Im Interview

Waldemar Sorychta: Musiker und Produzent

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(Bild: Stefan Bollmann)

Seit weit mehr als 30 Jahren gehört der Gitarrist und Songschreiber Waldemar Sorychta zu den meistgefragten Rock- und Metal-Produzenten Deutschlands. Als Mitglied der Thrashmetaller Despair hat Sorychta bereits Ende der Achtziger sein erstes Album produziert, seither kamen zahlreiche Scheiben sowohl seiner späteren Bands Grip Inc., Eyes Of Eden und Enemy Of The Sun als auch Produktionen für Phillip Boas Voodoocult, für Lacuna Coil, The Gathering, Tiamat, Moonspell, Samael, Unleashed, Sentenced oder Therion hinzu, und auch heute ist er als Produzent und Gitarrist aktiv unterwegs.

Themen und Anlässe genug, ihn ausführlich zu befragen und ihm dabei ein wenig auf die (Produzenten-) Finger zu schauen. Denn mit denen bedient Sorychta nicht nur virtuos Gitarrensaiten, sondern auch geschmackssicher alle Tools eines modernen Tonstudios.

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Waldemar, braucht man als vielgefragter Produzent heutzutage eigentlich noch ein eigenes Studio? Betreibst du aktuell eines?

Nein, ich arbeite immer da, wo es gerade angezeigt ist. Früher war mein Hauptdomizil das ‚Woodhouse’ in Hagen. Dort wurde ich häufig von der Plattenfirma Century Media für die Produktionen ihrer Bands gebucht. Aber auch andere Plattenlabels haben mich regelmäßig engagiert. Hinzu kommen immer wieder Anfragen direkt von den Bands. Derzeit arbeite ich meistens – zusammen mit meinem Kollegen Dennis Köhne – in Dortmund und Schwerte unter meinem Firmenlogo ‚Waldstreet Sound’.

Du arbeitest nie ausschließlich als Toningenieur, sondern bist fast immer auch Produzent, der am Songwriting beteiligt ist.

Man könnte sagen: Ich drehe nicht nur die Knöpfe, sondern mische mich auch beim Songwriting und den Arrangements ein. Gerade deshalb werde ich von vielen Bands gebucht, denn es gibt zahlreiche Musiker, die diesen zweiten Blick von außen wünschen, die meine Meinung zu dem, was sie da gerade aufnehmen wollen, unbedingt hören wollen. Während einer Produktion betrachte ich mich als Teil der Band, bin also nicht nur ihr Tontechniker, sondern auch der Musiker, der am Gesamtsound beteiligt ist.

Du bist bekanntlich auch ein versierter Gitarrist. Wirst du mitunter bei Produktionen gefragt, ob du besonders schwierige Parts übernehmen könntest?

Wenn das gewünscht wird, mache ich das natürlich gerne und sehe mich dann auch als Gitarrist einer Produktion. Aber ich sage immer: Was in Vegas passiert, bleibt auch in Vegas!

Stichwort: Verschwiegenheit.

Genau. Wenn die Band das wünscht, darf sie meine aktive Beteiligung gerne im Booklet vermerken, aber ich muss meinen Namen nicht unbedingt unter denen der Bandmitglieder wiederfinden. Ich spiele generell ja nicht nur Gitarre, sondern auch Keyboards und Schlagzeug, aber ob ich tatsächlich auch spielerisch etwas beisteuern soll, entscheidet allein die Band.

Ich könnte ganze Bücher füllen mit Geschichten über das, was einem im Studio ständig passiert, aber für mich gilt das Gleiche, was ich der Band immer erkläre, nämlich dass sie ihre Egos hintenanstellen müssen und nur der Musik dienen dürfen. Ich sage dann auch zu mir selbst: Du bist jetzt Teil der Band, was du danach machst, spielt hier keine Rolle, denn es geht ausschließlich um das bestmögliche Ergebnis!

Du bist nicht nur Produzent, sondern auch aktiver Musiker und Songwriter. Produzierst du dich auch selbst? Und macht dies einen Unterschied zu deinen Produktionen für andere Künstler?

Ich weiß, worauf du hinauswillst, aber ich kann das voneinander trennen. Allerdings habe ich den Vorteil, dass ich, während ich komponiere oder Texte schreibe, automatisch an die später anstehende Produktion denke und daran, dass der Produzent Waldemar Sorychta die Arbeit des Komponisten Waldemar Sorychta akzeptieren muss. Ich gebe aber zu, dass ich es im Laufe der Zeit lernen musste, beides voneinander zu separieren.

Erkennst du eigentlich signifikante Unterschiede zwischen deiner ersten Produzententätigkeit für deine damalige Band Despair und aktuellen Produktionen?

