Orangenkisten

Test: Orange Baby Serie

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(Bild: Dieter Stork)

Wenn es um Zerrsounds geht, ist der Dual Baby 100 mit seinen beiden Overdrive-fähigen Kanälen – zumindest auf dem Papier – ganz klar der Experte. Die Idee hinter diesem Verstärker unterscheidet sich ein wenig von der der anderen beiden Baby-Amps. Während Channel B in seinem Layout zumindest fast identisch mit dem Dirty-Channel des Gain Baby 100 ist (es fehlt lediglich der zweite Lautstärkeregler), wurde im Channel A auf den spartanischen Clean-Kanal verzichtet. Stattdessen verfügt er neben der Drei-Band-Klangregelung und dem Presence-Regler über ein Gain-Poti, das von richtig cleanen Sounds bis hin zu rotzigem Overdrive eine sehr große Spanne abdeckt. Laut Orange orientierte man sich bei diesem Kanal in erster Linie am hauseigenen Klassiker, dem Rockerverb. Im Test finde ich es enorm beeindruckend, wie plastisch und dreidimensional der Dual Baby 100 im Vergleich zu den anderen beiden Testverstärkern klingt. Ich habe das Gefühl, dass hier spürbar mehr Luft im Raum bewegt wird.

Auch das Kompressionsverhalten bei hoher Lautstärke ähnelt dem eines großen Röhrenverstärkers stärker als bei den anderen beiden Kandidaten. Auf der ersten Hälfte des Regelwegs des Gain-Potis bleibt der Sound erstaunlich clean und sauber. Zwar sind die Clean-Sounds bei sehr niedrig eingestelltem Gain-Regler etwas „hüftsteifer“ und nicht so lebendig und spannend wie bei den anderen beiden Amps (hier macht sich der fehlende VCA-Kompressor bemerkbar), dafür bekommt man eine schöne Bandbreite richtig sauberer bis leicht crunchender Sounds geboten.

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Dual Baby Innenleben (Bild: Dieter Stork)

Weil der Ton bei sehr niedrig eingestelltem Gain ein wenig dünn und leblos erscheinen mag (was natürlich auch von der verwendeten Gitarre abhängt), liefert der „Tubby“-Switch eine beeindruckende Menge an klanglichem Fundament. Hier wird am Anfang des Signalwegs einfach mehr Low End und Tiefmitten in den Verstärker gelassen, sodass der Amp bei Clean-Sounds genug klangliche Substanz liefern kann. Bei höher eingestelltem Gain finde ich den Effekt eher kontraproduktiv, da der Ton in den tiefen Mitten schnell verwaschen wird. Dafür liefert der Amp mit deaktiviertem „Tubby“-Switch und dem Gain-Poti auf 14 Uhr dermaßen knallige und satte Crunch-Sounds, dass ich zunächst gar kein Bedürfnis verspüre, die Klangregelung zu benutzen. Der etwas dunkel gefärbte Orange-Charakter tritt sehr gut zutage, kann aber mit einer sanften Korrektur am Treble- und/oder Presence-Regler nach oben hin geöffnet werden. Mit Gain auf Vollanschlag liefert der Verstärker im ersten Kanal einen richtig satten Overdrive-Sound, der sich ausgezeichnet für ein strammes Rhythmusbrett eignet.

Im Channel B weht ein ganz anderer Wind: Der Ton wird deutlich gesättigter und ähnelt mehr dem Dirty Channel des Gain Baby 100, allerdings mit etwas weniger Gain-Reserve und Kompression. Der etwas ungehobelte, rotzige Charakter, der mir in Kanal A schon gut gefallen hat, bleibt auch hier erhalten. Ich bin abermals begeistert von dem plastischen und spürbaren Druck, den der Verstärker im Raum entfaltet. Ab dem letzten Viertel des Gain-Reglers ist auch beim Dual Baby 100 ein deutliches Rauschen zu hören, wobei der Zerrgehalt noch einmal deutlich zunimmt. Eine Gemeinsamkeit der drei Baby-Amps ist die überraschend hohe Lautstärke. Jeder dieser drei Verstärker kann in dieser Hinsicht absolut ohrenbetäubende Ergebnisse erzielen und ich kann mir kaum ein Szenario vorstellen, in dem diese Reserven nicht ausreichen würden.

AUSBALANCIERT

Das Feature „Balanced Out“ auf der Rückseite des Verstärkers möchte ich natürlich nicht unerwähnt lassen. Schade finde ich es allerdings, dass hier keine analoge Boxensimulation zuschaltbar ist. Gerade im Kontext einer Liveband hätte ich dieses Feature sehr praktisch gefunden. In Kombination mit einer DAW erweist sich der Direktabgriff des Signals dennoch als sehr praktisch. In Verbindung mit einem Channel-EQ und einem IR-Loader konnte ich auf Anhieb hervorragende Ergebnisse erzielen. Das ausgegebene Line-Level kommt als sauberes Signal an. Nur bei starker Verzerrung kann das oben beschriebene Rauschen möglicherweise als Störfaktor wahrgenommen werden.

RESÜMEE

Noch immer steht die eingangs erwähnte Frage im Raum: Kann ein knapp 4 kg leichter, superkompakter Transistorverstärker das gute alte 100-Watt-Röhrentopteil in allen Situationen ersetzen? Die Antwort lautet: Jein! Im direkten Vergleich konnte keiner der getesteten Verstärker die klangliche Dreidimensionalität und das charakteristische Kompressionsverhalten eines schwer arbeitenden Röhrentops vollständig nachbilden. Doch wäre dieser Anspruch angesichts der Konstruktion und des Preises nicht ohnehin etwas vermessen?

Ich behaupte: Es gibt zahlreiche Anwendungsszenarien, in denen jeder dieser drei Mini-Amps ein großes Topteil durchaus ersetzen kann – insbesondere, wenn im Bandbus der Platz knapp ist oder die Bühnenverhältnisse eine Begrenzung der Verstärkerlautstärke verlangen. In solchen Fällen spielen die Baby-Tops ihre Stärken klar aus. Klangliche Qualität, vielseitige Ausstattung und clevere Features – etwa der zweite, schaltbare Lautstärkeregler oder das durchdachte Layout des Dual-Baby-Amps – machen diese Verstärker zu echten Allroundern.

Sie müssen sich keineswegs hinter einem großen Vollröhren-Amp verstecken. Ade Emsley hat einmal mehr bewiesen, dass Orange gut daran tut, seinem Chef-Designer größtmöglichen kreativen Spielraum zu lassen. Abgesehen von einigen kleinen Schwächen – wie fehlende Status-LEDs, ein nicht schaltbarer FX-Loop und die fehlende Lautsprechersimulation am Balanced Output – bleibt ein durchweg positiver Gesamteindruck.

Ich möchte allen Fans kompakter Gitarrenverstärker dringend empfehlen, diesen kleinen Kisten einmal ein Ohr zu leihen. ●

Dual Baby

Plus

● kompaktes Format

● Verarbeitung

● charakterstarke Klangqualität

● Preis-Leistungs-Verhältnis

● VCA Kompressor (Gain & Tour Baby)

● schaltbarer Volume-Regler (Gain & Tour Baby)

● hohe Lautstärkereserven

Minus

● kein schaltbarer FX Loop

● keine Status-LEDs für Schalter

● Rauschen bei viel Verzerrung

● keine Lautsprecher-Simulation am Balanced Output


(erschienen in Gitarre & Bass 11/2025)

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