Die Ikone: 1954 Fender Stratocaster

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Die Ur-Fender Stratocaster
1954 Fender Stratocaster

„Je oller, je doller“ muss nicht unbedingt heißen, dass Vintage-Gitarren ihre begehrte Aura nur versprühen können, wenn sie zerschunden sind, der Lack fehlt oder Brandlöcher an der Kopfplatte prangen.

Widmet man sich ein wenig den klanglichen Unterschieden stellt man fest, dass man bestimmte Sounds dieser Ton-Legenden zwar nachstellen, aber nie ganz erreichen kann. Warum das so ist? Wer weiß? Ein bisschen Stoff für Mythen und Mutmaßungen sollte uns schließlich noch bleiben. Es macht wahnsinnig Spaß, sich auf die Lauer zu legen und diese teils kleinen, aber feinen Unterschiede zu entschlüsseln. Aber was wäre, wenn man sie irgendwann vollständig ergründen könnte? Lassen wir es vorerst also dabei: „Die haben was, was neuere Gitarren eben nicht haben.“ Oder wie mir ein Vintage-Händler einmal sagte: „Sie machen sie einfach nicht mehr so wie früher.“ Und gerade hier versuchen die Custom Shops zahlreicher größerer Hersteller wieder anzuknüpfen. „Wie wurden die eigentlich früher gemacht?“ Und so sammelt sich die Erfahrung von unzähligen Gitarristen und Sammlern teils auf Foren im Internet und sorgt schließlich für einen enorm detaillierten Pool von Informationen.

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Es herrscht Lust an der Geschichte. Es ist doch immer schön, wenn man in einer extrem schnelllebigen Zeit ein bisschen Historie schnuppern kann. Und genau das ist heute meine Thema. Was könnte diesen anfangs erwähnten Kreis bessern abrunden als eine 1954er Fender Stratocaster? Die Qualität dieser Gitarren beschränkt sich nicht allein auf das Baujahr. Ab April 1954 ging die wohl berühmteste E-Gitarre aller Zeiten bei Fender in Serienproduktion. Zwar gab es vorher ein paar vereinzelte Prototypen, aber auf irgendein Geburtsdatum muss man sich schließlich einigen. Allein wegen ihres Baujahrs sind solche Gitarren begehrte Sammlerstücke und daher auch sagenhaft teuer. Es finden sich aber auch einige Features, die offenbar nur zur Geburtsstunde dieser Ära zu finden sind. So ist vermutlich der Anteil an Handarbeit in dieser Gründerzeit noch am größten.

Das Elektronikfach
Body-Datum im Elektronikfach

Der Body und der Hals sind derart verrundet und zum Handschmeichler veredelt, dass man dieses Instrument zunächst ungläubig betätschelt und befingert, bevor man ihm die ersten Töne entlockt. Ich habe gewiss noch nicht viele 54er Stratocaster in den Händen gehalten, aber die hier abgebildete Gitarre (Baujahr Dezember 1954) ist schlüpfrig wie ein Delphin. Komfortabler kann man sich einen Hals oder eine Body-Kontur einfach nicht vorstellen. Ob das nun 1954 im Fender-Werk so von Hand geschliffen wurde oder vom sechzigjährigen Gebrauch zahlreicher Gitarristenhände in einer „steter Tropfen höhlt den Stein“-Manier entstand, wissen wir nicht. Sammler und Literatur sind sich allerdings darüber einig, dass die ersten Stratocasters stärker verrundet sind und daher auffallend gut in der Hand liegen.

Hinzu kommt die Struktur des Lacks. Jeder, der sich für die Anmut alter, abgegriffener Nitrolacke interessiert, sollte sich so eine Gitarre mal näher anschauen. Vergleichbar ist das sicher nur mit alten Violinen. Da gibt es zwar noch Lack, aber man sieht und spürt ihn nicht mehr. Die Halsrückseite fühlt sich an wie eine Mischung aus sämtlichen Halsbehandlungsalternativen, die je besprochen, diskutiert und probiert wurden. „Irgendwie“ fühlt es sich wie Lack an, aber auch wie Öl oder Firnis oder sonst was. Die Rückseite ist so glatt, dass man nicht die geringste Pore oder Unebenheit ausmachen kann. Im Fender Custom Shop versucht man solche Optik und Handschmeichler-Qualitäten zu erreichen, indem man den Hals zunächst lackiert, dann auf einem großen Bereich der Rückseite wieder abschleift und dann etwas verschmutzt und mit Öl behandelt. Dass hier nur die halbe Wahrheit (wenn überhaupt) liegt, zeigt der Vergleich mit einer Fender Custom Shop Relic. Objektiv betrachtet ein mehr als halbherziger Versuch, was dem Gitarristen aber erst bewusst werden kann, wenn er einmal ein Original in den Händen hält. Ich denke, dass es an dieser Stelle den wohl höchsten Nachholbedarf gibt. Schließlich sind wir in erster Linie Spieler und wollen Hälse, die so gut in der Hand liegen, so wohl geformt und poliert sind, wie dieser 54er Hals. Verdammt, das muss doch möglich sein…

Die Kopfplatte der Fender Stratocaster
Die Kopfplatte

Nachdem ich nun seit vier Wochen auf diesem Hals spielen darf, da der Besitzer mir die Freude gönnt, diese Gitarre in aller Ruhe genießen zu dürfen, fühlt sich jeder andere Strat-Hals wie ein Knüppel oder der sprichwörtliche Ast an. Allein der Spielkomfort auf dieser Gitarre ist nahezu einzigartig. Man kann sie einfach nicht mehr aus den Fingern legen. Auffällig ist auch, dass dieser Hals keineswegs so dick und rüde daherkommt wie es diesen frühen Strats nachgesagt wird. Im Gegenteil! Der Hals ist recht schlank und ganz leicht V-förmig. Am Sattel ist er sogar überraschend schmal.