Man kann beides nicht miteinander vergleichen, denn als Künstler unterliegt man einem permanenten Lernprozess. Obwohl ich bei vielen anderen Künstlern genau das vermisse: Ich kenne eine Menge Musiker und Produzenten aus den Achtzigern und Neunzigern, die meiner Meinung nach viel zu schnell zufrieden sind und schon beim ersten Song behaupten, dies sei die geilste Nummer überhaupt und ihre Band die Beste der Welt.

Ich dagegen versuche es immer noch ein Stückchen besser zu machen. Es gibt Musiker, die eine Musikschule eröffnen, obwohl sie noch gar nicht ausreichend dafür geeignet sind. Diese Art Selbstgefälligkeit gefällt mir nicht. Ich stelle immer alles in Frage, auch und vor allem mich selbst. Ich habe nur ein einziges großes Vorbild, nämlich Ludwig van Beethoven. Mein Motto lautet: Immer auf das Beste schauen und dem so nah wie möglich kommen.

Was waren die wichtigsten Lektionen, die du als Produzent gelernt hast?

Ich habe viele Fehler gemacht, technische Fehler, musikalische Fehler, aber aus allen habe ich gelernt. Das muss auch so sein, denn sonst wird es zur Einbahnstraße. Ich habe immer schon intuitiv gearbeitet und mich nie an Konventionen orientiert.

Ich male seit vielen Jahren Bilder, hatte aber nie gezielt Unterricht. An meiner Schule gab es mal einen Kunstlehrer, der Fan von Wassily Kandinsky war und meinen Malstil nicht mochte. Einmal hätte er mir beinahe eine Fünf im Zeugnis gegeben, wenn nicht meine gesamte Klasse aufgestanden wäre und sich für mich eingesetzt hätte.

Auch Musik habe ich nie wirklich gelernt. In Alter von sechs Jahren habe ich für einige Zeit Akkordeon und Klavier gespielt, aber wenn man ein Buch schreiben will, muss man die Sprache beherrschen und gleichzeitig seinen Ideen freien Lauf lassen, anstatt nur in festen Schemata zu arbeiten. Der Trick ist, einen Spagat zwischen beiden Welten hinzubekommen.

Wie stehst du als Produzent zur digitalen Revolution? Ist sie Fluch oder Segen?

Eines ist klar: Die Technologie verändert sich derzeit unfassbar schnell. Es gibt jeden Monat neue Tools, die man lernen muss, um auf dem aktuellen Wissensstand zu bleiben. Früher war es einfacher: Wenn du das Prinzip eines Analogpults verstanden hattest, konntest du mit jedem anderen Pult problemlos arbeiten. Mit einem Digitalpult ist alles viel komplizierter, aufgrund der vielen Untergruppen, Mehrfachbelegungen, etc. Man muss ständig neue Programmierungen lernen.

Du trauerst der analogen Zeit also nach?

Ich bin lange den analogen Weg gegangen, der sehr viel anspruchsvoller war als der digitale. Ich wüsste nicht, ob ich noch heute eine rein analoge Produktion gewährleisten könnte. Und falls doch, dann bräuchte ich dafür exzellente Musiker.

Wenn man die zur Verfügung hätte, könnte eine solche Produktion allerdings schon nach einem Tag abgeschlossen sein, da alles auf den Punkt gespielt wäre. Der Vorteil von digitalen Produktionen ist, dass man auf jedes Detail auch später noch zugreifen und es verändern kann.

Früher war ein analoger Mix ein analoger Mix und schon zwei Stunden später nicht mehr zu ändern. Das ist auch der Grund, weshalb ich heute so manchen Fehler in meinen früheren Produktionen entdecken kann.

Wie müsste deiner Meinung nach die perfekte Produktion klingen?

Die Frage impliziert schon einen Fehler: Heutzutage klingen viele Platten zu perfekt, zu wenig menschlich. Wenn ich bei früheren Produktionen einen Sänger den ganzen Tag über den gleichen Song habe singen lassen, hieß es immer „Waldemar, der Perfektionist!” Aber es war notwendig, um das bestmögliche Ergebnis zu bekommen.

Heute klingt vieles zu perfekt, zu steril, zu gleichförmig. Mit den entsprechenden Tools kann jeder Sänger perfekt performen, die Unterschiede hört man erst dann, wenn er mit seiner Band auf die Bühne geht.

Kommen wir zu deinem aktuellen Equipment: Du bist nach wie vor überzeugter Ibanez-Spieler, richtig?

Das stimmt. Zu Ibanez pflege ich seit vielen Jahren einen engen Kontakt. Zu Zeiten meiner Band Grip Inc. war ich bei ihnen in Los Angeles zu Besuch, heute fahre ich zu Ibanez nach Amsterdam, wo ich super betreut werde. Ich besitze unter anderem zwei Ibanez-Unikate, sprich: Prototypen. Nach technischen Details darfst du mich bei diesen Gitarren allerdings nicht fragen.

