Zum zweiten Mal nach 2021 hat Iron-Maiden-Gitarrist Adrian Smith mit seinem Freund und Kollegen, dem The-Winery-Dogs-Frontmann Richie Kotzen, ein gemeinsames Album veröffentlicht. Es heißt ‚Black Light / White Noise’ und klingt ähnlich Blues-/Funkrock-dominant wie schon das selbstbetitelte Debüt. Für Kotzen ist diese Musikrichtung quasi die künstlereigene DNA, für Smith dagegen eine Art experimentelle Spielwiese abseits der üblichen Maiden-Galopp-Rock-Direktiven. Weshalb er dennoch – oder gerade deshalb? – von seinem Nebenprojekt überzeugt ist und was ihn dazu bewogen hat, die tourneefreie Zeit nicht einfach im Chill-Modus zu verbringen, sondern weiterhin kreativ zu bleiben, verrät uns der 68-Jährige in einem langen und spannenden Interview.
Noch kurz zur Privatsituation des gebürtigen Engländers: Mitte Januar hat Smith bei den verheerenden Bränden im kalifornischen Malibu sein gesamtes Haus verloren. In einem Internet-Livestream konnte man ihm und seiner Ehefrau Nathalie schon im vergangenen Dezember dabei zuschauen, wie sie ihre wichtigsten Habseligkeiten und einen PKW voll mit Gitarren vorsorglich aus dem Haus abtransportieren.
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Zudem soll Smith der Feuerwehr seinen Swimming Pool für Löscharbeiten zur Verfügung gestellt und eine uneinsichtige Nachbarin davon überzeugt haben, sich rechtzeitig vor den Flammen in Sicherheit zu bringen. Mittlerweile hat das Ehepaar Smith offenkundig ein neues Domizil gefunden, wie man einigen Anmerkungen des Gitarristen entnehmen konnte.
Adrian, könntest du etwas zu den Gemeinsamkeiten zwischen dir und Richie Kotzen sagen, und auch etwas über die wichtigsten Unterschiede?
Richie und ich haben viele gemeinsame Einflüsse, die vor allem aus den Siebzigern stammen. Meine wichtigste Inspiration, also heavy, bluesiger Rock mit Bands wie Bad Company, Free oder Humble Pie, stammt aus meiner frühesten Jugend. Außerdem stand ich in meinen jungen Jahren total auf die Beatles, schon damals gefiel mir die Art, wie sie ihre Songs und Melodien aufgebaut haben.
Richie hat, soweit ich weiß, auch noch andere Einflüsse, dazu müsstest du ihn allerdings selbst befragen. Er ist in Philadelphia aufgewachsen und hat Jazzrock und Fusion gespielt, vermutlich ist er also technischer orientiert als ich. Er fing mit acht Jahren als reiner Gitarrist an, ich dagegen erst mit fünfzehn, in einem Alter, in dem Eltern und Lehrer fordern: „Du musst dich jetzt entscheiden, was du aus deinem Leben machen willst.”
Ich war natürlich überfordert und dachte: Oh mein Gott, was soll ich denn machen? So etwas weiß man in diesem Alter doch noch gar nicht. Als ich dann Deep Purple und Free und dergleichen entdeckte, ging mir plötzlich ein Licht auf und ich dachte: Okay, dann versuche ich das doch mal! So kam ich zur Gitarre. Es war die bewusste Entscheidung für einen bestimmten Lebensstil. Richie dagegen ging es wahrscheinlich nur um die Musik.
Wann kamen Iron Maiden ins Spiel?
Als ich fünfzehn war, traf ich Dave Murray und wir wurden beste Freunde. Dave und ich waren die einzigen Kids in unserer Nachbarschaft, die auf Heavy Rock, Deep Purple und Black Sabbath standen. Alle anderen Jungs hörten Soul oder Popmusik. Im Radio konnten wir damals nichts entdecken, das uns gefiel. Alles war scheiße, wir wurden von ‚Radio One’ quasi zwangsbeschallt.
Rock und besonders Heavy Rock existierten nur im Underground, was die Sache für uns aber umso attraktiver machte. Bevor ich mit dem Gitarrespielen begann, sang ich zusammen mit Dave Songs von Hawkwind oder Ten Years After. Im Laufe der Zeit lernte ich durchs Singen, wie man Gitarre spielt. Mit 23 stieg ich dann bei Iron Maiden ein und konzentrierte mich stärker auf die Gitarre.
Was hat sich seit dem Smith/Kotzen-Debüt bei dir musikalisch getan?
Ich verbringe schon lange einen Teil des Jahres mit meiner Familie in den USA, Richie lebt hier ganz in der Nähe. In Amerika habe ich einen von Iron Maiden unabhängigen Zeitplan, deshalb war das Procedere so ziemlich das gleiche wie beim ersten Album. Anfang 2023 haben Richie und ich sechs Songs zusammen komponiert. Anschließend war ich eine Weile mit Maiden auf Tour, danach haben wir uns um den Rest gekümmert.
