(Bild: Lori Linstruth)
In der Welt des Progressive Rock gilt Arjen Lucassen als absoluter Ausnahmekünstler, als Tüftler vor dem Herrn, ambitionierter Klangarchitekt, grandioser Komponist und unbeirrbarer Visionär. Ob mit seinen Projekten Ayreon, Ambeon, Star One, Stream Of Passion, Guilt Machine, The Gentle Storm, Supersonic Revolution, oder – womit wir in der Aktualität angekommen sind – mit seinem neuesten Soloalbum ‘Songs No One Will Hear’: Der Holländer trifft stets ins Epizentrum des guten Geschmacks, sowohl kompositorisch als auch Sound-technisch. Dabei kann sich der 65-Jährige auf seinen guten Instinkt und seine offenbar untrügliche Fähigkeiten als Toningenieur verlassen.
Wir haben Lucassen im Rahmen unserer Serie ‘Top Gear Check’ gefragt, uns eine Liste seines bevorzugten Equipments zu nennen.
IBANEZ RG-SERIE 7-SAITER
(Bild: Arjen Lucassen)
Ich spiele seit Ewigkeiten 6-saitige Gitarren, meistens meine Gibson Explorer, einfach weil sie so cool aussieht. Außerdem ist sie riesig und passt daher zu meiner Körpergröße von zwei Metern. Stur wie ich nun einmal bin, habe ich mich früher geweigert, es auch mal mit einer 7-saitigen Gitarre zu versuchen.
Ich vermute, ich steckte zu sehr in meinen Gewohnheiten fest und dachte: Wofür, zum Teufel, brauche ich eine zusätzliche Saite? Doch dann habe ich ein Album für die Band Sun Caged produziert, bei dem ihr Gitarrist Marcel Coenen eine 7-saitige Ibanez RG gespielt hat. Sie klang mächtig und hat den Songs eine ganz neue Dimension verliehen, so dass ich mir exakt die gleiche Gitarre gekauft habe.
Das erste Album, das ich mit der RG aufgenommen habe, war im Jahr 2004 Ayreons ‘The Human Equation’. Ich hatte zuvor noch nie so viele Songs in B gespielt, hahaha! Seitdem habe ich diverse andere 7-saitige Modelle ausprobiert, aber keine klingt oder spielt sich besser als meine Ibanez. Ich verwende sie für alle Rhythmus-Parts, sowohl für verzerrte als auch für cleane.
FENDER STRATOCASTER
(Bild: Arjen Lucassen)
Meine allererste E-Gitarre, die ich mir 1975 gekauft habe, war die schreckliche Kopie einer Les Paul und für mich einfach die billigste Option eines eigenen Instruments. Das Ding war ständig verstimmt und klang fürchterlich. Nachdem ich Ritchie Blackmore und Deep Purple entdeckt hatte, habe ich mich nach einer Fender Stratocaster gesehnt, konnte mir aber zunächst keine leisten.
Viele Jahre später bekam ich endlich eine gebrauchte rote Fender Stratocaster in die Hände, die ich bis heute spiele. Sie ist wegen der Single-Coil-Pickups meine Lieblingsgitarre für Soli, vor allem der Steg-Tonabnehmer hat eine Menge Personality. Er inspiriert mich dazu, härter zu spielen, und das hört man auf meinem neuen Soloalbum deutlich. Und natürlich schadet es auch nicht, dass mein persönlicher Held David Gilmour ebenfalls eine Strat spielt.
BOGNER ÜBERSCHALL
(Bild: Arjen Lucassen)
Als ich 1975 anfing, E-Gitarre zu spielen, lieferte kein Verstärker genug Verzerrung für meine Bedürfnisse. Ich musste immer ein Fuzz-Pedal oder einen Tube-Screamer davor schalten, um meinen Metal-Helden wie etwa Tony Iommi nachzueifern. 1980 stieg ich in meine erste professionelle Band Bodine ein und kaufte mir endlich einen Marshall-Verstärker, aber auch der musste mit einem Graphic-Equalizer gepimpt werden.
Das alles änderte sich, als ich kurzzeitig bei der deutschen Band Accept spielte und sie mir einen modifizierten Marshall MK II mit viel Verzerrung besorgten. Diesen Amp habe ich jahrelang gespielt, bis ich den Bogner Überschall entdeckt habe. Er klingt einem Marshall MK II sehr ähnlich, ist in den mittleren Frequenzen aber weniger harsch. Ich habe ihn mit vielen anderen Amps verglichen, und bisher konnte keiner den Bogner schlagen, einschließlich aller derzeit verfügbaren digitalen Modeler.
CELESTION G12H
(Bild: Arjen Lucassen)
In den Hair-Metal-Tagen der 80er Jahre war es cool, so viele Amps und Boxen wie möglich auf die Bühne zu stellen, auch wenn man sie teilweise gar nicht in Betrieb hatte. Einer meiner Roadies aktivierte bei jeder Show verschiedene Lautsprecher. Schließlich bemerkte ich, dass nur ein einziger Speaker durchweg großartig klang.
Ich, naja besser: mein Roadie, öffnete die Box und stellte fest, dass es sich um einen Celestion-G12H-Speaker handelte. Für mich ist der Lautsprecher der wichtigste Teil in der Klangkette. Ich habe mal 20 verschiedene Lautsprecher getestet, und keiner kam auch nur annähernd an den G12H heran. Der Unterschied war wie Tag und Nacht, der G12H klingt einfach klarer und knackiger.

