Kunstobjekt oder Werkzeug?

Test: Schorr Guitars The Owl

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(Bild: Dieter Stork)

Nicolai Schorr verfolgt einen höchst individuellen Ansatz, vermeidet Standards und vorgefertigte Komponenten wo es geht und findet darüber zu einem ganz persönlichen Stil jenseits ausgetretener Pfade.

Nach einem sechsjährigen Kunststudium und einer längeren Zeit als Musiker folgt Nicolai Schorr heute seiner Passion und baut Gitarren und Bässe nach eigenen Entwürfen in seiner Werkstatt in Berlin Neukölln.

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Künstlerischer Ansatz

Beim Design seines Modells The Owl hat sich Nicolai Schorr offensichtlich keine amerikanischen Klassiker zum Vorbild genommen. Der originelle Entwurf folgt einem ganz eigenen Gestaltungswillen und wartet mit einer Reihe höchst interessanter Konstruktionsdetails auf. Unübersehbar ist der individuelle künstlerische Ansatz, aber hat dieses Instrument auch spielpraktische Relevanz und eine dem optischen Reiz entsprechende originäre Klangpotenz?

Konstruktion: Der kleine, symmetrisch im Double-Cutaway-Stil zugeschnittene Korpus der „Owl“ aus einer gut 4,1 cm starken Pappelbohle erhielt an Decke und Boden einen leichten Konturschnitt zur Entschärfung der Kanten. Auffällig ist die größere Korpusaussparung im Stegbereich, die auch als Federkammer für die ungewöhnlich konstruierte Vibratoeinheit dient.

Von Hand gefertigte Vibrato Bridge aus Messing und Stahl (Bild: Dieter Stork)

Geradezu achtunggebietend ist die aufwendige Halskonstruktion, für die Nikolai ausgefallene Aspekte in Verbindung miteinander bringt. Auf einen mit Zwetschge furnierten Halskern aus Kiefer setzte er ein sattes, mit schlanken, extraharten Medium-Bünden ausgestattetes, ansonsten unverziertes Griffbrett aus Zwetschge. Ein Material, das auch noch als angesetzte Kopfplatte und als Halsfuß Einsatz fand. Dieser über Dübel angeleimte Halsfuß ist mit einer zentralen M8-Sechskantschraube und drei zusätzlichen Schrauben mit Rändelmuttern in leichter Distanz auf den ebenfalls aus Zwetschgenholz gefertigten und in den Pappelkorpus eingefügten Halsblock montiert.

Offene, in alle Richtungen einstellbare Hals/Korpus-Verbindung (Bild: Dieter Stork)

Da ist also etwas Luft zwischen Hals und Korpus! Dieses Konstruktionsdetail ist nicht neu, sondern geht auf bereits in den Jahren um 1900 bei Steelstrings von Howe-Orme zu findende Maßnahmen zur Korrektur immer wiederkehrender Probleme bei Gitarrenhälsen zurück: die instabile Halsausrichtung und den Fall-away (Krümmung) im Bereich des Hals-Korpusübergangs. Der amerikanische Gitarrenbauer Rick Turner brachte die fast vergessenen Gitarren von Howe-Orme wieder ins Gespräch, Konstruktionen, die bereits ähnlich geschraubte Hals/Korpus-Verbindungen aufwiesen.

Der mittels einer Zapfverbindung auf den Hals geleimte kleine Kopf ist mit leichten Hipshot-Open-Gear-Mechaniken mitsamt kleiner Industrial-Drehzylinder ausgestattet. Die Saiten werden mit geradem Zug über einen schmalen Sattel (Bakelit) zur Saitenführung plus Nullbund in 628 mm Mensurlänge hinüber zur Bridge geführt, einer originell konstruierten Vibratoeinheit mit Eindreharm bestehend aus einer Grundplatte aus Messing, auf der wir eine Stahlplatte mit darauf platziertem einteiligem Messingsteg (formal ähnlich den Ebenholzstegen auf Archtops) inklusive Saitenhalterung finden. Angesetzt ist das bewegliche Element an zwei aufgeschraubte geschlitzte Messingzylinder; gekontert wird es von zwei starken Federn.