Die Grundidee von Smith/Kotzen ist also gleichgeblieben, allerdings wollte ich das neue Album ein wenig rockiger haben und finde, dass es tatsächlich etwas heavier und fokussierter geworden ist und mehr Energie hat. Wir haben einfach die Energie dieser Musik genutzt und daraus neue Songs entwickelt. Das, was Richie und ich machen, ist einzigartig, da wir beide sowohl Gitarre spielen als auch singen.
Richie Kotzen & Adrian Smith (Bild: Piper Ferguson)
Gab es Lektionen, die du vom ersten Album lernen konntest?
Ehrlich gesagt kann ich dir die Frage nicht beantworten. Je mehr man mit jemandem arbeitet und je besser man ihn kennenlernt, umso freier fließt die kreative Zusammenarbeit. Ich glaube aber nicht, dass es große Unterschiede gibt. Wir machen einfach das, was wir machen, ohne lange darüber zu diskutieren. Wir treffen uns einfach und fangen an zu schreiben.
Der erste Song für das neue Album war Richies Stück ‚Muddy Water’, den er als Demo auf seiner Festplatte hatte. Richie verwendet viel Zeit für die Texte, er ist nicht einfach nur ein Shredder, sondern ein unfassbar vielseitiger und erfahrener Musiker. Ihm geht es um den kompletten Song, nicht nur um seine Gitarre. Das verbindet uns. Auch ich liebe vor allem Songs, deshalb schreiben wir keine extrem langen Stücke, sondern konzentrieren uns darauf, für jede einzelne Nummer genau das Richtige zu spielen.
Sind deine neuen Stücke möglicherweise Überbleibsel einer Ideensammlung, die ursprünglich für Iron Maiden gedacht war?
Nein. Nimm nur einmal das Stück ‚White Noise’, es ist eindeutig kein Maiden-Song! Wenn ich für Maiden schreibe, setze ich mich hin und höre in meinem Kopf Bruce singen, und Steve, Dave und Janick spielen. Genauso ist es mit dem Smith/Kotzen-Material: Wenn ich komponiere, stelle ich mir Richies Gesang und sein Gitarrenspiel vor, das gibt die Richtung vor.
Es sind zwei völlig separate Vorgänge: Demos für Maiden und für Smith/Kotzen werden auf meinem Computer in getrennten Ordnern abgespeichert. Unterschiedliche Kooperationen bringen mitunter Songs ans Tageslicht, von denen man nicht einmal wusste, dass man sie in sich trägt.
Stehen die Songs, die du mit Richie aufgenommen hast, deinen eigenen musikalischen Vorlieben näher als das Maiden-Material?
Wenn man in einer Band mit fünf anderen Musikern spielt, ist der persönliche kreative Freiraum sicherlich etwas begrenzt, da alle fünf ihre Ideen berücksichtigt haben wollen. Ich liebe meine Arbeit mit Iron Maiden, wir waren gerade drei Monate auf Tour und es war in gewisser Weise die beste Tour meines Lebens. Aber wenn Richie und ich uns zusammensetzen, sind wir nur zu zweit und haben eine riesige Leinwand, die wir bespielen können. Es ist einfach eine andere Situation, ich würde daher nicht sagen, dass die eine Variante besser ist als die andere.
Bitte erzähl etwas darüber, wie ihr die Songs aufgenommen und welches Equipment ihr verwendet habt. War es anders als bei Iron Maiden?
Es war sogar komplett anders. Bei Iron Maiden mieten wir ein riesiges Studio, bauen das gesamte Equipment auf und nehmen alles live auf. Wir treffen uns morgens im Studio, irgendjemand bringt einen Song mit, den wir dann lernen. Mitunter lernen wir ihn noch nicht einmal, sondern spielen einfach drauflos, mit allen Fehlern und Verspielern, und bessern dann später nach. Das Wichtigste ist die Magie, den Live-Vibe einzufangen.
Bei Richie und mir ist es völlig anders: Wir treffen uns in Richies Homestudio, in dem die Drums dauerhaft mit Mikros verkabelt sind, auch die Gitarrenanlage ist immer aufgebaut. Richie ist ein großartiger Engineer, er kennt Pro Tools in- und auswendig, die Mikros sind perfekt ausgerichtet, alles ist vorbereitet, so dass wir direkt beim Schreiben aufnehmen können. Ich nehme eine meiner beiden Jackson-Signature-Gitarren, wir stimmen einen Halbton tiefer und nehmen die Gitarren mit einem Marshall Plexi auf.
Bild: John McMurtrie
Adrians Racks mit Marshall JVM410H bei der Tour mit Iron Maiden
Bild: John McMurtrie
Gilt das für sämtliche Songs?
