Orangenkisten

Test: Orange Baby Serie

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(Bild: Dieter Stork)

Mit der neuen Baby-Serie bringt Orange drei kompakte, aber keineswegs kindliche 100-Watt-Verstärker im Topteil-Format auf die Bühne. Die Modelle heißen Tour Baby 100, Dual Baby 100 und Gain Baby 100. Trotz des gleichen Nachnamens weisen sie durchaus unterschiedliche Charakterzüge auf.

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Hinter dem schnörkellosen Design verbirgt sich ausgewachsene Technik: Kein abgespeckter Spielzeugkram, sondern ernstzunehmende Werkzeuge für Studio, Bühne und Proberaum werden hier vom Hersteller angekündigt. Doch kann ein kleiner Amp mit klassischer Class-A/B-Transistorendstufe – bis heute eine Beleidigung für manche röhrenverwöhnten Gitarristenohren – ein dickes Vollröhrentopteil ersetzen?

FAST WIE DIE GROSSEN

Wer bei der Bezeichnung „Baby“ an eine federleichte Hosentaschenlösung im Gigbag-Format denkt, sei an dieser Stelle korrigiert. Das ist nicht der Fall. Hier stehen drei vollwertige Gitarrenverstärker mit knapp 4 kg in den Startlöchern. Die Baby-Amps bilden eine eigenständige Serie innerhalb des Orange-Portfolios und basieren auf einer clever konstruierten, gemeinsamen Plattform. Zwar unterscheiden sich die drei Verstärker in den Regelmöglichkeiten und der Kanalstruktur deutlich voneinander, sie teilen jedoch einen ganzen Katalog an Eigenschaften. Alle drei Amps liefern bis zu 100 Watt Leistung über eine konventionelle Transistor-Class-A/B-Endstufe mit rein analoger Signalführung. Die Vorstufensektion basiert bei allen Varianten auf diskreter JFET-Technologie, die den Charakter klassischer Röhrenschaltungen gezielt nachbilden soll.

Auch die Ausstattung ist bei allen Modellen nahezu identisch: Ein gebufferter, serieller FX-Loop gehört ebenso zur Grundausstattung wie ein symmetrischer DI-Ausgang (leider ohne Cab-Simulation), eine zweite schaltbare Volume-Stufe sowie rückseitige Ausgänge für 8- oder 16-Ohm-Boxen. Ein Betrieb mit einer 4-Ohm-Box ist laut Hersteller nicht möglich. Die Gehäuse sind aus dickwandigem, weiß lackierten Stahlblech gefertigt und lassen sich mithilfe eines separat erhältlichen Rackmount-Kits auf das 19″-Format aufrüsten. Das macht die „Babys“ noch roadtauglicher. Im Inneren der Verstärker geht es eher nüchtern und unaufgeregt zu. Ein dicker Ringkerntrafo teilt sich den hinteren Teil des Gehäuses mit einem großen Kühlkörper aus Aluminium. Weiter vorne sind die beiden Platinen für Vor- und Endstufe platziert. Die Bestückung der Leiterbahnen, die Verkabelung und die auf die Platine montierten Potis sehen ebenso sauber aus. Alles in bester Ordnung also. Mit ca. 3,7 kg sind die Baby-Amps zwar nicht so leicht, dass man sie in der Vortasche eines Gigbags transportieren könnte, doch die mitgelieferte Umhängetasche erfüllt ihren Zweck völlig problemlos.

Auf den ersten Blick machen alle drei Testverstärker einen absolut hochwertigen Eindruck: satt drehende Potis, definiert einrastende Schalter, kräftig zupackende Klinkenbuchsen und eine saubere Lackierung – passt, wackelt und hat Luft!

BRÜLLWÜRFEL

Für den Test habe ich eine Mesa Rectifier 2x12er-Box mit Celestion-V30-Lautsprechern an den Start gebracht. Los geht es mit dem günstigsten der drei Amps, dem Tour Baby. Dieser Zweikanaler, der ganz klassisch in einen Clean- und einen Drive-Channel unterteilt ist, bietet eigentlich alles, was man von so einem Amp erwarten würde.