Singlecoil-Pickup auf Schienen verschiebbar (Bild: Dieter Stork)

Ein besonderes Feature ist der auf Schienen montierte verschiebbare Pickup. Der in eine Messingkappe gesetzte Singlecoil mit keramischem Magnet lässt sich über eine große Rädelmutter beliebig positionieren. Die dazugehörige Elektrik ist quasi auf Stelzen stehend offen auf eine parallel gesetzte Bakelitplatte montiert. Als Steuerelemente dienen ein Volume- und ein Tone-Poti mit hübschen Knöpfen aus Phenol.

Frei stehende Elektronikplatte aus Bakelit (Bild: Dieter Stork)

So gut wie alle vorgenannten Komponenten sind übrigens vom Gitarrenbauer selbst aufwendig von Hand gefertigt! Der Korpus wurde mit rostroter Kreidefarbe versiegelt, der Hals bekam eine Ölbehandlung. Alle Arbeiten an der Gitarre sind mit viel Widmung an das Detail akkurat ausgeführt, was aber nicht mit gelackter Serienfertigung zu verwechseln ist. Die Oberflächen sind bewusst rau belassen und die Handarbeit wurde keineswegs versteckt.

Detailreiche Umsetzung

The Owl von Nikolai Schorr ist keine Allerweltsgitarre, das ist zweifellos jedem Betrachter auf den ersten Blick schon klar. So speziell wie ihr Äußeres ist denn auch ihr Klangpotential und diese Originalität ist uns schon einmal ein großes Lob vorab wert. Optik hin oder her (Ausnahmen bestätigen nur die Regel: „Mir doch scheißegal wie die Gitarre klingt, Hauptsache sie sieht geil aus!“ Robert Smith), ein Instrument muss sich gut anfühlen und leicht handhabbar sein. In diesem Sinne sind wir bei der Owl mit ihrem griffig-rundlichen Hals und bestens abgerichteter mittelstarker Bundierung im schönen Zwetschgenholzgriffbrett schon einmal auf der sicheren Seite. Dazu ist auch der hohe Tonbereich bestens erreichbar freigestellt.

Zum Sound: Das Instrument zählt konstruktionsbedingt nicht gerade zu den Spitzenreitern in Sachen Tonlänge, tritt aber dennoch mit durchaus ordentlichem Sustain an. Auffällig in der Tonentfaltung einzeln angeschlagener Noten sind die schnell einschwingenden harmonischen Obertöne, was für ein besonders luftiges Flair sorgt. Akustisch angeschlagen überrascht die kleine Gitarre mit einem kraftvoll aufgelösten Akkord-Sound. Hätte man bei dem freistehenden Halskorpus-Übergang so nicht unbedingt erwartet. Die stimmliche Separation ist gut, die Ansprache präzise und das Abschwingverhalten gleichmäßig – gute Voraussetzungen für die Tonwandlung also.

Gehen wir in den Amp, so erweist sich der flache Singlecoil-Pickup mit eher zurückhaltendem Output als ein diesem Design perfekt angepasster Übersetzer. Er beeindruckt mit der Darstellung ausgeglichener Stimmlichkeit, vor allem aber mit ungemein feinseidiger Tonauflösung im Akkord, die sich nun durch die frei gleitende Positionsverschiebung des Tonabnehmers auch noch höchst effektiv in changierende Farben kleiden lässt. Das gibt uns die schöne Möglichkeit an die Hand, Sounds in vielen Abstufungen nuancenreich abzurufen und den Erfordernissen anzupassen, sei es im Band-Kontext oder im Studio.

Obwohl nicht ihre Stärke, lassen sich mit der Eule im Overdrive-Kanal des Amps zwar tendenziell schlanke, aber dennoch leidlich gute, da wiederum untypische Ergebnisse erzielen, die aber wohl eher als Bonus zu betrachten sind. Diese spezielle Gitarre wendet sich mit ihrem Low-Output-Pickup aber auch kaum an Vertreter härterer Gangarten, dafür aber an alle Musiker mit ausgesprochenem Klangbewusstsein und individueller Ausrichtung, die ein Instrument für kreative Sound-Gestaltung suchen.