Ich weiß nicht, ob Richie das auch so macht, wenn er allein arbeitet. Auf seinen Soloscheiben bevorzugt er nämlich Standard-Tuning. Wenn ich dagegen zu Hause herumprobiere oder mit Freunden ein Studio buche, um zu spielen, stimme ich meine Gitarre einen Halbton tiefer. Das erzeugt einen anderen Sound.
Daher benutze ich zwei Gitarren: eine in Standard-Tuning mit Drop-D, die andere in Standard-Tuning, aber tiefergestimmt. Ich spiele meine Rhythmusparts direkt in den Amp, pro Seite nur eine Gitarre, also keine übereinandergeschichteten Spuren, sondern alles organisch und mit einem eher trockenen Sound. Hinzu kommen lediglich ein paar Overdubs, und bei den Soli vielleicht etwas mehr Gain, etwas WahWah und ein wenig Delay.
Richie und ich komponieren mit Hilfe eines Drum-Computers und nehmen die Bässe selbst auf. Wenn ich nach dem Abendessen nach Hause gegangen bin, geht Richie oft noch mal runter ins Studio und nimmt einen weiteren Drum-Track auf, mit dem wir beim nächsten Mal arbeiten können. Beim letzten Album hatten wir die Bassparts unter uns aufgeteilt, diesmal hat Richie die meisten Bässe gespielt, vier Nummern hat allerdings unsere Tourbassistin Julia Lage übernommen. Zudem hat unser fantastischer Live-Drummer Bruno Valverde, der auch bei Angra spielt, bei zwei Songs die Drums beigesteuert.
Wie ist deine Meinung zu Plug-ins, zu Kemper, zu Amp-Modeling?
In den Achtzigern hatte ich eine Phase, in der ich jeden Amp ausprobiert habe und mich bei der Suche nach einem Sound, der vermutlich gar nicht existierte, fast selbst in den Wahnsinn getrieben hätte. Man spricht ja von Wahnsinn, wenn man immer wieder dasselbe macht aber unterschiedliche Ergebnisse erwartet. Irgendwann kam ich an den Punkt, einfach nur noch den Amp einzuschalten und den Gitarrenpart zu ändern, wenn etwas nicht klingt. Und wenn auch das nicht funktioniert, spiele ich halt einen noch besseren Part.
Zu deiner Frage: Ich besitze zwar einen Kemper, aber Technologie ist nicht wirklich meins. Ich habe den Kemper gekauft, nachdem ich ihn mir ausgeliehen hatte und mich sein unglaublich guter, bereits vorprogrammierter Sound überzeugt hatte. Doch irgendwann habe ich den Kemper verliehen und ihn defekt zurückbekommen. Seither habe ich ihn nur noch selten getestet.
Ich erinnere mich an den seinerzeit mördermäßig verzerrten Sound auf deinem Soloalbum ‚Psycho Motel’.
Für ‚Psycho Motel’ hatte ich tatsächlich ein High-Gain-DigiTech-Transistor-Gerät mit unendlich viel Gain. Damals fand ich den Sound super, jetzt dagegen bin ich froh, dass ich ihn nur bei ein paar Tracks verwendet habe, denn aus heutiger Sicht klingt er überholt, irgendwie sonderbar zischelnd, verzerrt und schrecklich. Daher geht für mich nichts über einen guten Röhrenverstärker.
Ich hörte, dass dein Haus in Kalifornien von den verheerenden Bränden betroffen war und du einige deiner Röhren-Amps verloren hast.
Ja, das stimmt, ich habe tatsächlich sehr viel Equipment verloren. Daher ist es durchaus möglich, dass ich mir doch noch mal ein paar Plug-ins zulege. Letztendlich läuft es aber immer auf die eigene DNA hinaus und darauf, mit welcher Musik man aufgewachsen ist.
Viele Bands spielen heutzutage sogar komplett ohne Backline!
Ich weiß. Bei Maiden schauen wir uns immer die Vorband von der Bühnenseite aus an, und mitunter kann man nichts hören, da alles nur nach vorne ausgerichtet ist und durch einen Computer läuft, sogar die Effekte. Man versteht nicht, was da eigentlich abgeht. Wo soll das hinführen? Wenn man in ein Konzert geht, will man doch sehen, wie die Band spielt. Man will sehen, wie sie sich anstrengt und kämpft, das gehört zur Live-Erfahrung dazu.
Wenn ich Kids auf der Bühne sehe, bei denen alles ganz mühelos wirkt, sie noch nicht einmal ins Schwitzen kommen und der Sound dennoch perfekt ist, muss ich immer an die Maiden-Jahre denken, in denen wir uns gequält haben. Wir waren in Amerika im Vorprogramm von großen Bands auf Tour, ohne Soundcheck, alles klang schrecklich, im Publikum waren 10.000 Zuschauer, aber wir haben einfach losgelegt und sind durch unser Set gebrettert. Die einzige Veränderung zu damals: Heutzutage verwende ich In-Ear-Monitoring, das hat mein Leben verändert.