BEYERDYNAMIC M88
(Bild: Arjen Lucassen)
Damit komme ich direkt zum nächsten entscheidenden Soundelement: Den Mikrofonen vor dem Lautsprecher. Jahrelang habe ich automatisch ein Shure SM57 eingesetzt, nachdem ich gehört hatte, dass mein Lieblings-Rhythmusgitarrensound vom ersten Van-Halen-Album damit aufgenommen wurde. Doch beim Vergleich habe ich festgestellt, dass das SM57 im Vergleich zum Beyerdynamic M88 ziemlich dünn klingt.
Das M88 klingt voller und verfügt über die aggressiven Obere-Mitten-Frequenzen, die eine Gitarre in einem komplexen Mix hervorstechen lassen. Trotzdem fehlte noch etwas …

ROYER-RIBBON-MIKROFON
(Bild: Arjen Lucassen)
… nämlich, ja, genau, das Low-End! Irgendjemand empfahl mir ein Bändchenmikrofon, was für mich neu war. Und tatsächlich, es war die geheime Zutat: Das Royer-Bändchenmikrofon fügt dem Sound ein erstaunliches Low-End hinzu. Wenn ich jetzt im Mix den Kanal mit dem Royer-Mikrofon ausschalte, kann ich mir nicht mehr vorstellen, wie ich jemals ohne dieses Mic aufgenommen habe.

SANSAMP PSA-1
(Bild: Arjen Lucassen)
Für bestimmte Heavy-Sektionen brauche ich diesen kalten, aggressiven, weniger mittigen Metal-Sound, besonders für dieses Rammstein-artige Tuckern. Apropos Rammstein: Ich habe gehört, dass sie den Sansamp-PSA-1-Vorverstärker verwenden, daher habe ich mir natürlich auch einen besorgt. Allein für sich eingesetzt liebe ich ihn nicht sonderlich, aber in Kombination mit der Wärme des Bogners bekomme ich bei Bedarf einen massiven Klang.
Ich verwende den PSA-1 auch für alles andere, was Verzerrung erfordert, wie Drums oder Gesang. Sobald man die ungewöhnlichen Einstellungen (Buzz, Punch, Crunch) beherrscht, erweist es sich als ein unglaublich mächtiges Werkzeug, das mit nichts anderem vergleichbar ist.
DINGWALL AFTERBURNER II
(Bild: Arjen Lucassen)
Ich liebe es, Bass zu spielen, und mache es auf meinen Alben normalerweise auch selbst. Ursprünglich hatte ich einen Fender Precision, inspiriert von meinem Lieblingsbassisten Phil Lynott. Er hat mir über viele Jahre gute Dienste geleistet, bis ich mir eine 7-saitige Gitarre gekauft habe. Ab dann brauchte ich einen 5-saitigen Bass mit tiefem H.
Ich habe zahlreiche Bässe getestet, bin aber komplett dem Dingwall Afterburner II verfallen. Er fiel mir sofort auf, seither habe ich mir nicht einmal mehr die Mühe gemacht, andere Bässe auszuprobieren. Er hat fantastische Tiefen- und Höhenfrequenzen und ist der erste Bass, bei dem ich die Klangregler nicht vollständig aufdrehen muss.
Die tiefe H-Saite klingt klar und hell, was anderen 5-Saitern fehlte. Anfangs habe ich mir Sorgen wegen der gefächerten Bünde gemacht, aber sie waren nie ein Problem. Tatsächlich erleichtern sie das Spielen in den hohen Lagen. Jetzt kann ich endlich meinen inneren Geddy Lee ausleben!
(Story: Matthias Mineur)