Aha!?

Dazu eine kleine Anekdote: Während meines Studiums bin ich mal mit einem Kommilitonen in meinen Proberaum gefahren. Im Auto erzählte er mir alles über seine Gitarre, über das Holz, die Pickups, die technische Schaltung, er wusste alles. Als wir im Proberaum ankamen und ich ihm meine Gitarre in die Hand gab, wurde eines schnell klar: Anstatt sich mit den technischen Einzelheiten zu befassen hätte er lieber mehr üben sollen.

Ich bin kein Technik-Nerd, ich finde sogar, dass einige billigere Ibanez-Gitarren besser klingen als deren Boutique-Modelle. Ich kenne 5000 Euro teure Gitarren, die keinen klanglichen Unterschied zu 300-Euro-Modellen haben. Der Ton kommt letztendlich immer aus den Fingern. Das ist wie bei der Fotografie: Nur weil deine Kamera 3000 Euro gekostet hat, entscheidet nicht das Equipment, sondern der richtige Blickwinkel und ein gutes Auge fürs Motiv, ob ein Foto wirklich interessant ist.

Sorychtas Ibanez Custom mit DiMarzio-Pickups und Floyd-Rose-Tremolo (Bild: Mineur)

Spielst du auch sieben- und achtsaitige Gitarren?

Ich habe vieles ausprobiert, aber Achtsaiter sind nichts für mich. Früher habe ich ausnahmslos Sechssaiter gespielt, allerdings immer in Drop-D-Tuning. Wichtiger für mich sind allerdings die Balance und die richtige Haltung beim Spielen. Bei Klavier und Akkordeon war für mich die rechte Hand die wichtigere, bei der Gitarre ist es umgekehrt. Als ich in meinen jungen Jahren für zwei Monate Gitarrenunterricht hatte, habe ich beim Fernsehgucken immer geübt und zu den Werbespots Soli gespielt.

Denn eines gilt weiterhin: Man kann ein Instrument nicht ausschließlich theoretisch lernen, man muss es selbst spielen. Das war für mich eine gute Schule, die mir später sehr geholfen hat, als ich beispielsweise 2017 bei Overkill ausgeholfen habe und in drei Tagen ein 90-minütiges Live-Set lernen musste. Damals habe ich 16 Stunden pro Tag geübt, solange bis ich Blasen an den Fingern hatte. Ich bin dann sogar mit blutigen Fingern auf die Bühne gegangen.

Bei den Amps bist du mittlerweile bei Kemper gelandet, nicht wahr?

Ja, das stimmt, wobei Kemper ja eigentlich kein Amp im traditionellen Sinn ist. Ich habe mein eigenes Profile programmiert, und das stammt aus meiner DigiTech-Vorstufe und einer QSC-EX1250-Endstufe, aufgenommen mit Dennis Köhnes Hilfe und mehreren Mikrofonen.

Früher hatte ich bei Konzerten immer vier 4x12er Boxen dabei, zwei links und zwei rechts auf der Bühne. Das waren mehr als 100 Kilos, die man schleppen musste. Heutzutage mühelos mit einem kleinen Kemper, einem Sender und einer Gitarre im Handgepäck zu einem Gig mit meiner aktuellen Band Exhorder nach Südafrika fliegen zu können ist einfach wunderbar.

Grundlage für seine Kemper-Profile: QSC-Endstufe und DigiTech Valve FX Preamp (Bild: Mineur)

Effekte?

Kaum, und wenn dann ein bisschen Delay und Verzerrung aus dem Kemper. An Saiten spiele ich weiterhin Ernie Ball, den 009er-Satz. Eine Zeitlang habe ich den 010er-Satz genommen, aber für die Soli fühle ich mich mit dem 009er wohler.

Deswegen sind auch die Zeiten vorbei, in denen ich dicke Plektren verwendet habe. Damals sind mir ständig Saiten gerissen, mit meinen neuen 0,5mm dünnen Dunlop Signature-Plektren, auf denen das Dreieck-Symbol meines Mottos „Forever” zu sehen ist, ist das Problem dagegen behoben. Ich musste mich an die dünneren Plektren zwar erst gewöhnen, aber heute kann ich mir keine anderen mehr vorstellen.

Sorychtas Custom-Plektren (Bild: Mineur)

Bleibt abschließend noch dein bevorzugtes Mikro.

Ich schwöre für Gesang und Overdubs auf Mikrofone von Slate Digital, ein Standard-Mikro, für das man die Software aus dem Internet herunterladen und alle gängigen Modelle wie Neumann und so weiter nachempfinden kann. Das Beste daran: Man kann später beim Mix noch etwas an der Klangcharakteristik verändern!

(erschienen in Gitarre & Bass 07/2025)

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