Der Halsfuß
Das von Tadeo Gomez aufgezeichnete Hals-Datum

Am Halsfuß sieht man das mit Bleistift aufgezeichnete Herstellungsdatum hinter den Initialen „TG“. Letzteres steht für Tadeo Gomez, ein Fender Mitarbeiter, der offenbar für die Fertigung der einzelnen Bausteine zuständig war. Seine Initialen finden sich in den frühen Fünfzigern auch auf den Hälsen anderen Fender-Gitarren. Mit welch zartem Hauch von Lack der Hals überzogen ist, erkennt man nirgendwo besser als auf der Halsvorderseite zwischen den Bünden. Hier haben sich auf Maple-Hälsen schon bald die sogenannten Thumbprints gebildet. Das sind kleine vom Lack befreite Inseln, die sich durch Fingerschweiß und – schmutz mit der Zeit verdunkeln und daher ein einzigartiges Muster auf dem Hals zurücklassen. Man sieht diese Thumbprints auf den Hälsen sämtlicher Mapleneck-Strats und -Teles. Auf Eric Claptons Blackie, bei den Gitarren von Keith Richards oder Ron Wood. Auch das versucht man im Custom Shop von Fender nachzuahmen. Es gelingt vermutlich − abhängig von den Talenten des Mitarbeiters − mal gut, mal weniger gut. Und eigentlich weiß man ja, wie es geht: Man nehme möglichst wenig Lack für die Halsvorderseite und überlasse den Feinschliff dem fleißigen Besitzer. Die Thumbprints sind wie die Fußabdrücke der Spiel-Kultur der Vorbesitzer. Man kann genau sehen, ob diese das Akkordspiel in den ersten vier, fünf Bünden bevorzugte oder ausgedehnte Soli bis in die höchsten Lagen. Sie bilden somit eine Art Zeugenschaft der Historie dieser Instrumente, was ihre Einzigartigkeit deutlich sichtbar ausmacht.

Ansonsten ist es schön, einmal ein Bakelit-Pickguard „in natura“ zu sehen. Und wie man es von unzähligen Fotos kennt, sind die Pickup-Kappen ebenfalls abgerundet und zu manchen Seiten hin bereits aufgebrochen. Ebenso sind die Potiknöpfe vom häufigen Angreifen verschmiert wie zu warm gewordenes Kerzenwachs. Für den Gebrauch und die faszinierende Qualität dieser Gitarre hat das alles jedoch nur wenig Bedeutung. Die Klangergebnisse an einem gut abgestimmten Röhren-Amp kann man nicht anders als beglückend und frustrierend zugleich bezeichnen. Beglückend daher, weil die Gitarre genauso fein und geglättet ertönt wie ihre Halsrückseite. Solch lückenlose Dichte im Bass und in den Mitten, solch bestechende Durchlässigkeit und Dynamik habe ich zuvor von keiner anderen Stratocaster gehört. Trotz der schwächelnden 5,5 kOhm der Pickups entwickelt sie einen beeindruckenden Punch. Sie ist tatsächlich lauter und kräftiger als alle zum Vergleich herangezogenen Stratocaster-Modelle.

Das Schlagbrett von unten
Schlagbrett-Unterseite

Der Ton erscheint gerade in den Mitten „scooped“, das heißt, das Klangspektrum erscheint zunächst linearer und ausgewogener als bei den Mitbewerbern. Diese Qualität ursächlich dem einteiligen Esche-Korpus zuzuschreiben, wäre wahrlich zu einfach. Er scheint eher sogar so zu sein, dass sich die extrem geglätteten Oberflächen und die auffällig verrundeten Kanten im Klang selbst widerspiegeln. Gerade so, wie es mir einst ein Geigenbauer verriet: „Die Oberflächen sind extrem wichtig. Denn die Geige klingt nachher wie ihre Oberflächen.“ Er sagte das damals, ohne für diese Erkenntnis irgendeinen Nachweis zu liefern.

Es frustriert mich auch diesen Monat der Umstand, dass das Lesen einer solchen Kolumne nur unzureichend Aufschluss über das Erlebte geben kann. Ich würde jedem Leser gönnen, dieses Instrument einmal selbst zu fühlen und zu spielen. Jeder, der sich für Instrumente interessiert, könnte hier eine unvergessliche Erfahrung machen.

Mehr zur Thema Fender Stratocaster und anderen Fender Gitarren findest du in unserer Fender Sonderausgabe!


(erschienen in Gitarre & Bass 11/2014)

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