(Bild: Dieter Stork)

Etwas schade finde ich, dass beim Design fast vollständig auf den ikonischen orangefarbenen Hintergrund verzichtet wurde. Dadurch wirkt der Verstärker auf den ersten Blick etwas weniger überschaubar als die beiden anderen. Der Clean-Kanal ist so simpel gehalten, wie man es sich nur vorstellen kann: Volume, Bass, Treble und das Poti zur Steuerung des integrierten VCA-Kompressors. Letzterer kommt in ähnlicher Ausführung auch beim leider nicht mehr produzierten Four-Stroke-Bassverstärker zum Einsatz und funktioniert trotz seiner eingeschränkten Regelmöglichkeiten sensationell gut. Ich starte mit gänzlich heruntergeregeltem Kompressor und höre einen angenehm warmen Clean-Sound, der auch bei lauteren Humbuckern fest und stabil bleibt. Die beiden Klangregler greifen ambitioniert ins Klanggeschehen ein, ohne den Sound jedoch zu stark zu verbiegen. Richtig spannend wird der Clean-Kanal aber erst mit Hinzunahme des Kompressors: Von ganz leichter, wirklich dezenter Kompression bis zu richtig starken „Heavy Squash“-Sounds wird hier alles abgedeckt. Der Sound bleibt dabei stets drahtig und agil. Ich muss sagen, dass ich selten so begeistert von einem One-Knob-Compressor war. Die strahlenden Höhen sind präsent, ohne das restliche Klangbild zu überschatten.

Tour Baby Innenleben (Bild: Dieter Stork)

Ehrlicherweise finde ich kein Setting, in dem mir der Clean-Kanal des Tour- bzw. des identisch klingenden Gain-Baby-Amps ohne den Kompressor-Effekt besser gefällt. Im Drive-Channel des Tour Babys erhält man sofort den typisch knurrenden, etwas dunkel gefärbten Orange-Sound, auf den Fans der Marke sicher gehofft haben. Wenn alle Regler auf 12 Uhr stehen, ist ein satter und ausgesprochen warmer Ton zu hören, der trotz seines voluminösen Bassfundaments stets schnell und agil in der Ansprache bleibt. Der Gain-Regler deckt ein breites Spektrum von sattem AC/DC-Crunch bis hin zu deftigem Hardrock-Overdrive ab. Dabei arbeitet das Poti über den gesamten Regelweg gleichmäßig. Wer etwas mehr Drive benötigt, kann problemlos ein Boost- oder Overdrive-Pedal vorschalten, um den Tour Baby 100 noch ein wenig mehr aus der Reserve zu locken. Etwas mehr „Push over the Cliff“ im Gitarrensolo? Dank des zweiten, fußschaltbaren Lautstärkeregelers kann man sich im dichten Bandmix ganz einfach Gehör verschaffen – ein ausgesprochen cleveres Feature!

(Bild: Dieter Stork)

Wer mehr Verzerrung oder eine modernere klangliche Ausrichtung sucht, könnte mit dem Gain Baby 100 fündig werden. Hier ist der Name Programm: Der Dirty-Channel dieses Amps bietet nicht nur deutlich mehr Verzerrung und Kompression als der des Tour Baby, sondern auch eine generell modernere Ausrichtung. Die trockenen Mitten rücken etwas in den Hintergrund, sodass der Klang ein wenig glatter erscheint. Er erinnert mich ein wenig an die hochgezüchteten High-Gain-Amps der 90er-Jahre, wie beispielsweise den Peavey 5150. Auch bei diesem Verstärker arbeitet das Gain-Poti absolut gleichmäßig. Auf dem letzten Drittel des Regelwegs entsteht jedoch ein deutlich hörbares Rauschen, was angesichts der üppigen Verzerrung jedoch nicht weiter verwundert.

Gain Baby Innenleben (Bild: Dieter Stork)

In Kombination mit einer tiefer gestimmten Gitarre fand ich den Tight-Switch vor allem bei etwas niedrigeren Gain-Settings hilfreich, da er hörbar ins Geschehen eingreift. Der Schalter dünnt nicht, wie man zunächst denken würde, den Bassbereich aus, sondern sorgt für einen Boost der Hochmitten und der Höhen. Das sorgt subjektiv für eine deutlich stärkere Betonung des Attacks und umreißt den Ton klarer. Damit bei tiefen Tunings und viel Verzerrung nicht zu viele tonale Informationen verloren gehen, erweisen sich der Mitten- sowie der Presence-Regler als hilfreich. Je nach verwendeter Gitarre lässt sich mithilfe der Klangregelung eine gute Balance aus bissigem High-Gain-Sound und dem für Orange so typischen, schmutzig-dunklen Overdrive-Sound erzielen. So geht nicht alles in einem Meer aus Verzerrung unter.

Dual Baby 100 und Resümee auf Seite 2

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