig: Ich bringe etwas ein, das dem Song dient.
(Bild: Denis Goria)
Für ‚Borderland’ habt ihr erstmals mit Jacob Hansen in Dänemark gearbeitet, nachdem die letzten drei Alben in Kollaboration mit dem schwedischen Produzenten Jens Bogren entstanden. Wie hat dieser Wechsel eure Vorgehensweise im Studio verändert?
Tomi: Jens ist sehr streng bei allem, fast schon perfektionistisch. So musste ich beispielsweise für die Aufnahme eines Songs zweimal die Saiten wechseln, damit es möglichst frisch klang. Zudem hat er ein sehr feines Gehör, weshalb er Verstimmungen hörte, die uns gar nicht auffielen, und fuhr zwölfstündige Schichten mit uns, beginnend um sieben Uhr morgens.
Ich mag diese Arbeitsweise immer noch, aber dass Jacob so ziemlich das Gegenteil davon ist, war eine angenehme Überraschung. Er meinte oft: „Ich habe hier keine Ideen, macht ihr nur, was ihr am besten könnt.” Natürlich steckten wir die Köpfe zusammen und diskutierten über einige Punkte, aber im Grunde lief es nach dem Motto: „Es ist eure Platte, macht was daraus. Ich kümmere mich um die Technik.” Jacobs Stärke besteht darin, eine kreative Atmosphäre zu schaffen, sodass alles reibungslos läuft, und sein Mix von ‚Borderland’ klingt echt gewaltig.
Oppu: Bei mir ist vor allem hängengeblieben, dass Jacob meine Bassspuren editiert hat, was Jens wahrscheinlich nicht getan hätte. Bei ihm musste alles punktgenau sitzen, wohingegen Jacob das Beste aus verschiedenen Takes zusammengeschnitten hat. Das ist insofern angenehm, als man sich ganz auf die Performance konzentrieren konnte, ehe er aussuchte, was letztlich auf dem Album landete. Wir haben eine Menge von Jens gelernt, weil er so strikt war und uns durch ihn als Band weiterentwickelt. Amorphis agieren zwar schon lange professionell, aber ich denke, unsere Herangehensweise hat sich geändert; wir sind besser vorbereitet, wenn wir ins Studio gehen.
Habt ihr aufgrund der anderen Arbeitsweise auch anderes Equipment im Studio benutzt?
Tomi: Für mich waren es mehr oder weniger dieselben Sachen wie immer. Ich erinnere mich schon gar nicht mehr an alles, was wir verwendet haben, weil es so gewohnt war. Wir hatten zwei Gitarrenverstärker, einer davon war ein Peavey 5150, den wir in verschiedenen Kombinationen ausprobiert haben, weshalb ich nicht mehr weiß, bei welchen anderen Amp wir letzten Endes geblieben sind.
Auf alle Fälle legen wir immer noch Wert darauf, echte Geräte zu benutzen, keine Plug-ins, selbst wenn diese heutzutage echt gut sein können. Trotzdem ist es mit Verstärkern und Boxen eine besondere Stimmung im Studio, gerade weil man den Sound körperlich im Raum spüren kann.
Und dann hatte ich mehrere analoge Delay- und Wah-Wah-Pedale dabei, die ich für gewöhnlich bei Aufnahmen einsetze. Meine Hauptgitarre war eine schwarze Gibson Les Paul, die ich seit unserem zweiten Album ‚Tales From The Thousand Lakes’ auf allen Platten verwendet habe.
Da waren auch andere Gitarren – vorwiegend von ESP –, aber ich spielte die meisten Spuren mit dieser einen von 1993 ein. Da ich sie nicht beschädigen will, kommt sie schon lange nicht mehr mit uns auf Tour, sondern hängt bei mir zu Hause an der Wand und wartet darauf, für ein weiteres Album heruntergenommen zu werden. Live kommen auch ESP-Modelle zum Einsatz, da wir einen Endorsement-Deal mit der Firma haben.
Wuchtet ihr eure Verstärker und Boxen auch auf die Bühne, oder sind es bei euch wie mittlerweile überall üblich Profiling-Amps?
Tomi: Letzteres, klar. Wir verwenden die von Kemper und wie gesagt ein In-Ear-Monitoring-System. Dadurch ist gewährleistet, dass man bei jeder Show den gleichen Sound fährt, was gerade bei Festivals praktisch ist, wo die Umbauten schnell vonstattengehen müssen.
Wenn sie mir früher etwa einen alten Marshall JCM900 auf die Bühne gestellt haben, dessen Röhren völlig tot waren, war das für mich besonders fatal, weil ich keine gesonderten Distortion-Pedale verwendete, sondern mit der Verzerrung des Amps gearbeitet habe und dementsprechend darauf angewiesen war, dass er einwandfrei funktionierte. Im Studio scheue ich mich aber davor, den digitalen Kram zu benutzen.
Oppu, wie sah dein Setup bei der Arbeit an ‚Borderland’ aus?
Oppu: Auch so wie immer. Ich bin Sandberg-Endorser und spiele die Bässe dieses Herstellers sowohl im Studio als auch live, doch als wir verschiedene Modelle ausprobierten, meinte Jacob, mein Rickenbacker 4003 hätte den besten Sound für das Album. Er hat auch eine längere Mensur, die ich generell bevorzuge, aber die Sandberg-Bässe sind trotzdem klasse, weil sie eine aktive Elektronik haben, die auf der Bühne gut mit dem Kemper-Amp harmoniert. Im Studio hatte ich auch meinen Hauptbass dabei, einen Gibson Thunderbird, bloß klang er für Jacobs Geschmack ein bisschen zu vintage.
Bassverstärker gab es keine, ich spielte über eine DI-Box, und wir fanden über ein Sansamp-Plugin einen Sound, der für die meisten Songs taugte. Das DI-Signal ist am Ende sowieso meistens das, was für den finalen Mix genommen wird, und ich sehe keinen Grund, eine 8×12-Box ins Studio zu schleppen, zumal die DI-Box keine Fehler verzeiht, weshalb man beim Einspielen disziplinierter sein muss. Ich glaube, Paul McCartney spielte seinen Bass seit je direkt ins Pult, und warum sollte man von etwas abweichen, das für ihn funktioniert?
(erschienen in Gitarre & Bass 11/2025)