Je nach Handstellung oder Spieltechnik sind vom Spieler bei The Owl allerdings auch folgende Einschränkungen zu akzeptieren: Bei starkem Plektrumeinsatz, vornehmlich im Singlenote-Spiel, kommt es leicht zum Kontakt mit dem nah unter der Saite schwebenden Pickup, was zu klackenden Nebengeräuschen führt. Man muss also gegebenenfalls den Pickup oder die Anschlagsposition verschieben. Das offen liegende Kabel berührt man aus ähnlichen Gründen auch besser nicht. Aber natürlich bedarf es einfach einer gewissen Zeit und Widmung, bis man sein Verhältnis zu diesem besonderen Instrument gefunden hat.

Der Vibratohebel hat etwas Spiel, kennt man ja bei Eindreharmen, ansonsten lässt sich über diese stramm aufgehängte, aber unerwartet stimmstabil operierende Vibratoeinheit nur Gutes sagen.

Resümee

Ein Instrument wie The Owl von Nikolai Schorr ist Herausforderung und modernes Versprechen zugleich. Die forschende Auseinandersetzung mit diesem in vieler Hinsicht ungewöhnlichen Design ist nötig, um die alternativen Klanganlagen in ihm auch zu erkennen. Natürlich muss aber auch diese offensiv aus fast ausschließlich selbstgefertigten Komponenten gestaltete Gitarre neben allem optischem Aufriss den physikalischen Gesetzmäßigkeiten Genüge tun und spieltechnische Ansprüche erfüllen, was ihr aber locker gelingt.

Everybody’s Darling will die Eule aus Neukölln aber ganz sicher nicht sein. Sie wendet sich bewusst an den nonkonformistischen Spieler, der in ihr die Entsprechung zu seiner besonderen musikalischen Fantasie finden kann. Wir jedenfalls feiern mit Nikolai Schorrs The Owl und ihrer filigranen Klangauflösung den individuellen Gitarrenbau, der mit aufregendem Stil und tadelloser Funktion jene Lücken erfreulich selbstbewusst zu füllen vermag, welche serieller Instrumentenbau gar nicht in der Lage ist zu schließen. Fazit: Keine für alle, aber alles für den Einen!

PLUS

  • originäres Design
  • offene Hals-Korpusverbindung
  • Obertonentfaltung
  • verschiebbarer Pickup
  • feingliedrige, sehr eigene Clean-Sounds
  • Hals, Spieleigenschaften
  • selbstgefertigte Komponenten
  • Vibratofunktion
  • Verarbeitung

MINUS

  • Overdrive-Sounds mager

(erschienen in Gitarre & Bass 12/2019)

Produkt: Gitarre & Bass 3/2023 Digital
Gitarre & Bass 3/2023 Digital
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Kommentare zu diesem Artikel

  1. Ich hatte auf den ersten Blick auf einen High End Bausatz getippt, aber das ist ja alles noch viel abgefahrener 😉

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  2. “Nicolai Schorr verfolgt einen höchst individuellen Ansatz”.
    Kann man wohl sagen. Nicht geschenkt wollte ich dieses Kunstwerk. Ich nehme an, der Mann versteht sich als Künstler. Ich halte mich da eher an den klassischen Gitarrenbau. Auch gerne von der Stange. Ich will spielen, nicht staunen.

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  3. Wie schön, mal ein Instrument zu sehen, dass nicht bloß der tausendste Stratotelepaula-Aufguss ist, sondern in vielerlei Hinsicht so gebaut, wie man es eigentlich nicht macht. Dass das dennoch funktioniert und man diese Gitarren sehr wohl auf höchstem Niveau spielen kann, zeigt etwa Lionel Loueke live und im Studio. Dass dieses *harmlose* Design zudem irgendwelche Boomer auf die Palme zu bringen scheint, sehe ich als Bonus.

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  4. Wie schön, mal ein Instrument zu sehen, dass nicht bloß der tausendste Stratotelepaula-Aufguss ist, sondern in vielerlei Hinsicht so gebaut, wie man es eigentlich nicht macht. Dass das dennoch funktioniert und man diese Gitarren sehr wohl auf höchstem Niveau spielen kann, zeigt etwa Lionel Loueke live und im Studio. Dass dieses *harmlose* Design zudem Boomer auf die Palme zu bringen scheint, sehe ich als Bonus.

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